VwGH Ra 2020/17/0097

VwGHRa 2020/17/009731.3.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer und die Hofrätin Mag. Dr. Zehetner sowie den Hofrat Dr. Terlitza als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des Bundesministers für Finanzen gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 26. Mai 2020, VGW‑002/053/1874/2020‑1, betreffend Übertretungen des Glücksspielgesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Wien; mitbeteiligte Partei: N GmbH, vertreten durch Mag. Rainer Hochstöger, MBA, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Breitwiesergutstraße 10), zu Recht erkannt:

Normen

B-VG Art130 Abs4
VStG §25 Abs1
VStG §25 Abs2
VStG §9 Abs7
VwGVG 2014 §38
VwGVG 2014 §50

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020170097.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom 8. Jänner 2020 wurde der handelsrechtliche Geschäftsführer und somit das zur Vertretung nach außen berufene Organ der mitbeteiligten Partei der zwölffachen Übertretung des § 52 Abs. 1 Z 1 dritter Fall Glücksspielgesetz ‑ GSpG iVm § 9 Abs. 1 VStG für schuldig erkannt. Es wurden über ihn zwölf Geldstrafen in der Höhe von jeweils EUR 8.000,‑ ‑ (sowie Ersatzfreiheitsstrafen) verhängt. Zudem sprach die belangte Behörde aus, die mitbeteiligte Partei hafte gemäß § 9 Abs. 7 VStG für die verhängte Geldstrafe, sonstige in Geld bemessene Unrechtsfolgen und die Verfahrenskosten zur ungeteilten Hand.

2 Dagegen erhob die mitbeteiligte Partei Beschwerde. In dieser brachte sie ‑ neben unionsrechtlichten Bedenken in Bezug auf das GSpG ‑ vor, sie habe die im Straferkenntnis vorgeworfene Tat nicht zu verantworten, weil sie das Lokal (Anmerkung: in dem die Übertretungen festgestellt wurden), untervermietet gehabt habe. Überdies seien mit den „betroffenen Geräten“ keine Ausspielungen veranstaltet worden. Zum Beweis dafür beantragte sie die „Einvernahme aller bei der Amtshandlung anwesenden Kontrollorgane“.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis hob das Verwaltungsgericht Wien (Verwaltungsgericht) den an die mitbeteiligte Partei gerichteten Haftungsausspruch gemäß § 9 Abs. 7 VStG auf (Spruchpunkt I.). Zudem sprach es aus, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt II.).

4 Nach Wiedergabe des Spruches sowie eines Teiles der Begründung des Straferkenntnisses und der Angabe, dass der Haftungsbeteiligte dagegen Beschwerde erhoben habe, enthält das angefochtene Erkenntnis als Entscheidungsgründe, dass „für die dazu ergangene Entscheidung“ folgende Erwägungen maßgebend gewesen seien:

5 „Es liegt zum gegenständlichen Sachverhalt laut hg. Aktenverwaltungssystem lediglich eine Beschwerde der Haftungsbeteiligten, nicht jedoch des Bestraften auf. Dieser kann daher im hier anhängigen Beschwerdeverfahren der Haftungsbeteiligten auch nicht als Beschwerdeführer geladen werden. Auch kann er im Hinblick auf das Selbstbezichtigungsverbot nicht als an die Wahrheitspflicht gebundener Zeuge geladen werden. Weil daher ein derart wesentliches Beweismittel, nämlich die Einvernahme des Bestraften, nicht für die Beweisführung betreffend die Frage, ob sich die Verhängung einer Strafe und als Folge daraus der Haftungsausspruch gem. § 9 Abs. 2 VStG als rechtmäßig erweist, herangezogen werden kann, war der Haftungsausspruch aufzuheben.“

6 Unmittelbar an diesen Absatz schließen sich die Erwägungen zur Unzulässigkeit einer ordentlichen Revision an.

7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision des Bundesministers für Finanzen. Weder die belangte Behörde noch die mitbeteiligte Partei erstattete eine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

8 Die Amtsrevision erweist sich mit ihrem Zulässigkeitsvorbringen, das angefochtene Erkenntnis weiche von näher zitierter Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu den Voraussetzungen für eine Haftungsinanspruchnahme gemäß § 9 Abs. 7 VStG ab, als zulässig und begründet:

9 § 9 Verwaltungsstrafgesetz 1991 ‑ VStG, BGBl. Nr. 52/1991 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 3/2008, lautet auszugsweise:

§ 9. (1) Für die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften durch juristische Personen oder eingetragene Personengesellschaften ist, sofern die Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmen und soweit nicht verantwortliche Beauftragte (Abs. 2) bestellt sind, strafrechtlich verantwortlich, wer zur Vertretung nach außen berufen ist.

