VwGH Ra 2022/09/0034

VwGHRa 2022/09/00347.9.2023

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, die Hofräte Dr. Doblinger und Mag. Feiel sowie die Hofrätinnen Dr. Koprivnikar und Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Hotz, über die außerordentliche Revision 1. des Disziplinarrats der Österreichischen Ärztekammer, Disziplinarkommission für Salzburg und 2. der Disziplinaranwältin-Stellvertreterin der Österreichischen Ärztekammer bei der Disziplinarkommission für Salzburg, beide vertreten durch die Tschurtschenthaler Walder Fister Rechtsanwälte GmbH in 9020 Klagenfurt, Dr. Arthur Lemisch‑Platz 7, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Salzburg vom 12. Jänner 2022, 405‑8/680/1/11‑2022, betreffend Disziplinarverfahren nach dem Ärztegesetz 1998 (mitbeteiligte Partei: Dr. A B in C, vertreten durch Dr. Ernst Fiedler, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Georg‑Wagner‑Gasse 5), zu Recht erkannt:

Normen

ÄrzteG 1998 §136 Abs1 Z1
ÄrzteG 1998 §136 Abs1 Z2
ÄrzteG 1998 §154 Abs2
AVG §58 Abs1
VStG §44a Z1
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §27
VwGVG 2014 §38
VwRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2022090034.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird hinsichtlich seines Spruchpunktes I. im Umfang des Strafausspruches, seines Spruchpunktes II. im Umfang der Freisprüche betreffend die Spruchpunkte 4) bis 7) des Disziplinarerkenntnisses des Disziplinarrats der Österreichischen Ärztekammer, Disziplinarkommission für Salzburg, vom 5. Mai 2021, und seines Spruchpunktes III. (Kostenausspruch) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit dem Disziplinarerkenntnis des Disziplinarrats der Österreichischen Ärztekammer, Disziplinarkommission für Salzburg, vom 5. Mai 2021 wurde der Mitbeteiligte, ein niedergelassener Arzt für Allgemeinmedizin, wie folgt schuldig erkannt und bestraft (Anonymisierungen durch den Verwaltungsgerichtshof):

„[Der Mitbeteiligte] hat in C

1) [...]

...

4) am 27.04.2020 als Medieninhaber der von ihm betriebenen und auf ‚Dr. med. A B‘ lautenden Facebook‑Seite unsachlich die vom österreichischen Gesetzgeber verordneten Beschränkungen aufgrund der COVID‑19‑Pandemie in Frage gestellt und ‑ unter dem Vorwand, das Vertrauen in die Weltgesundheitsorganisation zu hinterfragen ‑ wirtschaftliche Zusammenhänge zwischen der Weltgesundheitsorganisation, einem global agierenden IT‑Konzern und der Pharmaindustrie konstruiert;

5) vor dem 17.03.2020 als Medieninhaber der von ihm betriebenen und auf ‚Dr. med. B‘ lautenden Facebook‑Seite unsachlich behauptet, Vitamin C sei ein taugliches Mittel zur Bekämpfung der COVID‑19‑Pandemie und gelange lediglich nicht zum Einsatz, weil es zu billig sei;

6) am 08.05.2020 als Medieninhaber der von ihm betriebenen und auf ‚Dr. med. A B‘ lautenden Facebook‑Seite unsachlich behauptet, die Angst vor einer ‚2. Welle‘ werde künstlich aufrecht erhalten um den von Bill Gates entwickelten ‚mRNA‑Impfstoff‘, der das menschliche Erbgut verändere, nach Verkürzung der Zulassungsprüfung 7 Milliarden Menschen zu verabreichen, was ‚unsere‘ Politiker unterstützen;

7) im September 2020 als Medieninhaber der von ihm betriebenen und auf ‚Dr. med. A B‘ lautenden Facebook‑Seite unsachlich ausgeführt, die zum Nachweis einer Infektion mit dem COVID‑19‑Virus in Verwendung stehenden PCR‑Tests seien hiefür nicht geeignet und unsere Politiker seien im Rahmen der Bestrebungen, die vorherrschende COVID‑19‑Pandemie einzudämmen, redlich bemüht, den Rest der Wirtschaft gegen die Wand zu fahren.

