Normen
AVG §56
SMG 1997 §2 Abs1
StVO 1960 §5 Abs1
StVO 1960 §5 Abs1 idF 1994/518
StVO 1960 §5 Abs10
StVO 1960 §5 Abs5
StVO 1960 §5 Abs6
StVO 1960 §5 Abs9
StVO 1960 §58 Abs1
StVO 1960 §99 Abs1b
StVONov 19te
SuchtgiftV 1997
SuchtgiftV 1997 AnhI
VStG §24
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §38
VwRallg
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021020247.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Mit Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Oberösterreich vom 9. Juni 2021 wurde der Mitbeteiligte schuldig erkannt, an einem näher bestimmten Tatort und zu einer näher bestimmten Tatzeit ein dem Kennzeichen nach bestimmtes Fahrzeug in einem durch Suchtgift beeinträchtigten Zustand gelenkt zu haben. Er habe dadurch § 99 Abs. 1b iVm § 5 Abs. 1 StVO verletzt, weshalb über ihn gemäß § 99 Abs. 1b StVO eine Geldstrafe (Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt wurde.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht der dagegen erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten statt, hob das bekämpfte Straferkenntnis auf und stellte das Strafverfahren gegen den Mitbeteiligten ein. Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, anlässlich einer Lenker‑ und Fahrzeugkontrolle seien von den amtshandelnden Beamten beim Mitbeteiligten Merkmale festgestellt worden, die auf eine mögliche Suchtgiftbeeinträchtigung hingewiesen hätten, nämlich fehlende oder träge Pupillenreaktion. Ein Urintest habe ein positives Ergebnis auf „OPI, MOP und THC“ ergeben. Der Mitbeteiligte habe angegeben, Methadon und Marihuana konsumiert zu haben. Der Amtsarzt, dem er in der Folge vorgeführt worden sei, habe in seinem Gutachten den Mitbeteiligten aufgrund einer Beeinträchtigung durch Suchtgift für nicht fahrfähig befunden. Diesem gegenüber habe der Mitbeteiligte angegeben, dass er sich in einer Drogenersatztherapie in Form der Einnahme von 60mg Methadon befinde. Eine Fahrunfähigkeit aufgrund einer Beeinträchtigung durch Medikamente oder andere Faktoren wie Übermüdung sei vom Polizeiarzt nicht festgestellt worden.
3 Dem Mitbeteiligten sei vom Amtsarzt auch Blut abgenommen worden. Das Gutachten des Forensisch‑toxikologischen Labors habe positive Befunde für THC‑COOH (10,1 ng/ml), Methadon (146 ng/ml), EDDP (14,1 ng/ml), Trazodon (309 ng/ml) und Olanzipin (8,4 ng/ml) ergeben. Laut Gutachten liege bezüglich der letzten beiden Wirkstoffe die Konzentration jeweils im untertherapeutischen Wert, eine relevante THC‑Wirkung bzw eine akute THC‑bedingte Beeinträchtigung lasse sich aus toxikologischer Sicht nicht belegen. Die Methadon‑Konzentration liege in einem für die Substitutionstherapie typischen Bereich. EDDP sei ein Stoffwechselprodukt von Methadon.
4 Ferner habe das Gutachten Folgendes ausgeführt:
„Der laut Dokumentation der klinischen Untersuchung positive Opiat‑Vorbefund des Urins wird durch das Vorhandensein von Morphin im Urin erklärbar. Morphin ist im Anhang I.1.b. der Suchtgiftverordnung angeführt. Da im Blut kein Morphin nachweisbar war, kann zum Zeitpunkt der Blutabnahme keine Morphin‑Wirkung vorgelegen sein. Das Vorliegen einer sehr geringen Morphin‑Konzentration im Urin wäre mit einer länger zurückliegenden Aufnahme von Morphin selbst (als Medikament bzw. in Form von Opium) oder von Heroin zu erklären, nicht ausschließbar auch mit einem bloßen Konsum Mohn‑haltiger Lebensmittel. Eine nähere Differenzierung dieser verschiedenen Szenarien ist auf Basis der gegenständlichen Routineuntersuchung nicht möglich.
