Normen
AVG §38
FSG 1997 §4 Abs3
FSG 1997 §4 Abs6
FSG 1997 §4 Abs6 Z2a
FSG 1997 §7 Abs3 Z14
FSG 1997 §7 Abs3 Z15
KFG 1967 §102 Abs3 fünfter Satz
Organstrafverfügungen 2000
StVO 1960 §4 Abs2
StVO 1960 §99 Abs2d
StVO 1960 §99 Abs2e
VStG §134 Abs3c
VStG §50
VStG §50 Abs4
VStG §50 Abs6
VwGG §42 Abs2 Z1
VwRallg
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2023110032.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
1 1. Laut Mitteilung der Landespolizeidirektion Vorarlberg vom 20. Dezember 2022, GZ: PAD/22/02571208/001/VW, sei der Revisionswerber am 20. Dezember 2022 zu näher genannter Zeit an näher genanntem Ort in Hohenems zu einer Lenker- und Fahrzeugkontrolle angehalten worden. Zuvor hätten die einschreitenden Exekutivbeamten festgestellt, dass der Revisionswerber sein Mobiltelefon (am Steuer) bedient habe. In Folge sei dem Revisionswerber eine Organstrafverfügung wegen Übertretung von § 102 Abs. 3 fünfter Satz Kraftfahrgesetz 1967 (KFG 1967) ausgestellt worden.
2 2.1. Mit Bescheid vom 30. Dezember 2022 ordnete die belangte Behörde gegenüber dem Revisionswerber gemäß § 4 Abs. 3 und 6 Z 2a FSG eine Nachschulung für verkehrsauffällige Lenker hinsichtlich der Klasse B an. Der Revisionswerber habe dieser Nachschulung gemäß § 4 Abs. 8 FSG innerhalb von vier Monaten nach Zustellung dieses Bescheids nachzukommen, wobei die Kosten von ihm zu tragen seien. Eine allfällige Beschwerde gegen diesen Bescheid habe gemäß § 4 Abs. 3 FSG keine aufschiebende Wirkung (Spruchpunkt I.). Mit Anordnung der Nachschulung verlängere sich die Probezeit des Revisionswerbers gemäß § 4 Abs. 3 FSG um ein weiteres Jahr. Für die Verlängerung der Probezeit seien der Führerschein, ein Passfoto sowie € 49,50 unverzüglich nach Zustellung des Bescheids vorzulegen, andernfalls ein Verwaltungsstrafverfahren eingeleitet werde (Spruchpunkt II.).
3 In der Begründung verwies die belangte Behörde auf die – in Rn. 1 wiedergegebene - Mitteilung vom 20. Dezember 2022. Gemäß § 4 Abs. 3 FSG sei unverzüglich eine Nachschulung anzuordnen, wenn der Besitzer der Lenkberechtigung innerhalb der Probezeit einen schweren Verstoß (Abs. 6 leg. cit.) begehe.
4 2.2. Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Beschwerde.
5 Darin brachte der Revisionswerber vor, er habe nicht ‑ wie mit Bescheid festgestellt ‑ während des Autofahrens telefoniert; dies ergebe sich aus einer Rufdatenaufzeichnung, die der Revisionswerber nachtragen werde. Der Revisionswerber habe die Organstrafverfügung nur bezahlt, weil ihm der amtshandelnde Exekutivbeamte dazu geraten, nicht jedoch, weil er das ihm vorgeworfene Fehlverhalten tatsächlich begangen habe. Zum Beweis dieses Vorbringens könne auch die Einvernahme des Exekutivbeamten im Zuge einer mündlichen Verhandlung dienen. Da der Revisionswerber die ihm vorgeworfene Tat nicht begangen habe, lägen auch die rechtlichen Voraussetzungen für die Anordnung einer Nachschulung sowie die Verlängerung der Probezeit nicht vor.
6 2.3. Mit dem hier angefochtenen Erkenntnis vom 2. Februar 2023 gab das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg (im Folgenden: Verwaltungsgericht) der Beschwerde keine Folge. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG unzulässig sei.
