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European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2025:RA2023210206.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der im Jahr 1972 geborene Revisionswerber, ein Staatsangehöriger der Republik Türkei, ist seit Mitte 1981 im österreichischen Bundesgebiet aufhältig und verfügt seit November 1987 über einen unbefristeten Wiedereinreisesichtvermerk (nunmehr „Daueraufenthalt ‑ EU“). Er ist seit etwa 30 Jahren verheiratet und hat vier (mittlerweile) volljährige Töchter. Seine Ehefrau sowie seine Kinder besitzen die österreichische Staatsbürgerschaft. Bis zu seiner Inhaftierung im Jänner 2017 lebte der Revisionswerber mit diesen Familienangehörigen in einem gemeinsamen Haushalt. Er war bis August 2015 bei verschiedenen Dienstgebern beschäftigt, wobei er zwischenzeitlich wiederholt arbeitslos gemeldet war.
2 Während seines Aufenthaltes in Österreich wurde der Revisionswerber wiederholt straffällig und deswegen mehrmals rechtskräftig verurteilt. Erstmals wurde er mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 2. September 1998 wegen (teils versuchten) schweren Betruges nach den §§ 146, 147 Abs. 1 Z 1, Abs. 2; 15 StGB sowie wegen des Vergehens der Urkundenfälschung nach § 223 Abs. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten, davon 12 Monate bedingt, verurteilt. In den Jahren 2004 und 2008 folgten Verurteilungen zu teilbedingten und unbedingten Freiheitsstrafen (u.a.) wegen des Verbrechens der Schlepperei nach § 104 Abs. 1 und 3 FrG, des Verbrechens der kriminellen Organisation nach § 278a StGB, des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB, des Vergehens der versuchten Nötigung nach den §§ 15, 105 Abs. 1 StGB und verschiedener Vermögensdelikte sowie im Jahr 2010 wegen eines gewerbsmäßig begangenen Finanzdeliktes zu einer Geldstrafe von € 250.000,‑. Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 13. Juli 2010 wurde der Revisionswerber wegen des als Beteiligter nach § 12 dritter Fall StGB begangenen Verbrechens des gewerbsmäßig schweren Betruges nach den §§ 146, 147 Abs. 1 Z 1 erster Fall, Abs. 3, 148 zweiter Fall StGB sowie wegen des Vergehens der versuchten Nötigung nach den §§ 15, 105 Abs. 1 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von vier Jahren verurteilt. Unter Bedachtnahme auf dieses Urteil wurde er vom Landesgericht für Strafsachen Wien mit Urteil vom 17. Oktober 2012 (u.a.) wegen weiterer Vermögensdelikte zu einer unbedingten Zusatzfreiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 31. Jänner 2017 wurde der Revisionswerber wegen des als Beteiligter gemäß § 12 zweiter Fall StGB begangenen Verbrechens der Geldwäscherei nach § 165 Abs. 2 und 4 erster Fall StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt, wobei infolge der dagegen erhobenen Berufung die Strafe auf vier Jahre herabgesetzt wurde. Unter Bedachtnahme auf dieses Urteil wurde er vom Landesgericht für Strafsachen Wien mit Urteil vom 14. November 2018 wegen weiterer Vermögensdelikte zu einer unbedingten Zusatzfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt.
3 Im Jahr 2020 leitete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) betreffend den Revisionswerber ein Verfahren zur Prüfung der Erlassung einer Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem Einreiseverbot ein. Mit Schreiben vom 12. Mai 2020 teilte es dem Revisionswerber mit, dass das Verfahren nach Vornahme einer Interessenabwägung, die zugunsten des Revisionswerbers ausgefallen sei, eingestellt werde. Das BFA wies in dem Schreiben jedoch auch ausdrücklich darauf hin, dass es die Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen für den Fall beabsichtige, dass der Revisionswerber von einem Gericht ein weiteres Mal rechtskräftig verurteilt werde.
4 Dessen ungeachtet wurde der Revisionswerber im Zeitraum von Jänner 2021 bis Sommer 2022 ‑ während er sich im „offenen Vollzug“ befand ‑ wiederum straffällig, weswegen er mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 13. März 2023 wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Betruges nach den §§ 146, 147 Abs. 1 Z 3, Abs. 2, 148 erster Fall StGB sowie wegen des Vergehens der Urkundenfälschung nach § 223 Abs. 1 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt wurde.
