VwGH Ra 2021/03/0139

VwGHRa 2021/03/013928.2.2022

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger sowie die Hofräte Mag. Samm und Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision des S H in N, vertreten durch Dr. Christian Ortner, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Wilhelm‑Greil‑Straße 14, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 21. April 2021, Zl. LVwG‑2021/12/1029‑4, betreffend eine Angelegenheit nach dem Epidemiegesetz 1950 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Innsbruck), den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §57 Abs1
AVG §57 Abs2
B-VG Art130 Abs1 Z2
EpidemieG 1950 §7 Abs1
EpidemieG 1950 §7 Abs1a

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021030139.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Revisionswerber hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von € 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Mandatsbescheid der belangten Behörde vom 16. April 2021 wurde die Absonderung des minderjährigen Revisionswerbers als SARS‑CoV‑2‑Kontaktperson der Kategorie I bis zum Ablauf des 28. April 2021 gemäß §§ 6 Abs. 1, 7 Abs. 1 und 1a Epidemiegesetz 1950 (EpiG) in Verbindung mit §§ 1, 2, 4 und 5 der Verordnung des Ministers des Innern im Einvernehmen mit dem Minister für Kultus und Unterricht vom 22. Februar 1915, betreffend die Absonderung Kranker, Krankheitsverdächtiger und Ansteckungsverdächtiger und die Bezeichnung von Häusern und Wohnungen, angeordnet.

2 Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Maßnahmenbeschwerde an das Verwaltungsgericht und brachte dazu vor, dass seit der Aufhebung des § 7 Abs. 1a zweiter Satz EpiG als verfassungswidrig (Hinweis auf VfGH 10.3.2021, G 380/2020) keine ausdrückliche Möglichkeit mehr offen stehe, gegen den mit dem Absonderungsbescheid erfolgten Freiheitsentzug in einer dem Art. 5 Abs. 4 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) entsprechenden Weise direkt ein Gericht anzurufen, das ehetunlich über die Rechtmäßigkeit der Haft zu entscheiden habe. Bei dem Absonderungsbescheid handle es sich um einen Mandatsbescheid; der dagegen bestehende Rechtsbehelf der Vorstellung erfülle aber nicht die Voraussetzungen des im Verfassungsrang stehenden Art. 5 Abs. 4 EMRK. Nachdem der Absonderungsbescheid somit unmittelbar wirksam sei, liege unmittelbare Befehls- und Zwangsgewalt im Sinne des Art. 130 Abs. 1 Z 2 B‑VG vor, wogegen die Erhebung einer Maßnahmenbeschwerde zulässig sei.

3 Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Verwaltungsgericht die Maßnahmenbeschwerde als unzulässig zurück (Spruchpunkt 1.), sprach aus, dass Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht zugesprochen werden (Spruchpunkt 2.) und die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt 3.).

4 Das Verwaltungsgericht führte im Wesentlichen aus, dass es sich bei dem Absonderungsbescheid um einen Mandatsbescheid gemäß § 57 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG) handle. Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 10. März 2021, G 380/2020, sei § 7 Abs. 1a zweiter Satz EpiG als verfassungswidrig aufgehoben worden. Diese Entscheidung sei am 8. April 2021 im Bundesgesetzblatt I Nr. 64/2021 veröffentlicht worden, weshalb für die gegenständliche Absonderung die bereinigte Rechtslage zur Anwendung gelange. Wie in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Bescheides zutreffend angegeben, bestehe nunmehr gegen den schriftlichen Absonderungsbescheid das Rechtsmittel der Vorstellung gemäß § 57 Abs. 2 AVG. Eine Rechtswidrigkeit des schriftlichen Absonderungsbescheides sei somit im Wege der Vorstellung und in weiterer Folge durch Erhebung einer Bescheidbeschwerde an das Verwaltungsgericht geltend zu machen. Auch aus den vom Revisionswerber angestellten verfassungsrechtlichen Überlegungen lasse sich die Zulässigkeit einer Maßnahmenbeschwerde gegen den schriftlichen Absonderungsbescheid nicht argumentieren. Die eingebrachte Maßnahmenbeschwerde sei daher ‑ da sie auch nicht in eine Vorstellung umgedeutet werden könne ‑ zurückzuweisen.

5 Gegen diesen Beschluss hat der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erhoben. Dieser hat die Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom 7. Juni 2021, E 1611/2021‑5, abgelehnt und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

6 In der Folge wurde die vorliegende außerordentliche Revision eingebracht, die zu ihrer Zulässigkeit im Wesentlichen vorbringt, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der Frage, welches Rechtsmittel nach Aufhebung des § 7 Abs. 1a zweiter Satz EpiG gegen einen freiheitsentziehenden Mandatsbescheid unter Beachtung der Vorgaben des Art 5 Abs. 4 EMRK offen stehe.

7 Nach Einleitung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof hat die belangte Behörde eine Revisionsbeantwortung eingebracht.

8 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B‑VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B‑VG).

9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Nach § 34 Abs. 3 VwGG ist ein solcher Beschluss in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.

10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

11 Die Frage, ob die Voraussetzung des Art. 133 Abs. 4 B‑VG, also eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vorliegt, ist im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes zu beurteilen. Wurde die zu lösende Rechtsfrage daher in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ‑ auch nach Einbringung der Revision ‑ bereits geklärt, liegt keine Rechtsfrage (mehr) vor, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme (VwGH 9.8.2021, Ro 2021/03/0007, mwN).

12 Die von der Revisionswerberin zur Begründung der Zulässigkeit der Revision aufgeworfene Rechtsfrage ist in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes mittlerweile geklärt:

13 Der Verwaltungsgerichtshof hat zu der auch hier anzuwendenden, übergangsweisen Rechtslage (nach der Aufhebung des § 7 Abs. 1a zweiter Satz EpiG, kundgemacht mit BGBl. I Nr. 64/2021, und vor der Neuregelung des Rechtsschutzes bei Absonderungen durch die EpiG‑Novelle BGBl. I Nr. 183/2021) ausgesprochen, dass gegen den Absonderungsbescheid, der als Mandatsbescheid erlassen wurde, eine Maßnahmenbeschwerde nicht zulässig ist, weil zum einen bei einer mit Bescheid angeordneten Absonderung kein Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt vorliegt und zum anderen zuerst das Rechtsmittel der Vorstellung zu erheben ist. Erst gegen den Vorstellungsbescheid ist die Erhebung einer Bescheidbeschwerde an das Verwaltungsgericht möglich. Die vom Revisionswerber angestrebte „verfassungskonforme Interpretation“ des § 57 AVG, wonach eine mit Mandatsbescheid verfügte Absonderung als Maßnahme unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt anzusehen wäre, würde den klaren Wortlaut und damit die Grenzen der Auslegung überschreiten (vgl. im Einzelnen VwGH 16.11.2021, Ro 2021/03/0005).

14 Die angefochtene Entscheidung steht mit dieser mittlerweile ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in Einklang.

15 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

16 Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff, insbesondere § 51 VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 28. Februar 2022

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