VwGH Ra 2020/11/0053

VwGHRa 2020/11/00539.11.2022

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick sowie die Hofrätinnen Dr. Pollak und MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision des B S in W, vertreten durch Heinzle Nagel Rechtsanwälte in 6900 Bregenz, Gerberstraße 4, gegen das am 21. Jänner 2020 mündlich verkündete und am 27. Jänner 2020 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich, Zl. LVwG‑651576/15/Bi, betreffend Einschränkung der Lenkberechtigung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Oberösterreich), zu Recht erkannt:

Normen

FSG 1997 §24 Abs1
FSG-GV 1997 §14 Abs5

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020110053.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen, in der mündlichen Verhandlung vom 21. Jänner 2020 verkündeten Erkenntnis schränkte das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich, der Beschwerde des Revisionswerbers gegen Spruchpunkt I. des Bescheids der belangten Behörde vom 15. Oktober 2019 (Entziehung der Lenkberechtigung mangels gesundheitlicher Eignung) teilweise stattgebend, gemäß § 24 Abs. 1 Z 2 FSG die Lenkberechtigung des Revisionswerbers durch Befristung auf zwei Jahre, gerechnet ab dem 21. Jänner 2020, mit der Auflage der Vorlage von Haaranalysen auf THC alle sechs Monate und einer Nachuntersuchung am Ende des Befristungszeitraums, ein. Gleichzeitig sprach es gemäß § 25a VwGG aus, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof unzulässig sei.

2 Begründend führte das Verwaltungsgericht in der schriftlichen Ausfertigung des angefochtenen Erkenntnisses aus, der Revisionswerber sei bei einer Lenkerkontrolle am 12. September 2019 einem Drogenschnelltest unterzogen worden, welcher positiv auf THC ausgefallen sei. Der Revisionswerber verfüge seit 2001 über eine Lenkberechtigung für die Klassen A und B. Zumindest seit 2002 habe er zunächst sporadisch, später regelmäßig mehrmals wöchentlich Cannabis geraucht. Um seinen Konsum zu finanzieren, habe er mit Cannabis gehandelt, weshalb er wegen Suchtgifthandels verurteilt worden sei. Deshalb sei dem Revisionswerber die Lenkberechtigung von 13. Juli 2009 bis 16. September 2010 entzogen worden. Die Auflagen in der mit 17. September 2010 wieder erteilten Lenkberechtigung seien 2011 „gestrichen“ worden, weil die abgegebenen Harnproben negativ gewesen seien.

3 Anlässlich des positiven Drogenschnelltests sei am 12. September 2019 eine Blutabnahme erfolgt; der Blutanalyse zufolge, bei der nur noch ein inaktives Stoffwechselprodukt von THC nachgewiesen worden sei, sei der Revisionswerber zum Zeitpunkt der Kontrolle nicht mehr unter Cannabis‑Einfluss gestanden. Laut verkehrspsychologischer Stellungnahme vom 3. Oktober 2019 seien die kraftfahrspezifischen Leistungsfunktionen beim Revisionswerber ausreichend vorgelegen, jedoch sei die Drogenabstinenz seit dem Vorfall vom 12. September 2019 zu kurz gewesen, um die psychologische Bereitschaft zur Verkehrsanpassung zu bejahen. Die psychiatrische Stellungnahme vom 8. Oktober 2019 habe einen „regelrechten“ klinischen Befund ohne Hinweise auf ein Abhängigkeitssyndrom ergeben. Darin werde davon ausgegangen, dass der Revisionswerber keinerlei illegale Drogen mehr konsumieren wolle, weshalb die Erteilung einer Lenkberechtigung für die Gruppe 1 befürwortet, jedoch aufgrund der Vorgeschichte des Revisionswerbers „eine unvorangekündigte Laborkontrolle“ auf Cannabismetabolite gefordert werde. Auf dieser Grundlage sei der in Beschwerde gezogene Bescheid vom 15. Oktober 2019 ergangen.

4 In der am 21. Jänner 2020 durchgeführten Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht habe der Amtssachverständige seinen mit 25. November 2019 datierten Gutachtensentwurf vorgelegt, welcher mit dem Rechtsvertreter des (nicht bei der Verhandlung anwesenden) Revisionswerbers erörtert worden sei. Schließlich habe der Amtssachverständige dem Revisionswerber die „Erkrankung ‚Schädlicher Gebrauch‘“ von Cannabis attestiert, welche eine Vorstufe der Abhängigkeitserkrankung darstelle und ein „dauerhaftes Suchtgedächtnis“ erzeuge. Da dieses jederzeit wieder stimuliert werden könne, sei die jahrelange Abstinenz des Revisionswerbers zwischen 2010 und 2018 aus medizinischer Sicht irrelevant. Auch habe der Revisionswerber selbst angegeben, im Jahr vor der Lenkerkontrolle zweimal monatlich Cannabis konsumiert zu haben, was nicht als gelegentlicher Konsum anzusehen sei. Nur eine „dauerhafte Auseinandersetzung“ könne zur Durchbrechung der Konsumgewohnheiten führen. Da die letzte verkehrspsychologische Untersuchung vom 16. November 2019 eine bedingte Eignung ergeben habe und der letzte Cannabiskonsum ca. fünf Tage vor dem 12. September 2019 stattgefunden habe, sei eine zweijährige Befristung der Lenkberechtigung bei Haaranalysen alle sechs Monate angemessen.

5 Rechtlich führte das Verwaltungsgericht zusammengefasst aus, aufgrund des schlüssigen Gutachtens des Amtssachverständigen sei beim Revisionswerber angesichts des schädlichen und nicht als gelegentlich zu beurteilenden Gebrauchs von Cannabis von einem erhöhten Rückfallrisiko und damit von einer nur bedingten gesundheitlichen Lenkeignung auszugehen, weshalb spruchgemäß zu entscheiden gewesen sei.

6 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, zu der keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde.

7 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

8 Die Revision erweist sich schon im Hinblick auf das Vorbringen, das angefochtene Erkenntnis leide an einem wesentlichen Begründungsmangel bei der Beurteilung eines gehäuften Missbrauchs von Cannabis durch den Revisionswerber als zulässig. Die Revision ist auch begründet.

9 Gemäß § 14 Abs. 5 FSG‑GV ist Personen, die alkohol‑, suchtmittel‑ oder arzneimittelabhängig waren oder damit gehäuften Missbrauch begangen haben, nach einer befürwortenden fachärztlichen Stellungnahme und unter der Auflage ärztlicher Kontrolluntersuchungen eine Lenkberechtigung der Gruppe 1 zu erteilen oder wiederzuerteilen.

10 § 14 Abs. 5 FSG‑GV gilt nach der hg. Rechtsprechung nicht nur für die (Wieder‑)Erteilung der Lenkberechtigung, sondern auch für den Fall einer bereits bestehenden Lenkberechtigung hinsichtlich ihrer Einschränkung (vgl. VwGH 30.6.2016, Ra 2016/11/0088). Ist daher ein gehäufter Missbrauch in der rezenten Vergangenheit zu bejahen, so ist die Belassung der Lenkberechtigung unter der Auflage (näher zu präzisierender) ärztlicher Kontrolluntersuchungen (sowie gemäß § 2 Abs. 1 letzter Satz FSG‑GV iVm. der Befristung der Lenkberechtigung und einer amtsärztlichen Nachuntersuchung) nur nach einer befürwortenden fachärztlichen Stellungnahme zulässig (vgl. etwa VwGH 10.1.2022, Ra 2021/11/0164).

11 Soweit sich das Verwaltungsgericht zur Begründung der eingeschränkten gesundheitlichen Eignung des Revisionswerbers auf die Beurteilung seines Konsumverhaltens in den Jahren vor der Wiedererteilung der Lenkberechtigung (bis 2009) durch den Amtssachverständigen stützt, ist zunächst auf das hg. Erkenntnis vom 21. April 2016, Ra 2016/11/0019, 0020, hinzuweisen, aus dem sich ergibt, dass infolge der Rechtskraft der Wiedererteilung der Lenkberechtigung (hier: im September 2010) der davor gelegene Konsum außer Betracht zu bleiben hat (vgl. auch VwGH 18.10.2017, Ra 2017/11/0232). Im Revisionsfall hatte sich die Beurteilung im Sinne des § 14 Abs. 5 FSG‑GV somit auf die Zeit ab September 2010 zu beschränken.

12 Vor diesem Hintergrund lagen die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des § 14 Abs. 5 FSG‑GV auf Basis des im angefochtenen Erkenntnis festgestellten Sachverhalts nicht vor. Um von einem gehäuften Missbrauch von Suchtmitteln im Sinne dieser Verordnungsstelle sprechen zu können, genügt nämlich nicht ein gelegentlicher wiederholter Missbrauch, sondern es muss sich um häufigen Missbrauch innerhalb relativ kurzer Zeit handeln (vgl. etwa VwGH 18.3.2003, 2002/11/0209, mwN). Wie das Verwaltungsgericht festhielt, hatte der Revisionswerber angegeben, im letzten Jahr vor der Lenkerkontrolle im September 2019 „gelegentlich zweimal monatlich“ (S. 3 des angefochtenen Erkenntnisses) Cannabis geraucht zu haben. Abgesehen davon, dass aus dieser Angabe noch nicht zwingend der Schluss zu ziehen ist, es liege ein „regelmäßiger zweimal‑monatlicher Konsum von Cannabis“ (so aber S. 11 des angefochtenen Erkenntnisses) vor, begründete das Verwaltungsgericht nicht, warum es sich dabei um einen mehr als gelegentlichen (die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen noch nicht beeinträchtigenden; vgl. etwa VwGH 18.3.2003, 2002/11/0209; 16.4.2009, 2009/11/0015; 30.9.2011, 2010/11/0248, jeweils mwN) Konsum im Sinne eines gehäuften Missbrauchs gemäß § 14 Abs. 5 FSG‑GV handeln sollte.

13 Vor dem Hintergrund, dass für die Annahme eines gehäuften Missbrauchs die Häufigkeit und die Intensität des Konsums ausschlaggebend sind (vgl. VwGH 18.10.2017, Ra 2017/11/0232), fehlen im angefochtenen Erkenntnis konkrete Feststellungen zu Frequenz und Menge des Cannabiskonsums des Revisionswerbers zwischen Herbst 2018 und dem Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses. Auf Basis der getroffenen Feststellungen kann nicht davon ausgegangen werden, beim Revisionswerber liege ein seine gesundheitliche Lenkeignung beeinträchtigender „gehäufter Missbrauch“ iSd. § 14 Abs. 5 FSG‑GV vor.

14 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

15 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff. VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 9. November 2022

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