Normen
BauG Stmk 1995 §13 Abs3
BauRallg
B-VG Art135 Abs4
B-VG Art139 Abs1 Z1
B-VG Art89 Abs2
ROG Stmk 2010 §8 Abs1
VwGG §42 Abs2 Z1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2024:RA2023060101.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Landeshauptstadt Graz hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
1 Mit Bescheid des Stadtsenates der Landeshauptstadt G. (belangte Behörde) vom 1. Juni 2021 wurde der Revisionswerberin die Baubewilligung für die Errichtung eines Wohngebäudes mit 29 Wohneinheiten und einer Tiefgarage für 17 PKW-Stellplätze gemäß §§ 19 und 29 Steiermärkisches Baugesetz (Stmk. BauG) und § 24 Steiermärkisches Feuer- und Gefahrenpolizeigesetz (StFGPG) auf dem Grundstück Nr. 327/12, KG B., erteilt.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Landesverwaltungsgericht Steiermark (LVwG) der Beschwerde des Mitbeteiligten gegen den oben genannten Bescheid Folge und änderte diesen insofern ab, als der Antrag auf Erteilung einer Baubewilligung abgewiesen wurde. Eine Revision wurde für unzulässig erklärt.
Begründend führte das LVwG ‑ soweit für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof relevant ‑ aus, der anzuwendende Bebauungsplan (des Gemeinderates der Landeshauptstadt G.) (14.25.0 „E‑straße ‑ H‑H‑Straße ‑ H‑straße ‑ G‑straße“) sehe für das Baugrundstück eine gekuppelte bzw. geschlossene Bebauung vor. Das Nachbargrundstück, das im Eigentum des Mitbeteiligten stehe, sei mit einem Einfamilienhaus bebaut, wobei unmittelbar an der Grundgrenze zum verfahrensgegenständlichen Baugrundstück eine Garage mit einer Länge von 5,2 m und einer Höhe von 2,5 m rechtmäßig errichtet worden sei. Das beantragte Bauvorhaben weise an der Grundgrenze zum Mitbeteiligten eine Länge von 13,5 m und eine Höhe von 16,5 m auf. Angesichts dieser geringen Überlappungsfläche von nur etwas mehr als 2 % werde die gekuppelte Bauweise nicht verwirklicht (Hinweis auf VwGH 27.11.2007, 2006/06/0257). Da im Gegenstandsfall kein unmittelbares Aneinanderbauen iSd § 13 Abs. 1 Stmk. BauG vorliege, sei gemäß § 13 Abs. 3 leg. cit. (zweite Alternative) der erforderliche Gebäudeabstand zum Gebäude auf dem Grundstück des Mitbeteiligten einzuhalten.
Auch wenn das Gebäude auf dem Grundstück des Mitbeteiligten den Grenzabstand iSd § 13 Abs. 2 Stmk. BauG allenfalls unterschreite, müsse das verfahrensgegenständliche Bauvorhaben den Gebäudeabstand gemäß § 13 Abs. 1 Stmk. BauG nicht einhalten, wohl aber den Grenzabstand iSd § 13 Abs. 2 Stmk. BauG (Hinweis auf VwGH vom 19.12.2018, Ra 2018/06/0216 bis 0217).
Selbst wenn ein unmittelbares Aneinanderbauen iSd § 13 Abs. 1 Stmk. BauG vorläge, würde der Gebäudeabstand zum Wohnhaus des Mitbeteiligten nicht eingehalten; dieser betrage den Einreichplänen zufolge lediglich 2 m bis 3 m.
Die Revisionswerberin habe sowohl die gesetzlichen Abstandsregelungen als auch die Vorgaben des Bebauungsplanes einzuhalten. Aufgrund des Stufenbaus der Rechtsordnung gingen die gesetzlichen Abstandsbestimmungen samt der dazu ergangenen Judikatur dem gegenständlichen Bebauungsplan (einer Verordnung auf Basis des Stmk. BauG) vor. Ein Bebauungsplan dürfe § 8 Abs. 1 Steiermärkisches Raumordnungsgesetz 2010 (StROG) nicht widersprechen, er dürfe keine geringeren Abstände als die baugesetzlichen Abstände vorsehen.
