Normen
BFA-VG 2014 §9
BFA-VG 2014 §9 Abs4 Z1 idF 2015/I/070
B-VG Art133 Abs4
FrPolG 2005 §53 Abs1
FrPolG 2005 §53 Abs3 Z1
MRK Art8
SMG 1997 §27 Abs1 Z1
SMG 1997 §27 Abs2
SMG 1997 §28 Abs1
SMG 1997 §28 Abs2 Z3
SMG 1997 §28 Abs4 Z3
SMG 1997 §28a Abs1
SMG 1997 §28a Abs2 Z3
StbG 1985 §10 Abs1
VwGG §34 Abs1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020210176.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der 1984 geborene Revisionswerber, ein türkischer Staatsangehöriger, reiste im Juni 2002 rechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein. In der Folge wurden ihm Aufenthaltstitel, zuletzt der unbefristete Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt ‑ EU“, erteilt.
2 Der 2005 geschlossenen Ehe mit einer türkischen Staatsangehörigen entstammen fünf Kinder, die im Zeitraum von 2003 bis 2015 ‑ mit Ausnahme des ersten Kindes, das in der Türkei zur Welt kam ‑ alle in Österreich geboren wurden. Die Ehefrau des Revisionswerbers und zwei Kinder verfügen über einen Aufenthaltstitel „Rot‑Weiß‑Rot ‑ Karte plus“, die drei ältesten Kinder über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt ‑ EU“.
3 Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt vom 31. Oktober 2017 wurde der Revisionswerber wegen des teils als Beteiligter begangenen Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 zweiter, dritter und fünfter Fall sowie Abs. 2 Z 3 SMG, § 12 zweiter Fall StGB, des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall und Abs. 2 SMG, des Vergehens des Besitzes falscher oder verfälschter besonders geschützter Urkunden nach § 224a StGB, des Vergehens des Betruges nach § 146 StGB und des Vergehens der versuchten Nötigung nach §§ 15, 105 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwanzig Monaten verurteilt, wovon fünfzehn Monate bedingt nachgesehen wurden. Der unbedingte Teil der Strafe war bereits durch Anrechnung der im Jahr 2016 vollzogenen Untersuchungshaft verbüßt worden. Dem Schuldspruch lag zugrunde, der Revisionswerber habe im Zeitraum von April 2015 bis April 2016 das Suchtgift „Pico“ zum persönlichen Gebrauch erworben und besessen, in einer das Fünfzehnfache der Grenzmenge übersteigenden Menge in der Slowakei erworben, nach Österreich eingeführt und - ebenso wie geringe Mengen Kokain - anderen überlassen, sowie seinen slowakischen Lieferanten dazu bestimmt, „Pico“ aus der Slowakei nach Österreich einzuführen. Im April 2016 habe der Revisionswerber einen gefälschten Dienstausweis der österreichischen Polizei mit dem Vorsatz, ihn zum Beweis der Stellung als österreichischer Polizeibeamter zu gebrauchen, besessen und im April 2015 durch Vortäuschung der Zahlungswilligkeit ein Telekommunikationsunternehmen zum Abschluss eines Handyvertrages verleitet, wodurch ein Schaden von etwa 1.800 € entstand. Im August 2015 habe der Revisionswerber eine andere Person durch eine gefährliche Drohung zumindest mit einer Körperverletzung zu nötigen versucht, eine Anzeige gegen ihn wegen Suchtgiftverkaufs bei der Polizei zu unterlassen.
4 In der Folge wurde der Revisionswerber neuerlich einschlägig straffällig und deshalb mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt vom 19. April 2018 wegen des teils als Beteiligter begangenen Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 zweiter, dritter und fünfter Fall sowie Abs. 2 Z 3 und Abs. 4 Z 3 SMG, § 12 zweiter Fall StGB sowie des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall sowie Abs. 2 SMG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von vierzig Monaten verurteilt. Unter einem wurde der mit Urteil vom 31. Oktober 2017 bedingt nachgesehene Strafteil widerrufen. Dieser Verurteilung lag zugrunde, der Revisionswerber habe von Februar 2017 bis Dezember 2017, somit auch während des anhängigen ersten Strafverfahrens, das Suchtgift „Pico“ zum persönlichen Gebrauch erworben und besessen sowie in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge übersteigenden Menge aus der Slowakei aus- und nach Österreich eingeführt, um es gewinnbringend zu verkaufen, oder Lieferanten dazu bestimmt, es nach Österreich einzuführen.
5 Mit dem im zweiten Rechtsgang erlassenen Bescheid vom 19. November 2019 erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen den Revisionswerber gemäß § 52 Abs. 5 FPG iVm § 9 BFA‑VG eine Rückkehrentscheidung und gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von sieben Jahren befristetes Einreiseverbot. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG stellte das BFA unter einem fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers in die Türkei zulässig sei, und gewährte ihm gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise von vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.
6 Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 6. April 2020 als unbegründet ab und sprach aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B‑VG als unzulässig erweist.