5 Im Hinblick auf die genannten Verurteilungen erließ das BFA mit Bescheid vom 7. August 2023 gegen den Revisionswerber gemäß § 52 Abs. 5 FPG iVm § 9 BFA‑VG eine Rückkehrentscheidung und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung in die Türkei zulässig sei. Unter einem erließ es gegen den Revisionswerber gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 5 FPG ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot. Schließlich erkannte es einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA‑VG die aufschiebende Wirkung ab und gewährte demzufolge gemäß § 55 Abs. 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise.
6 Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 22. November 2023 als unbegründet ab und sprach gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B‑VG als unzulässig erweist.
8 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
9 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
10 In dieser Hinsicht wendet sich der Revisionswerber gegen das Unterbleiben der in der Beschwerde beantragten mündlichen Verhandlung sowie gegen die vom BVwG erstellte Gefährdungsprognose und die vorgenommene Interessenabwägung. Die Verhängung eines zehnjährigen Einreiseverbots trotz der langen Aufenthaltsdauer von 43 Jahren und der Verurteilung des Revisionswerbers „bloß“ wegen Vermögensdelikten entspreche nicht der in der Revision zitierten Rechtsprechung (Hinweis auf VwGH 21.11.2022, Ra 2022/14/0285). Nicht nachvollziehbar sei außerdem, warum das BFA im Jahr 2020 noch von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen abgesehen habe, dagegen nunmehr nach lediglich einer weiteren Verurteilung wegen eines Vermögensdeliktes das „in Jahren längste Einreiseverbot“ verhängt werde. Deshalb liege auch kein eindeutiger Fall vor, weshalb das BVwG eine mündliche Verhandlung hätte durchführen müssen.
11 § 21 Abs. 7 BFA‑VG erlaubt das Unterbleiben einer Verhandlung trotz deren ausdrücklicher Beantragung, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint. Aus dieser Regelung ergibt sich, dass die Unterlassung einer Verhandlung nur dann einen zur Aufhebung führenden Verfahrensmangel begründet, wenn ein entscheidungswesentlicher Sachverhalt klärungsbedürftig ist; dieser ist in der Revision darzutun. Richtig ist, dass der Verwaltungsgerichtshof in diesem Zusammenhang auch wiederholt darauf hingewiesen hat, bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen komme der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer mündlichen Verhandlung besondere Bedeutung zu, und zwar sowohl in Bezug auf die Gefährdungsprognose als auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK (sonst) relevanten Umstände. In eindeutigen Fällen, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht von ihm einen (positiven) persönlichen Eindruck verschafft, kann allerdings eine Verhandlung unterbleiben (vgl. etwa VwGH 31.8.2023, Ra 2022/21/0140, Rn. 16, mwN).
12 Von einem derartigen eindeutigen Fall durfte das BVwG angesichts der zahlreichen vom Revisionswerber begangenen Straftaten und seiner mehrfach wiederholten, einschlägigen, raschen und kontinuierlichen Rückfälligkeit über einen sehr langen Zeitraum, was seit dem Jahr 2010 immer wieder beträchtliche unbedingte Freiheitsstrafen nach sich zog, sowohl im Hinblick auf die Gefährdungsprognose als auch die Interessenabwägung vertretbar ausgehen.