7 Das Verwaltungsgericht stellte ‑ auf Basis der Aktenlage ‑ Folgendes fest:
8 Der Revisionswerber sei Besitzer einer Lenkberechtigung für die Klasse B; er befinde sich in der Probezeit. Er sei ‑ wie in Rn. 1 wiedergegeben ‑ am 20. Dezember 2022 zu einer Lenker- und Fahrzeugkontrolle angehalten worden; ihm sei in Folge eine Organstrafverfügung wegen Übertretung des § 102 Abs. 3 fünfter Satz KFG 1967 ausgestellt worden. Die mit dieser Organstrafverfügung verhängte Geldstrafe habe der Revisionswerber beglichen.
9 Das Verwaltungsgericht würdigte den festgestellten Sachverhalt (unter Anführung der einschlägigen Normen und Materialien) rechtlich wie folgt:
10 Gemäß § 4 Abs. 3 FSG sei von der Behörde unverzüglich eine Nachschulung anzuordnen, wenn der Besitzer der Lenkberechtigung innerhalb der Probezeit einen schweren Verstoß (Abs. 6 leg. cit.) begehe, wobei die Rechtskraft der Bestrafung wegen eines schweren Verstoßes abzuwarten sei. Im Fall eines schweren Verstoßes gemäß Abs. 6 Z 2a leg. cit. könne auch nach der Ausstellung eines Organmandates eine Nachschulung angeordnet werden. Mit der Anordnung einer Nachschulung verlängere sich die Probezeit jeweils um ein weiteres Jahr.
11 Gemäß § 4 Abs. 6 Z 2a FSG gelte eine - wie gegenständlich vorliegende - Übertretung des § 102 Abs. 3 fünfter Satz KFG 1967 (Telefonieren ohne Benützung einer Freisprecheinrichtung sowie jegliche andere Verwendung des Mobiltelefons, ausgenommen als Navigationssystem, sofern es im Wageninneren befestigt sei, während des Fahrens) als schwerer Verstoß gemäß § 4 Abs. 3 FSG.
12 Das „Handyverbot am Steuer“ sei mit der 18. FSG‑Novelle (BGBl. I Nr. 15/2017) in den Deliktskatalog des § 4 Abs. 6 FSG aufgenommen worden. Den Erläuterungen zur diesbezüglichen Regierungsvorlage (1358 Blg. NR XXV. GP, 2) sei zu entnehmen, dass Ablenkung eine der Hauptunfallursachen sei; diese sei gerade bei Fahranfängern mit wenig Fahrroutine besonders gefährlich. Deshalb sei es sachgerecht, die Missachtung des Handyverbotes in den Deliktskatalog des Probeführerscheines zu integrieren. Zudem sei mit der 18. FSG‑Novelle der zweite Satz des § 4 Abs. 3 FSG eingefügt worden, mit welchem klargestellt werde, dass die Anordnung einer Nachschulung auch nach Ausstellung einer Organstrafverfügung möglich sein solle.
13 Dem Wortlaut des § 4 Abs. 3 FSG entnahm das Verwaltungsgericht ‑ in Zusammenschau mit den Materialien ‑, dass die Zahlung einer mit einer Organstrafverfügung verhängten Geldstrafe in Folge eines schweren Verstoßes gemäß Abs. 6 Z 2a leg. cit. einer rechtskräftigen Bestrafung in Folge eines schweren Verstoßes gemäß Abs. 6 leg. cit. im Hinblick auf die Anwendbarkeit folgender Rechtsprechung gleichzuhalten sei:
14 Die Behörde sei an rechtskräftige Bestrafungen insofern gebunden, als damit die Tatsache der Handlungen oder Unterlassungen, derentwegen die Bestrafung erfolgte, feststehe. Von dieser Bindungswirkung seien auch Strafverfügungen erfasst (unter Verweis auf VwGH 13.6.2019, Ra 2019/02/0015).
