Normen
B-VG Art133 Abs4
MSG Wr 2010 §21 Abs1 idF 2018/002
MSG Wr 2010 §21 Abs1 Z2 idF 2018/002
MSG Wr 2010 §21 Abs2 idF 2018/002
VwGG §34 Abs1
VwRallg
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022100078.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit den angefochtenen, im Beschwerdeverfahren ergangenen Erkenntnissen des Verwaltungsgerichtes Wien wurde die Revisionswerberin gemäß § 21 Wiener Mindestsicherungsgesetz (WMG) verpflichtet, die für den Zeitraum vom 1. März bis 30. April 2020 zu Unrecht empfangenen Leistungen der Mindestsicherung in der Höhe von € 558,69, die für den Zeitraum vom 1. Oktober bis 31. Oktober 2020 zu Unrecht empfangenen Leistungen der Mindestsicherung in der Höhe von € 241,52 sowie die für den Zeitraum vom 1. Februar bis 28. Februar 2021 zu Unrecht empfangenen Leistungen der Mindestsicherung in der Höhe von € 320,‑‑ zurückzuerstatten. Weiters wurde jeweils ausgesprochen, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG unzulässig sei.
2 Begründend ging das Verwaltungsgericht im Wesentlichen davon aus, dass in den Rückforderungszeiträumen Einkünfte aus der selbständigen Erwerbstätigkeit der Revisionswerberin vorlägen, die auf den Mindestsicherungsanspruch anzurechnen gewesen wären. Die Revisionswerberin sei daher verpflichtet gewesen, diese Einkünfte als Änderung ihrer Einkommenssituation der belangten Behörde anzuzeigen. Dieser Verpflichtung sei die Revisionswerberin jedoch erst über Aufforderung der belangten Behörde im September 2021 nachgekommen. Da die Revisionswerberin, die über ein abgeschlossenes Jus‑Studium verfüge, in den Zuerkennungsbescheiden nach Wiedergabe des Wortlauts des § 21 Abs. 1 WMG auf ihre Anzeigepflicht betreffend Änderungen etwa ihrer Einkommensverhältnisse hingewiesen worden sei, habe ihr jedenfalls bewusst sein müssen, dass sie jedes zusätzliche Einkommen unverzüglich anzuzeigen habe, sodass die festgestellte Verletzung der Anzeigepflicht auch nicht auf einem geringfügigen Verschulden beruhe. Die Revisionswerberin sei daher verpflichtet, die aufgrund der Verletzung der Anzeigepflicht zu Unrecht bezogenen Leistungen der Mindestsicherung zurückzuerstatten.
3 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
4 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
5 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
6 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes muss sich die Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung, die nach Ansicht des Revisionswerbers die Zulässigkeit der Revision begründet, aus der gesonderten Darstellung der Zulässigkeitsgründe ergeben. Der Verwaltungsgerichtshof überprüft die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision iSd Art. 133 Abs. 4 B‑VG sohin (nur) im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe. Eine wesentliche Rechtsfrage gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG liegt nur dann vor, wenn die Beurteilung der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes von der Lösung dieser Rechtsfrage „abhängt“. Dies ist dann der Fall, wenn das rechtliche Schicksal der Revision von der behaupteten Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung abhängt. In der Revision muss daher gemäß § 28 Abs. 3 VwGG konkret dargetan werden, warum das rechtliche Schicksal der Revision von der behaupteten Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung abhängt (vgl. VwGH 24.2.2022, Ra 2021/10/0029; 24.2.2022, Ra 2021/10/0194; 4.5.2021, Ra 2020/10/0081).
7 In den Zulässigkeitsausführungen der vorliegenden außerordentlichen Revision wird geltend gemacht, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in „Bezug auf die Determinanten für ein geringfügiges Verschulden an der Verletzung der Anzeigepflicht im Sinne des § 21 Abs. 3 WMG, in diesem Zusammenhang auch zur amtswegigen Ermittlungspflicht der Behörde bzw. des Verwaltungsgerichtes im Beschwerdeverfahren im Anwendungsbereich des § 21 WMG“. Ebenso fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes „in Bezug darauf, dass der in § 21 Abs. 1 WMG normierte Begriff ‚unverzüglich‘ in dem Sinn zu verstehen [sei], dass die Hilfe suchende oder empfangende Person die näheren Angaben zu einer Änderung ihrer Einkommensverhältnisse gegenüber der Behörde in jenem Umfang und Zeitpunkt zu machen [habe], wie dies bisher von der Behörde als rechtzeitig akzeptiert“ worden sei. Weder aus dem hg. Erkenntnis vom 28. Februar 2013, 2012/10/0126, noch aus dem Wortlaut des § 21 WMG ergebe sich, „in welchem Umfang der Anzeigepflicht nach § 21 Abs. 1 WMG erst Genüge getan ist, insbesondere dass auch ohne Aufforderung der Behörde dieser, wenn ihr ‑ wie im vorliegenden Fall ‑ eine sporadische geringfügige Lehrtätigkeit der Hilfe empfangenden Person aufgrund deren Mitteilung bereits bekannt war, zur Erfüllung der Anzeigepflicht alle Honorarnoten der Behörde initiativ zu übermitteln seien“. Es ergebe sich auch weder aus der bisherigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes noch aus § 21 WMG bzw. aus den übrigen Bestimmungen dieses Gesetzes, „welche Kriterien für die Ausübung des der Behörde bzw. dem Verwaltungsgericht in § 21 Abs. 3 WMG eingeräumten Ermessen bestimmend“ seien.
