VwGH Ra 2021/10/0165

VwGHRa 2021/10/016521.11.2023

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl sowie die Hofräte Dr. Lukasser und Dr. Hofbauer, die Hofrätin Dr. Leonhartsberger und den Hofrat Dr. Eisner als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Prendinger, über die Revision des Magistrats der Stadt Wien gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 16. Dezember 2020, Zlen. 1. VGW‑141/043/14000/2019‑19 und 2. VGW‑141/V/043/14001/2019, betreffend Kostenersatz für Leistungen der Mindestsicherung (mitbeteiligte Parteien: 1. R D in W, und 2. Ing. J Z in W), zu Recht erkannt:

Normen

MSG Wr 2010 §24 Abs2
MSG Wr 2010 §24 Abs4
VwRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2021100165.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit Bescheiden der belangten Behörde jeweils vom 30. August 2019 wurden die mitbeteiligten Parteien verpflichtet, binnen zwei Wochen ab Rechtskraft des Bescheides die für den Zeitraum von 1. Jänner 2009 bis 10. Februar 2019 aufgewendeten Kosten für Leistungen der Mindestsicherung in der Höhe von € 6.784,11 gemäß § 24 Wiener Mindestsicherungsgesetz (WMG) zu ersetzen. Begründend wurde ausgeführt, dass der verstorbenen Mutter der mitbeteiligten Parteien vom 1. Jänner 2009 bis 10. Februar 2019 Leistungen der Mindestsicherung zuerkannt worden seien, aus denen dem Land Wien als Träger der Bedarfsorientierten Mindestsicherung Kosten in der genannten Höhe entstanden seien. Der Kostenersatzanspruch von insgesamt € 13.568,23 sei im Verlassenschaftsverfahren als Forderung gegen den Nachlass bzw. die erbserklärten Erbinnen und Erben angemeldet worden und finde im Nachlass Deckung.

2 Gegen diesen Bescheid erhoben die mitbeteiligten Parteien Beschwerde.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht Wien (im Folgenden: Verwaltungsgericht) der Beschwerde statt und behob den angefochtenen Bescheid (ersatzlos). Weiters sprach das Verwaltungsgericht aus, dass eine ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

4 Begründend führte das Verwaltungsgericht ‑ soweit hier maßgeblich ‑ aus, dass der Kostenersatzanspruch nach § 24 Abs. 4 WMG nach dessen klarem Wortlaut nur dann zum Tragen komme, wenn auch ein Ersatzanspruch nach § 24 Abs. 2 WMG gegen die verstorbene Person, die Mindestsicherung bezogen habe, bestanden habe. Letzterer sei dann gegeben, wenn eine Person Leistungen der Mindestsicherung bezogen habe und nach deren Zuerkennung zu Vermögen oder Einkommen, das nicht aus eigener Erwerbstätigkeit stamme, gelange.

5 Die verstorbene Mutter der mitbeteiligten Parteien sei Hälfteeigentümerin einer näher bezeichneten Liegenschaft gewesen. Das Eigentum am Hälfteanteil habe jedoch bereits vor der erstmaligen Antragstellung der Mutter auf Leistungen der Mindestsicherung bestanden. Sie sei somit nicht erst nach Zuerkennung der Hilfeleistung zu Vermögen oder Einkommen gelangt und daher auch keine ersatzpflichtige Person nach § 24 Abs. 2 WMG. Daher scheide auch ein Kostenersatz durch die mitbeteiligten Parteien nach § 24 Abs. 4 WMG aus.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision.

7 In dem vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren erstatteten die mitbeteiligten Parteien jeweils eine Revisionsbeantwortung.

8 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

9 Die Revision ist im Hinblick auf die in der Zulässigkeitsbegründung geltend gemachte Frage der Auslegung des in § 24 Abs. 4 WMG enthaltenen Verweises auf die „in Abs. 2 genannten Personen“ zulässig.

10 § 24 Wiener Mindestsicherungsgesetz (WMG), LGBl. Nr. 38/2010 in der hier maßgeblichen Fassung des LGBl. Nr. 2/2018, lautet auszugsweise:

„Kostenersatz bei Vermögen oder Einkommen, das nicht aus eigener Erwerbstätigkeit stammt

§ 24. (1) Für Kosten, die dem Land Wien als Träger der Mindestsicherung durch die Zuerkennung von Leistungen zur Mindestsicherung entstehen, ist dem Land Wien als Träger der Mindestsicherung nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen Ersatz zu leisten. Ein Anspruch auf Mindestsicherung schließt dabei einen Kostenersatzanspruch des Trägers der Wiener Mindestsicherung nicht aus.

(2) Ersatzpflichtig sind alle Personen, die Leistungen der Mindestsicherung bezogen haben, soweit sie nach Zuerkennung der Leistung zu Vermögen oder Einkommen, das nicht aus eigener Erwerbstätigkeit stammt, gelangen, unabhängig davon, ob sie Hilfe empfangen oder das Vermögen noch vorhanden ist. Es sind jene Kosten zu ersetzen, die dem Träger der Mindestsicherung durch Hilfegewährungen in den letzten drei Jahren der Hilfeleistung entstanden sind. Stichtag für die Berechnung der Frist ist der letzte Tag des Monats, in dem Leistungen an die Ersatzpflichtige oder den Ersatzpflichtigen geflossen sind.

[...]

