VwGH Ra 2020/16/0023

VwGHRa 2020/16/00239.4.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofräte Dr. Mairinger und Dr. Thoma als Richter unter Mitwirkung der Schriftführerin Galli, LL.M., über die Revision des Zollamtes Feldkirch Wolfurt in Feldkirch gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom 17. Dezember 2019, RV/1200017/2016, betreffend Einfuhrumsatzsteuer und Abgabenerhöhung (mitbeteiligte Partei: D AG in B, vertreten durch die DSC Doralt Seist Csoklich Rechtsanwälte GmbH in 1090 Wien, Währinger Straße 2‑4), den Beschluss gefasst:

Normen

BAO §115 Abs1
BAO §116 Abs1
BAO §167 Abs2
BAO §93 Abs3 lita
B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
ZollRDG 1994 §74 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020160023.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Unbestritten ist, dass die Mitbeteiligte, ein in der Schweiz ansässiges Speditionsunternehmen, am 15. und 19. Mai 2006 unter Verwendung ihrer in Österreich erteilten Sonder UID‑Nummer als indirekte Vertreterin der Ing. C B SA, die Überführung von Mobiltelefonen in den zoll‑ und steuerrechtlich freien Verkehr mit steuerbefreiender Lieferung (Verfahrenscode 42) beantragt hatte. Die Zollanmeldungen wurden wie angemeldet angenommen und die Waren überlassen; Einfuhrumsatzsteuer wurde nicht festgesetzt.

Als Versender/Ausführer wurde in Feld 2 der Anmeldungen jeweils die Firma Ing. C B SA, und als Warenempfänger eben dieses Unternehmen mit seiner in Deutschland erteilten UID‑Nummer erklärt. Aufgrund der Rechnungsangaben sollten die Waren nicht nach Deutschland, sondern zur Verfügung der N bei der Spedition T in Italien verbracht werden. Als Bestimmungsland (in Feld 17) wurde Portugal angegeben.

Vorgelegt wurden CMR‑Frachtbriefe vom 15. und 19. Mai 2006, jedoch ohne Unterschrift des Versenders und nur jener vom 15. d.M. mit einer Unterschrift vermutlich des Fahrers.

Wie sich aus dem von den Schweizer Behörden ermittelten E‑Mail‑Verkehr zwischen Ing. B und der Firma N ergibt, hat die Spedition T die Waren nicht erhalten; allerdings bestätigte die Firma N mit Schreiben vom 20. September 2010, dass die Waren bei der Spedition abgeliefert worden sein sollen und sie dort erhalten zu haben. Der tatsächliche Verbleib der Waren ist ungeklärt. Die Ing. B SA hat unter ihrer deutschen UID‑Nummer zusammenfassende Meldungen betreffend innergemeinschaftliche Lieferungen an die N erklärt.

2 Mit dem ‑ im zweiten Rechtsgang ‑ im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde der Mitbeteiligten gegen die mit Bescheid des Zollamtes vom 9. Oktober 2015 mitgeteilte nachträgliche buchmäßige Erfassung der Einfuhrumsatzsteuer gemäß Art. 204 ZK Folge und hob diesen Bescheid ersatzlos auf.

Weiters sprach das Gericht aus, dass gegen sein Erkenntnis eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

Nach Darstellung des Verfahrensganges und Feststellung des eingangs wiedergegebenen Sachverhaltes erwog das Gericht:

„Art. 6 Abs. 3 UStG 1994 sieht die Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer für die Einfuhr von Gegenständen vor, die vom Anmelder im Anschluss an die Einfuhr unmittelbar zur Ausführung einer (steuerfreien) innergemeinschaftlichen Lieferung verwendet werden, wobei die Befreiung nur anzuwenden ist, wenn derjenige, für dessen Unternehmen der Gegenstand eingeführt worden ist, anschließend die innergemeinschaftliche Lieferung tätigt.

Die Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer setzt somit voraus, dass auf die Einfuhr eine innergemeinschaftliche Lieferung folgt, die gemäß Art. 7 Abs. 1 UStG 1994 steuerfrei ist.

Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ist die Steuerbefreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung eines Gegenstands nur dann anwendbar, wenn das Recht, wie ein Eigentümer über diesen Gegenstand zu verfügen, auf den Erwerber übertragen worden ist, wenn der Lieferer nachweist, dass der fragliche Gegenstand in einen anderen Mitgliedstaat versandt oder befördert worden ist, und wenn der Gegenstand aufgrund dieses Versands oder dieser Beförderung den Liefermitgliedstaat physisch verlassen hat (vgl. EuGH ...).

Die von der Beschwerde umfassten Einfuhren erfolgten am 15. und 19.5.2006, die Mitteilung der Einfuhrumsatzsteuerschuld erging mit Bescheid vom 9.10.2015. Es ist daher zunächst die Frage zu prüfen, ob die Festsetzung der Einfuhrumsatzsteuer im Hinblick auf die Verjährungsbestimmungen zu diesem Zeitpunkt noch erfolgen durfte.

Bei den in Art. 221 Abs. 3 und 4 ZK vorgesehenen Verjährungsfristen handelt es sich um materiellrechtliche Vorschriften (vgl. EuGH 23.2.2006, Rs. C‑201/04, EU:C:2006:136, ‚Molenbergnatie NV‘; in diesem Sinne VwGH 28.06.2012, 2009/16/0076). Daraus folgt, dass eine Zollschuld den zum Zeitpunkt ihrer Entstehung geltenden Verjährungsregeln unterliegt, selbst wenn das Verfahren zur Erhebung der Schuld erst nach dem Inkrafttreten anderer oder geänderter Verjährungsregeln eingeleitet wurde.

Mit Ablauf der in Art. 221 Abs. 3 ZK vorgesehenen Frist von drei Jahren verjährt, vorbehaltlich der in Abs. 4 vorgesehenen Ausnahme, der Anspruch auf Entrichtung der Zollschuld. Gemäß § 2 Abs. 1 ZollR‑DG und § 26 Abs. 1 UStG 1994 sind die Verjährungsregeln des Zollkodex auch auf die Einfuhrumsatzsteuer anzuwenden.

Das bedeutet, dass im Falle des Nichterfüllens der Voraussetzungen für die Steuerbefreiung nach Art. 6 Abs. 3 UStG 1994, die Einfuhrumsatzsteuer nach Art. 204 Abs. 2 ZK jeweils im Zeitpunkt der Überführung in das Zollverfahren entstanden wäre und die Verjährungsfristen zu diesen Zeitpunkten zu laufen begonnen hätten.

Die Mitteilung über die buchmäßige Erfassung der auf die einzelnen Einfuhren entfallende Einfuhrumsatzsteuer wurde daher verfahrensgegenständlich nach Ablauf der in Art. 221 Abs. 3 ZK vorgesehenen Dreijahresfrist erlassen.

Art. 221 Abs. 4 ZK iVm § 74 Abs. 3 ZollR‑DG sieht eine zehnjährige Verjährungsfrist vor, wenn eine Hinterziehung von Eingangs‑ oder Ausgangsabgaben vorliegt und im Zusammenhang mit diesen Abgabenansprüchen ein ausschließlich vor einem Gericht oder einem Spruchsenat zu verfolgendes Finanzvergehen begangen wurde.

Liegt eine finanzstrafrechtliche Verurteilung nicht vor, hat die Abgabenbehörde über die Hinterziehung als Vorfrage zu entscheiden (vgl. VwGH ...).

Die Beurteilung, ob Abgaben hinterzogen sind, setzt nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eindeutige, ausdrückliche und nachprüfbare bescheidmäßige Feststellungen über die Abgabenhinterziehung voraus; die maßgebenden Hinterziehungskriterien der Straftatbestände sind von der Abgabenbehörde nachzuweisen (vgl. VwGH ...).

