VwGH Ra 2021/19/0199

VwGHRa 2021/19/019917.6.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision des R A in Z, vertreten durch Dr. Benno Wageneder, Rechtsanwalt in 4910 Ried/Innkreis, Promenade 3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. April 2021, W177 2180198‑1/24E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

VwGG §42 Abs2 Z3 litc
VwGG §63 Abs1
VwGVG 2014 §24
VwGVG 2014 §25 Abs7

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021190199.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 3. Mai 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, dass ein Mann ihn aufgefordert habe, für ihn Getränke zu verkaufen. Der Revisionswerber sei daraufhin von der Polizei inhaftiert worden, weil es sich bei den Getränken um Alkohol gehandelt habe. Im Polizeizentrum sei er geschlagen worden; ein Polizist hätte ihn vergewaltigen wollen. Da der Revisionswerber der Polizei den Namen des Mannes verraten habe, sei er gezwungen gewesen, nach seiner Freilassung vor diesem zu flüchten.

2 Mit Bescheid vom 15. November 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3 Dagegen erhob der Revisionswerber Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG).

4 Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung durch das BVwG am 14. September 2018 erfolgte eine Neuzuweisung der Rechtssache, nachdem die verhandelnde Richterin eine Unzuständigkeitsanzeige wegen eines behaupteten Eingriffs in die sexuelle Selbstbestimmung gemäß § 20 AsylG 2005 erstattet hatte. Am 14. November 2020 wurde eine mündliche Verhandlung vor einem männlichen Richter durchgeführt.

5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 13. April 2021 wies das BVwG die Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

6 In seiner Begründung führte das BVwG ‑ soweit hier maßgeblich ‑ aus, das Vorbringen des Revisionswerbers erweise sich objektiv als nicht geeignet, eine asylrelevante Verfolgung zu begründen, weil es unsubstantiiert sowie in wesentlichen Punkten unschlüssig und widersprüchlich sei. Eine Rückkehr des Revisionswerbers in seine Herkunftsprovinz Kabul sei möglich. Alternativ würde dem Revisionswerber auch eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative in den Städten Herat oder Mazar‑e Sharif offenstehen.

7 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8 Die vorliegende außerordentliche Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit zunächst vor, dass die Beweiswürdigung grob fehlerhaft erfolgt wäre und damit die Rechtssicherheit beeinträchtigt werde. Das BVwG habe an einer Stelle festgehalten, dass der Revisionswerber seine Erfahrungen und Erlebnisse stringent und im Wesentlichen widerspruchsfrei geschildert habe. An anderer Stelle hieße es hingegen, dem Fluchtvorbringen fehle jedwede Stringenz und Plausibilität. Nach den Gesetzen der Logik seien diese Überlegungen nicht miteinander vereinbar. Es entstehe vielmehr der Eindruck, dass Textbausteine die Beweiswürdigung ersetzen sollten.

9 Der Verwaltungsgerichtshof ist ‑ als Rechtsinstanz ‑ zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. In Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 20.4.2021, Ra 2020/19/0453, mwN).

10 Das BVwG hat sich im vorliegenden Fall nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung in einer auf den Einzelfall Bedacht nehmenden Beweiswürdigung mit dem Fluchtvorbringen auseinandergesetzt und stützte sich in seiner Beweiswürdigung nachvollziehbar insbesondere auf das vage und oberflächliche Vorbringen des Revisionswerbers. Auch wenn ‑ wie von der Revision vorgebracht ‑ das BVwG die Schilderungen der Erfahrungen und Erlebnisse des Revisionswerbers als „stringent und im Wesentlichen widerspruchsfrei“ ansah, verwies es gleichzeitig auch darauf, dass bei einer tiefergehenden Befragung wesentliche Details nicht einheitlich dargelegt werden konnten.

Das BVwG legte darüber hinaus nachvollziehbar dar, auf Grund welcher konkreten Unstimmigkeiten und Widersprüchlichkeiten im Fluchtvorbringen des Revisionswerbers es von der Unglaubwürdigkeit der Angaben des Revisionswerbers ausgehe.

Während der Revisionswerber vor dem BFA noch angeführt habe, dass ihm sein Verfolger die Möglichkeit eingeräumt hätte, durch den Verkauf von selbstgemachten Getränken an einen von diesem organisierten Kundenstamm Einnahmen zu lukrieren, habe er ‑ so das BVwG ‑ in der mündlichen Verhandlung widersprüchlich ausgeführt, dass er lediglich als Vergabestelle operieren sollte und der Verfolger das Geld von den Kunden selbst kassiert habe. Widersprüchlich habe der Revisionswerber auch den Verfolger und seine dahinterstehende Gruppe in der Einvernahme vor dem BFA bezeichnet, nämlich einmal als Kleinkriminelle und einmal als mächtige, mafiöse Gruppierung, die landesweit operieren und die Polizei bestechen würden. Die Angabe des Revisionswerbers, wonach die Gruppierung so mächtig sei, dass sie die Polizei bestechen würde und die Polizisten vor ihr in der Gegend „strammgestanden“ wären, stünde in krassem Widerspruch zu den Angaben des Revisionswerbers, dass er nach seiner Haftentlassung noch einmal gearbeitet hätte, wobei er wieder von seinem Verfolger aufgespürt und mit einem Messer angegriffen worden sei, ihm jedoch die Polizei zur Hilfe gekommen sei und die Situation zu seinen Gunsten habe befrieden können.

