Normen
BauO Tir 2022 §46 Abs6 litg
BauRallg
ROG Tir 2022 §13
ROG Tir 2022 §13 Abs1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2023060089.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol (im Folgenden: Verwaltungsgericht) wurden die Beschwerden der Revisionswerber gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 31. Mai 2022, soweit den Revisionswerbern damit die weitere Benützung eines näher bezeichneten Objektes in K in T als Freizeitwohnsitz untersagt worden war, mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass dieser Untersagung innerhalb einer Frist von längstens einem Monat ab der Zustellung des Erkenntnisses Folge zu leisten sei (Spruchpunkte 1. bis 3.). Darüber hinaus wies es mit dem angefochtenen Beschluss die Beschwerden der Revisionswerber, sofern diese den obigen Bescheid insoweit bekämpften, als damit den jeweils anderen Revisionswerbern die weitere Benutzung des Objektes in K in T untersagt worden war, als unzulässig zurück (Spruchpunkte 4. bis 6.). Gleichzeitig sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
2 Begründend hielt das Verwaltungsgericht fest, die Revisionswerber seien britische Staatsbürger. Sie seien allesamt mit „Nebenwohnsitz“ im gegenständlichen Anwesen gemeldet. Die Erstrevisionswerberin sei im Sommer 2012 und der Zweitrevisionswerber am 31. Dezember 2016 in Pension gegangen. Seit der jeweiligen Pensionierung lebten sie etwa sechs Monate im Jahr im gegenständlichen Objekt. Im Jahr 2020 hätten sich die Erstrevisionswerberin 220 Tage, der Zweitrevisionswerber 228 Tage und die Drittrevisionswerberin elf Tage in der gegenständlichen Liegenschaft aufgehalten. Im Jahr 2021 seien es für die Erstrevisionswerberin und den Zweitrevisionswerber 176 Tage gewesen. Die Erstrevisionswerberin und der Zweitrevisionswerber hielten sich von zirka Mitte Dezember bis zirka Mitte März sowie in den Monaten Juli und August in K in T auf. Die übrige Zeit ihres Aufenthaltes sei verteilt auf andere Monate. Während ihres Aufenthaltes pflegten sie freundschaftliche Kontakte zu mehreren Personen zumindest einmal pro Woche. Sie bekämen auch Besuch von Verwandten aus England. In K in T feierten die Revisionswerber unter anderem Familienfeste wie zum Beispiel Weihnachten und die Hochzeit der Drittrevisionswerberin im Herbst 2022. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer der Gäste betrage etwa zehn Tage. Die Erstrevisionswerberin und der Zweitrevisionswerber seien sportaffin; gingen Wandern und Skifahren. Am Vereinsleben würden sie weder in England noch in Österreich teilnehmen. Die Verwandten der Revisionswerber wohnten in England. Die Erstrevisionswerberin und der Zweitrevisionswerber seien in England steuerpflichtig. Dort verbrächten sie zumindest 120 Tage im Jahr. Sie seien im britischen Gesundheitssystem versichert und besäßen österreichische Zusatzversicherungen. Die Erstrevisionswerberin und der Zweitrevisionswerber verfügten über einen Aufenthaltstitel „Artikel 50 EUV“ für die Dauer von fünf Jahren. Sie hätten in Österreich zwei PKWs angemeldet. In England sei ein Fahrzeug der Drittrevisionswerberin vorübergehend für die Erstrevisionswerberin zugelassen. Die Erstrevisionswerberin und der Zweitrevisionswerber hätten längere Zeit in Österreich keinen Arzt aufgesucht. Auf Ersuchen der Revisionswerber sei für die mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht eine Dolmetscherin für die englische Sprache beigezogen worden. Es liege weder ein bescheidmäßig festgestellter noch ein baubewilligter Freizeitwohnsitz vor. Auch bestehe keine Ausnahmebewilligung im Sinn des § 13 Abs. 8 Tiroler Raumordnungsgesetz 2022 (TROG 2022).
3 Unbeschadet der festgestellten Aufenthalte ergebe sich im Lichte der höchstgerichtlichen Rechtsprechung (mit Hinweis auf VwGH 28.6.2021, Ra 2021/06/0056), dass von einem deutlichen Übergewicht hinsichtlich der familiären Lebensbeziehungen der Erstrevisionswerberin und des Zweitrevisionswerbers in K in T nicht gesprochen werden könne. Insbesondere die Aufenthaltsdauer von lediglich einem halben Jahr führte nicht dazu, von einem ganzjährigen, mit dem Mittelpunkt der Lebensbeziehungen verbundenen Wohnbedürfnis sprechen zu können. Die Zusatznutzung durch die Drittrevisionswerberin wäre nur dann keine Freizeitwohnsitznutzung, würde der Wohnsitz für zumindest eine Person (zB. der Erstrevisionswerberin oder des Zweitrevisionswerbers) der Befriedigung eines ganzjährigen, mit dem Mittelpunkt der Lebensbeziehungen verbundenen Wohnbedürfnisses dienen.
4 Dagegen erhoben die Revisionswerber zunächst Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 28. Februar 2023, E 3238/2022‑6, E 3239‑3240/2022‑5, ablehnte und diese dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
5 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
8 Die Revision richtet sich zwar ihrem Anfechtungsantrag nach gegen den gesamten Inhalt der angefochtenen Entscheidung, weder die Zulässigkeitsbegründung noch die inhaltlichen Ausführungen nehmen aber Bezug auf die Spruchpunkte 4. bis 6. (Zurückweisung der Beschwerden gegen die Nutzungsuntersagung im Hinblick auf die jeweils anderen Revisionswerber). Da eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung iSd Art. 133 Abs. 4 B‑VG insoweit also nicht aufgezeigt wird, war die Revision dahingehend schon aus diesem Grund zurückzuweisen.
