Normen
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §58 Abs11 Z2
AsylGDV 2005 §4 Abs1 Z2
BFA-VG 2014 §9
FrPolG 2005 §52 Abs3
FrPolG 2005 §52 Abs9
MRK Art8
VwGG §42 Abs2 Z1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019210243.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger von Bangladesch, reiste spätestens am 1. Juli 2005 nach Österreich ein und stellte hier einen Asylantrag. Das Bundesasylamt wies diesen Antrag mit Bescheid vom 9. Oktober 2006 ab, erklärte (insbesondere) die Abschiebung des Revisionswerbers nach Bangladesch für zulässig und wies ihn aus Österreich nach Bangladesch aus. Die dagegen erhobene Berufung, die dann als Beschwerde zu behandeln war, wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 26. September 2011 abgewiesen.
2 Der Revisionswerber verblieb in Österreich und stellte im Oktober 2011 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" nach dem (damaligen) § 41a Abs. 9 NAG. Dieser Antrag wurde letztlich mit Bescheid des Magistrats der Stadt Wiener Neustadt vom 27. November 2012 rechtskräftig abgewiesen.
3 Mittlerweile, mit "Verfahrensanordnung" vom 17. Februar 2012, war der Revisionswerber von der Bundespolizeidirektion Wiener Neustadt aufgefordert worden, ein ihm unter einem übermitteltes "Formular für die Botschaft von Bangladesch" zwecks Erlangung eines Heimreisezertifikates auszufüllen. Diesem Auftrag entsprach der Revisionswerber nicht. In der Folge an ihn ergangenen Ladungen kam er jedoch nach, ebenso befolgte er das mit 5. März 2012 verhängte und schließlich mit 4. Jänner 2013 wieder aufgehobene gelindere Mittel der regelmäßigen Meldung bei der Bundespolizeidirektion Wiener Neustadt.
4 Nachdem ein Antrag des Revisionswerbers auf Ausstellung einer Karte für Geduldete vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 21. Jänner 2016 gemäß § 46a Abs. 4 iVm Abs. 1 Z 3 FPG abgewiesen worden war, stellte der Revisionswerber - am 9. Februar 2016 - einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 Abs. 1 AsylG 2005. Mit Bescheid vom 10. April 2018 wies das BFA diesen Antrag sowie einen - insbesondere wegen der Nichtvorlage eines Reisepasses - darauf Bezug nehmenden Heilungsantrag nach § 4 AsylG-DV 2005 ab und erließ gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG. Außerdem stellte das BFA gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Bangladesch zulässig sei und setzte gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
5 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 25. März 2019 mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass der Antrag des Revisionswerbers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 iVm 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 zurückgewiesen werde. Außerdem erklärte es gemäß § 25a Abs. 1 VwGG eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig. 6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende - nach Ablehnung der Behandlung und Abtretung der an den Verfassungsgerichtshof erhobenen Beschwerde (VfGH 11.6.2019, E 1565/2019-8) fristgerecht eingebrachte - außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung eines Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortungen erstattet wurden, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
7 Die Revision ist - entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG nach § 25a Abs. 1 VwGG - unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig; sie ist auch berechtigt.
8 Es ist unstrittig, dass der Revisionswerber spätestens am 1. Juli 2005 nach Österreich einreiste und sich somit - bezogen auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses - knapp 14 Jahre ohne Unterbrechung im Bundesgebiet aufhält. Dem kommt (zunächst) bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der erlassenen Rückkehrentscheidung vor dem Hintergrund der gebotenen Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG entscheidungswesentliche Bedeutung zu.
9 Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, auf die schon in den Zulässigkeitsausführungen der Revision zutreffend Bezug genommen wird, ist nämlich bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt eines Fremden regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an seinem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurde eine aufenthaltsbeendende Maßnahme ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen. Außerdem erachtete der Verwaltungsgerichtshof auch bei einem mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalt in Verbindung mit dem Vorliegen gewisser integrationsbegründender Aspekte ein Überwiegen des persönlichen Interesses eines Fremden an einem Verbleib im Inland dann nicht als zwingend, wenn dem Umstände entgegen stehen, die das gegen diesen Verbleib im Inland sprechende öffentliche Interesse verstärken bzw. die Länge der Aufenthaltsdauer im Inland relativieren (vgl. zum Ganzen grundlegend VwGH 17.10.2016, Ro 2016/22/0005, Rn. 11 bis 16, und darauf verweisend neben vielen aus jüngerer Zeit etwa VwGH 19.9.2019, Ra 2019/21/0100, Rn. 9 und 10).