...

(7) Juristische Personen und eingetragene Personengesellschaften sowie die in Abs. 3 genannten natürlichen Personen haften für die über die zur Vertretung nach außen Berufenen oder über einen verantwortlichen Beauftragten verhängten Geldstrafen, sonstige in Geld bemessene Unrechtsfolgen und die Verfahrenskosten zur ungeteilten Hand.“

10 Gemäß der Verweisungsbestimmung des § 38 VwGVG gelten im Verwaltungsstrafverfahren vor den Verwaltungsgerichten gemäß § 25 Abs. 1 VStG das Amtswegigkeitsprinzip und gemäß § 25 Abs. 2 VStG der Grundsatz der Erforschung der materiellen Wahrheit, wonach vom Verwaltungsgericht von Amts wegen unabhängig von Parteivorbringen und ‑anträgen der wahre Sachverhalt durch Aufnahme der nötigen Beweise zu ermitteln ist. Betreffend die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte ist festzuhalten, dass gemäß Art. 130 Abs. 4 erster Satz B‑VG (siehe auch § 50 VwGVG) in Verwaltungsstrafsachen das Verwaltungsgericht immer in der Sache selbst zu entscheiden hat, woraus folgt, dass in Verwaltungsstrafverfahren dem Verwaltungsgericht in jedem Fall auch die Befugnis und Verpflichtung zu allenfalls erforderlichen Sachverhaltsfeststellungen zukommt (vgl. VwGH 15.12.2014, Ro 2014/17/0121, mwN).

11 Im Revisionsfall hat das Verwaltungsgericht es unterlassen, sich mit den Voraussetzungen einer Haftung der mitbeteiligten Partei gemäß § 9 Abs. 7 VStG auseinanderzusetzen, dazu Beweise zu erheben und auf deren Grundlage entsprechende Feststellungen zu treffen. Es hat dies im Wesentlichen damit begründet, dass der Geschäftsführer der mitbeteiligten Partei keine Beschwerde erhoben habe und daher nicht als Beschwerdeführer einvernommen werden könne. Dieser Umstand vermag aber an der oben genannten Verpflichtung zur amtswegigen Ermittlung des Sachverhalts und – bei Zulässigkeit der Beschwerde ‑ zur meritorischen Entscheidung über die Beschwerde nichts zu ändern. Dasselbe gilt für das vom Verwaltungsgericht ins Treffen geführte Verbot der Selbstbezichtigung, stehen doch dem Verwaltungsgericht in der Regel auch andere Beweismittel als die Vernehmung des Bestraften zur Verfügung, um ausreichende Feststellungen zum Sachverhalt treffen zu können.

12 Die vom Verwaltungsgericht vertretene Rechtsauffassung würde im Übrigen dazu führen, dass Haftungsaussprüche im Sinne des § 9 Abs. 7 VStG jedenfalls dann ins Leere gingen, würde der strafrechtlich zur Verantwortung gezogene Vertreter einer Gesellschaft keine Beschwerde gegen das an ihn als Vertreter ergangene Straferkenntnis erheben. Dass ein solches Ergebnis den Intentionen des Gesetzgebers entsprechen würde, kann aber nicht angenommen werden.

13 Da es das Verwaltungsgericht aufgrund seiner unrichtigen Rechtsansicht unterlassen hat, Beweiserhebungen zur Beurteilung u.a. des Vorliegens einer Verwaltungsübertretung nach § 52 Abs. 1 GSpG durchzuführen und auf deren Grundlage entsprechende Feststellungen zu treffen, liegt insoweit ein sekundärer Verfahrensmangel vor.

14 Das angefochtene Erkenntnis war daher aufgrund der Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 31. März 2021

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte