VwGH Ra 2022/13/0083

VwGHRa 2022/13/008322.11.2023

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser, die Hofräte MMag. Maislinger und Mag. Novak sowie die Hofrätin Dr.in Lachmayer und den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Tichy, über die Revision des Bürgermeisters der Marktgemeinde P, vertreten durch die Priller Rechtsanwalts GmbH in 5142 Eggelsberg, Salzburger Straße 6, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom 24. Mai 2022, Zl. LVwG‑451107/7/HW/VEP, betreffend ergänzende Kanalanschlussgebühr (mitbeteiligte Partei: S GmbH in Pucking, vertreten durch die Dumfarth Klausberger Rechtsanwälte GmbH & Co KG in 4020 Linz, Stelzhamerstraße 2/26), zu Recht erkannt:

Normen

B-VG Art119a Abs9
B-VG Art133 Abs1 Z1
B-VG Art133 Abs6 Z2
GdO OÖ 1990 §56 Abs2 Z11
InteressentenbeiträgeG OÖ 1958 §1 Abs1 lita
InteressentenbeiträgeG OÖ 1958 §1 Abs3

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2022130083.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Antrag der revisionswerbenden Partei auf Zuspruch von Aufwandersatz wird abgewiesen.

Begründung

1 Mit Bescheid vom 31. Mai 2021 schrieb der Bürgermeister der Marktgemeinde P der mitbeteiligten Partei für einen auf einer näher genannten Liegenschaft errichteten Zubau (in Form einer Lagerhalle samt Bürogebäude) an ein bereits bestehendes Büro- und Lagergebäude eine Ergänzungs‑Kanalanschlussgebühr in Höhe von 28.144,91 € vor.

2 In ihrer dagegen erhobenen Beschwerde brachte die mitbeteiligte Partei vor, die Behörde habe nicht sämtliche auf die Liegenschaft entfallenden Interessentenbeiträge, sondern nur die Ergänzungs‑Kanalanschlussgebühr des Zubaues aus dem Jahr 2016, den ‑ fiktiven ‑ Kosten einer Senkgrube für die gesamte Liegenschaft gegenübergestellt.

3 Mit Beschwerdevorentscheidung vom 4. November 2021 wies der Bürgermeister der Marktgemeinde P die Beschwerde als unbegründet ab, woraufhin die mitbeteiligte Partei die Entscheidung über die Beschwerde durch das Verwaltungsgericht beantragte.

4 Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich gab mit dem angefochtenen Erkenntnis der Beschwerde Folge und hob den Bescheid ersatzlos auf. Nach Wiedergabe des Verfahrensganges führte es aus, dass nach § 1 Abs. 1 lit. a Oö. Interessentenbeiträge‑Gesetz 1958 (in der Folge: „OÖ IBG“) die Gemeinden ermächtigt seien, von Grundstückseigentümern und Anrainern einen Beitrag zu den Kosten der Errichtung einer gemeindeeigenen Kanalisationsanlage zu erheben. Es dürfe nach Abs. 3 aber nicht mehr erhoben werden, als den von der Gemeinde geleisteten oder voranschlagsmäßig zu leistenden Aufwendungen entspreche. Ferner dürfe die Höhe der Interessentenbeiträge nicht in einem wirtschaftlich ungerechtfertigten Missverhältnis zum Wert der die Beitragspflicht begründenden Liegenschaft und überdies zu dem für die Liegenschaft aus der Anlage oder Einrichtung entstehenden Nutzen stehen. Aus der gutachterlichen Stellungnahme des Ing. D ergäben sich Kosten für die Errichtung einer flüssigkeitsdichten Senkgrube mit Gesamtkosten (Errichtungskosten samt Instandhaltungs- und Wiedererrichtungskosten sowie kapitalisierten Verwaltungskosten) in Höhe von 29.685 €. Die Summe der bisher geleisteten Kanalanschlussgebühren betrage 63.306,46 € und bei entsprechender Valorisierung mehr als 65.000 €. Diese Kosten stünden fiktiven Kosten für den sich aus dem Kanalanschluss ergebenden Nutzen von 30.000 € gegenüber. Da die Summe der bisher geleisteten Kanalanschlussgebühren einschließlich der mit dem angefochtenen Bescheid nunmehr festgesetzten Ergänzungsgebühr den mit 29.685 € bewerteten Gesamtnutzen für den Kanalanschluss der gesamten Liegenschaft um deutlich mehr als das Doppelte übersteigen würde, läge bei Vorschreibung der mit dem angefochtenen Bescheid festgesetzten Ergänzungsgebühr ein wirtschaftlich ungerechtfertigtes Missverhältnis im Sinne des § 1 Abs. 3 OÖ IBG vor.