10 Das BVwG ging davon aus, dass der Revisionswerber während seines bisherigen Aufenthalts in Österreich Integrationsschritte gesetzt, soziale Bindungen geknüpft und sich Deutsch-Kenntnisse - sodass die durchgeführte Beschwerdeverhandlung im Wesentlichen auf Deutsch habe abgehalten werden können - angeeignet habe sowie immer wieder beruflich tätig gewesen sei. Damit liegt eine nicht zu vernachlässigende Verankerung im Inland vor, sodass es gemäß der zuvor dargestellten Judikaturlinie des Verwaltungsgerichtshofes darauf ankommt, ob Umstände vorliegen, die das gegen einen Verbleib im Inland sprechende öffentliche Interesse verstärken bzw. die Länge der Aufenthaltsdauer des Revisionswerbers im Inland relativieren.
11 In diesem Sinn hielt das BVwG den Integrationsschritten des Revisionswerbers entgegen, dass diese während unsicheren Aufenthaltes und ab rechtskräftiger Erledigung seines Asylantrages überhaupt in einem Zeitraum gesetzt worden seien, in dem er sich unrechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe. Zudem dauere dieser unrechtmäßige Aufenthalt bereits mehr als sieben Jahre an und sei der Revisionswerber mehrfachen Aufforderungen, Österreich zu verlassen, nicht nachgekommen. Demgegenüber habe er an behördlichen Anstrengungen zur Erlangung eines Heimreisezertifikates durch die Weigerung, notwendige Unterlagen auszufüllen bzw. zu unterfertigen, nicht mitgewirkt. 12 Die Bedeutung dieser Umstände darf indes in einem Fall, der durch einen knapp vierzehnjährigen Inlandsaufenthalt gekennzeichnet ist, nicht überbewertet werden, zumal zunächst nicht ausgeklammert werden darf, dass das Asylverfahren des Revisionswerbers, ohne dass ihm das erkennbar angelastet werden könnte, länger als sechs Jahre dauerte. Was aber den Vorwurf anlangt, der Revisionswerber habe nicht an der Ausstellung eines Heimreisezertifikates mitgewirkt - nach der Aktenlage wurde er allerdings entgegen der Annahme des BVwG nur einmal (im Februar 2012) erfolglos aufgefordert, für die Ausstellung eines Heimreisezertifikates erforderliche Unterlagen auszufüllen -, so steht dem gegenüber, dass sich die Behörden damit über Jahre hindurch schlichtweg abgefunden haben (siehe zu einem insoweit ähnlichen Fall VwGH 22.8.2019, Ra 2018/21/0134 und 0135, insbesondere Rn. 23 und 24).
13 Soweit es sich bei den vom BVwG angesprochenen Gesichtspunkten nicht ohnehin um solche handelt, die - in mehr oder weniger großem Ausmaß - typischerweise auf Personen zutreffen, die nach negativer Erledigung ihres Antrags auf internationalen Schutz insgesamt einen mehr als zehnjährigen inländischen und zuletzt jedenfalls unrechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet aufweisen (auch in Bezug auf diese Personen ist der Verwaltungsgerichtshof aber in seiner ständigen Judikatur von der oben dargestellten Bedeutung eines mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthaltes für die Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG ausgegangen), fallen sie somit - anders als in Fällen kürzerer Aufenthaltsdauer, weshalb das vom BVwG ins Treffen geführte Erkenntnis VwGH 15.3.2018, Ra 2018/21/0034, nicht einschlägig ist -
nicht entscheidungswesentlich ins Gewicht.
14 Zusammenfassend hätte die Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG somit aus den vom BVwG angestellten Überlegungen nicht zu Lasten des Revisionswerbers ausfallen und daher keine Rückkehrentscheidung erlassen werden dürfen. Damit ist dann aber auch der Heilungstatbestand nach § 4 Abs. 1 Z 2 AsylG-DV 2005 verwirklicht, weshalb sich in weiterer Folge überdies die auf § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 gestützte Zurückweisung des Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 als verfehlt erweist. Das angefochtene Erkenntnis war daher zur Gänze gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
15 Von der Durchführung der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte schon gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.
16 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 19. Dezember 2019
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