VwGH Ra 2021/21/0112

VwGHRa 2021/21/011230.4.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des N R, vertreten durch Rast & Musliu Rechtsanwälte in 1080 Wien, Alser Straße 23/14, gegen das am 26. Jänner 2021 mündlich verkündete und mit 11. Februar 2021 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes, W282 2227566‑1/35E, betreffend Abweisung eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 und Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

BFA-VG 2014 §9 Abs2 Z2
BFA-VG 2014 §9 Abs2 Z3
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021210112.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der 1982 geborene Revisionswerber, ein kosovarischer Staatsangehöriger, hielt sich beginnend ab Juni 2015 auf Basis von Aufenthaltsbewilligungen als Studierender rechtmäßig in Österreich auf. Nachdem der Revisionswerber in einem diesbezüglichen Zweckänderungsverfahren die dort gegen den abweisenden Bescheid eingebrachte Beschwerde mit Schriftsatz vom 5. März 2019 zurückgezogen hatte, stellte er am selben Tag beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) einen Antrag gemäß § 55 AsylG 2005 auf Erteilung eines „Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK“.

2 Diesen Antrag wies das BFA nach Vernehmung des Revisionswerbers mit Bescheid vom 14. Dezember 2019 gemäß § 55 AsylG 2005 ab. Unter einem erließ es gegen ihn gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA‑VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG. Des Weiteren stellte das BFA gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers in den Kosovo zulässig sei und es gewährte gemäß § 55 FPG für die freiwillige Ausreise eine Frist von vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen, im zweiten Rechtsgang nach mündlicher Verhandlung erlassenen Erkenntnis, das am 26. Jänner 2021 verkündet und mit 11. Februar 2021 schriftlich ausgefertigt wurde, mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass die Frist für die freiwillige Ausreise auf drei Monate verlängert werde. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

4 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

6 In dieser Hinsicht wendet sich der Revisionswerber in der Zulässigkeitsbegründung der Revision gegen das Ergebnis der vom BVwG an Hand der Kriterien des § 9 Abs. 2 BFA‑VG vorgenommenen Interessenabwägung. Diesbezüglich wird bemängelt, das BVwG habe die Beziehung des Revisionswerbers zu seiner Schwester nicht ausreichend berücksichtigt. Dazu habe der Revisionswerber in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass er von seiner Schwester, mit der er teilweise im gemeinsamen Haushalt lebe, in sämtlichen (auch finanziellen) Angelegenheiten unterstützt werde. Da er selbst kein Einkommen erwirtschaften könne, erhalte er von ihr seine Kleidung und Taschengeld; sie wasche auch seine Wäsche. Er habe mit ihr zumindest täglichen telefonischen Kontakt. Bei Berücksichtigung dieses Vorbringens wäre das BVwG zum Ergebnis gekommen, dass im gegenständlichen Fall sehr wohl ein schützenswertes Familienleben nach Art. 8 EMRK vorliege, welches das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens überwiege.

7 Diesen Ausführungen ist zunächst zu erwidern, dass das BVwG ohnehin nähere Feststellungen zum Verhältnis des Revisionswerbers zu seiner Schwester und deren Familie, und zwar weitgehend im Sinne der Darstellung in der Revision, traf. Demnach habe der Revisionswerber zu seiner Schwester, deren Ehemann und den beiden Kindern vor der „Pandemiesituation“ mehrmals die Woche Kontakt gehabt und an den Wochenenden in deren Wohnung übernachtet. Ein gemeinsamer Haushalt bestehe wegen der Ausgangsbeschränkungen erst seit der „Pandemiesituation“. Er verfüge aber über eine eigene Wohnung, die ihm von Verwandten kostenfrei zur Verfügung gestellt werde. Der Revisionswerber passe auch ab und zu auf die Kinder auf und bringe sie öfters zu Bett. Er wasche seine Wäsche gelegentlich bei seiner Schwester, sonst in seiner Wohnung.

Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung folgerte das BVwG daraus zusammengefasst, es handle sich um eine familientypische intensive emotionale Beziehung zwischen Erwachsenen, wobei der Revisionswerber von der „Unterhalts‑ und Wohnplatzgewährung“ der Schwester nicht allein abhängig sei. So sei der „derzeitige pandemiebedingte gemeinsame Haushalt“ nur temporär, zumal der Revisionswerber seine Wohnung nicht „aufgegeben“ habe, und er sei neben den finanziellen Unterstützungen durch die Schwester auch selbst bis 2019 (geringfügig) beschäftigt gewesen. Es liege daher insgesamt kein „Familienleben“ im Sinne des Art. 8 EMRK vor; dem Revisionswerber sei aber ein „sehr intensives Privatleben“ zuzugestehen.

8 Es kann dahingestellt bleiben, ob das BVwG ‑ wie in der weiteren Revisionsbegründung noch vorgebracht wird ‑ demgegenüber zu dem Schluss hätte kommen müssen, zwischen dem Revisionswerber und seiner Schwester bestehe ein „gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis finanzieller und emotionaler Natur“ und damit ein schützenswertes „Familienleben“. Darauf kommt es nämlich nicht entscheidungswesentlich an, weil bei der vorzunehmenden Gesamtabwägung im Ergebnis die tatsächlich bestehenden Verhältnisse maßgebend sind, sodass es fallbezogen nur von untergeordneter Bedeutung ist, ob die beschriebenen Beziehungen als „Familienleben“ im Sinne der Z 2 oder als ‑ hier vom BVwG zugestanden: sehr intensives ‑ „Privatleben“ im Sinne der Z 3 des § 9 Abs. 2 BFA‑VG zu qualifizieren sind (vgl. VwGH 26.6.2019, Ra 2019/21/0016, Rn. 16/17, und darauf Bezug nehmend VwGH 27.4.2020, Ra 2020/21/0121, Rn. 10, mwN).

9 Entscheidend ist somit nur, ob die vom BVwG nach § 9 BFA‑VG vorgenommene Interessenabwägung im Ergebnis vertretbar war und keinen maßgeblichen Begründungsmangel erkennen lässt; trifft dies zu, so liegt nämlich nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes keine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG vor (vgl. etwa VwGH 9.10.2020, Ra 2020/21/0358, Rn. 11, mwN).

10 Das ist im vorliegenden Fall, in dem das BVwG neben der Beziehung des Revisionswerbers zur Familie seiner Schwester auch noch die weiteren in der Revision ins Treffen geführten Umstände ‑ insbesondere die bisherige Aufenthaltsdauer, Deutschkenntnisse auf dem Niveau B 2, die strafrechtliche Unbescholtenheit und das Bestehen eines Freundeskreises sowie das Vorliegen einer Einstellungszusage ‑ ausreichend berücksichtigte, gegeben. Relativierend durfte das BVwG nämlich einbeziehen, dass der rechtmäßige Aufenthalt bis Anfang März 2019 auf bloß befristeten Aufenthaltsbewilligungen zu Ausbildungszwecken beruhte und der Revisionswerber somit im Sinne der Z 8 des § 9 Abs. 2 BFA‑G nicht von einem gesicherten dauernden Verbleib in Österreich ausgehen durfte, wobei das BVwG mit näheren beweiswürdigenden Überlegungen ‑ in der Revision unbekämpft ‑ auch noch annahm, der Revisionswerber habe schon bei seiner Einreise geplant, im Bundesgebiet dauerhaft zu leben und hier zu arbeiten, während das Studium nicht der „vorwiegende Einreisegrund“ gewesen sei. In diesem Zusammenhang verwies das BVwG den Revisionswerber daher ‑ in der Revision ebenfalls nicht konkret in Frage gestellt ‑ auch darauf, dass er „seinen Aufenthalt ‑ wie alle anderen migrationswilligen Drittstaatsangehörigen auch ‑ auf Basis der Bestimmungen des NAG legalisieren“ müsse, was von ihm bewusst umgangen worden sei.

11 Ausgehend von diesen Annahmen und angesichts des noch nicht einmal sechs Jahre dauernden Inlandsaufenthalts kann die vom BVwG nach mündlicher Verhandlung auch unter Verwertung des persönlichen Eindrucks gemäß § 9 BFA‑VG vorgenommene Abwägung der wechselseitigen Interessen jedenfalls nicht als unvertretbar angesehen werden, wobei diesbezüglich in der Revision auch kein maßgeblicher Begründungsmangel aufgezeigt wird. Insbesondere hat das BVwG ‑ entgegen der Meinung in der Revision ‑ auch ausreichend begründet, dass der Revisionswerber im großen öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen eine Trennung von seiner Schwester (und deren Familienangehörigen) hinzunehmen hat. Eine in der Revision wiederholt, allerdings unsubstantiiert behauptete „antizipierende Beweiswürdigung“ ist ‑ wie zur Vollständigkeit noch angemerkt wird ‑ nicht zu erkennen.

12 Der Revision gelingt es somit nicht, im vorliegenden Fall maßgebliche grundsätzliche Rechtsfragen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG aufzuzeigen. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am 30. April 2021

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