VwGH Ra 2020/18/0486

VwGHRa 2020/18/04862.3.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des I S, in Wien, vertreten durch die Brehm & Sahinol Rechtsanwälte OG in 1060 Wien, Linke Wienzeile 124/10, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Oktober 2020, W272 2229890‑1/16E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §6 Abs1 Z4
AsylG 2005 §7 Abs1 Z1
FrPolG 2005 §53

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020180486.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Dem Revisionswerber, einem Staatsangehörigen der Russischen Föderation tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit, wurde mit Bescheid des damals zuständigen Bundesasylamtes vom 11. November 2002 gemäß § 11 Abs. 1 Asylgesetz 1997 Asyl durch Erstreckung von seinem Vater gewährt und unter einem festgestellt, dass ihm damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.

2 Der Revisionswerber wurde insgesamt fünfmal strafgerichtlich verurteilt.

3 Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 15. Juli 2014 wurde er wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs. 1, 143 Abs. 1 zweiter Fall StGB als Jugendstraftat (§ 5 Z 4 JGG) zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von fünfzehn Monaten verurteilt.

4 Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 22. Februar 2016 wurde der Revisionswerber wegen des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB, des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB sowie des Vergehens der versuchten Nötigung nach §§ 15, 105 Abs. 1 StGB als Jugendstraftat (§ 5 Z 4 JGG) zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Monaten verurteilt.

5 Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 13. Juli 2016 wurde der Revisionswerber erneut wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs. 1, 143 Abs. 1 zweiter Fall StGB als Jugendstraftat (§ 5 Z 4 JGG) zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren verurteilt.

6 Mit Urteil des Bezirksgerichts Neunkirchen vom 22. Juni 2018 wurde der Revisionswerber wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Monaten verurteilt.

7 Zuletzt wurde mit Urteil des Bezirksgerichts Josefstadt vom 26. Juni 2019 über den Revisionswerber wegen des Vergehens des unbefugten Waffenbesitzes nach § 50 Abs. 1 Z 1 und 3 WaffG eine Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Monaten verhängt und die bedingte Strafnachsicht vom 22. Februar 2016 widerrufen.

8 Mit Bescheid vom 22. Februar 2020 erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) dem Revisionswerber den Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ab und stellte fest, dass ihm gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukomme. Zudem erkannte das BFA dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zu, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei, und legte eine Frist von zwei Wochen für die freiwillige Ausreise fest.

9 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

10 Die Aberkennung des Status des Asylberechtigten begründete das BVwG mit den vom Revisionswerber begangenen Straftaten, die sich objektiv gegen besonders wichtige Rechtsgüter gerichtet hätten und auch subjektiv als besonders schwerwiegend zu qualifizieren seien, zumal der Revisionswerber, nachdem er bereits zweimal verurteilt worden sei, zur Finanzierung seiner Drogensucht erneut zwei Raubüberfälle unter Verwendung einer Waffe auf Angestellte von Tankstellen begangen und damit gezeigt habe, dass er sich durch die beiden Vorverurteilungen nicht von der Begehung weiterer Straftaten abhalten ließe, sondern die Schwere seine Straftaten sogar noch gesteigert habe und auch nicht davor zurückschrecke, eine Waffe zu verwenden. Aufgrund der mehrfachen Verurteilungen und der gezeigten Gewaltbereitschaft stellten sich die vom Revisionswerber begangenen Taten ‑ auch unter Berücksichtigung seines zum Zeitpunkt der Tatbegehung noch minderjährigen Alters ‑ als objektiv und subjektiv besonders schwerwiegend dar, weshalb sie als besonders schwere Verbrechen im Sinne des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 zu qualifizieren seien. Die negative Gefährdungsprognose stützte das BVwG neben dem Umstand, dass der Revisionswerber nahezu seit Beginn seiner Strafmündigkeit immer wieder strafrechtliche Handlungen begangen habe, die sich trotz der Verurteilungen in ihrer Schwere gesteigert hätten, insbesondere darauf, dass der Revisionswerber angegeben habe, aufgrund seines Drogenkonsums straffällig geworden zu sein, diesen Drogenkonsum nach der Haftentlassung jedoch nicht beendet habe. Auch nach der Verurteilung wegen Waffenbesitzes habe der Revisionswerber weiterhin seinen Widerstand gegen die Staatsgewalt gezeigt, indem er ‑ nach eigenen Angaben ‑ von der „Bildfläche“ verschwunden sei. Es sei daher weder von einem Wohlverhalten, noch von einer erfolgreichen Integration in die österreichische Gesellschaft auszugehen, zumal der Revisionswerber in der Haft zwar eine Lehre begonnen habe, diese jedoch seitdem nicht abgeschlossen habe und keiner Beschäftigung nachgehe.

