VwGH Ra 2019/08/0049

VwGHRa 2019/08/004918.12.2019

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler und den Hofrat Dr. Strohmayer als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Klima LL.M., über die Revision der M GmbH in A, vertreten durch Dr. Wolfgang Auer, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Siebenstädterstraße 64, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Jänner 2019, Zl. L510 2004752- 1/12E, betreffend Beiträge nach dem ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Salzburger Gebietskrankenkasse; weitere Partei: Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz), zu Recht erkannt:

Normen

ASVG §49 Abs1
AVG §58 Abs2
AVG §60

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019080049.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Salzburger Gebietskrankenkasse hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1 Mit Bescheid vom 30. Juli 2013 schrieb die Salzburger Gebietskrankenkasse (im Folgenden: GKK) der revisionswerbenden Partei (einer GmbH) Sozialversicherungsbeiträge nach dem ASVG in der Höhe von EUR 64.212,38 sowie Verzugszinsen in der Höhe von EUR 25.409,15 vor. Vorangegangen war eine Prüfung (GPLA) gemäß § 41a ASVG für die Jahre 2006 bis 2010, bei der entsprechende Beitragsdifferenzen in Bezug auf das Beschäftigungsverhältnis des zu 25% beteiligten Geschäftsführers PL hervorgekommen waren. Die GKK stellte dazu fest, dass der Geschäftsführerbezug laut Vertrag vom 24. August 2006 monatlich EUR 900,-- betrage und vierzehnmal im Jahr ausbezahlt werde. In den Zeiträumen 2006 bis 2009 seien von PL und der zu 75% beteiligten Mitgesellschafterin Rechnungen für Leistungen an die GmbH gestellt und bei der GmbH als Aufwand eingebucht worden; die verzeichneten Leistungen seien tatsächlich erbracht worden. Die - von der GmbH allerdings nicht beglichenen - Rechnungen seien, soweit sie von PL stammten, als Teil seines Geschäftsführergehalts anzusehen und dementsprechend als Beitragsgrundlagen heranzuziehen.

2 Die revisionswerbende Partei erhob gegen diesen Bescheid einen ab dem 1. Jänner 2014 als Beschwerde zu behandelnden Einspruch. Darin brachte sie im Wesentlichen vor, dass PL seit dem 21. Februar 2006 einen Gewerbeschein für EDV-Dienstleistungen besitze; die in den - nur für Förderstellen gelegten - "Pro-Forma-Rechnungen" verzeichneten Leistungen seien Ausfluss der selbständigen gewerblichen Tätigkeit des PL und nicht seiner Geschäftsführertätigkeit. In einer als "subsidiär" bezeichneten weiteren Begründung wandte sich die revisionswerbende Partei außerdem gegen den steuerrechtlich unterstellten fiktiven Zufluss der Entgelte.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde als unbegründet ab. Nach weitwendiger Wiedergabe des Verfahrensgangs führte es unter der Überschrift "Feststellungen" Folgendes aus:

"1.1. Die (revisionswerbende Partei) mit Geschäftssitz in (...) ist im Bereich Datenverarbeitung und Hosting tätig. Sie ist im Firmenbuch des Landesgerichts Salzburg zu FN (...) eingetragen. Gesellschafter der (revisionswerbenden Partei) sind (PL) mit einem Anteil von 25% sowie (SL) mit einem Anteil von 75%. Geschäftsführer der (revisionswerbenden Partei) ist (PL), welcher die GmbH seit 01.09.2006 selbständig vertritt.

1.2. Ausgehend vom verfahrensgegenständlichen Zeitraum betrug der Geschäftsführerbezug von (PL) Euro 900,00 brutto im Monat und wurde dieser 14 Mal im Jahr ausbezahlt. In den Zeiträumen 2006 bis 2009 wurden von beiden Gesellschaftern Rechnungen für erbrachte Leistungen an die GmbH gestellt und als Aufwand (,Fremdleistungen') in das Rechenwerk der GmbH eingebucht. Die GmbH entrichtete diese Verbindlichkeiten jedoch nicht an die Gesellschafter, wodurch diese bis zum Prüfungsbeginn der gegenständlichen GPLA aushafteten.

