Normen
AlVG 1977 §10 Abs1 Z3
AlVG 1977 §9 Abs1
AlVG 1977 §9 Abs8
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2021080136.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Mit Bescheid vom 16. Juli 2019 sprach die revisionswerbende regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien Huttengasse (AMS) aus, die Mitbeteiligte habe gemäß § 10 iVm. § 38 AlVG den Anspruch auf Notstandshilfe für den Zeitraum 11. Juni 2019 bis 22. Juli 2019 verloren, wobei eine Nachsicht nicht erteilt werde. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das AMS mit Beschwerdevorentscheidung vom 12. August 2019 als unbegründet ab. Die Mitbeteiligte sei zu einer Maßnahme mit der Bezeichnung „Qualifizierung zum Job“ zugewiesen worden. Dabei sei sie über die Folgen einer Weigerung, an dieser Maßnahme teilzunehmen, belehrt, und es seien ihr die Gründe der Zuweisung sowie die Kursziele und Inhalte erläutert worden. Dennoch habe die Mitbeteiligte eine Teilnahme verweigert.
2 Die Mitbeteiligte stellte einen Vorlageantrag. Im Beschwerdeverfahren machte sie geltend, der Inhalt der Maßnahme sei, wie ihr von den Ausbildnern ausdrücklich mitgeteilt worden sei, tatsächlich lediglich die Durchführung eines Bewerbungstrainings gewesen. Sie verfüge über jahrelange Erfahrung mit Bewerbungsprozessen und habe selbst im Zuge ihrer früheren beruflichen Tätigkeit Jugendliche bei Bewerbungen unterstützt. Die bei diesem Kurs vermittelten Fähigkeiten und Kenntnisse seien bei ihr daher vorhanden. Auch das AMS habe ihr keine Defizite mitgeteilt, die durch die Maßnahme behoben werden könnten. Maßnahmen zur Wiedereingliederung seien jedoch nur dann zu absolvieren, wenn sie dazu geeignet seien, Fähigkeiten und Kenntnisse einer arbeitslosen Person zu verbessern und damit die Wahrscheinlichkeit der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt zu steigern.
3 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde der Mitbeteiligten ‑ ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung ‑ Folge und hob die Beschwerdevorentscheidung des AMS ersatzlos auf. Die Revision erklärte es für nicht zulässig.
4 Das Bundesverwaltungsgericht stellte fest, die Mitbeteiligte sei bis 31. März 2017 in einer Beschäftigung gestanden. Von 1. April 2017 bis 31. März 2018 habe sie Weiterbildungsgeld sowie darauf ab 1. April 2018 zunächst Arbeitslosengeld und ab 2. Jänner 2019 Notstandshilfe bezogen. Am 27. Mai 2019 sei die Mitbeteiligte anlässlich einer Betreuungsvereinbarung vom AMS darüber in Kenntnis gesetzt worden, dass eine Zuweisung zur Kursmaßnahme „Qualifizierung zum Job“ geplant sei und die Teilnahme an diesem für zehn bis maximal 20 Wochen geplanten Kurs verpflichtend sei.
5 In der Betreuungsvereinbarung sei in Stichworten zur Begründung der Maßnahme festgehalten worden: „Klarheit über die Eignung im gewünschten Beruf, Erarbeitung einer realistischen und nachhaltigen Zukunftsperspektive, Erhöhung der beruflichen Chancen, Information über Unterstützungsmöglichkeiten, Qualifizierung zwecks Verbesserung der beruflichen Kompetenzen, Empowerment und Steigerung der Selbstrepräsentationskompetenz, Gezielte Unterstützung von Frauen und MigrantInnen, Unterstützung bei der aktiven Arbeitssuche, Förderung der beruflichen Mobilität“. Im der Mitbeteiligten unter einem übergebenen Einladungsschreiben sei mitgeteilt worden, der Fokus des Kurses liege bei einer erfolgreichen Arbeitssuche. Eine individuell zugeschnittene Bewerbungsstrategie solle erarbeitet werden. Es erfolge ein „Coaching“. In „Fachworkshops“ werde das „Know‑How“ erweitert. Dazu werde ein „Praktikum“ absolviert.