15 Fallbezogen folgerte das Verwaltungsgericht, dass die vom Revisionswerber bezahlte Organstrafverfügung, wie eine rechtskräftige Bestrafung in einem ordentlichen Verwaltungsstrafverfahren, Bindungswirkung entfalte. Sohin sei es der belangten Behörde und in Folge dem Verwaltungsgericht verwehrt, die (näheren) Umstände der Tat eigenständig zu prüfen. Es sei im gegenständlichen Verfahren von der Verwirklichung des Deliktes gemäß § 102 Abs. 3 fünfter Satz KFG 1967 ohne weitere, eigenständige Ermittlungen auszugehen. Dies führe dazu, dass die in der Beschwerde vorgebrachte Bestreitung der Verwirklichung des Deliktes gemäß § 102 Abs. 3 fünfter Satz KFG 1967, der Revisionswerber habe nicht während des Autofahrens telefoniert, unbeachtlich sei. Die für das gegenständliche Verfahren maßgeblichen Tatsachen seien der Aktenlage zu entnehmen, weswegen auch von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung habe abgesehen werden können.
16 Die Anordnung einer Nachschulung sowie die Verlängerung der Probezeit um ein weiteres Jahr gemäß § 4 Abs. 3 FSG seien somit zu Recht erfolgt.
17 3. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
18 Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit vor, das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht von der Bindungswirkung gegenständlicher Organstrafverfügung ausgegangen. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts weiche von jener Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, wonach einer Organstrafverfügung nicht die Qualität eines Bescheides zukomme (unter Hinweis unter anderem auf VwGH 6.10.1993, 92/17/0284). Vor diesem Hintergrund sei es verfehlt, die vom Verwaltungsgericht zitierte Rechtsprechung, der eine in Rechtskraft erwachsene Strafverfügung zu Grunde liege, auf gegenständliche Organstrafverfügung anzuwenden.
19 Die belangte Behörde beantragte in ihrer ‑ nach Einleitung des Vorverfahrens ‑ erstatteten Revisionsbeantwortung die kostenpflichtige Zurückweisung, in eventu Abweisung der Revision.
20 4. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
21 4.1. Die Revision erweist sich zur Klarstellung der Rechtslage als zulässig; sie ist auch begründet.
4.2. Die maßgeblichen Bestimmungen lauten:
22 § 4 FSG (Lenkberechtigung für Anfänger - Probeführerschein), BGBl. I Nr. 120/1997, in der Fassung BGBl. I Nr. 76/2019, lautet auszugsweise wie folgt:
„(...)
(3) Begeht der Besitzer der Lenkberechtigung innerhalb der Probezeit einen schweren Verstoß (Abs. 6) oder verstößt er gegen die Bestimmung des Abs. 7, so ist von der Behörde unverzüglich eine Nachschulung anzuordnen, wobei die Rechtskraft der Bestrafung wegen eines schweren Verstoßes abzuwarten ist. Im Fall eines schweren Verstoßes gemäß Abs. 6 Z 2a kann auch nach der Ausstellung eines Organmandates eine Nachschulung angeordnet werden. (...) Mit der Anordnung einer Nachschulung verlängert sich die Probezeit jeweils um ein weiteres Jahr oder es beginnt eine neuerliche Probezeit von einem Jahr, wenn die Probezeit in der Zeit zwischen der Deliktsetzung und der Anordnung der Nachschulung abgelaufen ist; (...)
(6) Als schwerer Verstoß gemäß Abs. 3 gelten
(...)
2a. Übertretungen des § 102 Abs. 3 fünfter Satz KFG 1967. (...)“
23 Die wesentliche Bestimmung des KFG 1967, BGBl. Nr. 267/1967, in der Fassung BGBl. I Nr. 62/2022, lautet auszugsweise wie folgt:
§ 102. Pflichten des Kraftfahrzeuglenkers
„(...)
(3) (...) Während des Fahrens ist dem Lenker das Telefonieren ohne Benützung einer Freisprecheinrichtung sowie jegliche andere Verwendung des Mobiltelefons, ausgenommen als Navigationssystem, sofern es im Wageninneren befestigt ist, verboten. (...)“
24 § 50 VStG (Organstrafverfügung), BGBl. Nr. 52/1991, in der Fassung BGBl. I Nr. 57/2018, lautet auszugsweise wie folgt:
„(1) Die Behörde kann besonders geschulte Organe der öffentlichen Aufsicht ermächtigen, wegen bestimmter von ihnen dienstlich wahrgenommener oder vor ihnen eingestandener Verwaltungsübertretungen mit Organstrafverfügung Geldstrafen einzuheben.