Zu diesem in Rechnung gestellten Aufwand wurden dem zuständigen GPLA-Prüfer die Leistungsabrechnungen vollständig vorgelegt. Lt. Auskunft von (PL) handelte es sich bei diesen Abrechnungen um sog. ,Pro-forma-Rechnungen'. Dies bedeute, dass die Förderungsunternehmung (A.) darauf bestand, dass die Leistungen von u.a. (PL) als Leistungen in die GmbH eingebucht werden. Die Höhe der abgerechneten Stunden für (PL) seien auch vom (A.) vorgegeben worden. Es wurden EUR 56,52 pro Stunde abgerechnet.

Der Geschäftsführer bestätigte in der Niederschrift vom 22.03.2012 beim Finanzamt Salzburg-Land, dass sein Gehalt ein Teil der von ihm vorgelegten Stundenabrechnung sei. Nicht nur die Verbindlichkeiten aus den Pro-forma-Rechnungen, sondern auch die laufende Gehaltsverrechnung waren zum Zeitpunkt der Niederschrift noch nicht ausbezahlt. Die Ordungsmäßigkeit der bestehenden Gehaltsverbindlichkeiten wurde von beiden Gesellschaftern im Protokoll der Schlussbesprechung vom 22.03.2012 bestätigt. Der Grund der Nichtauszahlung der Gehälter und Fremdleistungen sei nach Auskunft von (PL) schlichtweg die fehlende Liquidität der GmbH.

Seitens der GPLA wurden somit die Geschäftsführerbezüge von (PL) bis zur Höchstbeitragsgrundlage für die Jahre 2006 bis 2009 nachverrechnet, da die von (PL) an die GmbH gestellten Rechnungen basierend auf den vorgelegten Stundenaufzeichnungen (Zeitraum 06/2006 - 12/2009) über die tatsächlich geleisteten Arbeiten als Teil des Geschäftsführerbezuges angesehen wurden.

Als Beitragsgrundlagen wurden die von (PL) an die (revisionswerbende Partei) gestellten Rechnungsbeträge über Fremdleistungen herangezogen."

4 In seiner rechtlichen Beurteilung gab das Bundesverwaltungsgericht zunächst abermals - wie schon in der Darstellung des Verfahrensgangs - verschiedene von der GKK und der revisionswerbenden Partei im Lauf des Verfahrens vorgebrachte Argumente wieder. Es schloss sich sodann der Ansicht der GKK an, dass die Rechnungen nicht nur als Pro-forma-Rechnungen zu verstehen seien. In fremdüblicher Betrachtungsweise seien sie auch völlig berechtigt gewesen. PL habe ausdrücklich zu Protokoll gegeben, dass die verzeichneten Leistungen tatsächlich erbracht worden seien. Auf Grund dessen habe er auch einen Anspruch auf die in Rechnung gestellte Entlohnung. Wenn von einem Geschäftsführerbezug von EUR 900,-- vierzehnmal jährlich die Rede sei und dies auch die notwendigen Überstundenleistungen abgelten solle, ließen die vorgelegten Leistungsabrechnungen keinen anderen Schluss als jenen zu, dass dieser Vertragsteil anders als vereinbart gelebt worden sei. Das geschäftsführervertraglich bzw. dienstvertraglich vereinbarte Grundgehalt sei im Prüfungszeitraum "über die Lohnverrechnung gezogen" worden, jedoch sei der wahre Wert der Leistungen des PL von diesem gesondert in Rechnung gestellt worden. Es sei somit zusammenfassend festzustellen, dass die Leistungen und die Stunden auf den Proforma-Rechnungen tatsächlich erbracht worden seien. Von einer Zahlungsunfähigkeit der revisionswerbenden Partei sei nicht auszugehen. Die Gehälter seien sogleich fällig gewesen und gemäß § 19 EStG im Sinne der Zuflussfiktion als zugeflossen anzusehen, weshalb diese Beträge als Gehaltszahlungen "der Sozialversicherung zu unterziehen" gewesen seien.