Die im Blut gelegene Methadon‑Konzentration wäre aus toxikologischer Sicht mit einer Substitutionsbehandlung vereinbar und bei entsprechender Gewöhnung auch ohne wesentliche Ausfallserscheinungen tolerabel. Ohne entsprechende Gewöhnung bzw. bei nicht ausreichend stabil eingestellter Medikation sowie bei allfälliger nicht regelrechter Aufnahme kann jedoch auch eine Methadon‑bedingte Straßenverkehrs‑relevante Beeinträchtigung vorgelegen sein. Für die Gesamtbeurteilung muss daher unter anderem die vorgelegene Opioid‑Toleranz besonders berücksichtigt werden. Darüber hinaus ist zu beachten, dass sich zentral wirksame Substanzen in ihren Wirkungen gegenseitig beeinflussen können.
Potentiell beeinträchtigungsrelevante Substanzen können die psychophysische Leistungsfähigkeit der Einzelnen in sehr unterschiedlichen Maße beeinflussen. Ebenso können sich auch nicht Substanzkonsum‑bezogenen Faktoren auf ein situativ vorgelegenes Zustandsbild relevant auswirken. Es wird daher davon ausgegangen, dass die abschließende Beurteilung behördenseitig unter Berücksichtigung aller Fall‑relevanten Anknüpfungstatsachen vorgenommen wird. Sollte aufgrund der Anknüpfungstatsachendes Falls ein Bedarf an weiterführenden Untersuchungen bzw. Beurteilungen bestehen, ersuchen wir um Mitteilung.“
5 Der Mitbeteiligte habe nach Aufforderung des Verwaltungsgerichts Nachweise über die Substitutionsbehandlung (ab April 2021 bis Juni 2021) vorgelegt. Im fraglichen Zeitpunkt habe er sich einer Substitutionsbehandlung mit Methadon 60 mg unterzogen.
6 Rechtlich folgerte das Verwaltungsgericht, dass aufgrund des Ergebnisses der Blutanalyse feststehe, dass die nachgewiesenen THC‑ und Morphin‑Werte nicht mehr im beeinträchtigungsrelevanten Bereich gelegen seien und daher keine Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit, die auf Suchtgift zurückzuführen sei, im fraglichen Zeitpunkt habe festgestellt werden können. Damit habe der Mitbeteiligte die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertretung nicht begangen. Bei dem dem Mitbeteiligten im Rahmen der Drogenersatztherapie verordneten Methadon handle es sich um ein Medikament. Aufgrund der Einnahme von Methadon und den Ausführungen im Gutachten des Labors könnte unter der Voraussetzung der mangelnden Gewöhnung bzw. nicht ausreichend eingestellter Medikation sowie einer allfälligen nicht regelrechten Aufnahme eine durch Methadon bedingte straßenverkehrsrelevante Beeinträchtigung vorgelegen haben; dies würde aber einen Anwendungsfall des § 58 Abs. 1 StVO darstellen.
7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision der Landespolizeidirektion Oberösterreich (belangte Behörde).
8 Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung.
9 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
10 Die Revisionswerberin bringt zur Zulässigkeit vor, die Beeinträchtigung des Mitbeteiligten durch Suchtgift sei durch die Blutuntersuchung in Zusammenschau mit der klinischen Untersuchung festgestellt worden. Der Mitbeteiligte habe unstrittig Methadon konsumiert. Das Verwaltungsgericht habe aber Methadon nicht als Suchtgift, sondern als Medikament qualifiziert, weil es ihm verordnet worden sei, und habe davon ausgehend dessen Auswirkungen als einen Anwendungsfall des § 58 Abs. 1 StVO gewertet. Im Anlassfall scheide aber die Anwendung von § 58 Abs. 1 StVO aus: Methadon sei im Anhang I.1.b der Suchtgiftverordnung angeführt und somit eindeutig gemäß der Begriffsbestimmung in § 2 Abs. 1 SMG als Suchtgift zu qualifizieren. Es sei daher § 5 Abs. 1 StVO heranzuziehen. Zur Frage, ob im Rahmen einer Drogenersatztherapie verschriebenes Methadon aus der Suchtgiftdefinition herausfalle, fehle einschlägige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.
