VwGH Ra 2019/11/0195

VwGHRa 2019/11/019518.2.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick und den Hofrat Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Soyer, über die Revisionen 1) des Finanzamtes Bruck Eisenstadt Oberwart in Eisenstadt (hg. Zl. Ra 2019/11/0195), und 2) der Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Leitha (hg. Zl. Ra 2019/11/0196), gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 26. September 2019, Zlen. LVwG‑S‑1440/001‑2019, LVwG‑S‑1442/001‑2019 und LVwG‑S‑1444/001‑2019, betreffend Übertretungen des LSD‑BG (mitbeteiligte Partei: Dr. S S in T [Rumänien], vertreten durch Mag. Milorad Erdelean, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Heinrichsgasse 4/5), zu Recht erkannt:

Normen

AVRAG 1993 §7d
LSD-BG 2016 §21
LSD-BG 2016 §22
62018CJ0064 Maksimovic VORAB
62018CO0645 Bezirkshauptmannschaft Hartberg-Fürstenfeld VORAB

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019110195.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit Straferkenntnissen der Zweitrevisionswerberin (der belangten Behörde) vom 20. und 21. Mai 2019 wurde der Mitbeteiligte in seiner Funktion als Geschäftsführer der E. S.R.L. (einer Gesellschaft mit Sitz in Rumänien) schuldig erkannt, dass diese Gesellschaft als Arbeitgeberin von fünf näher genannten, auf eine Baustelle in Österreich zur Arbeitsleistung entsandten Arbeitnehmern am 6. Dezember 2018 gegen die (in näher zitierten Bestimmungen des Lohn‑ und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetzes [LSD‑BG] normierten) Pflichten betreffend die Bereithaltung 1. der sog. ZKO3‑Meldung hinsichtlich der grenzüberschreitenden Entsendung von Arbeitskräften, 2. der Sozialversicherungsunterlagen und 3. der Lohnunterlagen verstoßen habe.

Über den Revisionswerber wurden in Anwendung der Strafnormen des § 26 Abs. 1 und des § 28 LSD‑BG insgesamt 15 Geldstrafen zu € 1.000,‑ ‑ bzw. 2.000,‑ ‑ (je eine Strafe pro betroffenem Arbeitnehmer und pro Deliktsart) sowie pro Geldstrafe eine Ersatzfreiheitsstrafe verhängt und ein Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vorgeschrieben.

2 Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis Folge, behob die genannten Straferkenntnisse und stellte die Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 1 VStG ein.

Gleichzeitig wurde gemäß § 25a VwGG ausgesprochen, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG unzulässig sei.

3 In der Begründung stellte das Verwaltungsgericht die Nichtbereithaltung der genannten Unterlagen fest und führte in der rechtlichen Beurteilung unter Hinweis auf das Urteil des EuGH vom 12. September 2019, Maksimovic, C‑64/18, C‑140/18, C‑146/18 und C‑148/18, aus, Art. 56 AEUV stehe den in den Straferkenntnissen herangezogenen Bestimmungen des § 26 Abs. 1 und § 28 LSD‑BG entgegen, sodass diese Normen „unangewendet“ zu bleiben hätten. Da somit das festgestellte Verhalten des Mitbeteiligten „mangels Strafnorm nicht strafbar“ sei, seien unter Beachtung des Rechtsgrundsatzes nulla poena sine lege die gegen den Mitbeteiligten erlassenen Straferkenntnisse zu beheben und die diesbezüglichen Verwaltungsstrafverfahren einzustellen gewesen.

4 Gegen dieses Erkenntnis richten sich die beiden außerordentlichen (Amts‑)Revisionen, der Mitbeteiligte hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.

5 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

6 Die Revisionen sind zulässig, weil sie zutreffend vorbringen, das angefochtene Erkenntnis weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, wonach die Verdrängung von nationalem Recht durch vorrangiges Unionsrecht nur in jenem Ausmaß erfolge, das ausreiche, um einen unionsrechtskonformen Zustand herbeizuführen (Hinweis auf die Erkenntnisse vom 25. Oktober 2011, 2011/15/0070, bzw. vom 15. Oktober 2019, Ra 2019/11/0033, 0034).

7 Die Revisionen sind auch begründet, weil das Verwaltungsgericht zu Unrecht die Rechtsauffassung vertreten hat, das Urteil des EuGH vom 12. September 2019, Maksimovic, C‑64/18, C‑140/18, C‑146/18 und C‑148/18, habe zwingend zur Folge, dass die in Rede stehenden Strafnormen ‑ zur Gänze ‑ unangewendet zu bleiben hätten.

8 Der Verwaltungsgerichtshof hat nämlich im zitierten Erkenntnis vom 15. Oktober 2019, Ra 2019/11/0033, 0034, dargelegt, durch das zitierte Urteil des EuGH vom 12. September 2019, Maksimovic, würden die Strafnormen betreffend Verstöße gegen die Bereithaltepflicht von Lohnunterlagen nach dem AVRAG nur ‑ in Teilbereichen ‑ unionsrechtlich verdrängt. Gemäß § 43 Abs. 2 VwGG wird auf die Entscheidungsgründe im letztzitierten Erkenntnis verwiesen.

9 Demgegenüber werden die in Rede stehenden Gebotsnormen (Bereithaltepflichten betreffend entsprechende Unterlagen für entsandte Arbeitnehmer) durch das zitierte Urteil des EuGH nicht unionsrechtlich verdrängt, sodass die Erfüllung des objektiven und subjektiven Tatbestandes weiterhin möglich ist (vgl. auch die Rn 40 f. dieses Urteils, wiedergegeben im Erkenntnis Ra 2019/11/0033, 0034).

10 Diese Ausführungen gelten in gleicher Weise für die Bereithaltepflichten von entsprechenden Unterlagen nach den Bestimmungen des LSD‑BG, bei denen es sich um Nachfolgebestimmungen der zuvor im AVRAG geregelten Pflichten handelt (vgl. zur Bereithalte‑ und Meldepflicht nach dem LSD‑BG auch den Beschluss des EuGH vom 19. Dezember 2019, NE gegen Bezirkshauptmannschaft Hartberg, C‑645/18, sowie VfGH 27.11.2019, E 2893‑2896/2019).

11 Da das angefochtene Erkenntnis somit auf der unzutreffenden Rechtsansicht beruht, das dem Mitbeteiligten angelastete Verhalten sei überhaupt nicht strafbar, war es wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 18. Februar 2020

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