VwGH Ra 2020/20/0348

VwGHRa 2020/20/034828.9.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie die Hofräte Mag. Eder und Mag. Cede als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, in der Rechtssache der Revision des E M A A in S, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. Mai 2020, L519 2138620‑1/17E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

BFA-VG 2014 §9
BFA-VG 2014 §9 Abs2
BFA-VG 2014 §9 Abs2 Z1
BFA-VG 2014 §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020200348.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit dem, im Beschwerdeweg ergangenen angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht den Antrag des Revisionswerbers, eines irakischen Staatsangehörigen, auf internationalen Schutz ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers in den Irak zulässig sei, setzte eine Frist für seine freiwillige Ausreise fest und sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei.

2 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

3 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

4 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

5 Die Revision begründet ihre Zulässigkeit mit dem Vorbringen, das Bundesverwaltungsgericht habe veraltete Länderberichte herangezogen. Damit macht die Revision einen Verfahrensmangel geltend, dessen Relevanz, weshalb also bei Vermeidung dieses Mangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, bereits in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung dargetan werden muss. Dies setzt (in Bezug auf Feststellungsmängel) voraus, dass - auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des behaupteten Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. etwa VwGH 15.5.2020, Ra 2020/20/0064, mwN). Eine solche Relevanzdarstellung lässt die Zulässigkeitsbegründung vermissen.

6 Ihre Zulässigkeit stützt die Revision weiters darauf, dass „eine gesicherte Rechtsprechungslinie zu der Frage“ fehle, „wann bei einer Aufenthaltsdauer von fünf Jahren von einer herausragenden Integration eines Asylwerbers zu sprechen [sei, sodass] eine Rückkehrentscheidung aus Gründen des Privat- und Familienlebens dauerhaft für unzulässig zu erklären und ein Aufenthaltstitel [...] zu erteilen ist“. Im Fall des Revisionswerbers liege eine „in mehrfacher Hinsicht außergewöhnlich fortgeschrittene Integration“ vor, sodass der Verwaltungsgerichtshof zu entscheiden haben werde, ob in Fällen, die seinem vergleichbar seien, von einer herausragenden Integration gesprochen werden müsse und daher ein Aufenthaltstitel zu erteilen sei.

7 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG (vgl. etwa VwGH 24.9.2019, Ra 2019/20/0274, mwN).

8 Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA‑Verfahrensgesetz (BFA‑VG) genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA‑VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. VwGH 4.2.2020, Ra 2020/14/0026, mwN).

9 Soweit der Revisionswerber auf den Umstand seines mehr als fünfjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet verweist, übersieht er, dass das persönliche Interesse zwar grundsätzlich mit der Dauer des bisherigen Aufenthalts des Fremden zunimmt, die bloße Aufenthaltsdauer jedoch nicht allein maßgeblich ist, sondern vor allem anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles zu prüfen ist, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren. Bei der Einschätzung des persönlichen Interesses ist auch auf die Auswirkungen, die eine Aufenthaltsbeendigung auf die familiären oder sonstigen Bindungen des Fremden hätte, Bedacht zu nehmen (vgl. VwGH 6.5.2020, Ra 2020/20/0093, mwN).

10 Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof mehrfach darauf hingewiesen, dass es im Sinn des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA‑VG maßgeblich relativierend ist, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitpunkt gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (vgl. etwa VwGH 28.2.2020, Ra 2019/14/0545 bis 0548, mwN). Dabei handelt es sich aber naturgemäß um fallspezifische Aspekte, die somit schon von daher für sich betrachtet nicht den angesprochenen Klärungsbedarf zu begründen vermögen (vgl. VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0217 bis 0220).

11 Das Bundesverwaltungsgericht hat eine Interessenabwägung unter Berücksichtigung der relevanten Umstände vorgenommen. Mit dem pauschalen und ohne jegliche Bezugnahme auf spezifische Aspekte des Revisionsfalls erstatteten Zulässigkeitsvorbringen zeigt Revision nicht auf, dass diese Abwägung in einer Weise erfolgte, die eine Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG aufwirft.

12 In der Revision werden keine Rechtsfragen geltend gemacht, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 28. September 2020

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