Gemäß § 3 Abs. 4 des Bebauungsplanes sei unter Einhaltung der Baugrenz‑ und Baufluchtlinien im Bebauungsplan eine Unterschreitung der baugesetzlichen Abstände am Bauplatz zulässig. Eine Unterschreitung der baugesetzlichen Abstände zu den Nachbargründstücken bzw. -gebäuden (Hervorhebungen im Original) werde in dieser Bestimmung jedoch nicht normiert.
Im vorliegenden Fall habe die Behörde keine geringeren Abstände von den Nachbargrundgrenzen und Nachbargebäuden gemäß § 13 Abs. 8 Stmk. BauG zugelassen.
3 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision mit dem Antrag, das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.
4 Der Mitbeteiligte beantragte in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr keine Folge zu geben und das angefochtene Erkenntnis zu bestätigen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
5 In der Zulässigkeitsbegründung wird zunächst ein Abweichen des angefochtenen Erkenntnisses von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vorgebracht; eine Verpflichtung dahingehend, dass die Gebäude hinsichtlich ihrer jeweils aneinanderstoßenden Seite entlang der Grundgrenze gleich tief sein müssten, sei dem Gesetz fremd (Hinweis auf VwGH 6.10.2011, 2011/06/0110; 27.11.2007, 2006/06/0257). Das vom LVwG zitierte Judikat VwGH 27.11.2007, 2006/06/0257, sei auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar, weil das projektierte Gebäude (laut Bebauungsplan) im gesamten bebaubaren Bereich an der Grundgrenze geplant sei. Darüber hinaus fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der Frage, ob die gesetzlichen Abstandsregeln diesbezüglich abweichenden Festlegungen eines Bebauungsplanes vorgingen. Die Ansicht des LVwG, wonach ein Bebauungsplan keine geringeren Anstände als die baugesetzlichen Abstände vorsehen dürfe, sei verfehlt.
6 Die Revision ist zulässig.
7 § 4 Z 10 und Z 18, § 13 und § 29 Steiermärkisches Baugesetz (Stmk. BauG), LGBl. Nr. 59/1995 in der fallbezogen anzuwendenden Fassung LGBl. Nr. 63/2018, lauten (auszugsweise):
„§ 4.
Begriffsbestimmungen
1. ...
10. Baugrenzlinie: Linie, die durch oberirdische Teile von Gebäuden nicht überschritten werden darf; für Nebengebäude können Ausnahmen festgelegt werden;
14. ...
18. Bebauungsweise: Verteilung der Baumassen auf dem Bauplatz in Bezug auf die Bauplatzgrenzen
a) offene Bebauungsweise:
‑ allseits freistehende bauliche Anlagen oder
‑ einseitig an die Grenzen angebaute bauliche Anlagen;
b) gekuppelte Bebauungsweise: an einer Grenze aneinandergebaute bauliche Anlagen;
c) geschlossene Bebauungsweise: an mindestens zwei Grenzen aneinandergebaute bauliche Anlagen;
19. ...
§ 13.
Abstände
(1) Gebäude sind entweder unmittelbar aneinander zu bauen oder müssen voneinander einen ausreichenden Abstand haben. Werden zwei Gebäude nicht unmittelbar aneinandergebaut, muß ihr Abstand mindestens so viele Meter betragen, wie die Summe der beiderseitigen Geschoßanzahl, vermehrt um 4, ergibt (Gebäudeabstand).
(2) Jede Gebäudefront, die nicht unmittelbar an einer Nachbargrenze errichtet wird, muß von dieser mindestens so viele Meter entfernt sein, wie die Anzahl der Geschosse, vermehrt um 2, ergibt (Grenzabstand).
