Normen
B-VG Art133 Abs4
NAG 2005 §11 Abs2 Z1
NAG 2005 §11 Abs4 Z1
NAG 2005 §46
VwGG §34 Abs1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022220076.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit Bescheid vom 27. April 2021 nahm der Landeshauptmann von Steiermark (belangte Behörde) die Verfahren über die Anträge des Revisionswerbers, eines chinesischen Staatsangehörigen, auf Erteilung bzw. Verlängerung eines Aufenthaltstitels „Rot‑Weiß‑Rot ‑ Karte plus“ gemäß § 46 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) vom 29. Juni 2018 (Erstantrag) sowie vom 10. September 2019 und vom 11. September 2020 (Verlängerungsanträge) gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 in Verbindung mit Abs. 3 AVG von Amts wegen wieder auf und wies die Anträge ab. Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Revisionswerber habe gefälschte Sprachzertifikate vorgelegt und somit die Voraussetzungen des § 21a NAG nicht erfüllt.
2 Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Landesverwaltungsgericht Steiermark (Verwaltungsgericht) mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 22. November 2021 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und erklärte die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG für unzulässig.
3 Das Verwaltungsgericht stellte ‑ auf das Wesentlichste zusammengefasst ‑ fest, der Revisionswerber habe im Zuge seines Erstantrags ein mit 9. Februar 2018 datiertes ÖSD‑Zertifikat vorgelegt, wonach er die Prüfung auf dem Niveau A1 mit „sehr gut“ bestanden habe. In der Folge sei ihm der beantragte Aufenthaltstitel erteilt worden. Mit seinem zweiten Verlängerungsantrag habe er ein Zeugnis zur „Integrationsprüfung Sprachkompetenz Werte und Orientierungswissen des ÖSD“ vom 14. Dezember 2018 für das Niveau A2 vorgelegt. Aufgrund dessen sei ihm ein weiterer Aufenthaltstitel für drei Jahre erteilt worden. Beide für die Erlangung der Zertifikate erforderlichen Prüfungen seien nicht vom Revisionswerber, sondern von einer anderen Person für ihn abgelegt worden. Dies habe er auch eingestanden. In der Verhandlungsschrift zur Hauptverhandlung in der gegen ihn geführten Strafsache sei festgehalten, der Revisionswerber habe Reue gezeigt und sein Vorgehen damit begründet, dass „er damals sehr viel gearbeitet habe und sich selbst nicht die Mühe antun habe wollen“. Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Graz‑Ost vom 10. September 2021 sei das gegen den Revisionswerber wegen § 231 Abs. 2 und § 293 Abs. 2 StGB eingeleitete Strafverfahren nach Bezahlung einer Geldbuße gemäß § 200 Abs. 5 in Verbindung mit § 199 StPO eingestellt worden.
4 Im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung führte das Verwaltungsgericht aus, der Revisionswerber habe zwei gefälschte Sprachzertifikate vorgelegt und auf Grundlage dessen Aufenthaltstitel erhalten. Da er in der mündlichen Verhandlung angegeben habe, gewusst zu haben, dass er Deutschkenntnisse nachweisen müsse, habe er klar in Irreführungsabsicht gehandelt, weshalb die Behörde die Verfahren zu Recht wiederaufgenommen habe.
Die Vorlage gefälschter Dokumente gefährde die öffentliche Ordnung im Sinn des § 11 Abs. 2 Z 1 in Verbindung mit Abs. 4 Z 1 NAG. Der Revisionswerber habe zwar mittlerweile ein Zeugnis über Sprachkenntnisse auf dem Niveau A1 vorgelegt. Im Rahmen der Prognosebeurteilung sei aber zu berücksichtigen, dass der Fälschung von Urkunden zur Erlangung eines Aufenthaltstitels besondere Bedeutung zukomme und der Revisionswerber binnen drei Jahren gleich zwei Mal gefälschte Zertifikate vorgelegt habe. Er habe sich daher nicht nur den Erstaufenthaltstitel, sondern in weiterer Folge auch die Verlängerung seines Aufenthaltstitels um drei Jahre erschlichen. Erst im Lichte der gegen ihn eingeleiteten Ermittlungen habe der Revisionswerber begonnen, einen Deutschkurs zu absolvieren. Auf eine rechtskräftige Verurteilung komme es nicht an, weshalb dem Revisionswerber die diversionelle Erledigung des Strafverfahrens nicht zum Vorteil gereiche. Zudem habe die Staatsanwaltschaft gerade keinen Grund für eine Einstellung des Verfahrens wegen Geringfügigkeit nach § 191 StPO gesehen. Da das Fehlverhalten des Revisionswerbers ‑ im Hinblick auf seine Art und Schwere ‑ somit als gravierend anzusehen sei, sei die Abweisung seiner Anträge gerechtfertigt.