Vor diesem Hintergrund vermag die Revision nicht aufzuzeigen, dass das BVwG seine Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte.

11 Im Rahmen ihres Zulässigkeitsvorbringens rügt die Revision zudem, das BVwG habe sich auf die Aussagen des Revisionswerbers in der Verhandlung vom 14. September 2018 und den persönlichen Eindruck des erkennenden Richters vom 24. November 2020 gestützt.

12 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt in Bezug auf ein Erkenntnis (oder einen Beschluss) eines Verwaltungsgerichtes eine Rechtswidrigkeit vor, wenn das Verwaltungsgericht entgegen der Bestimmung des § 25 Abs. 7 zweiter Satz VwGVG trotz geänderter Zusammensetzung des Senates oder Zuweisung an einen anderen Einzelrichter die Verhandlung nicht wiederholt hat (vgl. VwGH 10.2.2021, Ra 2021/19/0016, mwN).

13 Im vorliegenden Fall erfolgte eine Wiederholung der mündlichen Verhandlung. Der erkennende Richter führte am 24. November 2020 eine mündliche Verhandlung durch und erklärte dabei die Niederschriften der Verhandlung vom 14. September 2018 ‑ nach Verzicht der Parteien auf die Verlesung ‑ als Gegenstand der mündlichen Verhandlung und zum Inhalt der der Verhandlung zu Grunde liegenden Niederschrift. Der Revisionswerber wurde vom erkennenden Richter auch ausdrücklich gefragt, ob dieser bei der Erstbefragung, der Befragung durch das BFA und der mündlichen Verhandlung vom 14. September 2018 die Wahrheit gesagt habe bzw. ob er das, was er damals gesagt habe, heute wieder sagen würde. Dies wurde vom Revisionswerber ausdrücklich bejaht. Dem Revisionswerber wurde auch die Möglichkeit eingeräumt, Angaben zu korrigieren oder zu ergänzen.

Ausgehend davon gelingt es der Revision nicht darzulegen, inwiefern im vorliegenden Fall die Verhandlungspflicht verletzt wäre.

14 Soweit die Revision die verstrichene Zeit zwischen mündlicher Verhandlung und Entscheidung rügt und damit indirekt auf die Notwendigkeit der Anberaumung einer weiteren Verhandlung abstellt, führt sie einen Verfahrensmangel ins Treffen.

Die Zulässigkeit der Revision setzt neben einem eine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG aufwerfenden Verfahrensmangel voraus, dass die Revision von der Lösung dieser geltend gemachten Rechtsfrage abhängt. Davon kann bei einem Verfahrensmangel aber nur dann ausgegangen werden, wenn auch die Relevanz des Mangels für den Verfahrensausgang konkret dargetan wird (vgl. VwGH 17.12.2020, Ra 2020/18/0279, mwN).

Eine solche Relevanz zeigt die vorliegende Revision aber nicht auf, weil sie nicht darlegt, welche relevanten Sachverhaltsänderungen in den fünf Monaten zwischen mündlicher Verhandlung und Entscheidung eingetreten seien, die in einer weiteren Verhandlung zu erörtern gewesen wären (vgl. zum Erfordernis der Relevanzdarlegung bei Geltendmachung des Verfahrensmangels der mangelnden Anberaumung einer weiteren mündlichen Verhandlung ‑ auch im Anwendungsbereich von Art. 47 GRC bzw. von Art. 6 EMRK ‑ VwGH 28.11.2019, Ra 2019/19/0328, mwN).

15 Wenn die Revision „aktenwidrige Feststellungen“ hinsichtlich der Unbescholtenheit des Revisionswerbers rügt, lässt sie außer Acht, dass das BVwG eine solche Unbescholtenheit ‑ richtigerweise ‑ bloß in Bezug auf Österreich festgestellt hat.

16 Schließlich wird mit dem pauschalen und nicht näher begründeten Vorbringen, der Revisionswerber weise (nach einer verbüßten Strafe in einer Kabuler Jugendstrafanstalt) als „Rückkehrer aus dem Westen“ ein Risikoprofil nach den EASO‑Guidelines auf, nicht ansatzweise dargetan, dass es sich beim Revisionswerber um eine „als verwestlicht wahrgenommene Person“ im Sinn der aktuellen EASO‑Guidelines vom Dezember 2020 handeln könnte.

17 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 17. Juni 2021

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