(3) Steht ein Gebäude an der Grundgrenze, so hat der Nachbar, soferne durch einen Bebauungsplan oder durch Bebauungsrichtlinien nichts anderes bestimmt ist oder Gründe des Straßen-, Orts- und Landschaftsbildes nicht entgegenstehen, die Wahlmöglichkeit, entweder an die Grundgrenze anzubauen oder den erforderlichen Gebäudeabstand einzuhalten. Weist das Gebäude an der Grenze Öffnungen (Fenster, Türen und dgl.) auf, so ist der erforderliche Gebäudeabstand einzuhalten.
(4) ...
(8) Die Behörde kann geringere Abstände von den Nachbargrundgrenzen und Nachbargebäuden zulassen
- für Nebengebäude oder
- wenn dies im Interesse des Ortsbildschutzes, der Altstadterhaltung, des Denkmalschutzes oder der Erhaltung einer baukulturell bemerkenswerten Bausubstanz (Ensemble) liegt;
...
(9) Der Gebäudeabstand hat, sofern ein geringerer Abstand als nach Abs.1 zulässig ist, mindestens 2,0 m zu betragen.
(10) ...
(11) Befindet sich auf dem angrenzenden Grundstück ein Nebengebäude, so ist bei der Ermittlung des Abstandes nur der Grenzabstand einzuhalten.
(12) ...
§ 29
Entscheidung der Behörde
(1) Die Behörde hat einem Ansuchen mit schriftlichem Bescheid stattzugeben, wenn die nach diesem Gesetz für die Bewilligung geforderten Voraussetzungen erfüllt sind.
(2) ...“
Gemäß § 8 Abs. 1 erster Satz StROG dürfen Verordnungen der Gemeinden auf Grund dieses Gesetzes (Örtliche Entwicklungskonzepte, Flächenwidmungspläne, Bebauungspläne und Bausperren) Gesetzen und Verordnungen des Bundes und des Landes nicht widersprechen.
Gemäß § 2 Abs. 1 des Bebauungsplanes 14.25.0 des Gemeinderates der Landeshauptstadt G. (in Kraft getreten am 28. März 2019) werden als Bebauungsweisen „Gekuppelte Bebauung, geschlossene Bebauung“ festgelegt. Gemäß § 3 Abs. 4 des Bebauungsplanes sind unter Einhaltung der Baugrenz‑ und Baufluchtlinien Unterschreitungen der baugesetzlichen Abstände am Bauplatz zulässig.
Der Erläuterungsberichtzum Bebauungsplan führt zu der Bebauungsweise unter anderem aus:
„Die offene Bebauung an der Grundgrenze auf den Grundstücken A und B, ist aus städtebaulicher Sicht erforderlich, um künftig eine geschlossene Bebauung auch mit den Grundstücken C, D, E, F, G und H zu gewährleisten. Da auf diesen Grundstücken die Baufluchtlinie um 6,0 m von der Straßenfluchtlinie nach Norden versetzt ist und so eine Vorgartenzone ausgeformt werden kann.“
8 Die Revisionswerberin bringt - zusammengefasst und soweit entscheidungsrelevant - vor, das zitierte Judikat VwGH 27.11.2007, 2006/06/0257, sei auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar, weil sich sowohl die Sach- als auch die Rechtslage in entscheidender Weise vom verfahrensgegenständlichen Fall unterschieden. Das projektierte Gebäude sei (laut Bebauungsplan) im gesamten bebaubaren Bereich an der Grundgrenze geplant, während in dem dem zitierten Erkenntnis zugrunde liegenden Fall versucht worden sei, durch eine Betonwand mit einem überdachten Stellplatz die „Lücke“ zur Grundgrenze zu schließen. Entscheidend sei, dass es in jenem Fall keinen Bebauungsplan gegeben habe und von der Behörde „kein bebaubarer Bereich an der Grundgrenze festgelegt (so wie dies hier der Fall ist!)“ worden sei.
