VwGH Ra 2022/22/0173

VwGHRa 2022/22/017321.12.2022

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant sowie Hofrat Dr. Schwarz und Hofrätin MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Thaler, in der Revisionssache des A A, vertreten durch Mag. Volkan Kaya, Rechtsanwalt in 1100 Wien, Senefeldergasse 11/1E, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 15. September 2022, VGW‑151/049/6538/2022‑16, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §18 Abs4
AVG §56
B-VG Art133 Abs4
FrPolG 2005 §15 Abs2
FrPolG 2005 §2 Abs4 Z14
NAG 2005
NAG 2005 §19 Abs7
NAG 2005 §23 Abs2
NAG 2005 §23 Abs3
NAG 2005 §8 Abs1
NAG 2005 §8 Abs2
NAGDV 2005 §1
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §17

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022220173.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht Wien die Beschwerde des Revisionswerbers, eines türkischen Staatsangehörigen, gegen den Bescheid des Landeshauptmanns von Wien vom 22. Februar 2022, mit dem dessen Antrag vom 20. August 2021 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Student“ gemäß § 64 iVm. § 21 Abs. 1 und 3 Niederlassungs‑ und Aufenthaltsgesetz (NAG) abgewiesen worden war, gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG als unbegründet ab. Die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.

2 Wie bereits die belangte Behörde ging auch das Verwaltungsgericht davon aus, dass gegenständlich nicht (wie im Antragsformular angeführt) ein Verlängerungs‑, sondern ein Erstantrag vorliege und dass es sich bei dem an den Revisionswerber ergangenen E‑Mail der belangten Behörde vom 12. Oktober 2020 nicht um einen Bescheid gehandelt habe, mit dem dem Revisionswerber in Erledigung seines bei der Österreichischen Botschaft in Ankara am 21. August 2020 eingebrachten (und bei der belangten Behörde am 4. September 2020 eingelangten) Antrags ein Aufenthaltstitel „Student“ erteilt worden sei.

Das in Rede stehende E‑Mail vom 12. Oktober 2020 habe wie folgt gelautet (Unterstreichungen im Original):

„Sehr geehrte Damen und Herren!

Ihr Antrag wurde bewilligt ‑ die zuständige österreichische Botschaft wurde verständigt und wird sich mit Ihnen zwecks Ausstellung eines VISA D in Verbindung setzen. Nach Ihrer Einreise nach Österreich melden Sie sich bitte unverzüglich per Mail bei uns ‑ Sie erhalten dann schnellstmöglich eine Ladung zwecks persönlicher Vorsprache.

Vielen Dank!“

Im Hinblick auf seinen Antrag vom 21. August 2020 sei dem Revisionswerber ein Visum D mit Gültigkeit bis zum 27. Februar 2021 erteilt worden. Das Verfahren betreffend diesen Antrag sei am 1. Juni 2021 gemäß § 23 Abs. 3 NAG eingestellt worden, weil der Aufenthaltstitel infolge einer verzögerten Vorlage von Unterlagen durch den Revisionswerber nicht mehr innerhalb der Gültigkeitsdauer des Visums D habe ausgefolgt werden können.

Da der Revisionswerber in weiterer Folge nach Ablauf des Visums D und ohne einen gültigen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet verblieben sei, liege hinsichtlich des gegenständlichen Antrags vom 20. August 2021, der unzulässiger Weise im Inland gestellt worden sei, der Versagungsgrund des § 11 Abs. 1 Z 5 iVm. § 21 Abs. 6 NAG vor. Eine Interessenabwägung im Sinn von § 11 Abs. 3 NAG iVm. Art. 8 EMRK falle zu Ungunsten des Revisionswerbers aus.

3 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der zur Begründung der Zulässigkeit geltend gemacht wird, das angefochtene Erkenntnis weiche von der hg. Rechtsprechung ab, weil das Verwaltungsgericht die in Rede stehende Mitteilung vom 12. Oktober 2020 zu Unrecht nicht als Bescheid gewertet habe. Rechtens wäre der gegenständliche Antrag vom 20. August 2021 als Verlängerungs- und nicht als Erstantrag zu qualifizieren gewesen.

4 Die Voraussetzungen nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG liegen nicht vor:

5 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die Frage, ob eine nicht als Bescheid bezeichnete Erledigung auf Grund ihres konkreten Erscheinungsbildes, insbesondere ihres konkreten Aufbaues und ihrer konkreten sprachlichen Fassung als Bescheid zu beurteilen ist, eine einzelfallbezogene Auslegungsfrage dar und ist daher im Regelfall nicht revisibel. Anderes gilt, wenn das vom Verwaltungsgericht erzielte Auslegungsergebnis vor dem Hintergrund der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes unvertretbar ist (vgl. etwa VwGH 21.12.2020, Ra 2020/12/0076, Rn. 18, mwN; VwGH 24.3.2022, Ra 2022/11/0044, Rn. 11). Derartiges zeigt die Revision nicht auf.

