VwGH Ra 2022/20/0329

VwGHRa 2022/20/03299.3.2023

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pfiel, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Dr.in Oswald als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Herrmann‑Preschnofsky, in der Rechtssache der Revision des J K in T, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 29. August 2022, I406 2249871‑1/13E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art133 Abs4
FrPolG 2005 §52
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2022200329.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein nigerianischer Staatsangehöriger, stellte erstmals am 4. Dezember 2019 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

2 Mit Bescheid vom 12. März 2020 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurück, sprach aus, dass Polen gemäß Art. 12 Abs. 4 der Dublin III‑Verordnung für die Prüfung des Antrages zuständig sei, ordnete die Außerlandesbringung des Revisionswerbers an und stellte die Zulässigkeit der Abschiebung nach Polen fest. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 1. April 2020 als unbegründet ab. Der Revisionswerber kam der Anordnung zur Außerlandesbringung nicht nach und blieb in Österreich.

3 Am 17. August 2021 stellte der Revisionswerber den gegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz, den er damit begründete, die politische Lage in Nigeria sei unübersichtlich und er habe aufgrund seiner Mitgliedschaft zur Partei „Indigenous People of Biafra“ (IPOB) Angst, getötet zu werden.

4 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag mit Bescheid vom 29. Oktober 2021 ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

5 Die dagegen erhobene Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht ‑ nach Durchführung einer Verhandlung ‑ mit Erkenntnis vom 29. August 2022 als unbegründet abgewiesen. Unter einem sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

6 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9 Die Revision wendet sich zur Begründung ihrer Zulässigkeit gegen die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichtes und bringt vor, dass an der Mitgliedschaft des Revisionswerbers bei der IPOB kein Zweifel bestehe. Zudem würden die Länderinformationen „deutlich“ für eine Verfolgung von Mitgliedern dieser Partei sprechen.

10 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz tätig und im Allgemeinen nicht zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Einzelfall berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. (vgl. VwGH 15.12.2022, Ra 2022/20/0292, mwN).

11 Das Bundesverwaltungsgericht verschaffte sich im Rahmen einer Verhandlung einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber und legte in seiner Beweiswürdigung dar, weshalb es davon ausging, dass dessen Vorbringen, wonach ihm aufgrund seiner Mitgliedschaft zur IPOB, wegen der er im Herkunftsstaat bereits einmal festgenommen worden sei, asylrelevante Verfolgung drohe, nicht glaubwürdig sei.

12 In der Revision wird nicht aufgezeigt, dass die beweiswürdigenden Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichtes mit einem vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangel behaftet wären. Denn das Bundesverwaltungsgericht stützte sich in nicht als unschlüssig anzusehender Weise auf ‑ dem Revisionswerber in der Verhandlung vorgehaltene ‑ unplausible sowie widersprüchliche Angaben zu fluchtauslösenden Ereignissen und einer aktuellen Bedrohung. Wenn der Revisionswerber im Zuge des Behördenverfahrens vorgelegte Bestätigungen über die Einzahlung von Mitgliedsbeiträgen an die IPOB ins Treffen führt, gelingt es ihm nicht, damit die Unvertretbarkeit der in ihrer Gesamtheit zu behandelnden Beweiswürdigung darzulegen. Dem weiteren Vorbringen des Revisionswerbers, das auf der Richtigkeit der eigenen sachverhaltsbezogenen Prämisse beruht, ist sohin der Boden entzogen.

13 Der Revisionswerber wendet sich in der Begründung zur Zulässigkeit der Revision weiters gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und bringt vor, das Bundesverwaltungsgericht habe das Wohl des minderjährigen Kindes seiner Lebensgefährtin, das er überwiegend betreue, nicht ausreichend berücksichtigt. Zur Frage, inwiefern sich seine Abschiebung negativ auf das Kind auswirke, hätte das Bundesverwaltungsgericht ein kinderpsychologisches Sachverständigengutachten einholen müssen.

14 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat das Verwaltungsgericht neben der Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhalts erforderlichen Beweise auch die Pflicht, auf das Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhalts von Bedeutung sein kann, einzugehen. Das Verwaltungsgericht darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (vgl. VwGH 18.3.2021, Ra 2020/20/0451, mwN).

15 Der Revisionswerber brachte in seinem in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht gestellten Beweisantrag vor, die Einholung des kinderpsychologischen Gutachtens diene der Beantwortung der Frage, inwiefern sich seine Abschiebung negativ auf das Kind auswirke. Damit zeigte der Revisionswerber jedoch nicht auf, zum Beweis welcher konkreten Tatsachen das Gutachten hätte dienen sollen. Vielmehr mutmaßt der Revisionswerber mit dieser Umschreibung des Beweisthemas, dass die Einholung eines kinderpsychologischen Gutachtens ein Interesse des Revisionswerbers an einem Verbleib im Bundesgebiet belegen könnte. Ein bloß allgemeines Vorbringen, das aus Mutmaßungen besteht, läuft nach der Rechtsprechung in der Regel auf einen unzulässigen Erkundungsbeweis hinaus, zu dessen Aufnahme das Verwaltungsgericht nicht verpflichtet ist (vgl. VwGH 18.3.2021, Ra 2020/20/0451, mwN). Zudem legt der Revisionswerber auch nicht dar, weshalb es fallbezogen zur Lösung der maßgeblichen Rechtsfrage der Beiziehung eines Sachverständigen bedurft hätte.

16 Wenn sich der Revisionswerber gegen das Ergebnis der vom Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der Erlassung der Rückkehrentscheidung vorgenommenen Interessenabwägung wendet, ist er auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist (vgl. VwGH 18.3.2021, Ra 2020/20/0451; 26.7.2022, Ra 2022/20/0023; 7.11.2022, Ra 2021/20/0164, jeweils mwN).

17 Das Bundesverwaltungsgericht kam nach Durchführung einer Verhandlung, in der auch die Lebensgefährtin des Revisionswerbers als Zeugin vernommen wurde, zu dem Ergebnis, dass im vorliegenden Fall die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung die privaten Interessen Revisionswerbers am Verbleib im Bundesgebiet überwögen. Bei der Interessenabwägung berücksichtigte das Bundesverwaltungsgericht sämtliche fallbezogen entscheidungswesentlichen Umstände.

18 Dem Revisionswerber gelingt es in der Revision nicht aufzuzeigen, dass die vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommene Interessenabwägung in einer unvertretbaren Weise erfolgt wäre.

19 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 9. März 2023

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