Der Mitbeteiligte habe durch seine seinerzeitige Bauführung an der Grundgrenze gemäß § 13 Abs. 3 Stmk. BauG „diese Bebauungsart ‚konsumiert‘“. Anders als in § 13 Abs. 1 leg. cit. habe der Gesetzgeber in dessen Abs. 3 nicht vorgesehen, dass zwei Gebäude „unmittelbar aneinandergebaut“ werden könnten, sondern die Möglichkeit eingeräumt, „an die Grundgrenze anzubauen“.
Der rechtswirksame Bebauungsplan lege die geschlossene Bebauung (also das Heranbauen an die Grundgrenze beidseitig des Bauplatzes) und die Zulässigkeit der Unterschreitung der baugesetzlichen Abstände innerhalb der Baugrenzlinien fest. Korrespondierend dazu sehe § 3 Abs. 4 des Bebauungsplanes vor, dass unter Einhaltung der Baugrenz- und Baufluchtlinien Unterschreitungen der baulichen Abstände zulässig seien.
Eine Einhaltung des Gebäudeabstandes ‑ wie vom LVwG vorgesehen ‑ würde einen Widerspruch zum Bebauungsplan nach sich ziehen.
Das Gebäude des Mitbeteiligten halte ‑ wie das LVwG zutreffend festgestellt habe ‑ den Grenzabstand nicht ein, weil zum Zeitpunkt der Erteilung der Baubewilligungen in den Jahren 1937 bzw. 1965 noch kein derartiger Grenzabstand gegolten habe; das verfahrensgegenständliche Bauvorhaben müsse aufgrund der Vorgaben des Bebauungsplanes jedoch an die Grundgrenze herangebaut werden, ohne den Grenzabstand einzuhalten. Aufgrund der Festlegungen der Baugrenzlinien im Bebauungsplan sei eine größere Überdeckung nicht möglich.
9 Seitens des Verwaltungsgerichtshofes wird zunächst festgehalten, dass § 13 Abs. 1 Stmk. BauG seinem eindeutigen Wortlaut zufolge auch die Möglichkeit vorsieht, dass Gebäude unmittelbar aneinandergebaut werden. Die Festlegung der geschlossenen oder gekuppelten Bauweise im Bebauungsplan - wie im vorliegenden Fall - begegnet somit keinen Bedenken in Hinblick auf § 8 Abs. 1 StROG. Ein von § 13 Stmk. BauG abweichender Grenz- oder Gebäudeabstand wurde fallbezogen im Bebauungsplan nicht festgelegt. Angesichts dessen ist die Frage, ob ein Bebauungsplan geringere als die baugesetzlichen Abstände vorsehen darf, gegenständlich nicht relevant, weshalb darauf vom Verwaltungsgerichtshof nicht einzugehen war. Auch die Auslegung von § 3 Abs. 4 des Bebauungsplanes, wonach unter Einhaltung der Baugrenz- und Baufluchtlinien im Bebauungsplan eine Unterschreitung der baugesetzlichen Abstände am Bauplatz zulässig sei, ist fallbezogen nicht entscheidungsrelevant.
10 Im dem sowohl vom LVwG als auch von der Revisionswerberin zitierten Erkenntnis 2006/06/0257 führte der Verwaltungsgerichtshof aus:
„§ 13 Stmk. BauG normiert zwei verschiedene Arten von Abständen, nämlich den Gebäudeabstand einerseits und den Grenzabstand andererseits. Im Beschwerdefall geht es um den Gebäudeabstand. § 13 Abs. 1 leg. cit. stellt hiezu die Grundregel auf, dass Gebäude entweder unmittelbar aneinander zu bauen sind oder von einander den näher definierten Gebäudeabstand einzuhalten haben. Abs. 1 wird durch Abs. 3 ergänzt, wobei Abs. 3 vor dem Hintergrund der Grundregel des Abs. 1 auszulegen ist. Abs. 3 erster Satz räumt dem Bauwerber dann, wenn bereits auf dem Nachbargrundstück ein Gebäude an der Grundgrenze steht, unter den dort genannten Einschränkungen die Wahlmöglichkeit ein, ‚entweder an die Grundgrenze anzubauen‘ oder den erforderlichen Gebäudeabstand einzuhalten. Das bedeutet zunächst die Möglichkeit, im Sinne des Abs. 1 unmittelbar an das bestehende Nachbargebäude anzubauen, aber auch - mangels entsprechenden Verbotes in Wahrung der Baufreiheit - bei Einhaltung des Gebäudeabstandes an eine andere Stelle der Grundgrenze anzubauen, wenn diese lang genug ist (sofern eben nicht die in diesem Satz angeführten Beschränkungen Platz greifen).