(2) Die Behörde kann die Organe (Abs. 1) ferner ermächtigen, dem Beanstandeten einen zur postalischen Einzahlung des Strafbetrages geeigneten Beleg zu übergeben, oder, wenn keine bestimmte Person beanstandet wird, am Tatort zu hinterlassen. Der Beleg hat eine Identifikationsnummer zu enthalten, die automationsunterstützt gelesen werden kann.
(...)
(4) Eine Organstrafverfügung hat die Tat, die Zeit und den Ort ihrer Begehung, den Strafbetrag und die Behörde, in deren Namen eingeschritten wurde, anzugeben. Falls ein Beleg gemäß Abs. 2 verwendet wird, hat das Organ zusätzlich jene Daten festzuhalten, die für eine allfällige Anzeigenerstattung an die Behörde erforderlich sind.
(5) Die Gestaltung der für die Organstrafverfügung zu verwendenden Drucksorten, die Art ihrer Ausstellung und die Gebarung mit diesen Drucksorten sowie mit den eingehobenen Strafbeträgen sind durch Verordnung der Bundesregierung zu regeln.
(6) Gegen die Organstrafverfügung ist kein Rechtsmittel zulässig. Verweigert der Beanstandete die Zahlung des Strafbetrages oder die Entgegennahme des Beleges (Abs. 2), so ist die Organstrafverfügung gegenstandslos. Die Unterlassung der Einzahlung mittels Beleges (Abs. 2) binnen einer Frist von zwei Wochen gilt als Verweigerung der Zahlung des Strafbetrages; der Lauf der Frist beginnt mit Ablauf des Tages, an dem der Beleg am Tatort hinterlassen oder dem Beanstandeten übergeben wurde. Im Fall der Verweigerung der Zahlung des Strafbetrages oder der Entgegennahme des Beleges (Abs. 2) ist die Anzeige an die Behörde zu erstatten. Als fristgerechte Einzahlung des Strafbetrages mittels Beleges (Abs. 2) gilt auch die Überweisung des einzuhebenden Strafbetrages oder eines höheren Betrages auf das im Beleg angegebene Konto, wenn der Überweisungsauftrag die automationsunterstützt lesbare, vollständige und richtige Identifikationsnummer des Beleges enthält und der Strafbetrag dem Konto des Überweisungsempfängers fristgerecht gutgeschrieben wird.“
25 Die wesentlichen Bestimmungen der Organstrafverfügungenverordnung (OrgStVfgV), BGBl. II Nr. 510/1999, in der Fassung BGBl. II Nr. 401/2013, lauten auszugsweise wie folgt:
„Formular für die Organstrafverfügung
§ 1. Für die Einhebung von Geldstrafen mit Organstrafverfügung (§ 50 VStG) ist das Formular 45 der Verwaltungsformularverordnung ‑ VwFormV, BGBl. II Nr. 400/2013, in der jeweils geltenden Fassung, zu verwenden.
Durchführung
§ 2. Das Formular ist vom Organ im Durchschreibeverfahren in zwei Ausfertigungen auszufüllen, zu datieren und eigenhändig zu unterschreiben. Die Urschrift ist dem Beanstandeten zu übergeben. Die Vorlage einer Durchschrift des Formulars und die Abführung der eingehobenen Strafbeträge (Schecks, Originale der Kreditkartenbelege) an die Behörde hat unverzüglich zu erfolgen.
Beleg
§ 3. (1) Der zur postalischen Einzahlung des Strafbetrages zu verwendende Beleg (§ 50 Abs. 2 VStG) hat den Postvorschriften für Einzahlungsbelege zu entsprechen und eine Identifikationsnummer zu enthalten, die automationsunterstützt gelesen werden kann. Der Beleg hat aus einem für den Beanstandeten und einem für die Behörde bestimmten Teil zu bestehen. Auf den für die Behörde bestimmten Teil kann verzichtet werden, wenn die Ausstellung der Organstrafverfügung und deren Inhalt durch ein mobiles Datenerfassungsgerät gespeichert werden. Es muss jedoch jedenfalls sichergestellt sein, dass die Kontrolle der Einzahlung möglich ist.
