Normen
BFA-VG 2014 §21 Abs7
BFA-VG 2014 §9
B-VG Art133 Abs4
FrPolG 2005 §66 Abs1
FrPolG 2005 §67 Abs1
MRK Art8
VwGG §34 Abs1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022210051.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein indischer Staatsangehöriger, stellte nach seiner unrechtmäßigen Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 27. August 2008 einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser Antrag wurde, verbunden mit einer Ausweisung des Revisionswerbers nach Indien, im Beschwerdeweg mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 12. Mai 2009 vollinhaltlich abgewiesen.
2 Am 20. Oktober 2014 heiratete der nicht ausgereiste Revisionswerber in Linz eine ihr Recht auf Freizügigkeit in Österreich ausübende tschechische Staatsangehörige, die seit 16. September 2009 über eine Anmeldebescheinigung verfügt. Hierauf wurde ihm am 25. April 2016 eine bis zum 25. April 2021 geltende Aufenthaltskarte als Angehöriger dieser EWR‑Bürgerin ausgestellt.
3 Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 20. Jänner 2021 erging gegen den Revisionswerber wegen des am 27. September 2020 im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit mehreren Mittätern begangenen Verbrechens der absichtlich schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 StGB und des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB eine (aktuell in Vollzug befindliche) unbedingte dreijährige Freiheitsstrafe. Der Revisionswerber war ‑ so lässt sich diesem Strafurteil zusammengefasst entnehmen ‑ am 26. September 2020 in einem Lokal mit einem anderen indischen Staatsangehörigen in Streit geraten und hatte mit diesem die Telefonnummern zum Zweck einer „Aussprache“ für den nächsten Tag ausgetauscht. Zu diesem Termin erschien der Revisionswerber mit mehreren Freunden unter Mitnahme von Cricketschlägern und Macheten, um sich für die Auseinandersetzung am Vorabend zu rächen und Dominanz zu demonstrieren. Im Zuge der Auseinandersetzung attackierte der Revisionswerber drei Personen mit einer Machete und einem Cricketschläger, wobei er zwei der Angegriffenen absichtlich jeweils schwere Verletzungen am Körper zufügte. Eine dritte Person wurde durch (ohne erhebliche Wucht geführte) Schläge mit dem Cricketschläger gegen ihren Kopf leicht verletzt.
4 Mit Bescheid vom 13. April 2021 erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen den Revisionswerber mit Bezug auf dieses deliktische Verhalten gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein auf die Dauer von acht Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 20. Jänner 2022 gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) einer dagegen erhobenen Beschwerde insoweit teilweise statt, als es die Dauer des Aufenthaltsverbotes auf fünf Jahre herabsetzte. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
6 In seiner Begründung ging das BVwG davon aus, dass der Revisionswerber infolge der erwähnten Ehe mit einer tschechischen Staatsangehörigen und des Zusammenlebens mit ihr in Österreich während der Dauer von mehr als fünf Jahren das Recht auf Daueraufenthalt erworben habe, sodass der gegenüber der Bestimmung des § 67 Abs. 1 erster und zweiter Satz FPG erhöhte Gefährdungsmaßstab des § 66 Abs. 1 letzter Halbsatz FPG heranzuziehen sei. Unter Berücksichtigung des dargestellten gravierenden, von der Anwendung massiver Gewalt gekennzeichneten Verbrechens sei davon auszugehen, dass der Aufenthalt des Revisionswerbers eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit im Sinne der genannten Bestimmung darstelle und eine relevante Minderung der Gefährdung erst nach einem längeren Zeitraum des Wohlverhaltens in Freiheit, das noch nicht vorliege, angenommen werden könnte.
7 Die festgestellten Aspekte des in Österreich geführten Privat‑ und Familienlebens mit der Ehefrau, der langen Aufenthaltsdauer, seines Erwerbs von guten Deutschkenntnissen, der Ausübung selbständiger und unselbständiger Erwerbstätigkeiten sowie des bestehenden Freundes‑ und Bekanntenkreises erwiesen sich infolge der gravierenden Straffälligkeit als maßgeblich relativiert. Die Aufenthaltsbeendigung und die damit verbundene Trennung von seiner Ehefrau seien daher, so ergebe die Abwägung nach § 9 BFA‑VG, zulässig; Kontakte zur Ehefrau könnten durch Besuche oder im Weg von modernen Kommunikationsmitteln aufrechterhalten werden. Mit der Möglichkeit einer Reintegration des gesunden und arbeitsfähigen Revisionswerbers in Indien, wo sich seine am 5. Oktober 2005 geborene (indische) Tochter, seine Eltern und ein Bruder aufhielten, sei zu rechnen, zumal er Punjabi, Hindi und Englisch spreche, er in diesem Staat sozialisiert worden sei und die Schule besucht habe. Dazu komme, dass er sich von 2016 bis 2020 jeweils für 15 bis 25 Tage pro Jahr zu Urlaubszwecken im Herkunftsstaat aufgehalten habe.