Das sogenannte ‚Hauptgebäude‘ (Bezeichnung nicht im eigentlichen rechtlichen Sinn als Gegensatz zu einem Nebengebäude sondern hier als Arbeitsbezeichnung für das ursprünglich vorgesehene Gebäude ohne den überdachten Abstellplatz) soll mit dem Gebäude des Mitbeteiligten durch den in der Sachverhaltsdarstellung näher umschriebenen, durch drei Seitenwände begrenzten und überdachten Abstellplatz verbunden werden, wobei die Überdeckung mit der Feuermauer des Gebäudes des Mitbeteiligten rund 1,60 m bei einer Höhe von 3,0 m beträgt.
Das ‚unmittelbare Aneinanderbauen‘ im Sinne dieses Abs. 1 wird bei der gekuppelten wie auch bei der geschlossenen Bebauungsweise (§ 4 Z 17 lit. b und c Stmk. BauG) verwirklicht.
Bei der Frage der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides (tragender Aufhebungsgrund hinsichtlich der einzuhaltenden Abstände) ist daher (zunächst) zu prüfen, ob durch die projektierte Verteilung der Baumassen auf dem zu bebauenden Grundstück in Bezug auf das Gebäude des Mitbeteiligten die gekuppelte Bauweise verwirklicht wird, somit im Sinne des § 13 Abs. 1 Stmk. BauG ‚unmittelbar‘ aneinander gebaut werden soll. Ideal- bzw. Modellfall der gekuppelten Bebauung sind zwei gleich große Häuser, die an der Grundgrenze aneinander gebaut werden (‚Doppelhaus‘), jeweils dreiseits freistehend. Eine Verpflichtung dahingehend, dass diese Häuser hinsichtlich ihrer jeweiligen Seite entlang der Grundgrenze gleich groß sein müssten oder zueinander nicht versetzt sein dürften, ist aber dem Gesetz fremd, zumal die vielfältigsten Gestaltungsmöglichkeiten denkbar sind, sodass es nicht zuletzt auf die Umstände des Einzelfalles ankommt; mit einer bloß unerheblichen Überdeckung wird aber ein ‚Aneinanderbauen‘ im hier relevanten Sinn nicht verwirklicht. Im Beschwerdefall sind nun die Objekte zwar tatsächlich aneinander gebaut, das Maß an Überdeckung ist aber derart gering, dass damit, wie die belangte Behörde zutreffend erkannt hat, keine gekuppelte Bauweise und damit kein ‚unmittelbares Aneinanderbauen‘ im Sinne des § 13 Abs. 1 Stmk. BauG gegeben ist, ...“
Diesem Verfahren lag zugrunde, dass es für die zu bebauende Liegenschaft keinen Bebauungsplan und keine Bebauungsrichtlinien gab; die Baubehörde erster Instanz legte im Bescheid eine „Geschlossene/Gekuppelte Bauweise“ fest.
11 Für das verfahrensgegenständliche Baugrundstück wurde hingegen ein Bebauungsplan erlassen, in dem einerseits die Bebauungsweise (gekuppelte Bebauung, geschlossene Bebauung) und andererseits auch Bauflucht‑ und Baugrenzlinien festgelegt wurden, durch welche die Verteilung der Baumassen auf dem Baugrundstück nach Süden (zur H‑straße) und nach Norden (zum geplanten Grundstück Nr. I) begrenzt wurde.