(...)“
26 4.3. Voranzustellen ist Folgendes: Die Führerscheinbehörde ist, wenn eine rechtskräftige Bestrafung wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung vorliegt, jedenfalls in Ansehung des Umstands, dass der Betreffende die im Strafbescheid genannte Tat begangen hat, gebunden (vgl. VwGH 27.1.2005, 2003/11/0169, und 24.2.2009, 2007/11/0042, jeweils mwN.). Eine Bindung besteht hingegen nicht hinsichtlich des Ausmaßes der Geschwindigkeitsüberschreitung, falls dieses nicht bereits zum Tatbild der Verwaltungsübertretung zählt, wie dies z.B. gemäß § 99 Abs. 2d und 2e StVO 1960 der Fall ist. Es sei an dieser Stelle festgehalten, dass eine solche Bindungswirkung grundsätzlich auch hinsichtlich sonstiger rechtskräftiger Bestrafungen besteht (vgl. VwGH 21.8.2014, Ra 2014/11/0027, und ‑ etwa zu Alkoholdelikten – VwGH 17.3.2005, 2005/11/0057, und 26.4.2013, Zl. 2013/11/0015, mwN., sowie z.B. zu Übertretungen nach § 4 Abs. 2 StVO 1960 VwGH 14.5.2009, 2007/11/0009).
Liegt eine rechtskräftige Bestrafung wegen einer Übertretung hingegen nicht vor, hat die Führerscheinbehörde, falls sie das Verfahren nicht gemäß § 38 AVG aussetzt, die Frage, ob eine Übertretung begangen wurde, selbst zu beurteilen und dazu auch die erforderlichen Ermittlungen zu führen.
27 4.3.1. Dem ‑ isoliert betrachteten ‑ Wortlaut von § 4 Abs. 3 zweiter Satz FSG ist zunächst (bloß) zu entnehmen, dass auch nach der Ausstellung einer Organstrafverfügung (in Folge eines schweren Verstoßes gemäß § 4 Abs. 6 Z 2a leg. cit.) eine Nachschulung angeordnet werden kann.
28 Der Gesetzgeber bekräftigt dies in den Materialien zu § 4 Abs. 3 FSG, wonach „die Anordnung einer Nachschulung [...] auch möglich sein [soll], wenn ein Organmandat ausgestellt wurde“ (vgl. RV 1358 Blg. NR XXV. GP, 2).
29 § 4 Abs. 3 erster und zweiter Satz FSG ordnet eine eigenständige Maßnahme an, welche der begleitenden Maßnahme der Nachschulung iSd. § 24 Abs. 3 FSG entspricht, aber im Unterschied zu dieser Bestimmung (vgl. zu § 24 Abs. 3 Satz 2 Z 1 FSG VwGH 24.2.2022, Ra 2021/11/0001) nicht an eine Entziehung geknüpft (und daher eben nicht „begleitend“) ist.
30 4.3.2. Aus § 50 VStG iVm. der OrgStVfgV ist zu schließen, dass eine Organstrafverfügung vom ‑ dafür ermächtigten ‑ Organ der öffentlichen Aufsicht gleichermaßen dann ausgestellt wird, wenn der Beanstandete die mit der Organstrafverfügung verhängte Strafe sogleich (an Ort und Stelle) bezahlt oder sich dieser zunächst einen Beleg zur postalischen Einzahlung des Strafbetrags (Abs. 2 leg. cit.) aushändigen lässt (auf die Möglichkeit der Hinterlassung eines solchen Belegs am Tatort gemäß Abs. 2 leg. cit. ist mangels Relevanz für gegenständliches Verfahren nicht einzugehen); im zweiten Fall wird der Beleg der Organstrafverfügung beigelegt (Weilguni in Lewisch/Fister/Weilguni, VStG2 [2017] § 50 Rn. 18). Der erste dieser beiden Fälle führt durch die sofortige Zahlung des Strafbetrags zum Ende des (abgekürzten) Strafverfahrens (Weilguni in Lewisch/Fister/Weilguni, VStG2 [2017] § 50 Rn. 20). Im zweiten Fall ‑ Entgegennahme der Organstrafverfügung samt Beleg ‑ hat der Beanstandete sodann zwei Möglichkeiten: Entweder bezahlt er die mit der entgegengenommenen Organstrafverfügung verhängte Strafe im weiteren Verlauf fristgerecht (siehe dazu auch § 50 Abs. 6 fünfter Satz VStG) oder er unterlässt eine (fristgerechte) Bezahlung. Sofern keine fristgerechte Bezahlung der Strafe erfolgt, wird die Organstrafverfügung gemäß § 50 Abs. 6 zweiter und dritter Satz VStG gegenstandslos; es ist Anzeige an die zuständige Behörde gemäß § 50 Abs. 6 vierter Satz leg. cit. zu erstatten. Sofern jedoch eine fristgerechte Bezahlung der Strafe (etwa durch Überweisung) erfolgt, führt (auch) dies zum Ende des (abgekürzten) Strafverfahrens; die rechtmäßige und rechtzeitige Bezahlung der Strafe führt dazu, dass eine weitere Verfolgung des Beanstandeten zu unterbleiben hat (Weilguni in Lewisch/Fister/Weilguni, VStG2 [2017] § 50 Rn. 20‑22).