11 Die Revision erweist sich als zulässig, sie ist auch berechtigt.
12 Die für den Fall maßgeblichen Bestimmungen lauten:
13 Das Bundesgesetz über Suchtgifte, psychotrope Stoffe und Drogenausgangsstoffe (Suchtmittelgesetz ‑ SMG), BGBl. I Nr. 112/1997, idF BGBl. I Nr. 143/2008 und BGBl. I Nr. 144/2015, bestimmt:
„Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
§ 1. (1) Diesem Bundesgesetz unterliegen Suchtgifte, psychotrope Stoffe und Drogenausgangsstoffe.
(2) Suchtmittel im Sinne dieses Bundesgesetzes sind Suchtgifte und psychotrope Stoffe.
§ 2. (1) Suchtgifte im Sinne dieses Bundesgesetzes sind Stoffe und Zubereitungen, die durch die Einzige Suchtgiftkonvention vom 30. März 1961 zu New York, BGBl. Nr. 531/1978, in der Fassung des Protokolls vom 25. März 1972 zu Genf, BGBl. Nr. 531/1978, Beschränkungen hinsichtlich der Erzeugung (Gewinnung und Herstellung), des Besitzes, Verkehrs, der Ein‑, Aus‑ und Durchfuhr, der Gebarung oder Anwendung unterworfen und mit Verordnung des Bundesministers oder der Bundesministerin für Gesundheit als Suchtgifte bezeichnet sind.“
14 Die maßgeblichen Bestimmungen der Verordnung der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales über den Verkehr und die Gebarung mit Suchtgiften (Suchtgiftverordnung ‑ SV), BGBl. II Nr. 374/1997 idF BGBl. II. Nr. 9/2021, besagen:
„Auf Grund der §§ 2, 6 und 10 Suchtmittelgesetz (SMG), BGBl. I Nr. 112/1997, wird verordnet:
Begriffsbestimmungen
§ 1. (1) Suchtgifte im Sinne des § 2 Abs. 1 Suchtmittelgesetz sind die im Anhang I unter I.1. sowie die in den Anhängen II und III dieser Verordnung erfaßten Stoffe und Zubereitungen.
(2) Die in den Anhängen IV und V dieser Verordnung unter IV.1. und V.1. erfaßten Stoffe und Zubereitungen sind im Sinne des § 2 Abs. 2 Suchtmittelgesetz den Suchtgiften gemäß Abs. 1 gleichgestellt.
(3) Die in den Anhängen I, IV und V dieser Verordnung unter I.2., IV.2. und V.2. erfaßten Stoffe und Zubereitungen sind im Sinne des § 2 Abs. 3 Suchtmittelgesetz den Suchtgiften gemäß Abs. 1 gleichgestellt.
(4) Als Suchtgifte unterliegen dem Suchtmittelgesetz und dieser Verordnung sämtliche in den Anhängen I bis V angeführten Stoffe und Zubereitungen.“
15 Anhang I der Suchtgiftverordnung bestimmt:
„I.1. Stoffe und Zubereitungen gemäß § 2 Abs. 1 Suchtmittelgesetz:
I.1.a. Folgende Drogen und daraus hergestellte Extrakte, Tinkturen und andere Zubereitungen: [...]
I.1.b. Folgende Stoffe: [...]
Methadon [...]“
16 Gemäß § 99 Abs. 1 b StVO begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von € 800 bis € 3700, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe von einer bis sechs Wochen, zu bestrafen, wer in einem durch Alkohol oder Suchtgift beeinträchtigten Zustand ein Fahrzeug lenkt oder in Betrieb nimmt.
17 § 5 Abs. 1 StVO in der zum Tatzeitpunkt maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 6/2017 lautet:
„Wer sich in einem durch Alkohol oder Suchtgift beeinträchtigten Zustand befindet, darf ein Fahrzeug weder lenken noch in Betrieb nehmen. Bei einem Alkoholgehalt des Blutes von 0,8 g/l (0,8 Promille) oder darüber oder bei einem Alkoholgehalt der Atemluft von 0,4 mg/l oder darüber gilt der Zustand einer Person jedenfalls als von Alkohol beeinträchtigt.“
18 Mit der 19. StVO‑Novelle (BGBl. 518/1994) wurde erstmals die Beeinträchtigung durch Suchtgift in § 5 Abs. 1 StVO ergänzt. Die Erläuterungen hielten dazu fest (1580 Blg NR XVIII. GP, 20):
„Mit der Neufassung soll klargestellt werden, daß eine Person auch bei Nichterreichen des gesetzlichen Grenzwertes vom Alkohol beeinträchtigt sein kann, wenn die entsprechenden Alkoholisierungssymptome vorliegen (sog. ‚Minderalkoholisierung‘).
Des weiteren soll klargestellt werden, daß auch bei einer Beeinträchtigung durch Suchtgift die Inbetriebnahme oder das Lenken eines Fahrzeuges verboten ist.“
19 In der Folge wurde vom Gesetzgeber weder ein Grenzwert, bei dem jedenfalls eine zur Fahruntauglichkeit führende Beeinträchtigung durch Suchtgift anzunehmen sei (wie dies bei der Frage der Beeinträchtigung durch Alkohol der Fall ist), festgesetzt, noch eine Ausnahme für bestimmte Suchtgifte vorgenommen, bei denen keine Beeinträchtigung iSd § 5 Abs. 1 StVO anzunehmen sei (vgl. dazu ausführlich VwGH 24.10.2016, Ra 2016/02/0133).
20 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann durch die klinische Untersuchung zwar die Beeinträchtigung, die auf eine Suchtgifteinnahme schließen lässt, festgestellt werden. Nach einer solchen Feststellung ist jedoch zwingend eine Blutabnahme vorzunehmen. Erst die Blutabnahme bringt demnach Gewissheit, ob der durch die klinische Untersuchung gewonnene Verdacht, die Beeinträchtigung sei auf eine Suchtgifteinnahme zurückzuführen, zutrifft (vgl. VwGH 24.7.2019, Ra 2019/02/0105).
21 Die Bedeutung der klinischen Untersuchung liegt jedenfalls in der Feststellung, ob der Lenker fahrtüchtig ist, was im Revisionsfall verneint wurde.
22 Ob die Beeinträchtigung des Lenkers auf Alkohol oder Suchtgift zurückzuführen ist (spezifische Fahruntüchtigkeit gemäß § 5 Abs. 1 StVO) oder eine sonstige Fahruntüchtigkeit gemäß § 58 Abs. 1 StVO vorliegt (etwa wegen starker Übermüdung), ist ‑ abgesehen von den Fällen der Verweigerung ‑ anhand der Blutuntersuchung festzustellen (vgl. VwGH 11.11.2019, Ra 2019/02/0167).
23 Methadon wird im Anhang I der Suchtgiftverordnung als einer der Stoffe (I.1.b.) gemäß § 2 Abs. 1 SMG aufgezählt. Diese Substanz fällt demnach unstrittig unter die Suchtgiftverordnung und ist damit ein Suchtgift iSd § 2 Abs. 1 SMG. Nicht von Relevanz für die Frage der Beeinträchtigung durch Suchtgift iSd § 5 Abs. 1 StVO zum Zeitpunkt des Lenkens ist dabei die Frage, ob das Suchtgift etwa durch ärztliche Verschreibung oder ohne eine solche konsumiert wurde. Ausschlaggebend für den Anwendungsbereich des § 5 Abs. 1 StVO ist vielmehr, ob die Fahrtüchtigkeit des Lenkers durch die Substanz beeinträchtigt war.
24 Da das Verwaltungsgericht dies verkannt hat, hat es sein Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet.
25 Im fortgesetzten Verfahren wird das Verwaltungsgericht sich mit der Frage auseinanderzusetzen haben, ob die Fahrtüchtigkeit des Mitbeteiligten zum Zeitpunkt des Lenkens durch die Methadon‑Konzentration in seinem Blut beeinträchtigt war. Das vorliegende toxikologische Gutachten enthält dazu keine abschließende Bewertung, sondern zieht sich auf pauschale Aussagen zu Möglichkeiten zurück, ohne eine konkrete fallbezogene Einschätzung vorzunehmen. Davon ausgehend wird eine ergänzende Begutachtung, die auf die konkreten Umstände des Falles betreffend relevante Fragen, die das Gutachten offen gelassen hat (zu bestehenden Toleranzen, Gewöhnungssituation, Stabilität der Medikationseinstellung etc.), eingeht, einzuholen sein, um abschließend beurteilen zu können, ob eine straßenverkehrsrelevante Beeinträchtigung durch Suchtgift zum Zeitpunkt des Lenkens gegeben war.
26 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen prävalierender Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am 4. Juli 2022
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