12 Den Feststellungen des LVwG zufolge befindet sich am Nachbargrundstück ein Einfamilienhaus und unmittelbar an der Grundgrenze zum verfahrensgegenständlichen Baugrundstück eine Garage. Der vorliegende Sachverhalt ist demnach gemäß § 13 Abs. 3 Stmk. BauG zu beurteilen.
Dieser sieht bei bereits an der Grundgrenze stehenden Gebäuden die Wahlmöglichkeit vor, entweder ebenfalls an die Grundgrenze anzubauen oder den erforderlichen Gebäudeabstand einzuhalten, „sofern durch einen Bebauungsplan oder durch Bebauungsrichtlinien nichts anderes bestimmt ist [...]“. Für den vorliegenden Fall ergibt sich aus den Festlegungen der gekuppelten oder geschlossenen Bebauung sowie der Baugrenzlinien im Bebauungsplan, dass ein Anbauen an die Grundgrenze des Mitbeteiligten im Sinn des § 13 Abs. 3 erster Satz leg. cit. bestimmt ist. Dem Erläuterungsbericht zum Bebauungsplan zufolge ist seitens des Verordnungsgebers künftig eine geschlossene Bebauung auch auf dem Baugrundstück Nr. D vorgesehen. An welcher Stelle des Baugrundstückes an die Grundgrenze angebaut werden darf, ist durch die im Bebauungsplan verordneten Baugrenzlinien festgelegt. Dass diese Vorgaben vom gegenständlichen Bauvorhaben nicht eingehalten würden, wurde nicht vorgebracht und ist auch nicht zu erkennen.
Die Auslegung des Begriffes des „unmittelbaren Aneinanderbauens“ in § 13 Abs. 1 Stmk. BauG ist aufgrund des Bestehens eines Bebauungsplanes mit den dargestellten Festlegungen (vgl. § 13 Abs. 3 erster Satz leg.cit .) im vorliegenden Fall nicht entscheidungsrelevant.
13 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind auch Verordnungen, gegen die verfassungsrechtliche Bedenken bestehen, bis zu einer allfälligen Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof von der Behörde bzw. vom Verwaltungsgericht anzuwenden (Art. 135 Abs. 4 iVm Art. 89 Abs. 2 und Art. 139 Abs. 1 Z 1 B‑VG). Ohne vorherige Anfechtung und eine etwaige Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof hätte das LVwG die Vorschrift nicht unbeachtet lassen dürfen. Es ist nämlich nicht Aufgabe einer Behörde oder eines Verwaltungsgerichtes, die Rechtmäßigkeit einer Verordnung abschließend zu beurteilen (vgl. etwa VwGH 11.11.2021, Ro 2021/06/0013, Rn. 13). Im vorliegenden Fall hätte das LVwG somit die Festlegung der geschlossenen oder gekuppelten Bauweise im Bebauungsplan (siehe Rn. 9) berücksichtigen müssen.
Im Falle von Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des anzuwendenden Bebauungsplanes (etwa bezüglich einer möglichen Beeinträchtigung des Nachbarn hinsichtlich der Belichtung, vgl. etwa VfGH 25.9.2010, B 252/09 = VfSlg. 19.113; oder bezüglich einer ordnungsgemäßen Grundlagenforschung und Interessenabwägung in Zusammenhang mit dem bisherigen Bestand, vgl. VfGH 7.3.2022, V 260/2021) wäre dieser beim Verfassungsgerichtshof anzufechten.
14 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
15 Der Kostenausspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Das auf Ersatz der Umsatzsteuer gerichtete Mehrbegehren war abzuweisen, weil in dem in der genannten Verordnung vorgesehenen Pauschalbetrag die Umsatzsteuer bereits enthalten ist (vgl. etwa VwGH 25.5.2023, Ra 2020/06/0122, Rn. 22, mwN).
Wien, am 18. März 2024
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