Dem Revisionswerber sei auch kein Aufenthaltstitel nach § 11 Abs. 3 NAG zu erteilen, weil er sich erst seit knapp drei Jahren im Bundesgebiet aufhalte und sein Familienleben (mit seiner Ehefrau und den gemeinsamen Kindern) zu einem Zeitpunkt entstanden sei, in dem sich der Revisionswerber (und seine Familie) aufgrund der Vorlage des gefälschten Sprachzertifikats seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst hätte sein müssen. Der Revisionswerber sei berufstätig, bewege sich dabei aber im Rahmen seiner Familie. Er lerne nunmehr zwar Deutsch, die Einvernahme sei jedoch ausschließlich mittels Dolmetscher möglich gewesen. Im Ergebnis liege keine vertiefte Integration vor und das Fehlverhalten des Revisionswerbers sei so gravierend, dass die Erteilung eines Aufenthaltstitels zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens nicht geboten sei.
5 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 1. März 2022, E 9/2022, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
In der Folge erhob der Revisionswerber die vorliegende außerordentliche Revision.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
7 In der Revision wird zur Zulässigkeit zunächst vorgebracht, die Ausführungen der belangten Behörde (gemeint: des Verwaltungsgerichtes) zur Unzulässigkeit der Revision entsprächen nicht „den vom Verfassungsgesetzgeber im Auge gehabten Anforderungen an eine solche Begründung“, weil eine Einschätzung der Erfolgsaussichten nicht möglich sei.
8 Damit wird schon deshalb keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt, weil selbst ein Fehlen einer näheren Begründung des Ausspruchs nach § 25a Abs. 1 VwGG für sich betrachtet nicht dazu führen würde, dass die Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG allein deshalb gegeben wären. Der Verwaltungsgerichtshof ist nämlich gemäß § 34 Abs. 1a VwGG an den nach § 25a Abs. 1 VwGG getätigten Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nicht gebunden, sondern überprüft die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision anhand der gemäß § 28 Abs. 3 VwGG dazu gesondert vorgebrachten Gründe (vgl. VwGH 19.8.2021, Ra 2021/22/0164, Rn. 6, mwN).
9 Der Revisionswerber moniert weiter, die gesetzlichen Bestimmungen des § 11 Abs. 2 Z 1 in Verbindung mit Abs. 4 Z 1 NAG seien unrichtig angewendet worden.
10 Bei der Auslegung des unbestimmten Gesetzesbegriffs „sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde“ in § 11 Abs. 4 Z 1 NAG ist eine das Gesamtverhalten des Fremden berücksichtigende Prognosebeurteilung geboten. Die Behörde (das Verwaltungsgericht) ist dabei berechtigt, alle den Fremden betreffenden relevanten Umstände zu berücksichtigen, und verpflichtet, diese einer auf ihn bezogenen Bewertung zu unterziehen. Eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Sinn des § 11 Abs. 2 Z 1 in Verbindung mit Abs. 4 Z 1 NAG ist (insbesondere) dann anzunehmen, wenn ein Antragsteller gefälschte Urkunden mit dem Ziel vorlegt, dadurch einen Aufenthaltstitel zu erlangen. Der Fremde muss dabei selbst ein Verhalten setzen, das die Gefährdungsannahme gemäß § 11 Abs. 4 Z 1 NAG rechtfertigt. Bei der Beurteilung im Sinn des § 11 Abs. 2 Z 1 in Verbindung mit Abs. 4 Z 1 NAG muss nicht auf das Vorliegen einer rechtskräftigen Bestrafung abgestellt werden. Es kann ebenso ein ‑ Anzeigen an Behörden oder Gerichte zu Grunde liegendes ‑ Verhalten wie auch ein sonstiges Fehlverhalten zu einer Gefährdungsannahme führen. Bei der Würdigung, ob eine solche Annahme gerechtfertigt ist, ist auf die Art und Schwere des zu Grunde liegenden Fehlverhaltens abzustellen, das von der Behörde (vom Verwaltungsgericht) festzustellen ist (vgl. zu allem VwGH 3.9.2021, Ra 2018/22/0231, Pkt. 6.2., mwN).
11 Der Verwaltungsgerichtshof hat weiters hervorgehoben, dass die Verwendung falscher Urkunden durch den Antragsteller mit dem Ziel der Erlangung eines Aufenthaltstitels eine schwere Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen, insbesondere an einer geregelten Zuwanderung, darstellt (vgl. erneut VwGH Ra 2018/22/0231, nunmehr Pkt. 6.3., mwN).