Er hat dadurch die Disziplinarvergehen

- der Beeinträchtigung des Ansehens der in Österreich tätigen Ärzteschaft der Allgemeinheit gegenüber gemäß § 136 Abs. 1 Z 1 ÄrzteG

sowie

- der Verletzung von Berufspflichten gemäß §136 Abs. 1 Z 2 ÄrzteG, nämlich einen Verstoß gegen die Werbebeschränkung nach § 53 Abs. 1 ÄrzteG iVm §§ 1, 2 Abs. 1 und 2, hinsichtlich Fakten 2 und 3 auch § 2 Abs. 3 Z 3 und hinsichtlich Faktum 2 auch § 3 sowie hinsichtlich Faktum 1 auch § 5 Abs. 1 der Richtlinie ‚Arzt und Öffentlichkeit‘

begangen.“

Über den Mitbeteiligten wurde aufgrund der Disziplinarvergehen (Tatvorwürfe 1 bis 7) gemäß § 139 Abs. 1 Z 2 ÄrzteG 1998 als Gesamtstrafe eine Geldstrafe in der Höhe von € 6.000,‑‑ verhängt. Weiters verpflichtete es den Mitbeteiligten zum Ersatz der Kosten des Disziplinarverfahrens in der Höhe von € 7.000,‑‑.

2 Den Tatvorwürfen 4) bis 7) lagen jeweils Disziplinaranzeigen des Disziplinaranwalt‑Stellvertreters der Österreichischen Ärztekammer bei der Disziplinarkommission für Salzburg zugrunde. Dem Mitbeteiligten wurden jeweils vor Erlassung der Einleitungsbeschlüsse die betreffenden Facebook‑Beiträge, die jeweils auch in den behördlichen Akten erliegen, übermittelt. Dieser hat sich dazu jeweils durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter geäußert.

3 Mit dem nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ergangenen angefochtenen Erkenntnis gab das Landesverwaltungsgericht Salzburg (Verwaltungsgericht) der Beschwerde des Mitbeteiligten unter anderem hinsichtlich der gegen ihn gerichteten Tatvorwürfe zu den Spruchpunkten 4) bis 7) des behördlichen Disziplinarerkenntnisses Folge, sprach diesen gemäß § 161 Abs. 1 ÄrzteG 1998 frei (Spruchpunkt II.), setzte die über ihn verhängte Geldstrafe auf € 450,‑‑ herab (Spruchpunkt I.) und reduzierte die Kosten für das Disziplinarverfahren auf € 870,‑‑ (Spruchpunkt III.). Die Revision erklärte es gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG für nicht zulässig (Spruchpunkt IV.).

4 Die Freisprüche betreffend die Tatvorwürfe 4) bis 7) begründete das Verwaltungsgericht im Wesentlichen damit, dass die angelasteten Tatvorwürfe nicht den Anforderungen an das Bestimmtheitsgebot entsprächen, weshalb eine inhaltliche Beurteilung der Postings nicht zulässig sei. Die Disziplinarbehörde habe die inkriminierten Facebook‑Postings im Tatvorwurf nicht wörtlich wiedergegeben, sondern lediglich eine von ihr vorgenommene Interpretation (und Wertung) als Tathandlung vorgeworfen. Dadurch seien die Äußerungen im Tatvorwurf teilweise so verändert worden, dass sie im Wortlaut des Postings keine ausreichende Deckung fänden (Verweis auf VwGH 20.5.2020, Ra 2019/09/0011). Da der Mitbeteiligte über einen längeren Zeitraum zahlreiche Äußerungen gepostet habe und somit nicht auszuschließen sei, dass sich darunter auch Äußerungen befänden, die ähnlich oder gleich wie die hier angelasteten Äußerungen ausgelegt werden könnten, werde er der Gefahr einer Doppelbestrafung ausgesetzt. Die Tatzeitangaben in den Tatvorwürfen seien zu unbestimmt. Der Mitbeteiligte werde dadurch in seinen Verteidigungsrechten beeinträchtigt und der Gefahr einer Doppelbestrafung ausgesetzt. Den Freispruch zum Tatvorwurf 6) begründete das Verwaltungsgericht unter anderem auch damit, dass der Mitbeteiligte lediglich eine Frage formuliert habe.

