VwGH Ra 2019/21/0080

VwGHRa 2019/21/008026.6.2019

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Galesic, über die Revision des S S in W, vertreten durch Dr. Gustav Eckharter, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Museumstraße 5/15, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 21. Februar 2019, W202 1423903- 2/4E, betreffend Ausweisung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Normen

EURallg
FrPolG 2005 §66 Abs2
NAG 2005 §51 Abs1 Z2
NAG 2005 §54 Abs5
NAG 2005 §55 Abs3
VwGG §42 Abs2 Z3 litb
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
32004L0038 Unionsbürger-RL Art7 Abs1 litb
62014CJ0218 Singh VORAB

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019210080.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber ist indischer Staatsangehöriger und stellte nach seiner Einreise nach Österreich am 1. Jänner 2012 einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser Antrag wurde mit Bescheid vom 4. Jänner 2012 - in Verbindung mit einer Ausweisung des Revisionswerbers nach Indien - vollinhaltlich abgewiesen, eine gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde zog der Revisionswerber 2015 wieder zurück.

2 Bereits davor, im Juli 2014, hatte der Revisionswerber eine slowakische Staatsangehörige geheiratet, die in Österreich ihr unionsrechtliches Aufenthaltsrecht in Anspruch genommen hatte. Im Hinblick darauf wurde dem Revisionswerber am 20. November 2014 eine bis 20. November 2019 gültige Aufenthaltskarte ausgestellt. 3 Mit Bescheid vom 1. Oktober 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Revisionswerber in der Folge gemäß § 66 Abs. 1 FPG iVm § 55 Abs. 3 NAG aus dem österreichischen Bundesgebiet aus, wobei es ihm gemäß § 70 Abs. 3 FPG einen einmonatigen Durchsetzungsaufschub erteilte. Diesem Bescheid lag zugrunde, dass der Revisionswerber nach Auffassung des BFA sein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht verloren habe.

4 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 21. Februar 2019 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die gegen den genannten Bescheid erhobene Beschwerde als unbegründet ab und sprach aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

 

5 Über die gegen dieses Erkenntnis erhobene außerordentliche Revision hat der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung eines Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - erwogen:

6 Die Revision ist - entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG nach § 25a Abs. 1 VwGG - unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig; sie ist auch berechtigt.

7 Der Revisionswerber ist mit einer slowakischen Staatsangehörigen verheiratet, die unstrittig von ihrem unionsrechtlichen Aufenthaltsrecht Gebrauch gemacht hatte und die über eine Anmeldebescheinigung als Arbeitnehmerin verfügte. Im Hinblick darauf kam auch dem Revisionswerber ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zu, das durch Ausstellung einer Aufenthaltskarte dokumentiert wurde.

8 Sowohl das BFA als auch das BVwG gingen davon aus, dass dieses - von der Ehefrau abgeleitete - Aufenthaltsrecht erloschen sei. Die Ehefrau des Revisionswerbers habe nämlich ihr unionsrechtliches Aufenthaltsrecht verloren, weil sie keiner Beschäftigung mehr nachgehe.

9 Diese Auffassung ist in dieser Allgemeinheit falsch. Gemäß § 51 Abs. 1 Z 2 NAG sind EWR-Bürger aufgrund der Freizügigkeitsrichtlinie (Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004; § 2 Abs. 1 Z 19 NAG) nämlich auch dann zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, sodass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen. Wie der Gerichtshof der Europäischen Union zu der damit umgesetzten Bestimmung der Freizügigkeitsrichtlinie (Art. 7 Abs. 1 lit. b) ausgesprochen hat, ist die darin enthaltene Formulierung "über die erforderlichen Mittel verfügen" dahin auszulegen, dass es ausreicht, wenn dem Unionsbürger diese Mittel zur Verfügung stehen, ohne dass die Bestimmung Anforderungen an die Herkunft der Mittel stellt, so dass diese auch von einem Drittstaatsangehörigen stammen können (EuGH 16.7.2015, K. Singh u.a., C-218/14 , Rn. 74). Folglich schließt der Umstand, dass die Existenzmittel, über die der Unionsbürger verfügt, aus Mitteln stammen, die von dem einem Drittstaat angehörenden Ehegatten aus der von diesem im Aufnahmemitgliedstaat ausgeübten Tätigkeit bezogen werden, es nicht aus, dass die in Art. 7 Abs. 1 lit. b der Freizügigkeitsrichtlinie enthaltene Voraussetzung der ausreichenden Existenzmittel als erfüllt anzusehen ist (idS EuGH aaO., Rn. 76).

