VwGH Ra 2020/18/0072

VwGHRa 2020/18/00723.3.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des T A, vertreten durch Mag. Alfred Witzlsteiner, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Maria-Theresien-Straße 21/IV, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. September 2019, G312 2178321- 1/10E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020180072.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein irakischer Staatsangehöriger sunnitischen Glaubens aus der irakischen Hauptstadt Bagdad, beantragte am 4. Mai 2015 internationalen Schutz. Dazu brachte er im Wesentlichen vor, seinen Herkunftsstaat aus Furcht vor Verfolgung durch irakische Milizen, die ihn bedroht hätten, verlassen zu haben.

2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) diesen Antrag - in Bestätigung eines entsprechenden Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 29. Oktober 2017 - zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest. Die Revision erklärte das BVwG für nicht zulässig.

3 Begründend führte das BVwG aus, die Bedrohung des Revisionswerbers durch schiitische Milizen sei aus näher dargestellten Gründen nicht glaubhaft, weshalb ihm kein Asyl zu gewähren sei. Die Sicherheitslage in Bagdad, dem Herkunftsort des Revisionswerbers, sei - wie das BVwG durch Länderberichte näher darstellte - zwar prekär, aber nicht so beschaffen, dass dem Revisionswerber deshalb subsidiärer Schutz zuerkannt werden müsste. Der Revisionswerber sei ein erwachsener und arbeitsfähiger Mann, der über Schulbildung und Berufserfahrung im Irak verfüge. Er habe außerdem familiäre Anknüpfungspunkte im Herkunftsgebiet, die ihn bei Rückkehr wirtschaftlich und sozial unterstützen könnten. Die Rückkehrentscheidung begründete das BVwG damit, dass der Revisionswerber in Österreich kein Familienleben führe und der Eingriff in sein Privatleben angesichts der relativ kurzen Aufenthaltsdauer, des Umstandes, dass er sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein habe müssen, seiner sehr geringen Deutschkenntnisse sowie der noch vorhandenen Bezugspunkte zum Herkunftsstaat ungeachtet seines Engagements im Rahmen gemeinnütziger Tätigkeit und der Teilnahme an einem Werte- und Orientierungskurs gerechtfertigt sei.

4 Dagegen erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der ihre Behandlung mit Beschluss vom 11. Dezember 2019, E 3980/2019-5, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

5 In der vorliegenden außerordentlichen Revision wird zur Zulässigkeit zusammengefasst geltend gemacht, es seien im Rahmen der Beweiswürdigung zu Unrecht Divergenzen zwischen der Erstbefragung und der Einvernahme durch das BFA berücksichtigt worden; die Beweiswürdigung habe gegen das Grundrecht des Revisionswerbers auf ein faires Verfahren verstoßen und es entstehe der Eindruck, dass hier eine nicht den allgemeinen Beweiswürdigungsgrundsätzen entsprechende Beweiswürdigung "zurechtgezimmert" worden sei, die den Revisionswerber in seinen einfachgesetzlichen Rechten verletze. Zudem habe sich das BVwG mit der Sicherheitslage im Irak nicht ausreichend auseinandergesetzt, obwohl der Verfassungsgerichtshof eine solche in seiner ständigen Judikatur fordere. Es hätte berücksichtigt werden müssen, dass im Irak die Sicherheitslage von Provinz zu Provinz, aber auch innerhalb der Provinzen in einzelnen Distrikten stark divergieren könne. Ebenso hätte das BVwG für den Fall der Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nachvollziehbar darlegen müssen, wie der Revisionswerber an diesen Ort gelangen könne. Dem Erkenntnis mangle es an einer individuellen Beweiswürdigung (Hinweis auf eine Entscheidung des ehemaligen Asylgerichtshofes), es liege ein Subsumtionsfehler hinsichtlich der Voraussetzungen nach der Genfer Flüchtlingskonvention vor, weil der Revisionswerber nachvollziehbar ausgeführt habe, warum ihm "Verfolgung und Schlimmeres im Herkunftsland" drohe. Es würden seine Rechte gemäß Art. 3 EMRK verletzt, weil er gegen Übergriffe der mächtigen Milizen nicht geschützt werde, und es liege ein Verstoß gegen seine Rechte gemäß Art. 8 EMRK vor, weil das BVwG keine ordnungsgemäße Interessenabwägung vorgenommen habe (Hinweis auf mehrere Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes). 6 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan:

Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Hat das Verwaltungsgericht - wie im vorliegenden Fall - im Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision nicht zulässig ist, muss die Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird.