6 Die Mitbeteiligte sei am 11. Juni 2019 zum ersten Kurstag erschienen, habe an der Maßnahme schließlich aber nicht teilgenommen. Ebenfalls am 27. Mai 2019 sei der Mitbeteiligten vom AMS ein Stellenangebot übermittelt worden. Die Mitbeteiligte habe sich für diese Stelle am 28. Mai 2019 beworben.
7 In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht aus, es liege nicht im freien Belieben des AMS, einer arbeitslosen Person entweder eine Arbeitsstelle zu vermitteln oder sie zu einer Nach- oder Umschulung zuzuweisen. Für eine solche Maßnahme sei vielmehr Voraussetzung, dass die Kenntnisse und Fähigkeiten der arbeitslosen Person für die Vermittlung einer zumutbaren Beschäftigung nach Lage des in Betracht kommenden Arbeitsmarktes nicht ausreichend seien. Dies gelte auch für Maßnahmen der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt. Im vorliegenden Fall sei der Mitbeteiligten am 27. Mai 2019 sowohl die Zuweisung zu einer Maßnahme der Wiedereingliederung als auch ein Stellenangebot ausgehändigt worden. Mit der Zuweisung zu einer Beschäftigung habe das AMS aber der Annahme, die Mitbeteiligte weise Defizite auf, die eine Maßnahme zur Wiedereingliederung notwendig machen würden, selbst widersprochen. Damit seien die Voraussetzungen der Verhängung einer Sanktion nach § 10 Abs. 3 Z 3 AlVG nicht erfüllt.
8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Revision. Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
9 Zur Zulässigkeit der Revision wird zusammengefasst vorgebracht, die Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes, in Hinblick auf die Zuweisung zu einer Beschäftigung sei die wirksame Zuweisung zu einer Wiedereingliederungsmaßnahme nicht möglich, finde keine Deckung im AlVG bzw. in der dazu ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs.
10 Die Revision ist zulässig und im Ergebnis berechtigt.
11 Nach § 9 Abs. 8 AlVG (in der Fassung BGBl. I Nr. 104/2007) hat das AMS bei Maßnahmen zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt der arbeitslosen Person die Gründe anzugeben, die eine Teilnahme an einer derartigen Maßnahme als zur Verbesserung der Wiederbeschäftigungschancen notwendig oder nützlich erscheinen lassen, so weit diese nicht auf Grund der vorliegenden Umstände wie insbesondere einer längeren Arbeitslosigkeit in Verbindung mit bestimmten bereits zB im Betreuungsplan (§ 38c AMSG) erörterten Problemlagen, die einer erfolgreichen Arbeitsaufnahme entgegen stehen, als bekannt angenommen werden können.
12 Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AlVG verliert eine arbeitslose Person, die ohne wichtigen Grund die Teilnahme an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt verweigert oder den Erfolg der Maßnahme vereitelt, für die Dauer der Weigerung, jedenfalls aber für die Dauer der auf die Weigerung folgenden sechs Wochen ‑ bzw. unter näher umschriebenen Voraussetzungen acht Wochen ‑ den Anspruch auf Arbeitslosengeld.
13 Diese Bestimmungen sind gemäß § 38 AlVG auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.
14 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung darauf hingewiesen, dass es nicht im freien Belieben des AMS steht, Arbeitslosen (Langzeitarbeitslosen) entweder eine Arbeitsstelle zu vermitteln oder sie zu einer Nach- oder Umschulung oder zu einer Wiedereingliederungsmaßnahme zuzuweisen. Für die Zuweisung zu einer solchen Maßnahme ist nämlich vielmehr Voraussetzung, dass die Kenntnisse des Arbeitslosen für die Vermittlung einer zumutbaren Beschäftigung nach Lage des in Betracht kommenden Arbeitsmarktes nicht ausreichend sind. Eine Wiedereingliederungsmaßnahme ist nur dann erforderlich und zumutbar im Sinne des § 9 AlVG, wenn sie allein oder gemeinsam mit anderen Maßnahmen im Hinblick auf eine tatsächliche Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt Erfolg versprechend erscheint (vgl. VwGH 9.5.2022, Ra 2020/08/0185; 19.7.2022, Ra 2021/08/0024; jeweils mwN). Die Zuweisung zu einer Maßnahme setzt somit voraus, dass eine Problemlage besteht, also etwa Kenntnisse und Fertigkeiten, die für eine Vermittlung in zumutbare Beschäftigungen notwendig (oder nützlich) sind, fehlen (vgl. VwGH 11.6.2014, 2013/08/0280, mwN).