11 Auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten lägen nicht vor. Im Rahmen der Rückkehrentscheidung erwog das BVwG, dass der volljährige Revisionswerber kein besonderes Nahe- oder Abhängigkeitsverhältnis zu seiner im Bundesgebiet aufhältigen Mutter oder seinen Geschwistern vorgebracht und eine Trennung von diesen durch sein straffälliges Verhalten bewusst in Kauf genommen habe. Da der Revisionswerber den Kontakt zu seinen Angehörigen zudem telefonisch oder über das Internet aufrechterhalten könne, stelle die Rückkehrentscheidung keinen ungerechtfertigten Eingriff in das Recht auf Achtung des Familienlebens des Revisionswerbers dar. Auch die privaten Interessen des Revisionswerbers seien durch die ‑ nahezu seit seiner Strafmündigkeit bestehende ‑ kontinuierliche Straffälligkeit erheblich relativiert, sodass die öffentlichen Interessen an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens und der Verhinderung weiterer Straftaten trotz der langen Aufenthaltsdauer des Revisionswerbers im Bundesgebiet überwögen.

12 Die vorliegende außerordentliche Revision wendet sich in ihrer Zulässigkeitsbegründung zunächst gegen die Aberkennung von Asyl und bringt dazu zusammengefasst vor, das BVwG sei sowohl bei der Beurteilung der Gefährdungsprognose, als auch bei der Qualifikation der Straftaten als besonders schweres Verbrechen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Aberkennungstatbestand des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 abgewichen. Zudem habe das BVwG kein Sachverständigengutachten zum psychischen Zustand des Revisionswerbers eingeholt und sich nicht mit den Auswirkungen der Covid‑19‑Pandemie auf die Gesundheitsversorgung in der Russischen Föderation sowie den daraus resultierenden Gefahren für den Revisionswerber auseinandergesetzt. Im Rahmen der Rückkehrentscheidung sei das BVwG außerdem von näher bezeichneter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sowie des EGMR abgewichen.

13 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.

14 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

15 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

16 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

17 Für die Anwendung des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 müssen kumulativ vier Voraussetzungen erfüllt sein: Der Revisionswerber muss erstens ein besonders schweres Verbrechen verübt haben, dafür zweitens rechtskräftig verurteilt worden, drittens gemeingefährlich sein, und viertens die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung müssen seine Interessen am Weiterbestehen des Schutzes durch den Zufluchtsstaat überwiegen. Unter den Begriff des „besonders schweren Verbrechens“ fallen nur Straftaten, die objektiv besonders wichtige Rechtsgüter verletzen. Typischerweise schwere Verbrechen sind etwa Tötungsdelikte, Vergewaltigung, Kindesmisshandlung, Brandstiftung, Drogenhandel, bewaffneter Raub und dergleichen. Auf die Strafdrohung allein kommt es bei der Beurteilung, ob ein „besonders schweres Verbrechen“ vorliegt, nicht an. Die Tat muss sich im konkreten Einzelfall als objektiv und subjektiv besonders schwerwiegend erweisen, wobei unter anderem auf Milderungsgründe Bedacht zu nehmen ist. Bei der Beurteilung, ob ein „besonders schweres Verbrechen“ vorliegt, ist daher eine konkrete fallbezogene Prüfung vorzunehmen und sind insbesondere die Tatumstände zu berücksichtigen (vgl. etwa zuletzt VwGH 30.12.2019, Ra 2019/18/0125, mwN).

