Normen
AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
FlKonv Art1 AbschnA Z2
62017CJ0056 Fathi VORAB
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020140183.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 14. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er zusammengefasst damit begründete, dass sein Wohnort nicht sicher gewesen und sein Vater von Unbekannten erschossen worden sei. Im späteren Verfahren ergänzte er, sein ermordeter Vater sei Christ gewesen, deswegen würde auch die Familie verfolgt werden. Er selbst empfinde sich als Atheist und lehne die Einhaltung religiöser Vorschriften ab.
2 Mit Bescheid vom 30. November 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag zur Gänze ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
4 Dabei verneinte es ‑ soweit für das Revisionsverfahren von Relevanz ‑ eine Verfolgungsgefahr, die sich allein aus dem bloßen Desinteresse an der Einhaltung der islamischen Gebräuche ergeben würde. Der Revisionswerber habe nicht seine schiitische Religionszugehörigkeit aus ideellen Gründen gezielt aufgegeben und abgelegt sowie eine atheistische Überzeugung oder Konfessionslosigkeit verinnerlicht. Die Voraussetzungen für die Gewährung von subsidiärem Schutz lägen nicht vor, weil dem Revisionswerber eine innerstaatliche Fluchtalternative in den Städten Herat und Mazar‑e Sharif offen stehe. Zwar sei beim Revisionswerber eine Anpassungsstörung mit längerdauernder depressiver Reaktion diagnostiziert, welche sich an leichtgradiger depressiver Symptomatik mit subdepressiver Stimmungslage, negativ getönter Befindlichkeit und Einschlafstörungen zeige. Der Berichtslage zufolge sei die erforderliche Weiterführung der antidepressiven und schlaffördernden Medikation aber im Herkunftsstaat möglich. Im Hinblick auf die Pandemie aufgrund des Corona‑Virus hielt das BVwG fest, dass der Revisionswerber aktuell 23 Jahre alt sei und an keinen schwerwiegenden körperlichen Erkrankungen leide, womit er nicht unter die Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit spezifischen physischen Vorerkrankungen falle. Ein bei einer Überstellung nach Afghanistan vorliegendes „real risk“ einer Verletzung des Art. 3 EMRK sei somit (auch insoweit) nicht erkennbar.
5 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
8 Zu ihrer Zulässigkeit bringt die Revision zusammengefasst vor, das BVwG habe es unterlassen, aktuelle Länderberichte zu den Auswirkungen von COVID‑19 auf die humanitäre Lage in Afghanistan einzubeziehen. Es habe sein Erkenntnis diesbezüglich zwar auf die im Entscheidungszeitpunkt aktuellen Fallzahlen der WHO gestützt, diese seien jedoch nicht in den Kontext zur notorisch angespannten Lage in Afghanistan gesetzt worden. Auf Basis der im Erkenntnis wiedergegebenen Informationen sei eine Beurteilung bzw. Prognose der Ausbreitung der Krankheit, die Auswirkungen auf das medizinische System, die zur Verfügung stehenden Präventionskonzepte und Behandlungsmöglichkeiten, die wirtschaftliche Lage sowie der gesellschaftliche Umgang mit der Pandemie nicht möglich. Der Revisionswerber leide überdies an einer behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankung und benötige bestimmte Medikamente. Das Bundesverwaltungsgericht hätte Ermittlungen zur Verfügbarkeit der verschriebenen Medikamente in Afghanistan treffen müssen. Die fehlende medikamentöse Behandlung würde sich negativ auf die Selbsterhaltungsfähigkeit des Revisionswerbers auswirken, sodass eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht zumutbar sei. Zudem habe sich das Bundesverwaltungsgericht lediglich mit den Folgen einer hypothetischen COVID‑19‑Infektion des Revisionswerbers auseinandergesetzt, anstatt zu prüfen, wie sich die Pandemie auf den Zugang zu lebensnotwendigen Ressourcen in Afghanistan auswirke. Es reiche für die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nämlich nicht aus, eine mögliche Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK zu prüfen, es sei vielmehr auch die Zumutbarkeit des Aufenthalts im betreffenden Gebiet auch im Hinblick auf die Verschärfung der Situation im Hinblick auf die COVID‑19‑Pandemie zu prüfen. Schließlich weiche das BVwG von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshof zur Asylrelevanz von Konfessionslosigkeit ab, indem es dem Revisionswerber zumute, sich bei einer Rückkehr nach Afghanistan entgegen seiner persönlichen Einstellung an die religiösen Normen anzupassen.
9 Mit dem Vorbringen zur Nichteinbeziehung aktueller Länderberichte macht der Revisionswerber einen Verfahrensmangel geltend. Werden Verfahrensmängel ‑ wie hier Feststellungs- und Ermittlungsmängel ‑ als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden (vgl. etwa VwGH 19.5.2020, Ra 2019/14/0328, mwN). Das zunächst allgemein gehaltene Vorbringen, bei Heranziehung aktueller Länderberichte zu den Auswirkungen von COVID‑19 auf die humanitäre Lage in Afghanistan hätte das BVwG zu einem anderslautenden, für den Revisionswerber günstigeren Ergebnis gelangen müssen, wird dieser Anforderung an eine Relevanzdarstellung nicht gerecht.