Eine Abgabenhinterziehung erfordert nach § 33 Abs. 1 FinStrG vorsätzliches Handeln und liegt daher nicht schon bei einer (objektiven) Abgabenverkürzung vor, sondern kann erst dann als erwiesen gelten, wenn ‑ in nachprüfbarer Weise ‑ auch der Vorsatz feststeht. Vorsätzliches Handeln wiederum beruht nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zwar auf einem nach außen nicht erkennbaren Willensvorgang, ist aber aus dem nach außen in Erscheinung tretenden Verhalten des Täters zu erschließen, wobei sich die diesbezüglichen Schlussfolgerungen als Ausfluss der freien Beweiswürdigung erweisen (vgl. VwGH ...).

Die Feststellung der strafbaren Handlung obliegt den Zollbehörden. Es ist insoweit weder die Einleitung eines Strafverfahrens noch eine Verurteilung erforderlich (vgl. EuGH 18.12.2007, ‚ZF Zefeser‘ Rs. C‑62/06, ... Rn. 25f). Die strafbare Handlung muss auch nicht von der zur Zahlung in Anspruch genommenen Person begangen worden sein (vgl. VwGH 16.12.2004, https://findok.bmf.gv.at/findok/javalink?art=VwGH&id=700&gueltig=20041216&hz_gz=2004/16/0146 ).

Der Hinweis des Zollamtes auf den Ermittlungsbericht des Zollfahndungsamtes Stuttgart/Radolfszell, zu hier nicht verfahrensgegenständlichen Einfuhren, genügt jedenfalls nicht, um in den zu beurteilenden Fällen von einem vorsätzlichen Handeln in Bezug auf die Hinterziehung von Einfuhrumsatzsteuer durch die verantwortlich handelnden Personen der Ing. B SA auszugehen.

Im Übrigen hat der Ermittlungsbericht auch in Deutschland nicht zu einer Verurteilung des Ing. B wegen Umsatzsteuerhinterziehung geführt. Die Staatsanwaltschaft Mannheim hat von der Verfolgung der dem Beschuldigten Ing. B zur Last liegenden Vergehen der Steuerhinterziehung mit Zustimmung des Landgerichts ‑ Große Wirtschaftsstrafkammer Mannheim ‑ mit Verfügung vom 24.6.2016 nach Maßgabe von § 153a Abs. 1 Nr. 1 StPO vorläufig (unter Festsetzung eines Betrages von € 500.000,00 sowie eines Sicherungsbetrages für die eventuell vorzuschreibenden Steueransprüche) abgesehen.

Entgegen der Ansicht des Zollamtes wurde mit der Einstellungsverfügung keine Schuld festgestellt, auch keine geringe, denn als schuldig gilt nur, wessen Schuld nach Durchführung eines rechtsstaatlichen, gerichtlichen Verfahrens festgestellt wird. Die Auflage, einen Geldbetrag zu zahlen, ist daher auch keine Bestrafung, die Zustimmung (zur Zahlung) ist kein Geständnis. Für Ing. B gilt weiterhin die Unschuldsvermutung. Im Übrigen waren die hier verfahrensgegenständlichen Einfuhren ohnehin nicht erfasst.

Das Zollamt Feldkirch Wolfurt hat selbst keine Ermittlungen hinsichtlich Ing. B getätigt, obwohl bereits im Beschluss des BFG vom 21.5.2015 darauf hingewiesen wurde, dass die bloße Übernahme der Ermittlungsergebnisse der deutschen Zollbehörden, die sich auch nicht auf die verfahrensgegenständlichen Einfuhren bezogen haben, für sich alleine für den Nachweis der Hinterziehungsabsicht nicht ausreichen.

Feststellungen dahingehend, Ing. B sei wissen- und willentlich an Steuerhinterziehungen der Erwerber beteiligt gewesen, liegen nicht vor.

Die Verwendung der deutschen UID‑Nr. der Ing. B SA, obwohl die Waren nach Italien geliefert werden sollten, entsprach der zum damaligen Zeitpunkt geltenden Verwaltungspraxis und vermag für sich allein das Vorliegen vorsätzlichen Handelns nicht nachzuweisen.