5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision der Disziplinaranwältin‑Stellvertreterin und des Disziplinarrats der Österreichischen Ärztekammer, Disziplinarkommission für Salzburg, die sich in der Anfechtungserklärung ausschließlich gegen die Freisprüche hinsichtlich der Spruchpunkte 4) bis 7) des behördlichen Disziplinarerkenntnisses sowie der damit zusammenhängenden Aussprüche des Verwaltungsgerichts über die Strafe und Kosten richtet. Der Mitbeteiligte erstattete in dem vom Verwaltungsgerichtshof eingeleiteten Vorverfahren eine Revisionsbeantwortung, in der die kostenpflichtige Zurück‑ bzw. Abweisung der Revision beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

6 Die Revision erweist sich im Hinblick auf die in der Amtsrevision aufgeworfenen Rechtsfragen, insbesondere zur erforderlichen Bestimmtheit von Schuldsprüchen im Disziplinarverfahren, als zulässig. Die Revision ist auch begründet.

7 Zur erforderlichen Bestimmtheit von Tatvorwürfen hat der Verwaltungsgerichtshof im Zusammenhang mit einem Einleitungsbeschluss nach § 154 Abs. 2 ÄrzteG 1998 in Anlehnung an die Rechtsprechung zum Disziplinarrecht der Beamten bereits festgehalten, dass dieser die Beschuldigungspunkte bestimmt zu bezeichnen hat. Die dem Einleitungsbeschluss in einem Disziplinarverfahren zukommende rechtliche Bedeutung ist in erster Linie darin gelegen, dem wegen einer Dienstpflichtverletzung Beschuldigten innerhalb der Verjährungsfrist gegenüber klarzustellen, hinsichtlich welcher Dienstpflichtverletzung ein Disziplinarverfahren innerhalb der Verjährungsfrist eingeleitet wurde. Er dient zugleich dem Schutz des Beschuldigten, der ihm entnehmen kann, nach welcher Richtung er sich vergangen und inwiefern er pflichtwidrig gehandelt haben soll. Der Einleitungsbeschluss begrenzt regelmäßig den Umfang des vor der Disziplinarkommission stattfindenden Verfahrens: Es darf keine Disziplinarstrafe wegen eines Verhaltens ausgesprochen werden, das nicht Gegenstand des durch den Einleitungsbeschluss in seinem Umfang bestimmten Disziplinarverfahrens ist (vgl. VwGH 30.3.2023, Ra 2021/09/0001; 4.5.2022, Ra 2021/09/0242).

8 Um dieser Umgrenzungsfunktion gerecht zu werden, muss das dem Disziplinarbeschuldigten als Dienstpflichtverletzung vorgeworfene Verhalten derart beschrieben werden, dass unverwechselbar feststeht, welcher konkrete Vorgang den Gegenstand des Disziplinarverfahrens bildet. Die angelastete Tat muss daher nach Ort, Zeit und Tatumständen so gekennzeichnet werden, dass keine Unklarheit darüber möglich ist, welches dem Disziplinarbeschuldigten zur Last gelegte Verhalten auf der Grundlage des Einleitungsbeschlusses als Prozessgegenstand im anschließenden Disziplinarverfahren behandelt werden darf. Solcherart muss sich daher der Tatvorwurf von anderen gleichartigen Handlungen oder Unterlassungen, die dem Disziplinarbeschuldigten angelastet werden können, genügend unterscheiden lassen (vgl. erneut VwGH 4.5.2022, Ra 2021/09/0242, mwN).

9 Der Spruch des Disziplinarerkenntnisses stellt eine weitere und die letzte im Disziplinarverfahren erfolgende Konkretisierung der gegen den Beschuldigten erhobenen Vorwürfe dar (vgl. zuletzt zum ÄrzteG 1998 neuerlich VwGH 4.5.2022, Ra 2021/09/0242, mwN).

10 Die vom Verwaltungsgerichtshof bezüglich der Erfordernisse der Bestimmtheit des Strafausspruches zu § 44a Z 1 VStG entwickelte Judikatur gilt somit auch in vergleichbaren Disziplinarverfahren (vgl. VwGH 20.1.2021, Ra 2020/09/0055). Im Disziplinarerkenntnis sind daher, unter Zugrundelegung der im Anschuldigungspunkt enthaltenen, die Tat bestimmenden Sachverhaltselemente bei einem Schuldspruch ‑ im Ergebnis nicht anders als dies § 44a Z 1 VStG für den Bereich des Verwaltungsstrafverfahrens anordnet ‑ die vom Beschuldigten begangene Tat bestimmt zu umschreiben (vgl. VwGH 15.10.2009, 2008/09/0009, mwN).