31 4.3.3. Vor dem Hintergrund des bislang Gesagten stellt sich die Frage, ob jeder der in Punkt 4.3.2. erwähnten Fälle von § 4 Abs. 3 zweiter Satz FSG erfasst sein soll. Dies ist aufgrund folgender Erwägungen zu verneinen:
32 Eine systematische Betrachtung des FSG ergibt, dass der Gesetzgeber das behördliche Tätigwerden an einigen Stellen von einer rechtskräftigen Bestrafung des Betroffenen abhängig macht (insbesondere § 4 Abs. 3 erster Satz; siehe jedoch auch § 7 Abs. 3 Z 14 und 15 zur Verkehrszuverlässigkeit). Die Regelung des § 4 Abs. 3 zweiter Satz FSG, der zufolge das behördliche Tätigwerden bereits von der (bloßen) Ausstellung einer Organstrafverfügung abhängig gemacht wird, ist (im FSG) hingegen einmalig. Es liegt sohin nahe, diese Ausnahmeregelung auch als solche zu interpretieren. Die Regelung des § 4 Abs. 3 zweiter Satz FSG ist zudem nicht isoliert zu verstehen, sondern als Ergänzung zu § 4 Abs. 3 erster Satz leg. cit. zu betrachten.
33 Gemäß § 4 Abs. 3 erster Satz FSG hat die Behörde, bevor sie eine Nachschulung anordnet, die Rechtskraft der Bestrafung wegen eines schweren Verstoßes gemäß § 4 Abs. 6 leg. cit. abzuwarten. Angesichts der bisherigen ‑ in Rn. 29 getätigten ‑ Ausführungen ist jedoch ersichtlich, dass eine fristgerechte Bezahlung einer Organstrafverfügung zum Ende des (abgekürzten) Strafverfahrens führt. In solchen Fällen kann es mangels Bescheidqualität der Organstrafverfügung nicht (mehr) zu einer rechtskräftigen Bestrafung des Betroffenen kommen (vgl. etwa VwGH 22.3.1982, 82/17/0019, 13.6.1990, 90/03/0145, und 6.10.1993, 92/17/0284; siehe überdies § 50 Abs. 4 VStG sowie Weilguni in Lewisch/Fister/Weilguni, VStG2 [2017] § 50 Rn. 13, wonach eine Organstrafverfügung nicht einmal den Namen des Beanstandeten zu enthalten hat). Es liegt nahe und steht im Einklang mit den ‑ in Rn. 12 und 29 erwähnten ‑ Materialien, dass der Gesetzgeber auch für diese Fälle, in denen eine rechtskräftige Bestrafung des Betroffenen anlässlich und aufgrund der fristgerechten Bezahlung der Organstrafverfügung (dauerhaft) ausbleibt, eine rechtliche Voraussetzung für die Anordnung einer Nachschulung gemäß § 4 Abs. 3 FSG zu schaffen beabsichtigte. Jene Fälle, in denen keine (fristgerechte) Bezahlung der mit Organstrafverfügung verhängten Strafe erfolgt und die zuständige Behörde ‑ anlässlich einer Anzeige gemäß § 50 Abs. 6 vierter Satz VStG ‑ sohin das (ordentliche) Strafverfahren einzuleiten hat, sind von § 4 Abs. 3 zweiter Satz FSG hingegen nicht erfasst; in diesen Fällen ist es schließlich möglich sowie rechtlich geboten, die Rechtskraft einer allfälligen Bestrafung wegen eines schweren Verstoßes gemäß § 4 Abs. 6 leg. cit. abzuwarten; solche Fälle sind demzufolge (bereits) von der Regelung des § 4 Abs. 3 erster Satz FSG erfasst.