Bezüglich der N hat das Zollamt mehrere Amtshilfeersuchen an die portugiesischen Behörden gestellt. Auch deren UST‑IDNr. ist nach wie vor aufrecht. Das Zollamt hat mit Anfrage vom 9.7.2015 die Portugiesischen Behörden um ergänzende Begründung ihrer früheren Mitteilung, wonach es sich bei der N möglicher Weise um eine ‚Conduit Gesellschaft‘ handle, ersucht. Portugal teilte mit Schreiben vom 17.2.2017 mit, ihre Einschätzung, es handle sich möglicher Weise um eine ‚Conduit‘ erschließe sich aus internen Analysen und der Art der Transaktionen, für die es von anderen Mitgliedsstaaten Anfragen gegeben habe (the qualification as ‚strong suspicions that N could be a conduit‘ derives from the internal analysis and type of transactions to which information was requested by other Member States).

Damit ist aber keinesfalls eindeutig und nachprüfbar festgestellt worden, bei der N SA handle es sich tatsächlich um eine conduit Gesellschaft und dies der Ing. B SA bekannt war. Die N hat ebenfalls innergemeinschaftliche Erwerbe gegenüber den Steuerbehörden erklärt. Die Vermutung, dass es sich bei der N um eine ‚conduit‘ handelte besagt außerdem noch nicht, dass die Ing. B SA an einer Steuerhinterziehung beteiligt war.

Mangels gegenteiliger Feststellungen des Zollamtes ist die vorsätzliche Beteiligung des Importeurs an der allfälligen Steuerhinterziehung der Erwerber im Bestimmungsmitgliedsstaat nicht eindeutig und nachprüfbar nachgewiesen. Fehlende bzw. mangelhafte Belegnachweise (CMR Frachtbriefe ohne Übernahmebestätigung bzw. nicht erkennbaren Unterschriften) für sich allein reichen für den Nachweis einer vorsätzlichen Abgabenverkürzung nicht aus.

Dass sich die N die Waren zur Spedition T in Italien verbringen hat lassen und in weiterer Folge an (wiederum nur) möglicher Weise im Verdacht des Karussellbetrugs stehenden Firmen (die Ermittlungen der italienischen Finanzbehörden hiezu sind nicht aufschlussreich und beziehen sich zum Großteil nicht auf das Jahr 2006) weiterverkauft hat, führt, wie der EuGH in seiner Entscheidung vom 14.2.2019, C‑531/17, festgestellt hat, dann nicht zur Versagung der Einfuhrumsatzsteuerbefreiung, wenn der Empfänger, der im Anschluss an die Einfuhr erfolgenden innergemeinschaftlichen Verbringung bei einem späteren Umsatz, der mit der Verbringung in keinem Zusammenhang steht, eine Steuerhinterziehung begeht.

Objektive Nachweise dass die Ing. B SA hinsichtlich der hier verfahrensgegenständlichen Lieferungen in Karussellbetrügereien verwickelt war wurden vom Zollamt nicht festgestellt und ergeben sich auch nicht aus dem vorgelegten Akt.

Der angefochtene Bescheid war wegen eingetretener Verjährung aufzuheben.“

Abschließend begründete das Gericht seinen Ausspruch über die Unzulässigkeit einer Revision damit, das Vorliegen des im Revisionsfall strittigen vorsätzlichen Verhaltens sei auf Grundlage der im Erkenntnis angeführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in freier Beweiswürdigung beurteilt worden; derartige, nicht über den Einzelfall bedeutsame Sachverhaltsfeststellungen seien einer (ordentlichen) Revision grundsätzlich nicht zugänglich.

