VwGH Ra 2020/19/0001

VwGHRa 2020/19/000113.2.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens, den Hofrat Dr. Pürgy und die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, in der Revisionssache des M A, vertreten durch Mag. Alexander Atzl, Rechtsanwalt in 6300 Wörgl, Peter-Stöckl-Straße 8, gegen das am 28. November 2018 mündlich verkündete und mit 25. November 2019 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes, L519 2143295-1/22E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

VwGVG 2014 §29 Abs4

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020190001.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger des Irak, stellte am 2. März 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, er habe bei einer Sicherheitsfirma am Flughafen in Bagdad gearbeitet und als Sunnite dort Probleme gehabt. Er sei vom Militär aufgefordert worden, dort zu kündigen. Er habe auch Angst um sein Leben gehabt, weil Militärs sein Geschäft mit einem Zeichen für "Tod, Drohung oder Entführung" markiert hätten. Nach seiner Ausreise habe das Militär weiter nach ihm gesucht.

2 Mit Bescheid vom 7. Dezember 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung. 3 Das Bundesverwaltungsgericht wies mit dem nach Durchführung einer Verhandlung am 28. November 2018 mündlich verkündeten und am 25. November 2019 schriftlich ausgefertigten Erkenntnis die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 7 Voranzustellen ist, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinsichtlich der Erlassung einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung der Zustellung einer Entscheidung ihre mündliche Verkündung gleichzuhalten ist. Mit der mündlichen Verkündung wird die Entscheidung unabhängig von der in § 29 Abs. 4 VwGVG geforderten Zustellung einer schriftlichen Ausfertigung rechtlich existent (vgl. VwGH 16.5.2017, Fr 2017/01/0014; 24.10.2018, Ra 2018/14/0133).

8 Der Verwaltungsgerichtshof hat die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes gemäß § 41 VwGG auf der Grundlage der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses zu prüfen. Daraus wird in ständiger Rechtsprechung auch abgeleitet, dass neue Tatsachen, die im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof vorgebracht werden, bei der Entscheidung über die Revision keine Berücksichtigung finden können (vgl. VwGH 6.3.2019, Ra 2019/18/0067, mwN).

9 Soweit die Revision daher mit der Geburt der Tochter im September 2019 sowie einer behaupteten Verschlechterung der Sicherheitslage seit Oktober 2019 auch Umstände ins Treffen führt, die sich nach Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses ereignet haben, ist diese nach der zitierten Rechtsprechung auf das im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof geltende Neuerungsverbot (§ 41 VwGG) hinzuweisen. Das Vorliegen einer grundsätzlichen Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG kann aber nicht mit einem Vorbringen begründet werden, das unter das Neuerungsverbot fällt (vgl. VwGH 4.3.2019, Ra 2018/14/0358, mwN).

10 Soweit sich die Revision überdies gegen die Erlassung der Rückkehrentscheidung wendet, ist darauf hinzuweisen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist (vgl. VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0413, mwN).

11 Das BVwG berücksichtigte insbesondere die Aufenthaltsdauer des Revisionswerbers in Österreich seit März 2015 und die rund einjährige Beziehung zu seiner Lebensgefährtin, mit der er im gemeinsamen Haushalt lebe, ohne dort nach den Bestimmungen des Meldegesetzes gemeldet zu sein. Demgegenüber führte das BVwG ins Treffen, dass der Aufenthalt des Revisionswerbers zum Zeitpunkt der Begründung des Privatlebens ungewiss und nicht dauerhaft, sondern auf die Dauer des Asylverfahrens beschränkt gewesen sei. Es stünde dem Revisionswerber frei, allenfalls bestehende Bindungen durch briefliche, telefonische, elektronische Kontakte oder gegenseitige Besuche aufrecht zu erhalten. Der Revisionswerber habe keine Deutschprüfung abgelegt, besuche lediglich ein Fitnessstudio und spiele gelegentlich Fußball bei einem Verein. Zwar habe der Revisionswerber über seine Lebensgefährtin Kontakte zu Österreichern, er sei jedoch nicht in der Lage gewesen, deren Familiennamen anzugeben. Die vorgelegte Einstellungszusage sah das BVwG dadurch relativiert, dass der Revisionswerber das Friseurgewerbe bereits unbefugt ausübe. Schließlich berücksichtigte das BVwG auch die Tätigkeit des Revisionswerbers beim Magistrat Innsbruck im Rahmen des Bundesbetreuungsgesetzes sowie seine strafrechtliche Unbescholtenheit.

12 Dass die bei dieser Sachlage festgestellten Umstände bei der Interessenabwägung in einer den Leitlinien der Rechtsprechung widersprechenden unvertretbaren Weise gewichtet worden wären, zeigt die Revision nicht auf (vgl. VwGH 29.8.2019, Ra 2019/19/0187, mwN).

13 Zudem erblickt die Revision ihre Zulässigkeit darin, dass das BVwG die Beweiswürdigung im Zusammenhang mit der Nicht-Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Weise vorgenommen habe. Soweit das BVwG beweiswürdigend den Schluss ziehe, im Herkunftsstaat bestünde kein innerstaatlicher Konflikt, widerspreche diese Annahme den tatsächlichen und aktuellen Verhältnissen im Irak, insbesondere in Bagdad.

14 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt ausgesprochen, dass bei der Beurteilung betreffend die Zuerkennung von subsidiärem Schutz eine Einzelfallprüfung vorzunehmen ist, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr ("real risk") einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen. Eine solche einzelfallbezogene Beurteilung ist im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (vgl. VwGH 12.6.2018, Ra 2018/20/0250, mwN).

15 Der Revision gelingt es nicht aufzuzeigen, anhand welcher konkret den Revisionswerber betreffenden Feststellungen das BVwG zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können bzw. warum das Verwaltungsgericht hinsichtlich des Revisionswerbers, der nach den Feststellungen des BVwG ein gesunder, arbeitsfähiger und volljähriger Mann, ohne besondere in seiner Person liegende Gefährdungsmomente ist, von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 8 AsylG (vgl. VwGH 25.8.2019, Ra 2019/19/0304) abgewichen wäre.

16 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 13. Februar 2020

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