12 Der Verwaltungsgerichtshof erkennt schließlich in ständiger Rechtsprechung, dass die einzelfallbezogene Beurteilung der Gefährdungsprognose im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel ist (vgl. VwGH 3.6.2020, Ra 2019/22/0193, Rn. 13; 20.12.2018, Ra 2018/21/0226, Rn. 11; jeweils mwN).
13 Im vorliegenden Fall bezog das Verwaltungsgericht zu Lasten des Revisionswerbers die unbestrittene Tatsache mit ein, dass er sowohl im Verfahren über den Erstantrag vom 29. Juni 2018 als auch im Verlängerungsverfahren über den Antrag vom 11. September 2020 ‑ und somit wiederholt ‑ in Irreführungsabsicht gefälschte Sprachnachweise vorgelegt habe, um die beantragten Aufenthaltstitel zu erhalten. Begründet habe er dies damit, dass er viel gearbeitet habe und sich „nicht die Mühe antun habe wollen“. Dies zeige (so das Verwaltungsgericht), dass der Revisionswerber die gesetzlichen Regelungen des Aufnahmestaates geringschätze. Erst als Folge der gegen ihn eingeleiteten Ermittlungen habe der Revisionswerber mit einem Deutschkurs begonnen und eine Prüfung absolviert. Die Staatsanwaltschaft habe im Strafverfahren gegen den Revisionswerber auch keinen Grund für eine Einstellung wegen Geringfügigkeit nach § 191 StPO gesehen. Dass dem Verwaltungsgericht bei der darauf beruhenden Prognoseentscheidung im Sinn des § 11 Abs. 2 Z 1 in Verbindung mit Abs. 4 Z 1 NAG eine vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende krasse Fehlbeurteilung unterlaufen wäre, zeigt der Revisionswerber mit seinem nicht näher substantiierten Zulässigkeitsvorbringen nicht auf.
14 Zu der ‑ ebenfalls nicht näher konkretisierten ‑ Rüge des Revisionswerbers, die Abwägung im Sinn des § 11 Abs. 3 NAG sei „nicht entsprechend durchgeführt“ worden, ist Folgendes anzumerken:
15 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Beurteilung nach § 11 Abs. 3 NAG unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an der Versagung eines Aufenthaltstitels mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen unter Berücksichtigung der im § 11 Abs. 3 NAG genannten Kriterien in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Die im Rahmen der Entscheidung über einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK ist im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG (vgl. VwGH 20.5.2021, Ra 2021/22/0036, Rn. 14 f, mwN).
16 Das Verwaltungsgericht nahm ‑ nach Durchführung einer Verhandlung ‑ eine Interessenabwägung vor und berücksichtigte dabei das bestehende Familienleben des Revisionswerbers mit seiner Ehefrau und seinen beiden minderjährigen Kindern. Dem hielt es aber die kurze bisherige Aufenthaltsdauer von etwas mehr als drei Jahren, eine herabgesetzte Schutzwürdigkeit des Familienlebens des Revisionswerbers aufgrund seines Fehlverhaltens, den niedrigen Grad seiner Integration sowie sein aufgrund der Vorlage von gefälschten Dokumenten in mehreren aufenthaltsrechtlichen Verfahren vorhandenes Bewusstsein über seinen unsicheren Aufenthaltsstatus entgegen (vgl. zu diesen nach § 11 Abs. 3 NAG zu berücksichtigenden Kriterien auch VwGH 10.3.2021, Ra 2020/22/0018, Rn. 9). Vor diesem Hintergrund zeigt der Revisionswerber mit seinem bloß allgemein gehaltenen Zulässigkeitsvorbringen nicht auf, dass das Verwaltungsgericht seine Interessenabwägung in unvertretbarer Weise durchgeführt hätte.
17 Soweit der Revisionswerber schließlich geltend macht, dass „der belangten Behörde eine antizipierende Beweiswürdigung anzulasten“ sei, weil die zahlreich vorgelegten Urkunden nicht zu seinen Gunsten gewertet worden seien, wird damit ‑ abgesehen davon, dass es an jeglicher Konkretisierung mangelt, welche Umstände unberücksichtigt geblieben seien ‑ eine vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende Unvertretbarkeit der verwaltungsgerichtlichen Beweiswürdigung nicht aufgezeigt (vgl. zu diesem Prüfungsmaßstab VwGH 22.3.2022, Ra 2022/22/0009, Rn. 9, mwN).
18 In der Revision wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.
Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
19 Eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes über den Antrag, der Revision aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, erübrigt sich daher.
Wien, am 27. Juni 2022
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