European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2023190017.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Die Revisionswerberin, eine türkische Staatsangehörige, stellte am 5. Jänner 2017 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte sie vor, auf Grund der politischen Aktivitäten ihres Ehemannes bei der kurdischen Partei Probleme mit dem türkischen Geheimdienst zu haben.
2 Mit Bescheid vom 16. Jänner 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag der Revisionswerberin ab, erteilte ihr keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass ihre Abschiebung in die Türkei zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde der Revisionswerberin wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ‑ nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ‑ mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
4 Mit Beschluss vom 29. November 2022, E 2713/2022‑5, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis gerichteten Beschwerde der Revisionswerberin ab und trat die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
5 In der Folge wurde die gegenständliche außerordentliche Revision erhoben.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
7 Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit vor, politisch motivierte Verfolgungen im Herkunftsstaat hätten über den gegenständlichen Fall hinaus grundsätzliche Bedeutung. Es sei daher eine Differenzierung zwischen staatlicher Verfolgung aus strafrechtlich und politisch motivierten Gründen vorzunehmen.
8 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist in der gesonderten Zulässigkeitsbegründung konkret darzulegen, in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht bzw. konkret welche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof uneinheitlich oder noch gar nicht beantwortet hat (vgl. VwGH 29.11.2021, Ra 2021/19/0408, mwN).
9 Eine solche Darstellung enthält das von der Revisionswerberin auf die Beurteilung der Fluchtgründe bezogene Zulässigkeitsvorbringen nicht. Die Revision führt weder eine konkrete Rechtsfrage an, in der das angefochtene Erkenntnis von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweichen würde, noch legt sie dar, worin die behauptete Abweichung bestehen würde.
10 Die Revision wendet sich in ihrer Zulässigkeitsbegründung zudem gegen die Vertretbarkeit der im Rahmen der Rückkehrentscheidung vorgenommenen Interessenabwägung und bringt dazu im Wesentlichen vor, zwischen der Revisionswerberin, ihrem Bruder sowie ihren Neffen und ihrer Nichte (die alle österreichische Staatsangehörige seien) bestehe in Österreich ein intensives Abhängigkeitsverhältnis. Außerdem gehe die Revisionswerberin nunmehr mit der erteilten Beschäftigungsbewilligung legal einer geregelten Vollzeitbeschäftigung als Köchin nach. Sie sei selbsterhaltungsfähig, könne sich im Alltag selbst verständigen und sei gut integriert. Die legale Beschäftigung der Revisionswerberin habe vom BVwG nicht mehr berücksichtigt werden können, zumal die erteilte Beschäftigungsbewilligung der Revisionswerberin erst nach der durchgeführten mündlichen Verhandlung sowie Erlassung des angefochtenen Erkenntnis zugestellt worden sei.
11 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen ‑ wenn kein revisibler Verfahrensmangel aufgezeigt wird und sie in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung dar (vgl. VwGH 9.12.2022, Ra 2022/19/0298, mwN).
12 Das BVwG hat alle für die Interessenabwägung maßgeblichen Umstände, insbesondere die Aufenthaltsdauer, den Grad der Integration, sowie die Bindungen der Revisionswerberin zu ihrem Bruder, ihren Neffen und ihrer Nichte berücksichtigt. In diesem Zusammenhang führte das BVwG aus, dass eine über die übliche Unterstützung im Verwandtenkreis hinausgehende Verbindung und ein maßgebliches Abhängigkeitsverhältnis zwischen der Revisionswerberin und ihrem Bruder bzw. zu ihren Neffen und ihrer Nichte zum Entscheidungszeitpunkt nicht hervorgekommen sei. Auch eine konkrete finanzielle Abhängigkeit von der Revisionswerberin bestehe nicht, weil diese selbst seit Jänner 2017 durchgehend Grundversorgungsleistungen beziehe. In Bezug auf die weiteren in Österreich lebenden Verwandten und Familienangehörigen der Revisionswerberin verweist das BVwG darauf, dass mit diesen ebenfalls kein gemeinsamer Haushalt bestehe und auch sonst keine besonders enge Beziehung hervorgekommen sei. Schließlich stünde es der Revisionswerberin frei, die bestehenden Bindungen etwa durch gegenseitige Besuche aufrecht zu erhalten und sich um eine legale Wiedereinreise sowie einen legalen Aufenthalt zu bemühen. Diesen Erwägungen des BVwG hält die Revision nichts Stichhaltiges entgegen.
13 Dass der Frage der Selbsterhaltungsfähigkeit der Revisionswerberin vor dem Hintergrund der vom BVwG sonst festgestellten Umstände fallbezogen eine solche Bedeutung zukäme, die zu einem anderen Ergebnis führen müsste (vgl. in diesem Zusammenhang VwGH 21.2.2022, Ra 2021/14/0335, mwN), legt die Revision nicht dar. Im Übrigen unterliegt das in der Zulässigkeitsbegründung erstattete Vorbringen zu der nach Zustellung des angefochtenen Erkenntnisses erhaltenen Beschäftigungsbewilligung der Revisionswerberin dem aus § 41 VwGG abgeleiteten Neuerungsverbot.
14 Ausgehend davon gelingt es der Revision nicht aufzuzeigen, dass die Interessenabwägung vom BVwG unvertretbar und entgegen den in der Rechtsprechung aufgestellten Leitlinien vorgenommen worden wäre.
15 Soweit schließlich Verfahrensmängel ‑ wie hier Ermittlungsmängel ‑ als Zulassungsgründe ins Treffen geführt werden, muss deren Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei deren Vermeidung in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass ‑ zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst ‑ jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 23.9.2022, Ra 2022/19/0136, mwN).
Diesen Anforderungen kommt die Revision mit ihrem sehr allgemein gehaltenen Vorbringen nicht nach.
16 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher ohne weiteres Verfahren gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 30. Jänner 2023
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