11 Wie die Tatumschreibung beschaffen sein muss, um den oben wiedergegebenen Rechtsschutzüberlegungen zu genügen, hängt von den Umständen des einzelnen Falles ab. Eine derartige ‑ notwendigerweise einzelfallbezogene ‑ Beurteilung ist im Regelfall (wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde) nicht revisibel (vgl. in diesem Sinn VwGH 20.5.2020, Ra 2019/09/0011).

12 Eine Ungenauigkeit bei der Konkretisierung der Tat in Ansehung von Tatzeit und Tatort hat nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dann keinen Einfluss auf die Rechtmäßigkeit eines Strafbescheids, wenn dadurch keine Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte des Beschuldigten und keine Gefahr der Doppelbestrafung bewirkt wird. Eine allfällig erforderliche lediglich präzisierende Ergänzung des Tatvorwurfs durch das Verwaltungsgericht würde in diesem Zusammenhang auch keine unzulässige Erweiterung des Tatvorwurfs bedeuten (vgl. VwGH 4.5.2022, Ra 2021/09/0242, mwN).

13 Ein unzulässiger Austausch des Tatvorwurfs stellt hingegen ‑ im Sinne der oben dargestellten Umgrenzungsfunktion des Einleitungsbeschlusses ‑ eine im Beschwerdeverfahren durch das Verwaltungsgericht vorgenommene Erweiterung des Tatvorwurfs bzw. die Heranziehung eines anderen als des ursprünglich der Bestrafung zu Grunde gelegten Sachverhalts dar (vgl. VwGH 20.1.2021, Ra 2020/09/0055, mwN).

14 Soweit das Verwaltungsgericht einen Verstoß gegen das Gebot der Bestimmtheit von Schuldsprüchen darin gelegen sah, dass die vorgeworfenen Facebook-Beiträge nicht wortwörtlich wiedergegeben worden seien, ist darauf zu verweisen, dass für die Beurteilung der disziplinären Relevanz getätigter Äußerungen grundsätzlich die sinngemäße Wiedergabe der inkriminierten Äußerungen ausreicht (vgl. VwGH 25.5.2005, 2004/09/0011, mwN).

15 Der vom Verwaltungsgericht herangezogenen Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Mai 2020, Ra 2019/09/0011, liegt ein nicht vergleichbarer Sachverhalt zugrunde, weil dort im Spruch des Disziplinarerkenntnisses lediglich „herabsetzende Äußerungen“ genannt wurden, ohne diese ‑ auch nicht in der Begründung und im Spruch des Einleitungsbeschlusses ‑ inhaltlich zumindest beispielhaft darzustellen. Im hier vorliegenden Revisionsfall konnte der Mitbeteiligte hingegen keinen Zweifel haben, welche Taten ihm disziplinär zur Last gelegt werden und welche Facebook‑Beiträge den Gegenstand des Disziplinarverfahrens gebildet haben. Insofern war der Mitbeteiligte durchaus in der Lage, die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zu entkräften und Entlastungsbeweise anzubieten. Er hat den Wortlaut seiner Beiträge auch nicht bestritten. Im Übrigen zeigt sein Vorbringen während des gesamten Disziplinarverfahrens, dass er niemals im Zweifel darüber war, welche Taten ihm vorgeworfen wurden und er daher in der rechtlichen Verteidigung seiner Position nicht beeinträchtigt war. Auch die Gefahr der Doppelbestrafung ist nicht ersichtlich.