10 Schon das BFA - und ihm folgend das BVwG - hat festgestellt, dass der Revisionswerber beschäftigt sei, wozu dann seitens des Revisionswerbers im Beschwerdeverfahren ausgeführt wurde, dass seine Ehefrau den Haushalt führe. Das lässt es möglich erscheinen, dass der Ehefrau vor dem Hintergrund der dargestellten Judikatur des Europäischen Gerichtshofes nach wie vor ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht (nunmehr nach Art. 7 Abs. 1 lit. b der Freizügigkeitsrichtlinie bzw. innerstaatlich auf Basis von § 51 Abs. 1 Z 2 NAG) zukam, abhängig davon, ob das Erwerbseinkommen des Revisionswerbers (umfassenden Krankenversicherungsschutz unterstellt) der Höhe nach ausreichte, den Anforderungen der genannten Bestimmungen zu genügen. 11 Damit haben sich jedoch weder das BFA noch das BVwG auseinandergesetzt; Letzteres hat vielmehr die nach dem Gesagten verfehlte Auffassung vertreten, die "den Haushalt führende Ehefrau" ohne Einkommen bzw. sonstige Unterhaltsmittel (wobei Mittel des drittstaatsangehörigen Partners nach ihrer Ansicht offenkundig auszuklammern seien) könne nicht "Ankerperson" im Sinn des § 51 Abs. 1 Z 2 NAG sein.

12 Das BVwG hat aber auch damit argumentiert, die Ehefrau des Revisionswerbers sei bereits mit Bescheid des BFA vom 28. September 2018 rechtskräftig ausgewiesen worden. Träfe das zu, so könnte - ungeachtet des Vorgesagten - ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht der Ehefrau nicht mehr weiter bestehen, was auch - nicht anders als ein Wegzug der Ehefrau aus Österreich - das abgeleitete Aufenthaltsrecht des Revisionswerbers (dazu im Grundsätzlichen neuerlich EuGH 16.7.2015, K. Singh u.a., C-218/14 , Rn. 50 ff) zum Erlöschen gebracht hätte. Auf die Sonderkonstellation des § 54 Abs. 5 NAG, Scheidung oder Aufhebung der Ehe oder Auflösung der eingetragenen Partnerschaft betreffend, konnte sich der Revisionswerber, dessen Ehe aufrecht ist, nicht berufen (vgl. nochmals in diesem Sinn EuGH aaO., Rn. 67). Gegebenenfalls käme dann auch eine Ausweisung des Revisionswerbers, nach Maßgabe des Ergebnisses der gebotenen Interessenabwägung nach § 66 Abs. 2 FPG, in Betracht, und zwar - anders als der Revisionswerber meint - ohne dass es einer vorangehenden Befassung des BFA durch die Niederlassungsbehörde nach § 55 Abs. 3 NAG bedürfte (VwGH 18.6.2013, 2012/18/0005, VwSlg. 18646 A).

13 Der somit entscheidungswesentliche Gesichtspunkt, dass die Ehefrau des Revisionswerbers mit unbekämpft gebliebenem Bescheid vom 28. September 2018 rechtskräftig ausgewiesen worden sei, war indes vom BFA in dem dem angefochtenen Erkenntnis zugrunde liegenden Ausweisungsbescheid vom 1. Oktober 2018 - naturgemäß - noch nicht festgestellt worden. Von daher hätte das BVwG somit zu seiner Annahme, es liege eine rechtskräftige Ausweisung der Ehefrau des Revisionswerbers vor, Gehör einräumen müssen. Das hat es unterlassen, was in Anbetracht dessen, dass der Revisionswerber in der Revision das Vorliegen einer rechtskräftigen Ausweisung gegen seine Ehefrau ausreichend deutlich in Frage stellt, einen relevanten Verfahrensmangel bildet. Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

14 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 26. Juni 2019

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte