Normen
EpidemieG 1950 §40 Abs1 litb
EpidemieG 1950 §7
StGB §178
StGB §179
VStG §22 Abs1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2023030025.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Mit Bescheid vom 10. März 2021 ordnete die belangte Behörde die Absonderung der Mitbeteiligten aufgrund ihrer Erkrankung an der Lungenkrankheit COVID‑19 beginnend mit diesem Tag bis einschließlich 19. März 2021 an ihrer (näher bezeichneten) Wohnadresse an. Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.
2 Mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom 8. September 2022 wurde der Mitbeteiligten zur Last gelegt, sie habe dem Absonderungsbescheid vom 10. März 2021 zuwidergehandelt, indem sie am 16. März 2021 ihre Wohnung verlassen habe.
3 Die Mitbeteiligte habe dadurch § 40 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit §§ 7, 17 Epidemiegesetz 1950 (EpiG) in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 15/2020 und der Verordnung RGBl. Nr. 39/1915 und in Verbindung mit dem Bescheid vom 10. März 2021 verletzt, weshalb über sie gemäß § 40 Abs. 1 EpiG eine Geldstrafe in Höhe von € 120,‑‑ (Ersatzfreiheitsstrafe 55 Stunden) verhängt und ihr ein Kostenbeitrag vorgeschrieben wurde.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich der dagegen erhobenen Beschwerde der Mitbeteiligten Folge, behob das Straferkenntnis und stellte das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG ein. Unter einem sprach es aus, dass die Mitbeteiligte keinen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu leisten habe und dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
5 Begründend stellte das Verwaltungsgericht ‑ über den eingangs wiedergegebenen unstrittigen Sachverhalt hinaus ‑ Folgendes fest: Am 15. März 2021 habe die Mitbeteiligte für den 16. März 2021 einen Flug von Wien nach Istanbul sowie für den 17. März 2021 einen Rückflug gebucht, und bei einem näher genannten Unternehmen einen SARS‑CoV‑2 PCR‑Test durchgeführt. Dessen Ergebnis sei negativ gewesen. Die Flugreise habe die Mitbeteiligte am 16. März 2021 angetreten. Dieses Verlassen der Wohnung trotz behördlicher Absonderung sei ihr im angefochtenen Straferkenntnis zur Last gelegt worden. Bei Verlassen der Wohnung sei die Mitbeteiligte dem Testergebnis entsprechend nicht mehr an COVID‑19 erkrankt gewesen und habe keine Krankheitssymptome gezeigt. Sie habe aber vor Verlassen der Wohnung und vor dem Abflug nicht konkret gewusst, ob sie noch mit dem Krankheitserreger COVID‑19 infiziert gewesen sei. Am 5. Mai 2021 habe die belangte Behörde gegen die Mitbeteiligte wegen des Verdachtes nach §§ 178 f StGB Anzeige erstattet. Mit Schreiben vom 18. Februar 2022 habe die Staatsanwaltschaft Wien der belangten Behörde mitgeteilt, dass sie das Ermittlungsverfahren gegen die Mitbeteilige wegen des Verdachtes der vorsätzlichen Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten nach § 178 StGB am 28. Juni 2021 gemäß § 190 Z 2 StPO eingestellt habe, da ein vorsätzliches (oder auch nur fahrlässiges) Handeln im Zweifel nicht nachweisbar gewesen sei. Das Verfahren sei nicht wieder fortgesetzt worden.
6 Rechtlich erwog das Verwaltungsgericht, die nach den Feststellungen verwirklichte Tat der Mitbeteiligten, nämlich das Verlassen des im Absonderungsbescheid angeordneten Ortes trotz aufrechter behördlicher Absonderung aufgrund einer Erkrankung an COVID‑19, sei nur dann als Verwaltungsübertretung strafbar, wenn sie nicht gleichzeitig nach einem gerichtlichen Straftatbestand strafbar sei (Verweis auf § 22 Abs. 1 VStG und § 40 Abs. 1 EpiG).