8 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
9 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
10 Das BVwG stützte sich in seiner Entscheidung tragend auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach bei derart schweren Verbrechen nach dem SMG weder ein langjähriger Aufenthalt in Österreich noch eine sonst vollkommene soziale Integration im Inland einem Einreiseverbot entgegensteht (Hinweis auf VwGH 3.7.2018, Ra 2018/21/0050 [Rn. 10]). In seiner Zulassungsbegründung geht die Revision davon aus, diese Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes stehe im Widerspruch zur Judikatur des EGMR, insbesondere zur Entscheidung EGMR 6.2.2003, Jakupovic/Österreich, 36.757/97, die vom Verwaltungsgerichtshof nicht ausreichend berücksichtigt worden sei. Dazu genügt der Hinweis, dass diesem Urteil des EGMR ein Sachverhalt zugrunde lag, in dem der Beschwerdeführer im jugendlichen Alter wegen Einbruchsdiebstählen zu bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafen verurteilt worden war, wogegen der Revisionswerber des vorliegenden Falles gravierende Suchtgiftdelikte im Erwachsenenalter beging (vgl. im Übrigen unter Bezugnahme auf die vom BVwG zitierte Judikatur VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0207, Rn. 13; siehe auch jüngst VwGH 15.2.2021, Ra 2021/17/0006, Rn. 17, jeweils mwN).
11 Soweit der Revisionswerber wiederholt auf die lange Aufenthaltsdauer und damit der Sache nach auch auf den ehemaligen Aufenthaltsverfestigungstatbestand des § 9 Abs. 4 Z 1 BFA‑VG Bezug nimmt, ist daraus für den vorliegenden Fall ebenfalls nichts zu gewinnen: Angesichts der Begehung des Verbrechens des Suchtgifthandels in Form des grenzüberschreitenden Schmuggels und des Handeltreibens, das zuletzt mit mehr als dreijähriger unbedingter Freiheitsstrafe samt Widerruf der davor gewährten bedingten Strafnachsicht sanktioniert wurde, wegen der Tatbegehung noch während des ersten anhängigen Strafverfahrens und eines einschlägigen Rückfalls während der Probezeit bedarf es keiner näheren Erörterung, dass gegenständlich ein Fall besonders gravierender bzw. schwerer Straffälligkeit vorliegt. Es ist daher insgesamt von der Begehung besonders verwerflicher Straftaten und einer daraus abzuleitenden spezifischen Gefährdung maßgeblicher öffentlicher Interessen auszugehen, weshalb auch eine Berücksichtigung des Umstands, dass dem Revisionswerber iSd § 9 Abs. 4 Z 1 BFA-VG idF vor dem FrÄG 2018 vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 StbG verliehen hätte werden können, im Rahmen der Interessenabwägung nach § 9 BFA‑VG nicht zur Unzulässigkeit eines Einreiseverbotes führt (vgl. VwGH 22.2.2022, Ra 2021/21/0302, Rn. 13, u.a. mit dem Hinweis auf VwGH 14.2.2022, Ra 2020/21/0200; zur Zulässigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen bei schweren Drogendelikten trotz langjährigen Aufenthalts siehe etwa auch EGMR 2.6.2015, K.M./Schweiz, 6009/10, und EGMR 21.7.2020, Veljkovic‑Jukic/Schweiz, 59534/14).
12 Soweit im Übrigen in der Revision sonst noch die Gefährdungsprognose angesprochen wird, ist zu bemerken, dass das BVwG zu Recht die enorme Menge an Suchtgift und den langen Tatzeitraum von insgesamt zwei Jahren berücksichtigte sowie aufgrund des Suchtgiftverkaufes an zahlreiche Abnehmer von einem professionell strukturierten Suchtgifthandel ausging, woraus es auch auf eine vom Revisionswerber ausgehende gesteigerte Gefährlichkeit schließen durfte. Die Gefahr der neuerlichen Aufnahme des Suchtgifthandels begründete das BVwG überdies mit dem Drogenkonsum des Revisionswerbers und mit seiner angespannten finanziellen Situation infolge seiner Verschuldung in Höhe von 500.000 €, weshalb die Gefährdungsprognose des BVwG insgesamt jedenfalls als vertretbar anzusehen ist.
13 Der Hinweis des Revisionswerbers in der Zulassungsbegründung auf seinen Strafvollzug in gelockerter Form als „Freigänger“ ist nicht zielführend, weil sich aus dem Status eines Strafhäftlings als „Freigänger“ keine maßgebliche Minderung der sich aus dem strafbaren Verhalten ergebenden Gefährdung ableiten lässt. Es ist nämlich ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass der Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen ist, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug einer Haftstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat (vgl. etwa VwGH 4.3.2020, Ra 2020/21/0035, Rn. 11, mwN; das gilt sinngemäß auch für die Bewilligung der Strafverbüßung in Form des elektronisch überwachten Hausarrests: vgl. dazu VwGH 1.7.2021, Ra 2021/21/0017, Rn. 15, mit Hinweis auf VwGH 26.6.2019, Ra 2019/21/0118, Rn. 12, mwN).
14 Soweit sich die Revision schließlich gegen die Interessenabwägung nach § 9 BFA‑VG wendet, ist zu entgegen, dass das BVwG auf die familiäre Situation und ‑ entgegen dem Revisionsvorbringen ‑ ebenso auf die Dauer des langjährigen Aufenthaltes des Revisionswerbers in Österreich ausreichend Bedacht nahm. Es durfte jedoch - trotz der hierdurch bewirkten Beeinträchtigung des Kindeswohles - vertretbar davon ausgehen, dass in Anbetracht des von ihm ausgehenden enormen Gefährdungspotenzials der Revisionswerber und seine Familienangehörigen eine Trennung im großen öffentlichen Interesse an der Verhinderung von schwerer Suchtgiftkriminalität der in Rede stehenden Art hinzunehmen haben (siehe dazu generell für derartige Fälle auch die Judikaturnachweise in Rn. 10).
15 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher - nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde - gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen.
Wien, am 31. Mai 2022
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