34 Als Zwischenergebnis ist daher festzuhalten, dass die in § 4 Abs. 3 zweiter Satz FSG normierte Wortfolge „nach der Ausstellung eines Organmandats“ ausschließlich jene Fälle umfasst, in denen anlässlich und aufgrund einer ausgestellten Organstrafverfügung der mit dieser Organstrafverfügung verhängte Strafbetrag vom Beanstandeten auch bezahlt wird (gleich, ob an Ort und Stelle oder darauffolgend binnen der zweiwöchigen Frist gemäß § 50 Abs. 6 VStG), wodurch das (abgekürzte) Strafverfahren beendet wird.
35 4.4. Aus dem bislang Gesagten ergibt sich, dass gemäß § 4 Abs. 3 zweiter Satz FSG die Ausstellung einer infolge fristgerechter Bezahlung aufrechten Organstrafverfügung die rechtliche Voraussetzung für die Anordnung einer Nachschulung bildet; offen bleibt hingegen, ob aus dieser Vorschrift auch eine Bindungswirkung für die die Nachschulung anordnende Behörde dahingehend abzuleiten ist, dass die Ausstellung einer Organstrafverfügung im Falle der sofortigen oder nachfolgenden (fristgerechten) Bezahlung durch den Beanstandeten dazu führt, dass der Umstand der Verwirklichung der Verwaltungsübertretung (Verstoß gegen § 102 Abs. 3 fünfter Satz KFG 1967, der die Bedingung für die Anordnung einer Nachschulung gemäß § 4 Abs. 3 FSG darstellt, keiner Überprüfung mehr zugeführt werden kann. Dies ist aufgrund nachfolgender Erwägungen zu verneinen:
36 Wie bereits ‑ in Rn. 33 ‑ festgehalten, ist die Regelung des § 4 Abs. 3 zweiter Satz FSG als Ergänzung zu § 4 Abs. 3 erster Satz leg. cit. zu verstehen. Auch wenn § 4 Abs. 3 zweiter Satz FSG gerade jene Fälle erfasst, in denen eine rechtskräftige Bestrafung des Betroffenen ausgeschlossen ist, so ist die Tragweite dieser Regelung (in Bezug auf eine etwaige Bindungswirkung) dennoch an der grundlegenden Regelung des § 4 Abs. 3 erster Satz leg. cit. zu messen. Weder der Gesetzestext noch die Materialien zwingen zur Annahme, dass der Gesetzgeber aufgrund der Regelung des § 4 Abs. 3 zweiter Satz FSG Organstrafverfügungen mit einer ‑ für das FSG ‑ besonderen Bindungswirkung hätte ausgestalten wollen.
37 Gemäß der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 4 Abs. 3 erster Satz FSG ist eine Nachschulung nur dann anzuordnen, wenn der Betreffende rechtskräftig bestraft wurde (vgl. VwGH 18.10.2017, Ra 2017/11/0145, mwN.). Die Bindung der Führerscheinbehörde resultiert sodann aus der rechtskräftigen Bestrafung (vgl. etwa VwGH 21.8.2014, Ra 2014/11/0027, mwN., dort zur Bindung der Führerscheinbehörde an die rechtskräftige Bestrafung wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung mit dem Hinweis, dass eine solche Bindungswirkung grundsätzlich auch hinsichtlich sonstiger rechtskräftiger Bestrafungen besteht; die damalige Fassung des § 4 Abs. 3 FSG enthielt im Übrigen noch nicht gegenständlich auszulegende Regelung des § 4 Abs. 3 zweiter Satz FSG idgF.).