13 Das BVwG setzte sich im Rahmen der zu Recht am Maßstab des § 52 Abs. 5 FPG vorgenommenen Gefährdungsprognose umfassend mit den zahlreichen Verurteilungen des Revisionswerbers und den diesen zugrundeliegenden individuellen Tathandlungen auseinander. Dabei durfte es den langen Zeitraum von mehr als 20 Jahren, in dem der Revisionswerber wiederholt und unbeeindruckt vom erfahrenen „Haftübel“ Straftaten beging, genauso berücksichtigen wie den Umstand, dass es sich dabei teils um schwere, gewerbsmäßig begangene Vermögensdelikte mit einer Vielzahl an Opfern und einem hohen, die Grenze der Wertqualifikation teils mehrfach übersteigenden Schaden handelte. Das BVwG führte auch zu Recht ins Treffen, dass die Straftaten teils durch ein besonders skrupelloses Vorgehen gegenüber den Opfern gekennzeichnet waren. Weder die wiederholt verhängten langjährigen Haftstrafen noch die Androhung einer Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbotes im Jahr 2020 hielten den Revisionswerber davon ab, bereits wieder ab Jänner 2021 ‑ somit während seines „offenen Vollzuges“ ‑ neuerlich im einschlägigen Rückfall gravierende strafbare Handlungen zu setzen, welche wiederum zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe führten. Auch diese Umstände hat das BVwG zutreffend einbezogen. Vor diesem Hintergrund ist es somit nicht zu beanstanden, dass das BVwG von einer gegenwärtigen, hinreichend schweren Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit iSd § 52 Abs. 5 FPG durch den weiteren Aufenthalt des Revisionswerbers ausging und vorliegend die Verhängung eines zehnjährigen Einreiseverbots für gerechtfertigt erachtete. Daran ändert ‑ entgegen dem Revisionsvorbringen ‑ auch der Umstand nichts, dass das BFA im Jahr 2020 noch von der Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbots Abstand genommen hatte. Abgesehen davon, dass grundsätzlich keine Bindung an die damalige Beurteilung des BFA besteht, folgte doch danach noch die weitere Verurteilung des Revisionswerbers zu einer unbedingten dreijährigen Freiheitsstrafe.
14 Auch bei der nach § 9 BFA‑VG durchgeführten Interessenabwägung setzte sich das BVwG mit sämtlichen relevanten Umständen auseinander. So berücksichtigte es entgegen dem Revisionsvorbringen die sehr lange Dauer des rechtmäßigen Aufenthaltes des Revisionswerbers im Bundesgebiet sowie dessen Familienleben. Es hat jedoch in nicht zu beanstandender Weise auch dargelegt, dass die Beziehungen des Revisionswerbers zu seiner Ehefrau und seinen mittlerweile erwachsenen Kindern nicht ausreichen, um ein Überwiegen der Interessen des Revisionswerbers daran, keinem Einreiseverbot zu unterliegen, anzunehmen. Vielmehr ist im Hinblick auf die fortgesetzte gravierende Straffälligkeit des Revisionswerbers und die daraus resultierende massive Wiederholungsgefahr die durch das Einreiseverbot bewirkte Trennung von seinen Familienangehörigen hinzunehmen und es sind Schwierigkeiten beim Aufbau einer Existenz in der Türkei im besonders großen öffentlichen Interesse an der Unterbindung von Straftaten der hier in Rede stehenden Art in Kauf zu nehmen. Auch diese Ansicht des BVwG ist fallbezogen zutreffend. In diesem Zusammenhang ist zum Revisionsvorbringen noch festzuhalten, dass auch Verurteilungen wegen Vermögensdelikten bei einer ‑ wie hier gegebenen ‑ entsprechenden Gravität trotz langer Aufenthaltsdauer und familiärer Bindungen in Österreich ein Einreiseverbot rechtfertigen können (vgl. nur beispielweise aus der letzten Zeit VwGH 29.8.2024, Ra 2022/21/0016). Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus dem dazu in der Revision zitierten Erkenntnis, dem ein mit dem vorliegenden Fall überhaupt nicht vergleichbarer Sachverhalt zugrunde lag. Im Übrigen wird in der Revision außer Acht gelassen, dass der Revisionswerber wiederholt auch wegen Gewaltdelikten (gefährlicher Drohung und versuchter Nötigung, zum Teil mit einer Waffe begangen) verurteilt wurde. Abschließend ist zur Vollständigkeit noch anzumerken, dass im vorliegenden Fall auch der ‑ in der Revision im Übrigen nicht konkret angesprochene ‑ Tatbestand des § 9 Abs. 4 Z 1 BFA‑VG idF vor dem FrÄG 2018 (siehe dazu etwa VwGH 26.9.2024, Ra 2022/21/0107, Rn. 12) der gegenständlichen Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot nicht entgegensteht.
15 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen iSd Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
Wien, am 27. Februar 2025
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