8 Aufgrund des langen Aufenthalts in Österreich, der familiären Anknüpfungspunkte und des erstmaligen Verspürens des Haftübels sei allerdings die Dauer des Aufenthaltsverbotes auf fünf Jahre zu reduzieren. Eine weitere Herabsetzung der Dauer des Aufenthaltsverbotes oder gar dessen Entfall wäre jedoch dem Gesamtfehlverhalten nicht angemessen, habe sich darin doch ein hohes Gewalt‑ und Aggressionspotential gezeigt, indem der Revisionswerber aus völlig nichtigem Grund anderen Personen zum Teil massive Verletzungen zugefügt habe, welche sie möglicherweise ihr ganzes Leben „begleiten und einschränken“.
9 Das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung begründete das BVwG damit, dass der Sachverhalt iSd § 21 Abs. 7 BFA‑VG als aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt anzusehen sei und sowohl in Bezug auf die Gefährdungsprognose als auch die Interessenabwägung ein eindeutiger Fall vorliege. Von dem ‑ vom Revisionswerber geltend gemachten ‑ in Österreich geführten Privat‑ und Familienleben sei ohnehin ausgegangen worden. Die in der Beschwerde zu diesem Thema beantragte Einvernahme der Ehefrau des Revisionswerbers als Zeugin habe daher unterbleiben können.
10 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B‑VG als unzulässig erweist.
11 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
12 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
13 Unter diesem Gesichtspunkt macht der Revisionswerber nur geltend, dass das BVwG zu Unrecht von der in der Beschwerde beantragten mündlichen Verhandlung abgesehen habe.
14 § 21 Abs. 7 BFA‑VG erlaubt aber das Unterbleiben einer Verhandlung trotz deren ausdrücklicher Beantragung, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint. Aus dieser Regelung ergibt sich, dass die Unterlassung einer Verhandlung nur dann einen relevanten, zur Aufhebung führenden Verfahrensmangel begründet, wenn ein entscheidungswesentlicher Sachverhalt klärungsbedürftig ist; dieser ist in der Revision darzutun. Richtig ist, dass der Verwaltungsgerichtshof in diesem Zusammenhang auch wiederholt darauf hingewiesen hat, bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen komme der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer mündlichen Verhandlung besondere Bedeutung zu, und zwar sowohl in Bezug auf die Gefährdungsprognose als auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK (sonst) relevanten Umstände. In eindeutigen Fällen, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht von ihm einen (positiven) persönlichen Eindruck verschafft, kann allerdings eine Verhandlung unterbleiben (vgl. etwa VwGH 11.11.2021, Ra 2020/21/0277, Rn. 12, mwN).
15 Von einem derart eindeutigen Fall durfte das BVwG ‑ entgegen der der Sache nach vertretenen Meinung in der Revision ‑ vor dem Hintergrund der Umstände der dem Revisionswerber zur Last liegenden massiven Straftat jedoch ausgehen. Im Hinblick auf die ohne jede Notwendigkeit oder auch nur nachvollziehbaren Anlass und nach langer Überlegungsdauer am Tag nach der ersten Auseinandersetzung in Gemeinschaft mit mehreren Angreifern und unter Verwendung gefährlicher Waffen erfolgte ausufernde Gewaltanwendung, die trotz bisheriger Unbescholtenheit eine dreijährige unbedingte Freiheitsstrafe nach sich zog, sind nämlich sowohl die Gefährdungsprognose des BVwG als auch die Interessenabwägung nach § 9 BFA‑VG nicht zu beanstanden. Unter Berücksichtigung dieser insgesamt schon vom BVwG aufgezeigten Gesichtspunkte kann an diesem Ergebnis auch das Vorliegen einer einzigen strafgerichtlichen Verurteilung nichts ändern (vgl. in diesem Sinn etwa VwGH 3.7.2018, Ra 2018/21/0066, Rn 19). Den privaten und familiären Interessen des Revisionswerbers wurde vom BVwG ohnehin durch eine angemessene Herabsetzung der Dauer des Aufenthaltsverbotes Rechnung getragen.
16 Die Revision zeigt somit insgesamt keine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG auf. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen.
Wien, am 8. September 2022
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