3 Die gegen dieses Erkenntnis erhobene Amtsrevision legt ihre Zulässigkeit darin dar, dem Bundesfinanzgericht bleibe es grundsätzlich unbenommen, im Rahmen der freien Beweiswürdigung einen Sachverhalt als erwiesen anzunehmen oder nicht. Wie der Beweis vorsätzlichen Handelns zu erbringen sei, darin lägen im angefochtenen Erkenntnis einerseits und in der Entscheidung des unabhängigen Finanzsenates vom 5. Dezember 2011, ZRV/0130‑Z2L/10, in der die vorhandenen Beweise als ausreichend erachtet worden seien, um eine Hinterziehung zu bejahen, und die vom Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 28. März 2014, 2012/16/0009, nicht beanstandet worden sei, „jedoch Welten“. Das Bundesfinanzgericht gehe ‑ ohne dass dies im angefochtenen Erkenntnis so deutlich formuliert würde ‑ davon aus, dass der Vorsatz unmittelbar ‑ diese Einschätzung resultiere insbesondere aus Gesprächen des Zollamtes mit Richtern des Bundesfinanzgerichtes ‑ und auf den jeweiligen Einzelfall bezogen auf die Hinterziehung der Einfuhrumsatzsteuer gerichtet sein müsse. Ein solcher wäre bei Anwendung des Verfahrens 42 aber nur dann denkbar, wenn die Waren absichtlich nicht in einen anderen Mitgliedstaat befördert oder bewusst den falschen Empfänger in einem anderen Mitgliedstaat und dessen UID‑Nummer erklärt worden wäre. Ein derartiger Fall liege jedoch nicht vor; vielmehr ergebe sich die Hinterziehung der Einfuhrumsatzsteuer ‑ entsprechend den Ausführungen der Staatsanwaltschaft Mannheim ‑ daraus, dass die Versenderin wissentlich am Umsatzsteuerbetrug beteiligt gewesen sei. Unter diesem Blickwinkel lasse das Bundesfinanzgericht ‑ in weiterer Folge leitsatzartig zitierte ‑ Rechtsprechung des EuGH unberücksichtigt.

Dies vorausgesetzt und unter der Annahme, dass es entgegen der Ansicht des Bundesfinanzgerichtes bei vorliegender Aktenlage aufgrund der objektiven Umstände erwiesen sei, dass die Versenderin gewusst habe, sie beteilige sich mit ihren Umsätzen an einer Steuerhinterziehung, und ihr folglich die Steuerbefreiung nach Art. 6 Abs. 3 UStG zu versagen sei, stelle sich die Rechtsfrage, ob § 74 Abs. 2 ZollR‑DG auch in solchen Fällen anwendbar sei oder nicht.

4 Gemäß Art. 133 Abs. 4 erster Satz B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Hat das Verwaltungsgericht im Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision nicht gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG zulässig ist, hat die Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird (außerordentliche Revision).

5 Die Amtsrevision sieht die Beurteilung des Bundesfinanzgerichtes, dass die verfahrensgegenständlichen Eingangsabgaben nur im Falle einer Hinterziehung im Sinn des § 74 Abs. 2 ZollR‑DG noch nicht verjährt sind, nicht in Zweifel; sie wendet sich jedoch erkennbar gegen die mangelnde Überzeugung des Gerichts von der Verwirklichung einer vorsätzlichen Hinterziehung der verfahrensgegenständlichen Eingangsabgaben.

6 Ob eine Abgabe als hinterzogen anzusehen ist, ist, falls noch keine Verurteilung vorliegt, eine Vorfrage, deren Beurteilung eine eindeutige, ausdrückliche und nachprüfbare Feststellung über die Abgabenhinterziehung voraussetzt, in der die maßgeblichen Hinterziehungskriterien von der Abgabenbehörde im weiteren Sinn in der angefochtenen Entscheidung darzulegen sind (vgl. etwa VwGH 7.12.2000, 2000/16/0083).

Die Beurteilung der Vorfrage der Abgabenhinterziehung hat in der Begründung der angefochtenen Entscheidung zu erfolgen; aus der Begründung muss sich somit ergeben, aufgrund welcher Ermittlungsergebnisse sowie aufgrund welcher Überlegungen zur Beweiswürdigung und zur rechtlichen Beurteilung die Annahme der Hinterziehung gerechtfertigt ist (VwGH 28.6.2012, 2009/16/0076, mwN).

Das Vorliegen der maßgebenden Hinterziehungskriterien der Straftatbestände ist von der Abgabenbehörde (in weiterem Sinn) darzulegen. Dabei ist vor allem in Rechnung zu stellen, dass eine Abgabenhinterziehung nicht schon bei einer (objektiven) Abgabenverkürzung vorliegt, sondern Vorsatz erfordert, und eine Abgabenhinterziehung somit erst als erwiesen gelten kann, wenn ‑ in nachprüfbarer Weise ‑ auch der Vorsatz feststeht. Vorsätzliches Handeln beruht nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zwar auf einem nach außen nicht erkennbaren Willensvorgang, ist aber aus dem nach außen in Erscheinung tretenden Verhalten des Täters zu erschließen, wobei sich die diesbezüglichen Schlussfolgerungen als Ausfluss der freien Beweiswürdigung erweisen (VwGH 28.6.2012, 2009/16/0076).