18 Der Verwaltungsgerichtshof hat ferner zum Ausdruck gebracht, dass auch im Fall einer Vielzahl einschlägiger rechtskräftiger Verurteilungen und insofern verhängter, beträchtlicher und überwiegend unbedingter Freiheitsstrafen, verwirklichte Delikte in einer Gesamtbetrachtung als „besonders schweres Verbrechen“ qualifiziert werden können (vgl. VwGH 18.10.2018, Ra 2017/19/0109).

19 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die bei der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel. Das hat sinngemäß auch für die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose bzw. für die Bemessung der Dauer eines Einreiseverbots Geltung. Gleiches gilt für die im Zusammenhang mit einer Beurteilung nach § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 vorzunehmende Gefährdungsprognose. Es entspricht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass im Rahmen einer Gefährdungsprognose nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung eines Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zugrunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen ist (vgl. VwGH 17.9.2019, Ra 2019/18/0358, mwN).

20 Bei bewaffnetem Raub handelt es sich, wie aus der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ersichtlich ist, um ein typischerweise besonders schweres Verbrechen. Entgegen dem Revisionsvorbringen hat sich das BVwG aber auch mit den konkreten Tatumständen sowie den im jeweiligen Fall herangezogenen Milderungsgründen auseinandergesetzt. Die Gemeingefährlichkeit des Revisionswerbers stützte das BVwG unter anderem darauf, dass sich die vom Revisionswerber begangenen Straftaten in ihrer Brutalität gesteigert hätten und er wiederholt andere Personen mit einer Waffe bedroht habe. Zudem habe der Revisionswerber sogar während seiner Inhaftierung eine Körperverletzung begangen, nach der Haftentlassung gleich wieder eine Pistole in seiner Verfügungsgewalt gehabt, nach eigenen Angaben weiter Drogen konsumiert und sei nach der letzten Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe untergetaucht. Angesichts dessen geht auch das Vorbringen in der Revision, das BVwG habe das Wohlverhalten des Revisionswerbers seit seiner Haftentlassung nicht berücksichtigt, ins Leere.

21 Vor diesem Hintergrund vermag die Revision nicht aufzuzeigen, dass das BVwG von der hg. Rechtsprechung zum Aberkennungstatbestand des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 abgewichen wäre.

22 Sofern der Revisionswerber moniert, das BVwG habe es unterlassen, ein Sachverständigengutachten aus dem Fachbereich der Psychologie und Psychiatrie zur Beurteilung der Persönlichkeitsstruktur des Revisionswerbers einzuholen, ist ihm entgegenzuhalten, dass im Verfahren kein darauf gerichteter Antrag gestellt wurde. Die Frage, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner amtswegigen Ermittlungspflicht weitere Ermittlungsschritte setzen muss, unterliegt einer einzelfallbezogenen Beurteilung. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge insoweit nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre (vgl. VwGH 17.12.2020, Ra 2020/18/0480, mwN). Derartiges zeigt die Revision nicht auf. Basierend auf einem aktuellen psychiatrischen Befund hat das BVwG nämlich ohnehin festgestellt, dass der Revisionswerber an einer posttraumatischen Persönlichkeitsstörung mit gelegentlichen Suizidgedanken leide, die jedoch im Herkunftsstaat behandelbar sei.

23 Mit dem Einwand, das BVwG habe aktuelle Feststellungen zur Covid‑19‑Pandemie insbesondere hinsichtlich der unzureichenden medizinischen Behandlung und des Infektions- bzw. Sterberisikos getroffen, macht die Revision einen Verfahrensmangel geltend. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes reicht es aber nicht aus, die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zu behaupten, ohne die Relevanz der genannten Verfahrensmängel ‑ in konkreter Weise ‑ darzulegen (vgl. etwa VwGH 10.9.2020, Ra 2020/18/0184, mwN). Dies setzt (in Bezug auf Feststellungsmängel) voraus, dass ‑ auf das Wesentliche zusammengefasst ‑ jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des behaupteten Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 4.1.2021, Ra 2020/18/0274, mwN). Diesen Anforderungen wird die Revision, die weder darlegt, dass die festgestellten Behandlungsmöglichkeiten nicht gegeben wären noch, warum der Revisionswerber ‑ entgegen den Feststellungen des BVwG ‑ durch die Covid‑19‑Pandemie besonders gefährdet wäre, nicht gerecht.

