VwGH Ra 2020/20/0064

VwGHRa 2020/20/006415.5.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie die Hofräte Mag. Eder und Mag. Cede als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, in der Rechtssache der Revision der S O in I, vertreten durch Dr. Max Kapferer, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. Februar 2020, I403 2200586-1/16E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020200064.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Die Revisionswerberin, eine nigerianische Staatsangehörige, stellte am 27. Februar 2017 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) und begründete diesen damit, sie fürchte in Nigeria Verfolgung, weil sie lesbisch sei. 2 Mit Bescheid vom 13. Juni 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag der Revisionswerberin ab, erteilte ihr keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Nigeria zulässig sei, und legte eine 14- tägige Frist für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3 Am 15. Mai 2019 wurde der Sohn der Revisionswerberin geboren. Der Vater des Kindes ist Inhaber einer "Rot-Weiss-Rot-Karte Plus" und ebenfalls nigerianischer Staatsangehöriger. 4 Die gegen den Bescheid vom 13. Juni 2018 erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis nach Durchführung einer Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 8 Die Revision, die sich der Sache nach lediglich gegen die im Rahmen der Erlassung der Rückkehrentscheidung erfolgte Interessenabwägung wendet, begründet ihre Zulässigkeit zusammengefasst mit Begründungsmängeln und einer mangelhaften Berücksichtigung des Kindeswohls.

9 Das BVwG stellte nach Einvernahme der Revisionswerberin und des Vaters ihres Kindes fest, dass dieser mir ihr wohne, nigerianischer Staatsangehöriger sei, über eine "Rot-Weiß-Rot-Karte plus" verfüge und einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt-EU" beantragt habe. Um das am 17. Mai 2019 geborene Kind kümmerten sich beide Elternteile, vorrangig aber die Revisionswerberin, weil der Vater des Kindes als Taxifahrer arbeite. Die Revisionswerberin könne im Fall ihrer Rückkehr in den Herkunftsstaat mit der Unterstützung ihrer im Herkunftsstaat lebenden Mutter rechnen. Der Revisionswerberin, ihrem Sohn und dessen Vater sei die Fortführung des gemeinsamen Familienlebens in Nigeria "möglich und zumutbar". Dies begründete das BVwG in der Beweiswürdigung damit, dass es sich sowohl bei der Revisionswerberin als auch beim gemeinsamen Kind und dessen Vater um nigerianische Staatsangehörige handle, dass die Revisionswerberin die Unterstützung ihrer in Benin City lebenden Mutter zu erwarten habe und dass der Vater des Kindes im März 2019 in Nigeria auf Urlaub gewesen sei, so dass "von keinen Rückkehrhindernissen auszugehen" sei. Er habe dazu in der Verhandlung nur gemeint, dass er keinen Grund sehe, in Nigeria zu leben, weil er gerne in Österreich sei. Nachdem auch seine Familie in Benin City lebe, sei es aus Sicht des BVwG zumutbar und möglich, dass "alle drei gemeinsam nach Nigeria zurückkehren und dort das Familienleben fortsetzen".

10 Dem hält die Zulässigkeitsbegründung der Revision lediglich pauschal entgegen, das BVwG habe "ohne Ermittlungen" festgestellt, "dass alle Familienmitglieder nach Nigeria ziehen können", es habe "nicht begründet", wie es "zum Schluss kommt, dass auch der Vater nach Nigeria ziehen kann", sowie "bezüglich der Situation im Fall

der Rückkehr ... eine nachvollziehbare Beweiswürdigung zur Gänze

unterlassen". Dass die damit angesprochene Beweiswürdigung - mit der sich die Revision nicht näher auseinandersetzt - in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen worden wäre (vgl. VwGH 4.2.2020, Ra 2020/20/0025 bis 0030, mwN), zeigt die Revision aber nicht auf.