9 Zum einen ist ausgehend von den dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Verfahrensakten sowie den Feststellungen des Verwaltungsgerichts ‑ die Revision enthält diesbezüglich kein konkretes Vorbringen ‑ nicht ersichtlich, dass die an den Revisionswerber per E‑Mail ergangene Erledigung vom 12. Oktober 2020 mit einer Fertigung im Sinn von § 18 Abs. 4 AVG versehen gewesen wäre, wobei bereits das Fehlen der erforderlichen Fertigung dem Vorliegen eines rechtswirksam erlassenen Bescheids entgegensteht (zu den sich aus § 18 Abs. 4 AVG ergebenden Anforderungen an die Fertigung eines Bescheides vgl. etwa VwGH 28.2.2018, Ra 2015/06/0125, Rn. 11 ff., mwN; siehe ferner VwGH 9.11.2022, Ra 2021/11/0169, Rn. 15, mwN).

10 Zum anderen hat ‑ worauf im angefochtenen Erkenntnis zutreffend hingewiesen wurde ‑ der Verwaltungsgerichtshof mehrfach festgehalten, dass die Erteilung eines Aufenthaltstitels im NAG im Grunde dahin geregelt ist, dass der Bundesminister für Inneres gemäß § 8 Abs. 2 NAG das Aussehen und den Inhalt der Aufenthaltstitel durch Verordnung festlegt. Gemäß § 1 NAG‑Durchführungsverordnung werden Aufenthaltstitel als Karte erteilt und sind nach einem festgelegten Muster auszustellen; im Fall der Erteilung bewirkt die Ausfolgung (tatsächliche Übergabe und Entgegennahme) des Aufenthaltstitels in der Regel gleichzeitig den Akt der Zustellung, und es entsteht in der Regel die rechtliche Wirkung des Bescheids erst durch diesen Akt. Der Verwaltungsgerichtshof hat auch schon wiederholt ausgesprochen, dass in Form von Vignetten oder Karten ausgefolgte Aufenthaltstitel Bescheide im Sinn des AVG sind (vgl. etwa VwGH 7.12.2016, Fe 2015/22/0001, Pkt. 6.2. der Entscheidungsgründe, mwN; siehe auch VwGH 22.4.2021, Ra 2020/22/0226, Pkt. 6.3. der Entscheidungsgründe).

11 Wenn der Revisionswerber geltend macht, der „Mitteilung“ vom 12. Oktober 2020, dass sein Antrag bewilligt worden sei, habe ein normativer Inhalt „beigewohnt“, weshalb diese „Mitteilung“ als Bescheid zu qualifizieren sei, ist zudem auf die in § 23 Abs. 2 und 3 NAG normierte Vorgangsweise zu verweisen, die gerade für jene Fälle vorgesehen ist, in denen dem Fremden, der sich im Ausland befindet, ein Aufenthaltstitel zu erteilen wäre und der Fremde ein Visum zur Einreise benötigt (zur in der Regel persönlichen Ausfolgung von Aufenthaltstiteln durch die Niederlassungs- und Aufenthaltsbehörde siehe § 19 Abs. 7 NAG). So wurde der Revisionswerber mit dem gegenständlichen E‑Mail auch darüber informiert, dass sich die zuständige Österreichische Botschaft mit ihm zwecks Ausstellung eines Visums D in Verbindung setzen werde (vgl. § 23 Abs. 2 NAG iVm. § 21 und § 25 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 [FPG] sowie die in der zuletzt genannten Bestimmung geregelten „Visa zur Erteilung eines Aufenthaltstitels“). Wäre dem Revisionswerber indes bereits mit E‑Mail vom 12. Oktober 2020 ein Aufenthaltstitel erteilt worden, hätte es zu seiner rechtmäßigen Einreise in das Bundesgebiet nicht mehr der Erteilung eines Visums bedurft (vgl. § 15 Abs. 2 zweiter Satz iVm. § 2 Abs. 4 Z 14 FPG). Auch dies spricht für das Zutreffen der verwaltungsgerichtlichen Beurteilung und gegen die vom Revisionswerber vertretene Sichtweise, derzufolge das gegenständliche E-Mail als ein einen Aufenthaltstitel erteilender Bescheid zu betrachten wäre.

12 Da die Revision somit keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn von Art. 133 Abs. 4 B‑VG aufwirft, war sie gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 21. Dezember 2022

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