Der Verwaltungsgerichtshof ist bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nicht gebunden. Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß § 34 Abs. 1a VwGG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe zu überprüfen. Liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG danach nicht vor, ist die Revision gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

7 Im vorliegenden Fall zeigt die Revision keine Abweichung des angefochtenen Erkenntnisses von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auf und sie entfernt sich weitgehend vom Inhalt der gegenständlichen Entscheidung. So hat das BVwG seine Beweiswürdigung nicht auf einen Widerspruch zwischen den Angaben des Revisionswerbers bei seiner Erstbefragung gemäß § 19 Abs. 1 AsylG 2005 und seiner späteren Einvernahme gestützt. Es hat seine Beweiswürdigung vielmehr vor allem mit der mangelnden Plausibilität der behaupteten Bedrohung (als jüngstem von mehreren Brüdern ohne exponierte Stellung) und der wenig überzeugenden Aussage des Revisionswerbers in mehreren Punkten in der mündlichen Verhandlung begründet. Entgegen dem Revisionsvorbringen lässt das angefochtene Erkenntnis daher auch keine "individuelle Beweiswürdigung" vermissen.

8 Es trifft auch nicht zu, dass das BVwG den Revisionswerber auf eine innerstaatliche Fluchtalternative im Herkunftsstaat verwiesen hätte. Es hat vielmehr eine Rückkehr des Revisionswerbers in seinen Herkunftsort Bagdad für möglich und im Lichte des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 für zulässig angesehen. Der gegenteiligen Annahme der Revision scheint ein (geografischer) Irrtum zugrunde zu liegen, weil die Revision fälschlich davon ausgeht, dass der letzte gewöhnliche Aufenthalt des Revisionswerbers im Irak nicht Bagdad, sondern ein anderer Ort gewesen sei (Zitat aus der Revision: "Er wohnte ursprünglich in seiner Geburtsstadt Bagdad, zog dann im Feber 2014 nach Al-

Adhamiyah, wo er in der Folge ... lebte"). In Wirklichkeit

erfolgte der Umzug des Revisionswerbers, wie das BVwG zutreffend feststellte, bloß innerhalb der Stadt Bagdad, nämlich vom Bezirk Al-Durah in den Bezirk Al-Adhamiyah. Dass die Sicherheits- und Versorgungslage in Bagdad, anders als das BVwG argumentiert, unter dem Blickwinkel des Art. 3 EMRK eine Zuerkennung von subsidiärem Schutz erfordert hätte, zeigt die Revision nicht auf. 9 Soweit die Revision schließlich die vom BVwG vorgenommene Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK rügt, ist festzuhalten, dass nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bei der Beurteilung, ob im Fall einer Rückkehrentscheidung in das durch Art. 8 EMRK geschützte Privat- und Familienleben des Fremden eingegriffen wird, eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen ist, die auf alle Umstände des Einzelfalls Bedacht nimmt. Maßgeblich sind dabei etwa die Aufenthaltsdauer, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität sowie die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, weiters der Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schul- und Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert sowie die Bindungen zum Heimatstaat (vgl. etwa VwGH 5.6.2019, Ra 2019/18/0192, mwN).

10 Fallbezogen hat das BVwG seine Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK unter Bedachtnahme auf die Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage vorgenommen und sich an die dargestellten Leitlinien aus der höchstgerichtlichen Rechtsprechung gehalten.

11 In der Revision werden somit insgesamt keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme, weshalb sie zurückzuweisen war. Wien, am 3. März 2020

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