15 Aus § 9 Abs. 8 AlVG ergibt sich zwar, dass ‑ bei Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen ‑ eine (ausführlichere) Begründung der Maßnahme vor Zuweisung entfallen und sohin die Begründung der Notwendigkeit oder auch Nützlichkeit der Maßnahme noch im Verwaltungsverfahren nachgeholt werden kann. Ein Ausschluss vom Bezug der Geldleistung setzt aber jedenfalls voraus, dass entsprechende Gründe für die Zuweisung zu einer Maßnahme vorliegen (vgl. nochmals VwGH Ra 2020/08/0185, mwN). Bei Verhängung einer Sanktion nach § 10 Abs. 1 Z 3 AlVG ist in der Entscheidung somit darzulegen, dass im Sinn dieser Rechtsprechung die Voraussetzungen für eine Zuweisung zu der Maßnahme gegeben waren (vgl. nochmals VwGH Ra 2021/08/0024).
16 Es trifft somit zu, dass im Sinn dieser Rechtsprechung die Zuweisung zu einer Wiedereingliederungsmaßnahme und zeitgleich zu einer Beschäftigung insofern in einem Spannungsverhältnis stehen, als die Zuweisung zu einer Wiedereingliederungsmaßnahme voraussetzt, dass diese zur Verbesserung der Wiederbeschäftigungschancen notwendig oder nützlich war. Das wäre im dargelegten Sinn zu verneinen, wenn es den bei der Wiedereingliederungsmaßnahme vermittelten Kenntnissen und Fähigkeiten nicht bedürfte, um die arbeitslose Person am Arbeitsmarkt zu einer zumutbaren Stelle zu vermitteln. Daraus, dass durch Übermittlung eines Stellenangebots eine Zuweisung zu einer Beschäftigung erfolgt ist, kann jedoch entgegen den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichtes für sich allein - jedenfalls dann, wenn (wie hier) die Zuweisung erfolglos geblieben ist - noch nicht geschlossen werden, dass die Wiedereingliederungsmaßnahme im dargestellten Sinn nicht erforderlich und zumutbar gewesen ist. Vielmehr hätte es einer materiellen Prüfung der genannten Voraussetzungen der Zuweisung bedurft.
17 Nach dem Gesagten hätte sich das Bundesverwaltungsgericht daher ‑ unter Berücksichtigung des Vorbringens der Parteien ‑ aufgrund konkreter Feststellungen damit auseinandersetzen müssen, ob das AMS der Mitbeteiligten nach den konkreten Umständen ‑ insbesondere der Ausbildung, der Qualifikation und des bisherigen beruflichen Werdeganges der Mitbeteiligten sowie der Dauer der Arbeitslosigkeit und allfälliger bereits erörterter Problemlagen ‑ die Gründe für die Notwendigkeit oder Nützlichkeit der Zuweisung zur Maßnahme ausreichend deutlich bekannt gegeben hat bzw. ob diese im Sinn des § 9 Abs. 8 AlVG als bekannt angenommen werden konnten. Hätte sich in diesem Sinn ergeben, dass eine wirksame Zuweisung zur Maßnahme zu bejahen ist, wäre zu prüfen gewesen, ob ‑ wiederum unter Berücksichtigung des Werdegangs der Mitbeteiligten bzw. ihrer bereits vorhandenen Kenntnisse und Fähigkeiten ‑ die Gründe für die Zuweisung zu der Maßnahme tatsächlich vorlagen, die bei der Maßnahme vermittelten Kenntnisse und Fähigkeiten für eine Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt somit tatsächlich Erfolg versprechend erscheinen konnten (vgl. idS nochmals VwGH Ra 2021/08/0024, mwN).
18 Da das Bundesverwaltungsgericht mit seiner Ansicht, bereits aus der Übermittlung eines Stellenangebots ergebe sich, dass die Zuweisung zu der Wiedereingliederungsmaßnahme nicht zulässig gewesen sei, die Rechtslage verkannt hat, war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 2. Jänner 2023
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