9 Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit vor, dass zur Frage der Definition des Freizeitwohnsitzes nach der Tiroler Bauordnung/dem Tiroler Raumordnungsgesetz im Zusammenhang mit einer Nutzung eines Objekts für die halbe Zeit des Jahres oder auch mehr, wenn auch ein Teil der Lebensführung in einem anderen Land gegeben sei, keine Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes vorliege. Der Lösung dieser Frage komme grundsätzliche Bedeutung zu, zumal davon auszugehen sei, dass sich derartige Fälle, wo es gelte, einen „Freizeitwohnsitz“ nach der Tiroler Bauordnung/dem Tiroler Raumordnungsgesetz näher zu definieren, häufen würden. Im Zusammenhang mit der Lösung dieser Rechtsfrage sei es auch von Bedeutung, inwiefern Personen, die ihr Berufsleben bereits hinter sich gelassen hätten, in den Begriff „Freizeitnutzung“ einzubinden seien.
10 Zu diesem Zulässigkeitsvorbringen kann gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf die Begründung des hg. Erkenntnisses 13. März 2023, Ro 2023/06/0001, verwiesen werden, dem ein vergleichbarer Sachverhalt zugrundelag und aus welchem sich ergibt, dass es für das Vorliegen eines Freizeitwohnsitzes nach § 13 Abs. 1 TROG 2022 nicht erforderlich ist, dass an einem anderen Wohnsitz stärkere familiäre, soziale oder berufliche Beziehungen oder sonstige Anknüpfungspunkte bestehen. Entscheidungsrelevant ist nur, ob der verfahrensgegenständliche Wohnraum der Befriedigung eines ganzjährigen Wohnbedürfnisses dient und dort der Mittelpunkt der Lebensbeziehungen liegt. Wenn in der hg. Rechtsprechung in diesem Zusammenhang das „deutliche Übergewicht der beruflichen und familiären Lebensbeziehungen“ (vgl. VwGH 28.6.2021, Ra 2021/06/0056 und 0057, mwN) genannt wird, dient dies der Feststellung des Mittelpunktes der Lebensbeziehungen. Liegt jedoch hinsichtlich des Aufenthaltes in der betreffenden Wohnung diese Kombination aus einem ganzjährigen Wohnbedürfnis verbunden mit dem Mittelpunkt der Lebensbeziehungen nicht vor, ist von einem Freizeitwohnsitz im Sinn des § 13 Abs. 1 TROG 2022 auszugehen.
11 Dass das Verwaltungsgericht von dieser hg. Judikatur abgewichen sei, legt die Revision nicht dar und ist auch nicht ersichtlich. Die Revisionswerber bringen in den Ausführungen zur Zulässigkeit vor, dass die Aufenthaltsdauer der Erst- und Zweitrevisionswerber jeweils „verteilt auf das gesamte Jahr, also ‚ganzjährig‘, bei mehr als der Hälfte der Anzahl von Tagen eines Jahres“ gelegen sei. Es fehle Rechtsprechung zur Frage, ob man bei einer Verwendung eines Objektes während der halben Zeit des Jahres oder auch mehr, dies über das ganze Jahr verteilt, also „ganzjährig“, noch von einem Freizeitwohnsitz ausgehen könne.
Dazu ist darauf hinzuweisen, dass § 13 TROG 2022 die Qualifikation eines Gebäudes, einer Wohnung oder eines sonstigen Teils eines Gebäudes als Freizeitwohnsitz nicht daran knüpft, dass sich eine Person nicht länger als eine bestimmte Anzahl von Tagen pro Jahr darin aufhält. Für die Entscheidung der gegenständlichen Rechtssache ist allein maßgeblich, ob die verfahrensgegenständliche Wohnung der Befriedigung eines ganzjährigen Wohnbedürfnisses dient und dort der Mittelpunkt der Lebensbeziehungen der Revisionswerber liegt. Der Umstand, dass sich die Erst- und Zweitrevisionswerber in den Jahren 2020 und 2021 mehr als die Hälfte der Tage pro Jahr in der verfahrensgegenständlichen Wohnung aufgehalten haben, vermag für sich genommen nicht auszuschließen, dass eine Nutzung bloß „zeitweilig zu Erholungszwecken“ im Sinne des § 13 Abs. 1 TROG 2022 erfolgte, und die Wohnung nicht der Befriedigung eines ganzjährigen Wohnbedürfnisses diente.
12 Im Übrigen ist unter Zugrundelegung der in Rn. 2 wiedergegebenen Feststellungen, insbesondere, dass sich die Erstrevisionswerberin und der Zweitrevisionswerber meist Mitte Dezember bis Mitte März sowie in den Monaten Juli und August in K in T aufhielten und dort sportlichen Aktivitäten nachgingen oder Familienfeiern veranstalteten, nicht zu erkennen, dass das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beurteilung, dass der verfahrensgegenständliche Wohnraum weder der Befriedigung eines ganzjährigen Wohnbedürfnisses diene, noch in K in T der Mittelpunkt der Lebensbeziehungen der Revisionswerber liege, in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte (vgl. etwa VwGH 12.7.2022, Ra 2022/06/0094, mwN). Auch aus diesem Blickwinkel ist der Revision kein Erfolg beschieden.
13 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 16. Juni 2023
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