16 So kann der Verwaltungsgerichtshof nicht erkennen, weshalb die Umschreibung der Tatzeit „am 27.04.2020“ (Tatvorwurf 4), „vor dem 17.03.2020“ (Tatvorwurf 5), „am 08.05.2020“ (Tatvorwurf 6) und „im September 2020“ (Tatvorwurf 7) zu unkonkret wäre und der Mitbeteiligte dadurch der Gefahr ausgesetzt wäre, wegen desselben Verhaltens nochmals zur Verantwortung gezogen zu werden. Die Identifizierung der Taten ist durch die jeweils erfolgte Tatzeitangabe im Zusammenhalt mit der übrigen Tatumschreibung als ausreichend genau anzusehen, um die Gefahr einer allfälligen Doppelbestrafung zu vermeiden. Im Verfahren sind zudem keine konkreten Anhaltspunkte hervorgekommen und es wurde vom Mitbeteiligten auch nicht vorgebracht, dass er am selben Tag, „vor dem 17.03.2020“ oder „im September 2020“ idente Äußerungen auf seiner Facebook‑Seite veröffentlicht habe. Davon abgesehen kommt eine neuerliche Bestrafung wegen dieses Vorwurfs, sofern er an demselben Tag gesetzt oder dem genannten Monat gesetzt worden sein sollte, nach dieser Spruchgestaltung gerade nicht mehr in Betracht (vgl. in diesem Zusammenhang auch VwGH 4.5.2022, Ra 2021/09/0242). Wenn das Verwaltungsgericht im Zusammenhang mit der im Tatvorwurf 5) enthaltenen Tatzeitangabe ausführt, dass diese nicht erkennen lasse, ob bereits Verjährung eingetreten sei, genügt der Hinweis auf die fünfjährige Verjährungsfrist des § 137 Abs. 1 Z 2 ÄrzteG 1998, und auf den notorisch bekannten Beginn der Pandemie (frühestens mit Dezember 2019 bzw. in Österreich Mitte März 2020).

17 Soweit das Verwaltungsgericht die Freisprüche damit begründete, dass die in den Facebook-Beiträgen enthaltenen Äußerungen keine Deckung in den Tatvorwürfen fänden, ist darauf zu verweisen, dass die Frage, welcher Sinngehalt Äußerungen entnommen werden kann, sohin wie eine Äußerung zu verstehen ist, auf Basis entsprechender Feststellungen zu treffen ist. Wesentlich ist, wie der Leser der Beiträge diese verstehen musste. Bei dieser Beurteilung kommt es auf den Gesamtzusammenhang und den dadurch vermittelten Gesamteindruck der beanstandeten Äußerungen an (vgl. zu Disziplinarverfahren wegen Aussagen von Ärztinnen und Ärzten grundlegend VwGH 22.3.2023, Ra 2021/09/0269; siehe auch VwGH 30.3.2023, Ra 2022/09/0149). Die einzelnen inkriminierten Aussagen (Meinungsäußerungen) dürfen nicht aus dem Zusammenhang gerissen und isoliert betrachtet werden, sondern sind im entsprechenden sachverhaltsbezogenen Kontext darzustellen und zu beurteilen (vgl. VwGH 18.6.2014, 2013/09/0115, mwN). Einzelne Teile der Beiträge sind daher in ihrem Gesamtkontext zu bewerten. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts kann deshalb auch eine als Frage formulierte Äußerung disziplinär relevant sein.

18 Vor diesem Hintergrund erweist sich die Begründung des Verwaltungsgerichts als unzureichend. Dieses hat in der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses den Wortlaut der einzelnen Facebook‑Beiträge wiedergegeben. Es hat jedoch in weiterer Folge unterlassen, sich nachvollziehbar damit auseinanderzusetzen, welchen Sinngehalt den jeweiligen Beiträgen in ihrer Gesamtheit zu entnehmen ist und lediglich pauschal darauf verwiesen, dass die Tatvorwürfe keine Deckung in den gegenständlichen Beiträgen fänden. Der Begründung ist jedoch nicht zu entnehmen, warum sich die vorgeworfenen Äußerungen bei einer gesamthaften Betrachtung auch nicht sinngemäß aus den Facebook‑Beiträgen ergeben. Insoweit hat das Verwaltungsgericht auch die Rechtslage verkannt.

19 Das angefochtene Erkenntnis ist daher im Umfang der angefochtenen Freisprüche mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Da der Ausspruch über die zu verhängende Strafe und jener über die Verfahrenskosten mit den Freisprüchen in untrennbarem Zusammenhang stehen, war das angefochtene Erkenntnis auch in diesem Umfang bereits deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben (VwGH 29.3.2023, Ra 2021/09/0201; 28.10.2021, Ra 2021/09/0075 und 0096, mwN).

Wien, am 7. September 2023

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