VwGH Ra 2020/19/0170

VwGHRa 2020/19/017020.11.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie den Hofrat Dr. Pürgy und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, in der Revisionssache des L H in S, vertreten durch Mag. Birgit Primus, Rechtsanwältin in 8552 Eibiswald, Eibiswald 3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. April 2020, Zl. W187 2188320‑1/34E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020190170.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 11. Februar 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu seinem Fluchtgrund gab er an, auf Grund der Tätigkeit seines Vaters für ein amerikanisches Unternehmen von den Taliban bedroht worden zu sein.

2 Mit Bescheid vom 9. Februar 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte das BFA mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3 Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis ‑ nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ‑ als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

4 Das BVwG führte begründend aus, der Revisionswerber habe in Afghanistan weder Verfolgung aus asylrelevanten Gründen zu fürchten, noch sei dies in der Vergangenheit der Fall gewesen. Zwar habe sein Vater ‑ dessen Verbleib nicht festgestellt werden könne ‑ für ein amerikanisches Unternehmen gearbeitet, der Revisionswerber sei aus diesem Grund jedoch nicht von den Taliban bedroht worden. Das begründete das BVwG zusammengefasst mit dem Fehlen einer exponierten Stellung des Vaters im Unternehmen (dieser sei als Lagerarbeiter und Staplerfahrer tätig gewesen), dem Umstand, dass er diese Tätigkeit vor neun Jahren eingestellt habe und die Bedrohungen durch die Taliban dem Vorbringen nach erst Jahre nach Beendigung der Tätigkeit eingesetzt hätten. Außerdem sei die Schilderung der Bedrohungen vage und oberflächlich geblieben. Zudem sei es zu Widersprüchen im Vorbringen gekommen und würden sich einzelne Aspekte des Fluchtvorbringens als nicht plausibel erweisen. Zwar sei dem Revisionswerber eine Rückkehr in seine volatile Herkunftsprovinz nicht möglich, allerdings stehe dem jungen, gesunden und arbeitsfähigen Mann, der über eine sechsjährige Schulbildung und Berufserfahrung verfüge, eine innerstaatliche Fluchtalternative in den Städten Herat und Mazar‑e Sharif offen, zumal er in Afghanistan sozialisiert worden sei. Der Revisionswerber könne Unterstützung durch Programme der Regierung und von NGOs in Anspruch nehmen und sich jedenfalls durch Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten eine Existenzgrundlage sichern. Der Revisionswerber sei gesund und leide an keinen schwerwiegenden Vorerkrankungen, weshalb er zu keiner Risikogruppe gehöre und auch durch den Ausbruch der Covid‑19‑Pandemie keine Verletzung seiner nach Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte zu befürchten habe.

5 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

6 Die Revision wendet sich in ihrer Zulässigkeitsbegründung zunächst gegen die Beweiswürdigung des BVwG. Das Vorbringen des Revisionswerbers sei gleichbleibend und konkret gewesen. Die Begründung des BVwG sei nicht nachvollziehbar.

7 Der Verwaltungsgerichtshof ist ‑ als Rechtsinstanz ‑ zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. In Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 22.5.2020, Ra 2020/19/0073, mwN).

8 Das BVwG hat sich‑nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ‑ mit dem Fluchtvorbringen des Revisionswerbers beweiswürdigend auseinandergesetzt und ist dabei zum Ergebnis gelangt, dass die ‑ teilweise unbestimmten und widersprüchlichen ‑ Angaben des Revisionswerbers nicht plausibel seien.

Die Revision vermag nicht darzutun, dass das BVwG die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte. Soweit die Revision rügt, das BVwG habe keine bzw. verfehlte Feststellungen zu den allfälligen Konsequenzen der Verweigerung einer Zusammenarbeit mit den Taliban getroffen, ist ihr zu entgegnen, dass dem Vorbringen zur Bedrohung durch die Taliban in vertretbarer Weise die Glaubwürdigkeit abgesprochen wurde. Auf die vermeintlich fehlenden Feststellungen kommt es daher im vorliegenden Fall nicht an.

9 Auch mit dem Vorbringen, dem Revisionswerber sei die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht zumutbar, weil er weder über ein soziales Netzwerk noch über besondere Schul‑ oder Berufsausbildung verfüge, gelingt es der Revision nicht, eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufzuzeigen.

10 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung dargelegt, welche Kriterien erfüllt sein müssen, um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können. Demzufolge reicht es nicht aus, dem Asylwerber entgegen zu halten, dass er in diesem Gebiet keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erwarten hat. Es muss ihm vielmehr möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Ob dies der Fall ist, erfordert eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (vgl. dazu grundlegend VwGH 23.1.2018, Ra 2018/18/0001, sowie aus jüngerer Zeit VwGH 2.7.2020, Ra 2020/19/0192).

11 Das Bundesverwaltungsgericht ging ‑ auf der Grundlage näherer Feststellungen und unter Berücksichtigung der einschlägigen Länderinformationsquellen und Stellungnahmen des UNHCR und von EASO ‑ davon aus, dass dem Revisionswerber, einem jungen, gesunden und arbeitsfähigen Mann, in Mazar‑e Sharif und Herat auch ohne die Unterstützung seiner Familie eine innerstaatliche Fluchtalternative offen stehe. Die Revision zeigt nicht auf, dass diese Einzelfallbeurteilung unvertretbar erfolgt wäre (vgl. zur innerstaatlichen Fluchtalternative für junge, gesunde und arbeitsfähige Männer in Mazar‑e Sharif etwa VwGH 15.5.2020, Ra 2020/20/0140).

12 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 20. November 2020

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