8 Mit diesem Vorbringen wird eine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG, von deren Lösung das Schicksal der vorliegenden Revision abhängt, nicht aufgezeigt:
9 Die Bestimmung des § 21 WMG, LGBl. Nr. 38/2010 in der Fassung LGBl. Nr. 2/2018, lautet auszugsweise:
„§ 21. (1) Hilfe empfangende Personen haben jede Änderung der für die Bemessung der Leistung maßgeblichen Umstände unverzüglich dem Magistrat der Stadt Wien anzuzeigen. Anzuzeigen sind insbesondere folgende Ereignisse oder Änderungen:
...
2. Einkommens- und Vermögensverhältnisse, Lohn- und Einkommensteuerrückzahlungen;
...
(2) Leistungen, die auf Grund einer Verletzung der Anzeigepflicht gemäß Abs. 1 zu Unrecht empfangen wurden, sind mit Bescheid zurückzufordern. Die Behörde ist berechtigt, die Aufrechnung gegen Ansprüche auf Leistungen der Wiener Mindestsicherung zu verfügen.
(3) Die Rückforderung kann in Teilbeträgen erfolgen oder unterbleiben, wenn die anzeigepflichtige Person glaubhaft macht, dass die Verletzung der Anzeigepflicht auf einem geringfügigen Verschulden beruht, die Rückforderung eine Notlage herbeiführen würde, der Anspruch voraussichtlich uneinbringlich wäre oder der Betrag unbedeutend ist.“
10 Voraussetzung für die Rückforderung gemäß § 21 Abs. 2 WMG ist somit, dass der Hilfeempfänger seiner Verpflichtung, für die Leistungsbemessung maßgebliche Änderungen unverzüglich zu melden, nicht nachgekommen ist und deshalb („auf Grund der Verletzung der Anzeigepflicht“) Leistungen zu Unrecht empfangen wurden (vgl. das in der Revision genannte Erkenntnis VwGH 28.2.2013, 2012/10/0126).
11 Entgegen der von der Revisionswerberin vertretenen Ansicht ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 21 Abs. 1 WMG unmissverständlich, dass die Hilfe empfangende Person jede Änderung der für die Bemessung der Leistung maßgeblichen Umstände unverzüglich dem Magistrat der Stadt Wien anzuzeigen hat, wobei insbesondere Änderungen der Einkommens- und Vermögensverhältnisse anzuzeigen sind. Die dem Revisionsvorbringen offenbar zugrundeliegende Sichtweise der Revisionswerberin, bei einer der Behörde bekannt gegebenen „sporadischen geringfügigen Lehrtätigkeit“ bzw. einer [selbständigen] „Einkommenserzielungstätigkeit“ bestehe die Verpflichtung nach § 21 Abs. 1 WMG nicht bzw. erst nach einer diesbezüglichen Aufforderung der Behörde, entbehrt einer gesetzlichen Grundlage. Dass im Revisionsfall von keiner unverzüglichen Bekanntgabe im Sinne des § 21 Abs. 1 WMG auszugehen ist (die Bekanntgabe erfolgte mehr als sechs Monate nach dem letzten Zufluss von Einkommen), bedarf keiner weiteren Erörterung. Abgrenzungsfragen im Hinblick auf die Auslegung des Begriffs „unverzüglich“ in § 21 Abs. 1 WMG stellen sich im Revisionsfall nicht.
12 Was schließlich die Frage anbelangt, ob die anzeigepflichtige Person im Sinne des § 21 Abs. 3 WMG glaubhaft gemacht hat, dass die Verletzung der Anzeigepflicht auf einem geringfügigen Verschulden beruht, ist darauf hinzuweisen, dass Fragen der Verschuldensbeurteilung grundsätzlich der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichts zuzuordnen sind und nur dann Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung darstellen könnten, wenn die Beurteilung des Verwaltungsgerichtes in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Weise erfolgt wäre (vgl. VwGH 28.2.2019, Ra 2019/16/0048, mwN). Derartiges wird in der Revision aber nicht ansatzweise aufgezeigt. Welche Fragen der Ermessensübung im Revisionsfall zudem einer höchstgerichtlichen Klärung bedürften, wird in den Zulässigkeitsausführungen der vorliegenden Revision nicht konkret dargelegt.
13 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 30. September 2022
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