10 An die COVID‑19‑Pandemie und diesbezüglich behauptetermaßen fehlende Feststellungen bzw. Erwägungen knüpft die Revision noch in der weiteren Zulässigkeitsbegründung im Hinblick auf die Voraussetzungen für die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative im Sinne des § 11 Asylgesetz 2005 an. Dabei tritt sie der Annahme des BVwG, dass auch das Auftreten der Pandemie in Afghanistan nicht dazu führe, dass dem Revisionswerber in seiner konkreten Situation die reale Gefahr („real risk“) einer drohenden Verletzung seiner durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte bei einer Ansiedlung in Herat und Mazar‑e Sharif drohe, nicht entgegen (vgl. dazu näher VwGH 23.6.2020, Ra 2020/20/0188, Rn 18 bis 19).
11 Allerdings bringt sie vor, die für die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative weiters erforderliche Zumutbarkeit des Aufenthalts im betroffenen Teil des Herkunftsstaates sei auch vor dem Hintergrund der Auswirkungen des Ausbruchs der Pandemie zu prüfen. Jedoch zeigt die Revision mit dem diesbezüglichen ‑ abstrakt gebliebenen ‑ Vorbringen, wonach von einer drastischen Verschlechterung der Situation im Hinblick auf Nahrungsmittelunsicherheit, Wohnverhältnissen sowie Zugang zu sanitären Anlagen und medizinischer Versorgung auszugehen sei (und sich diese Erwartungen auch bestätigt hätten), nicht auf, dass dem jungen und arbeitsfähigen Revisionswerber die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht zumutbar wäre (vgl. VwGH 6.7.2020, Ra 2020/01/0176, Rn 18, 2.7.2020, Ra 2020/20/0212, mwN).
12 Das Vorbringen in der Revision, das Bundesverwaltungsgericht habe die Zugänglichkeit von Psychopharmaka in Afghanistan nicht geprüft, trifft nicht zu, weil das Bundesverwaltungsgericht sich mit der Behandelbarkeit von psychischen Erkrankungen sowie der Verfügbarkeit von Medikamenten im Herkunftsland des Revisionswerbers auseinandergesetzt und ‑ auf Basis der dazu getroffenen Feststellungen und jenen zum konkreten Gesundheitszustand und der Behandlungsbedürfigkeit des Revisionswerbers ‑ den Zugang zu den erforderlichen (gängigen) antidepressiven und schlaffördernden Medikamenten in Afghanistan als gegeben erachtet hat. Soweit in diesem Zusammenhang das Unterbleiben weiterer amtswegiger Ermittlungen gerügt wird, legt die Revision wiederum nicht dar, zu welchen Feststellungen und darauf aufbauenden Ergebnissen das BVwG kommen hätte müssen, sodass es an der erforderlichen Relevanzdarstellung fehlt.
13 Soweit die Revision schließlich eine Verfolgungsgefahr wegen eines Abfalls vom Islam anspricht, ist darauf hinzuweisen, dass für die Annahme einer Verfolgung wegen Apostasie Voraussetzung ist, dass der Revisionswerber seine Konfessionslosigkeit als innere Überzeugung und identitätsstiftendes Merkmal versteht, die er auch in seinem Heimatstaat leben wird (vgl. VwGH 19.5.2020, Ra 2019/14/0599; 14.1.2020, Ra 2019/01/0495). Das Bundesverwaltungsgericht setzte sich ausführlich mit dem diesbezüglichen Vorbringen auseinander und begründete umfassend, wie es zum Ergebnis gelangte, der Revisionswerber habe einen Abfall vom Islam nicht glaubhaft machen können. Es führte zum behaupteten Abfall vom Islam aus, dass keine ernsthafte Abwendung des Revisionswerbers vom Islam vorliege, die sich zu einer inneren Überzeugung und einem maßgeblichen Bestandteil seiner Identität verdichtet habe und weiterhin in Afghanistan gelebt werden würde. Im Rahmen der Verhandlung habe das erkennende Gericht vielmehr den Eindruck gewinnen können, dass der Revisionswerber eine tolerante Einstellung gegenüber der religiösen Einstellung anderer vertrete. Der Revisionswerber müsse im Fall der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht damit rechnen, wegen seinem geringen Interesse am Praktizieren des islamischen Glaubens oder seiner Denkweise mit die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktionen belegt zu werden, zumal er seine Lebensart nicht veröffentlicht habe oder den Islam öffentlich kritisiert habe. Bei seiner Einschätzung stützte sich das Verwaltungsgericht auch auf Berichte zur Situation von Personen in Afghanistan, die sich nicht an die Regeln des Islam halten. Die Revision legt nicht dar, warum die Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichts vor dem Hintergrund der fallbezogen getroffenen Feststellungen, welchen nicht substantiiert entgegen getreten wird, unvertretbar sein sollte.
14 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 5. August 2020
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