7 Die belangte Behörde habe die Tat wegen des Verdachtes des Verstoßes gegen §§ 178 f StGB zur Anzeige gebracht und einen Bericht der Landespolizeidirektion Niederösterreich, auf den sie sich im nachfolgenden Verwaltungsstrafverfahren gestützt habe, beigeschlossen. Dem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft sei sohin der Sachverhalt des Verwaltungsstrafverfahrens zugrunde gelegen. Das eingeleitete Ermittlungsverfahren sei gemäß § 190 Z 2 StPO eingestellt worden, weil der Mitbeteiligten im Zweifel kein Vorsatz für die Erfüllung von § 178 StGB (und im Hinblick auf § 179 StGB auch keine Fahrlässigkeit) nachgewiesen habe werden können. Die Staatsanwaltschaft habe sohin keine tatsächlichen Gründe zur weiteren Verfolgung der Mitbeteiligten gesehen.
8 Die Begründung für die Einstellung lasse für sich genommen nur den Schluss zu, dass die Mitbeteiligte mit dem Verlassen ihrer Wohnung zum Antritt einer Flugreise eine Handlung gesetzt habe, die einen Tatbestand einer gerichtlich strafbaren Handlung bilde. Aus diesem Grund sei das Verhalten der Mitbeteiligten gemäß § 22 Abs. 1 VStG bzw. § 40 Abs. 1 EpiG nicht verwaltungsstrafrechtlich zu ahnden, weshalb das Straferkenntnis aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen sei.
9 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision. Diese bringt zur Zulässigkeit und in der Sache u.a. vor, das Verwaltungsgericht sei von näher bezeichneter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 22 Abs. 1 VStG abgewichen, wonach diese Bestimmung nur darauf abstelle, dass die Tat auch den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bilde, ohne dass es auf die tatsächliche Einleitung (oder gar den Abschluss) eines Strafverfahrens ankomme. In diesem Zusammenhang habe sich das Verwaltungsgericht aber nicht ausreichend mit den Unterschieden zwischen der von der belangten Behörde zur Last gelegten Tat und dem in Frage stehenden strafrechtlichen Tatbestand des § 178 bzw. § 179 StGB auseinandergesetzt und unzutreffend Tatbildidentität angenommen.
10 Nach Einleitung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof erstatteten die Mitbeteiligte und die belangte Behörde jeweils eine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
11 Die Revision ist im Sinne des Zulässigkeitsvorbringens zulässig. Sie ist auch begründet.
12 Der Verwaltungsgerichtshof hat sich im Erkenntnis vom 5. Mai 2023, Ra 2022/03/0280, in einem in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht vergleichbaren Fall im Hinblick auf § 22 Abs. 1 VStG mit den Unterschieden in den objektiven Tatbeständen des § 40 Abs. 1 lit. b EpiG einerseits und des § 178 StGB andererseits auseinandergesetzt. Auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen.
13 Demnach verlangt das Tatbild des § 178 StGB im Gegensatz zu jenem des § 40 lit. b EpiG in Verbindung mit § 7 EpiG das Herbeiführen einer ‑ im Gesetz näher umschriebenen ‑ Gefahrensituation. Das gilt auch für den Tatbestand des § 179 StGB, der auf die fahrlässige Herbeiführung einer Gefährdung abzielt (vgl. den Verweis auf die Einordnung des § 178 StGB in den siebenten Abschnitt des Besonderen Teils des StGB, dem auch § 179 StGB angehört, in OGH 16.2.2022, 13 Os 130/21y).
14 Der objektive Tatbestand einer Verwaltungsübertretung nach § 40 lit. b EpiG in Verbindung mit § 7 EpiG ist ‑ im Unterschied dazu ‑ bereits dann erfüllt, wenn der Täter einem nach § 7 EpiG behördlich verfügten Ge- oder Verbot ‑ sohin einer behördlich verfügten Absonderungsmaßnahme oder Verkehrsbeschränkung ‑ zuwiderhandelt.
15 Da das Verwaltungsgericht nach dem Gesagten die Rechtslage verkannt hat, war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 28. Juni 2023
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