24 Dasselbe gilt für das Vorbringen, das BVwG habe dem Revisionswerber entgegen der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kein rechtliches Gehör zu den herangezogenen Länderberichten betreffend die medizinische Versorgungslage gewährt, weil die Revision den darauf basierenden Feststellungen des BVwG, wonach psychische Krankheiten in der Russischen Föderation behandelbar seien, mit dem pauschalen Verweis auf die Covid‑19‑Pandemie nichts Stichhaltiges entgegensetzt.

25 Insoweit die Revision die im Rahmen der Rückkehrentscheidung durchgeführte Interessenabwägung rügt, ist auszuführen, dass das BVwG in seiner Interessenabwägung die lange Aufenthaltsdauer des Revisionswerbers, seine persönlichen Umstände, seinen Gesundheitszustand, seine Integrationsschritte sowie sein Privatleben berücksichtigte. Dass diese Abwägung unter einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Fehlerhaftigkeit leide, ist nicht erkennbar (zur Verhältnismäßigkeit einer Aufenthaltsbeendigung wegen Straffälligkeit auch nach langjährigem Aufenthalt des Fremden in Österreich vgl. etwa VwGH 18.10.2018, Ra 2017/19/0109, mwN).

26 Wenn die Revision in ihrer Zulässigkeitsbegründung in diesem Zusammenhang vorbringt, das BVwG habe die besonders intensive Beziehung zwischen dem Revisionswerber und seiner schwer behinderten Schwester nicht beachtet, steht der Berücksichtigung dieses Vorbringens im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof schon das aus § 41 VwGG abzuleitende Neuerungsverbot entgegen, weil der Revisionswerber eine Behinderung seiner Schwester oder eine besondere Beziehungsintensität im gesamten Verfahren nicht vorgebracht hat (vgl. VwGH 11.9.2020, Ra 2020/18/0306, mwN).

27 Auch der im Zusammenhang mit dem Privat- und Familienleben des Revisionswerbers stehende Hinweis auf die Rechtsprechung des EGMR vom 23. Juni 2008, Maslov gegen Österreich, 1638/03, und vom 28. Juni 2007, Kaya gegen Deutschland, 31753/02, erweist sich nicht als zielführend, zumal sich der EGMR in der Rechtssache Maslov gegen Österreich mit der Frage der Verhältnismäßigkeit eines verhängten unbefristeten Einreiseverbots auseinandersetzte. In der Rechtssache Kaya gegen Deutschland erachtete der EGMR die Ausweisung eines Migranten zweiter Generation als zulässig, wenn dem Fremden schwerwiegende strafbare Handlungen zur Last zu legen sind (vgl. VwGH 7.7.2020, Ra 2020/20/0231; VwGH 25.6.2019, Ra 2019/20/0249). Da im vorliegenden Fall gar kein Einreiseverbot verhängt wurde und dem Revisionswerber ebenfalls schwere Straftaten zur Last gelegt werden, ist der Verweis auf die Judikatur des EGMR nicht geeignet, die Rechtmäßigkeit der Rückkehrentscheidung in Zweifel zu ziehen.

28 Sofern die Revision moniert, dass in der russischen Übersetzung des Spruchs des Bescheids des BFA ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot verhängt wurde, dieser Spruchpunkt in der deutschen Fassung jedoch gar nicht existiert, ist darauf hinzuweisen, dass das BVwG die Auffassung des Revisionswerbers, wonach im Revisionsfall dieser (russischen) Textpassage keine rechtliche Bedeutung zukomme, ohnehin geteilt hat.

29 Mit dem Vorbringen, dem Revisionswerber drohe als Familienmitglied eines Widerstandskämpfers im Fall einer Rückkehr nach wie vor Verfolgung, entfernt sich die Revision schließlich begründungslos vom festgestellten Sachverhalt, wonach eine Verfolgung von Kämpfern des ersten und zweiten Tschetschenienkrieges allein aufgrund ihrer Teilnahme an Kriegshandlungen heute im Allgemeinen nicht mehr anzunehmen sei, weshalb auch dem Revisionswerber aufgrund der Teilnahme seines bereits verstorbenen Vaters am ersten Tschetschenienkrieg keine Gefahr drohe. Dem setzt die Revision nichts Stichhaltiges entgegen.

30 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 2. März 2021

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