11 In seiner rechtlichen Beurteilung nahm das Bundesverwaltungsgericht eine Interessenabwägung vor, in der es unter anderem die Art der Beziehung der Revisionswerberin zum Vater ihres Kindes, das Alter des Kindes, die Möglichkeit der Fortsetzung des Familienlebens in Nigeria - insbesondere unter Berücksichtigung des Kindeswohles -, die Dauer des Aufenthalts der Revisionswerberin in Österreich, die Absolvierung einer Integrationsprüfung und des Pflichtschulabschlusses, das Eingeständnis der Revisionswerberin, am 10. Jänner 2020 einen Diebstahl begangen zu haben, ihre fehlende Selbsterhaltungsfähigkeit, das Wissen der Beteiligten um den unsicheren Aufenthaltsstatus der Revisionswerberin sowie die Verhältnisse im Herkunftsland in Anschlag brachte.

12 Die Revision stützt ihre Zulässigkeit (unter Hinweis auf VwGH 15.5.2019, Ra 2018/01/0076; 26.6.2019, Ra 2019/21/0034, sowie VwGH 7.3.2019, Ra 2018/21/0141) in diesem Zusammenhang darauf, dass das BVwG von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Berücksichtigung des Kindeswohls und "der familienrechtlichen Stellung der Eltern" abgewichen sei. Dem ist entgegenzuhalten, dass sich das BVwG im Rahmen seiner Interessenabwägung ausführlich mit dem Kindeswohl auseinandergesetzt hat. Dass es dabei von der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wäre oder eine unvertretbare Beurteilung vorgenommen hätte, wird nicht aufgezeigt. Im Übrigen behauptet das Zulässigkeitsvorbringen eine Beeinträchtigung des Kindeswohles nur unter dem Gesichtspunkt, dass "das in Österreich aufenthaltsberechtigte Baby" nicht nach Nigeria ziehen könne, "ohne dass sich seine Lebensperspektiven massiv verschlechtern". Entsprechende Umstände finden jedoch ebensowenig Deckung im festgestellten Sachverhalt wie die Behauptung, die Revisionswerberin könne in Nigeria keine Unterstützung der Familie erwarten. Gleiches gilt für das - dem aus § 41 VwGG abzuleitenden Neuerungsverbot unterliegende und auch deshalb nicht zu berücksichtigende - Vorbringen einer neuerlichen Schwangerschaft der Revisionswerberin. Ausgangspunkt der Prüfung, ob eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vorliegt, ist der festgestellte Sachverhalt. Entfernt sich die Revision mit ihren Ausführungen - wie hier - vom festgestellten Sachverhalt, vermag sie eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nicht aufzuzeigen (vgl. VwGH 11.12.2019, Ra 2019/20/0448; 28.11.2019, Ra 2019/20/0549, jeweils mwN).

13 Mit dem Vorbringen, das BVwG habe es unterlassen, ausgehend von aktuellen Informationen entsprechende Feststellungen zur Situation zu treffen, die die Revisionswerberin als alleinstehende Mutter mit Kleinkind im Herkunftsland vorfinden werde, wird ein Verfahrensmangel gerügt, dessen Relevanz, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für die Revisionswerberin günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, bereits in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung dargetan werden muss. Dies setzt (in Bezug auf Feststellungsmängel) voraus, dass - auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 15.5.2019, Ra 2018/20/0496, mwN). Die Revision wird diesen Anforderungen mit den pauschalen Verweisen auf die Verschlechterung der Sicherheitslage für alleinstehende Frauen und Kleinkinder sowie der unzureichenden Gesundheitsvorsorge in ihrer Zulässigkeitsbegründung nicht gerecht. Warum die nach den Feststellungen des BVwG gesunde und erwerbsfähige Revisionswerberin, die im Herkunftsland auf familiäre Unterstützung zählen könne, nicht in der Lage sei, dort eine Lebensgrundlage für sich (und ihr Kind) zu erwirtschaften, wird in der Revision nicht näher dargelegt.

14 Vor diesem Hintergrund erweist sich auch die von der Revision gerügte Ansicht des BVwG, die Revisionswerberin könne zur Fortsetzung des gemeinsamen Familienlebens einen Einreisebzw. Aufenthaltstitel nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz beantragen, als hier nicht weiter entscheidungsrelevant, zumal es sich hierbei lediglich um eine Alternativbegründung handelt (vgl. zur Unzulässigkeit der Revision bei einer tragfähigen Alternativbegründung VwGH 12.12.2019, Ra 2019/20/0565, mwN).

15 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 15. Mai 2020

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