38 Für die Fälle des § 4 Abs. 3 zweiter Satz FSG bedeutet dies, dass es‑ mangels rechtskräftiger Bestrafung des Betroffenen ‑ eines Äquivalents zur Beurteilung der Frage, ob ein schwerer Verstoß gemäß § 4 Abs. 6 FSG begangen wurde, bedarf. Die Führerscheinbehörde hat daher bei beabsichtigter Anordnung einer Nachschulung gemäß § 4 Abs. 3 zweiter Satz FSG selbst zu ermitteln und zu beurteilen, ob der Betroffene einen schweren Verstoß gemäß § 4 Abs. 6 leg. cit. begangen hat (vgl. VwGH 24.3.1999, 98/11/0316, 24.6.2003, 2003/11/0064, wonach die Anlastung einer qualifizierten Geschwindigkeitsübertretung durch einen Strafbescheid zwar Voraussetzung dafür ist, dass eine Entziehung der Lenkberechtigung überhaupt in Betracht kommt, die Berufungsbehörde aber nicht von ihrer Verpflichtung zur Überprüfung, ob die bestimmte Tatsache nach § 7 Abs. 3 Z 4 FSG 1997 a.F. vorliegt, entbindet).
39 Im Ergebnis ist sohin festzuhalten, dass die (bloße) Ausstellung einer Organstrafverfügung im Falle der sofortigen oder nachfolgenden (fristgerechten) Bezahlung durch den Beanstandeten zwar die rechtliche Voraussetzung, für die Anordnung einer Nachschulung gemäß § 4 Abs. 3 zweiter Satz FSG darstellt, sich aus dieser jedoch keine Bindungswirkung betreffend die Frage der Verwirklichung des Tatbestandes durch den Beanstandeten ergibt. Die Führerscheinbehörde hat daher ‑ mangels entsprechender rechtskräftiger Bestrafung des Betroffenen ‑ eigenständig zu ermitteln und zu beurteilen, ob der Betroffene den die Anordnung der Nachschulung rechtfertigenden schweren Verstoß gemäß § 4 Abs. 6 FSG begangen hat. Weil in den Fällen, in denen die Organstrafverfügung bezahlt wird, die Führerscheinbehörde ‑ mangels Durchführung eines Strafverfahrens ‑ überhaupt nicht vom Lenken mit Handy am Steuer erfahren würde, sieht § 134 Abs. 3c letzter Satz KFG 1967 einen entsprechenden Datenfluss vor.
40 4.5. Fallbezogen folgt aus dem oben Gesagten: Das Verwaltungsgericht unterließ aufgrund seiner unzutreffenden Rechtsaufassung, eine (fristgerecht) bezahlte Organstrafverfügung wegen eines allfälligen schweren Verstoßes gemäß § 4 Abs. 6 Z 2a FSG würde gleichermaßen wie eine rechtskräftige Bestrafung wegen eines (sonstigen) schweren Verstoßes gemäß § 4 Abs. 6 leg. cit. für die zuständigen Behörden im Hinblick auf die Anordnung einer Nachschulung gemäß § 4 Abs. 3 leg. cit. Bindungswirkung entfalten, jegliche Ermittlungen zur Beurteilung der Frage, ob der Revisionswerber das ihm vorgeworfene Delikt („Handyverbot am Steuer“) gemäß § 102 Abs. 3 fünfter Satz KFG 1967 (im Sinn eines schweren Verstoßes gemäß § 4 Abs. 3 iVm Abs. 6 Z 2a FSG) verwirklicht hat. Damit hat das Verwaltungsgericht die für die rechtliche Beurteilung maßgeblichen Feststellungen, hier für die Anordnung der Nachschulung gemäß § 4 Abs. 3 FSG, nicht getroffen, weshalb fallbezogen ein sekundärer Feststellungsmangel vorliegt, der zur Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG führen muss.
41 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff. VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014. Das auf Zuerkennung eines höheren Aufwandersatzes sowie der gesetzlichen Umsatzsteuer gerichtete Mehrbegehren war abzuweisen, weil es einerseits in der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014 nicht gedeckt ist und andererseits der durch die Verordnung pauschaliert festgesetzte Schriftsatzaufwand auch die anfallende Umsatzsteuer abdeckt (vgl. VwGH 24.10.2016, Fr 2016/01/0013).
Wien, am 29. Juni 2023
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