5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit vorbringt, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei der Wert der gesamten Liegenschaft und der für die Liegenschaft aus der Anlage oder Errichtung entstehende Gesamtnutzen jeweils der Summe aller für die Liegenschaft geleisteten Anschlussgebühren gegenüberzustellen. Es komme nicht nur auf die Verhältnismäßigkeit zwischen der Höhe der Interessentenbeiträge einerseits und den fiktiven Kosten einer Abwasserbeseitigungsanlage andererseits, sondern zusätzlich auf den Wert der gesamten Liegenschaft sowie den sich aus dem Anschluss an die Kanalisationsanlage für die Liegenschaft ergebenden Gesamtnutzen, der etwa auch in der umweltgerechten Entsorgung der Abwässer liege, an.

6 Die mitbeteiligte Partei hat eine Revisionsbeantwortung eingebracht, in der sie die Zurückweisung, in eventu Abweisung der Revision beantragte und die Revisionslegitimation des Bürgermeisters in Zweifel zog. Die oberösterreichische Landesregierung hat ebenfalls eine Revisionsbeantwortung erstattet.

7 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

8 Die Revision ist zulässig und begründet.

Zur Revisionslegitimation des Bürgermeisters:

9 Die Revisionsbeantwortung zweifelt mit Verweis auf § 56 Abs. 2 Z 11 OÖ. Gemeindeordnung, der den Gemeindevorstand für die Einbringung von Revisionen an den Verwaltungsgerichtshof für zuständig erklärt, die Revisionslegitimation des Bürgermeisters an.

10 Art. 133 Abs. 6 Z 2 B‑VG legt die Revisionslegitimation der belangten Behörde des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht fest. Der Bürgermeister war die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht und daher auch dazu befugt, Revision zu erheben.

11 Daran ändert auch § 56 Abs. 2 Z 11 Oö. Gemeindeordnung nichts. § 56 Abs. 2 Z 11 Oö. GemO 1990 legt nicht fest, wer belangte Behörde iSd Art. 133 Abs. 6 Z 2 B‑VG ist, sondern normiert vielmehr die Zuständigkeit, welchem Organ der Gemeinde es obliegt, Revision zu erheben, wenn die Gemeinde selbst Revisionswerber ist, wenn nämlich die Gemeinde gemäß Art. 119a Abs. 9 B‑VG als Partei des aufsichtsbehördlichen Verfahrens Revision beim Verwaltungsgerichtshof erhebt oder wenn die Gemeinde als Rechtssubjekt (Träger subjektiver öffentlicher Rechte) Revision nach Art. 133 Abs. 1 Z 1 B‑VG erhebt (vgl. VwGH 19.12.2017, Ra 2017/16/0151).

In der Sache:

12 § 1 OÖ IBG, LGBl. Nr. 28/1958 in der Fassung LGBl. 57/1973, lautet auszugsweise:

§ 1

(1) Die Gemeinden werden ermächtigt, auf Grund eines Beschlusses der Gemeindevertretung folgende Interessentenbeiträge von Grundstückseigentümern und Anrainern (derzeit § 13 Abs. 1 Z 15 des Finanzausgleichsgesetzes 1973, BGBl. Nr. 445/1972) zu erheben:

a) den Beitrag zu den Kosten der Errichtung einer gemeindeeigenen Kanalisationsanlage ‑ Kanal‑Anschlußgebühr;

b) den Beitrag zu den Kosten der Errichtung einer gemeindeeigenen Wasserversorgungsanlage ‑ Wasserleitungs‑Anschlußgebühr;

c) den Beitrag zu den Kosten der Errichtung einer gemeindeeigenen Einrichtung zur Abfuhr oder Beseitigung von Müll ‑ Müllabfuhr(Müllbeseitigungs)-Anschlußgebühr.

Als gemeindeeigen im Sinne dieses Gesetzes gilt eine Anlage (Einrichtung), deren sich die Gemeinde zur Erfüllung der ihr obliegenden öffentlichen Aufgaben bedient, auch dann, wenn die Anlage (Einrichtung) nicht oder nicht zur Gänze im Eigentum der Gemeinde steht.

(2) Die Interessentenbeiträge sind auf die einzelnen leistungspflichtigen Grundstückseigentümer oder Anrainer jeweils nach einem einheitlichen objektiven Teilungsschlüssel aufzuteilen. Als Teilungsschlüssel kommen insbesondere in Betracht: der Einheitswert, die Grundstücksgröße, die Länge des anrainenden Grundstückes, der Anteil des Nutzens an der den Beitrag begründenden Gemeindeeinrichtung oder -anlage oder der Anteil des durch diese beseitigten Nachteils.