(4) Ersatzpflichtig sind darüber hinaus die erbserklärten Erbinnen und Erben nach dem Tod der in Abs. 2 genannten Personen. Die Ersatzforderung wird mit dem Tag des Todes fällig. Soweit eine Zahlung aus dem Nachlass nicht erlangt werden kann, erlischt die Forderung. Weitere Ersatzforderungen gegen Erbinnen und Erben nach Einantwortung sind nicht zulässig. Es sind jene Kosten zu ersetzen, die dem Träger der Wiener Mindestsicherung durch Hilfegewährungen in den letzten zehn Jahren der Hilfeleistung entstanden sind. Stichtag für die Berechnung der Frist ist der letzte Tag des Jahres, in dem Leistungen an die Ersatzpflichtigen geflossen sind.

[...]“

11 In der Revision wird zusammengefasst der Standpunkt vertreten, dass es sich bei dem Kostenersatzanspruch nach § 24 Abs. 4 WMG um einen originären Anspruch des Mindestsicherungsträgers gegenüber den erbserklärten Erbinnen und Erben handle und dieser ‑ entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtes ‑ nicht nur dann zum Tragen komme, wenn auch ein Ersatzanspruch gegen die verstorbene Person, die Mindestsicherung bezogen habe, bestanden habe.

12 Voranzustellen ist, dass die die Ersatzpflicht begründenden Umstände hinsichtlich der Personen, die Leistungen der Mindestsicherung bezogen haben, in § 24 Abs. 2 WMG, hinsichtlich der erbserklärten Erbinnen und Erben jedoch in § 24 Abs. 4 WMG normiert sind (vgl. VwGH 24.10.2018, Ra 2018/10/0137, dort im Zusammenhang mit der Verjährung der Kostenersatzansprüche).

13 Da § 24 Abs. 4 WMG auf die „in Abs. 2 genannten Personen“ verweist, ist zunächst dieser Absatz in den Blick zu nehmen.

14 Gemäß § 24 Abs. 2 WMG sind alle Personen ersatzpflichtig, die Leistungen der Mindestsicherung bezogen haben, soweit sie nach Zuerkennung der Leistung zu Vermögen oder Einkommen, das nicht aus eigener Erwerbstätigkeit stammt, gelangen, unabhängig davon, ob sie Hilfe empfangen oder das Vermögen noch vorhanden ist.

15 Demnach sind sowohl persönliche als auch sachliche Voraussetzungen für das Entstehen einer Kostenersatzpflicht maßgeblich. Ersatzpflichtig werden nach dieser Bestimmung nur die Personen, die selbst Leistungen der Mindestsicherung bezogen haben. Die Ersatzpflicht dieser Personen ist aber an die weitere sachliche Voraussetzung gebunden, dass sie nach Zuerkennung der Leistung zu Vermögen oder Einkommen, das nicht aus eigener Erwerbstätigkeit stammt, gelangen.

16 § 24 Abs. 4 WMG, wonach die Ersatzpflicht der erbserklärten Erbinnen und Erben nach dem Tod „der in Abs. 2 genannten Personen“ eintritt, knüpft nach seinem Wortlaut nur an die in Abs. 2 leg. cit. genannte Personengruppe an, ohne die in Abs. 2 weiters festgelegten sachlichen Voraussetzungen anzusprechen. Der Wortlaut legt daher die vom Verwaltungsgericht und von den mitbeteiligten Parteien vertretene Auffassung, die Ersatzpflicht der Erben nach § 24 Abs. 4 WMG hänge davon ab, ob der verstorbene Hilfeempfänger selbst nach § 24 Abs. 2 WMG ersatzpflichtig gewesen sei, nicht nahe.

17 Dazu kommt, dass die Absätze 2 und 4 des § 24 WMG unterschiedliche Deckungsfonds und Ersatzzeiträume festlegen. Während die Kostenersatzpflicht des Hilfeempfängers nach § 24 Abs. 2 WMG auf Vermögen oder nicht aus eigener Erwerbstätigkeit stammendes Einkommen abstellt und auf in den letzten drei Jahren der Hilfeleistung entstandene Kosten begrenzt ist, hat jene der erbserklärten Erbinnen und Erben den gesamten Nachlass vor Augen, soweit daraus Zahlungen erlangt werden können, und umfasst alle dem Träger der Mindestsicherung durch Hilfegewährungen in den letzten zehn Jahren der Hilfeleistung entstandenen Kosten. Diese unterschiedlichen Festlegungen lassen keine der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegte Akzessorietät dahingehend erkennen, dass der Kostenersatzanspruch gegen die erbserklärten Erbinnen und Erben nur zum Tragen komme, wenn auch ein Ersatzanspruch gegen den Verstorbenen, der Mindestsicherung bezogen habe, bestanden habe.

18 Für das Bestehen eines Ersatzanspruches gegen die erbserklärten Erbinnen und Erben nach § 24 Abs. 4 WMG kommt es daher nicht darauf an, ob gegen die in Abs. 2 leg. cit. genannten Personen, also jene, die Leistungen der Mindestsicherung bezogen haben, zu deren Lebzeiten ein Ersatzanspruch nach § 24 Abs. 2 WMG aufgrund eines erlangten verwertbaren Vermögens oder Einkommens, das nicht aus eigener Erwerbstätigkeit stammt, bestanden hat.

19 Da das Verwaltungsgericht demnach die Rechtslage verkannt hat, war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 21. November 2023

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