7 Im vorliegenden Revisionsfall gelangte das Bundesfinanzgericht im Rahmen seiner eingangs wiedergegebenen Erwägungen zum Schluss einer mangelnden Erweislichkeit einer vorsätzlichen Beteiligung des Importeurs an einer vorsätzlichen Abgabenhinterziehung: Mangels gegenteiliger Feststellungen sei die vorsätzliche Beteiligung des Importeurs an einer allfälligen Steuerhinterziehung der Erwerber im Bestimmungsmitgliedstaat nicht eindeutig und nachprüfbar nachgewiesen. Dass der portugiesische Erwerber möglicherweise die Waren an im Verdacht des Karussellbetrugs stehende Unternehmen weiterverkauft habe, führe nicht zur Versagung der Einfuhrumsatzsteuerbefreiung, wenn der Empfänger, der im Anschluss an die Einfuhr erfolgenden innergemeinschaftlichen Verbringung bei einem späteren Umsatz, der mit der Verbringung in keinem Zusammenhang stehe, eine Steuerhinterziehung begehe.

8 Soweit die Amtsrevision zunächst einmal „Welten“ zwischen dem angefochtenen Erkenntnis einerseits und einer Entscheidung des unabhängigen Finanzsenates aus dem Jahr 2011, die Gegenstand des Erkenntnisses vom 28. März 2014, 2012/16/0009, gewesen sei, konstatiert, legt sie darin ein Abweichen des angefochtenen Erkenntnisses von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes und damit eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung nicht dar.

Schon gar nicht können Gespräche von Mitarbeitern des revisionswerbenden Zollamtes mit Richtern des Bundesfinanzgerichtes dazu herangezogen werden, Aussagen des angefochtenen Erkenntnisses eine spezifische, allenfalls Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung aufwerfende Bedeutung zu geben.

Ebenso wenig ist die bloße Zitierung von Rechtssätzen aus Urteilen des EuGH geeignet, ohne nähere Gegenüberstellung mit den einzelnen Erwägungen des angefochtenen Erkenntnisses ein Abweichen von Rechtsprechung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG darzulegen.

9 Rechtsfragen des Verfahrensrechts käme nur dann grundsätzliche Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG zu, wenn tragende Grundsätze des Verfahrensrechtes auf dem Spiel stünden, wenn die in der angefochtenen Entscheidung getroffene Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Ergebnis geführt hätte (VwGH 30.6.2016, Ra 2016/16/0038).

Eine unvertretbare Würdigung der vom Gericht in seine Erwägungen miteinbezogenen Beweise wird in der Amtsrevision nicht aufgezeigt, zumal diese insbesondere auch die fallbezogenen, nachvollziehbaren und mit der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in Einklang stehenden Erwägungen des Bundesfinanzgerichts zum Beweiswert der Vorgangsweise der Staatsanwaltschaft Mannheim keiner näheren Kritik unterzieht.

10 Soweit das revisionswerbende Zollamt unter Zitierung von Rechtsprechung des EuGH in der auch grob fahrlässigen Beteiligung an einer Steuerhinterziehung des Erwerbers (im Bestimmungsmitgliedstaat) einen Grund anführt, die Befreiung von der hier in Rede stehenden Einfuhrumsatzsteuer zu verweigern, vernachlässigt es, dass im Revisionsfall nicht die Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer strittig ist, sondern die Frage ihrer Verjährung. Diese Frage hängt aber von der Hinterziehung eben dieser Einfuhrumsatzsteuer ab und nicht von einer allfälligen Hinterziehung von Umsatzsteuern in einem anderen Mitgliedstaat.

11 Die vorliegende Amtsrevision ist daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschuss zurückzuweisen.

Wien, am 9. April 2020

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