(3) An Interessentenbeiträgen darf jeweils nicht mehr erhoben werden, als den von der Gemeinde geleisteten oder voranschlagsmäßig zu leistenden Aufwendungen entspricht. Die Höhe der Interessentenbeiträge darf ferner nicht in einem wirtschaftlich ungerechtfertigten Mißverhältnis zum Wert der die Beitragspflicht begründenden Liegenschaft und überdies zu dem für die Liegenschaft aus der Anlage oder Einrichtung entstehenden Nutzen stehen.

[...]“.

13 § 1 Abs. 3 zweiter Satz Oö. IBG stellt ohne Ausnahme auf das Verhältnis zwischen der Höhe der Interessentenbeiträge einerseits, dem Wert der Liegenschaft sowie dem für die Liegenschaft aus der Anlage oder Einrichtung entstehenden Nutzen andererseits ab, ohne dass für den Fall eines auf die Errichtung eines Aus-, Zu-, Ein- oder Umbaues zurückzuführenden Ergänzungsbeitrages eine Ausnahme vorgesehen wäre. In einem so gelagerten Fall kann daher ein sachgerechtes Ergebnis nur erzielt werden, wenn sämtliche für eine bestimmte Liegenschaft bereits entrichteten bzw. zu entrichtenden Interessentenbeiträge einer Gattung (Kanal-Anschlussgebühren, Wasserleitungs-Anschlussgebühren) zusammengerechnet und dem nunmehrigen Wert der Liegenschaft bzw. dem Nutzen gegenübergestellt werden (vgl. VwGH 19.5.1994, 91/17/0165; VwGH 9.9.2013, 2013/17/0063).

14 Der „Nutzen“ im Sinne der Gesetzesbestimmung ist durch einen Kosten‑Nutzen‑Vergleich mit einer anderen gesetzlich zulässigen Abwasserbeseitigungsart vorzunehmen, wobei das Bestehen einer Anschlusspflicht der Zulässigkeit des Vergleiches nicht entgegensteht (vgl. VwGH 24.1.2000, 99/17/0270).

15 Die Kanalanschlussgebühr ist ein Beitrag zu den Kosten der Errichtung der gesamten gemeindeeigenen Kanalisationsanlage (vgl. VwGH 20.3.2000, 99/17/0366). Eine solche Kanalisationsanlage ermöglicht die Ableitung sowie die umweltgerechte Entsorgung der Abwässer und der darin enthaltenen Schadstoffe. Sie besteht daher jedenfalls aus den Kanalleitungen und einer Kläranlage, wo die Abwässer gereinigt werden. Der für die Liegenschaft aus der Kanalanlage entstehende Nutzen (§ 1 Abs. 3 Oö. IBG) kann nicht bloß den Kosten einer Senkgrube gegenübergestellt werden, weil darin lediglich die Abwässer gesammelt werden und in der Folge erst recht kostenaufwendig entsorgt werden müssen. Der Nutzen aus dem Anschluss an die Kanalisationsanlage liegt auch in der Entsorgung und umweltgerechten Weiterbehandlung der Abwässer aus der Liegenschaft. Für die Sammlung der Abwässer mag eine Senkgrube zwar reichen, für die Entsorgung sowie die umweltgerechte Weiterbehandlung der Abwässer und Schadstoffe bedarf es aber einer Kläranlage. Die Kosten einer solchen Anlage sind Kosten der Errichtung und damit Teil der Kanalanschlussgebühr, während die Kosten des Betriebes der Kläranlage auf die Kanalbenützungsgebühr Einfluss haben. Der Nutzen für die Liegenschaft besteht somit nicht nur in der Sammlung und Ableitung, sondern auch in der umweltgerechten Entsorgung der Abwässer, die der Betroffene durch Errichtung oder Mitfinanzierung einer geeigneten Kläranlage selbst zu tragen hätte (vgl. VwGH 20.3.2000, 99/17/0134).

16 Das Landesverwaltungsgericht hat entgegen der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für die Ermittlung des Nutzens des Kanalanschlusses für die Liegenschaft lediglich die Kosten für die Errichtung der Senkgrube herangezogen und nicht die Kosten für die Errichtung einer Anlage für die umweltgerechte Entsorgung der Abwässer (Kläranlage) berücksichtigt, die der Betroffene (bei unterstelltem fehlenden Anschluss an die Anlage der Gemeinde) selbst hätte errichten oder (mit)finanzieren müssen. Damit hat es sein Erkenntnis mit einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit belastet.

17 Das angefochtene Erkenntnis war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

18 Gemäß § 47 Abs. 4 VwGG hat die revisionswerbende Partei in dem hier vorliegenden Fall einer Amtsrevision gemäß Art. 133 Abs. 6 Z 2 B‑VG keinen Anspruch auf Aufwandersatz, weshalb ihr diesbezüglicher Antrag abzuweisen war (vgl. etwa VwGH 2.2.2023, Ra 2022/13/0050, mwN).

Wien, am 22. November 2023

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