5 Von der Durchführung einer Beschwerdeverhandlung habe abgesehen werden können, weil der maßgebliche Sachverhalt als durch die Aktenlage hinreichend geklärt zu erachten sei. 6 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht schließlich aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

 

Über die gegen dieses Erkenntnis erhobene außerordentliche Revision hat der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

7 Die revisionswerbende Partei bringt unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG insbesondere vor, dass das Bundesverwaltungsgericht die in Rechnung gestellten Leistungen des PL in Höhe von EUR 240.774,29 zu Unrecht als Gehalt für seine Geschäftsführertätigkeit statt - wie mittlerweile das zuständige Finanzamt - als verdeckte Gewinnausschüttung aus dem Gesellschaftsverhältnis gewertet habe. Es sei auch kein geklärter Sachverhalt vorgelegen, der das Bundesverwaltungsgericht zum Absehen von einer mündlichen Verhandlung berechtigt hätte. In den Revisionsgründen wird dazu näher ausgeführt, dass das Bundesverwaltungsgericht - auch vor dem Hintergrund, dass die Entgelte für die verrechneten Leistungen zu einem unangemessen hohen Geschäftsführergehalt geführt hätten - nicht festgestellt habe, zu welchen Leistungen PL im Rahmen seines Dienstverhältnisses als Geschäftsführer verpflichtet gewesen sei; dies wäre aber von zentraler Bedeutung dafür gewesen, ob die via Pro-forma-Rechnungen fakturierten Leistungen dazu zählten oder nicht.

8 Die Revision erweist sich als zulässig und berechtigt. 9 Gemäß § 44 Abs. 1 Z 1 ASVG ist Grundlage für die Bemessung der allgemeinen Beiträge (allgemeine Beitragsgrundlage) für Pflichtversicherte, sofern im Folgenden nichts anderes bestimmt wird, der im Beitragszeitraum gebührende, auf Cent gerundete Arbeitsverdienst mit Ausnahme allfälliger Sonderzahlungen nach § 49 Abs. 2 ASVG. Als Arbeitsverdienst in diesem Sinne gilt bei den pflichtversicherten Dienstnehmern das Entgelt iSd § 49 Abs. 1, 3, 4 und 6 ASVG. Unter Entgelt sind gemäß § 49 Abs. 1 ASVG die Geld- und Sachbezüge zu verstehen, auf die der pflichtversicherte Dienstnehmer aus dem Dienstverhältnis Anspruch hat oder die er darüber hinaus auf Grund des Dienstverhältnisses vom Dienstgeber oder von einem Dritten erhält.

10 Für die Bemessung der Beiträge ist nicht lediglich das tatsächlich bezahlte Entgelt (Geld- und Sachbezüge) maßgebend, sondern, wenn es das tatsächlich bezahlte Entgelt übersteigt, jenes Entgelt, auf dessen Bezahlung bei Fälligkeit des Beitrags ein Rechtsanspruch bestand. Ob ein Anspruch auf einen Geld- oder Sachbezug besteht, ist nach zivilrechtlichen (arbeitsrechtlichen) Grundsätzen zu beurteilen (vgl. etwa VwGH 27.11.2014, 2013/08/0291, mwN).

11 Im vorliegenden Fall war daher zu klären, wie hoch der Gehaltsanspruch des PL auf Grund seiner - unstrittig der Pflichtversicherung nach dem ASVG unterliegenden - Geschäftsführertätigkeit war. Auf tatsächliche Zahlungen oder auch die Annahme einer steuerrechtlichen Zuflussfiktion kam es für diese sozialversicherungsrechtliche Beurteilung nicht an; allerdings war die Abgrenzung vorzunehmen, inwieweit die Entgeltansprüche ihren Rechtsgrund in der Beschäftigung und nicht etwa in der Kapitalbeteiligung als Gesellschafter oder aber in mit der Gesellschaft abgeschlossenen Werkverträgen hatten (vgl. dazu auch Müller in SV-Komm § 49 ASVG Rz 75).

12 In diesem Sinn hatte die revisionswerbende Partei schon in ihrem Rechtsmittel gegen den Bescheid der GKK bestritten, dass die in den Rechnungen verzeichneten Leistungen Ausfluss der Geschäftsführertätigkeit des PL waren; vielmehr habe es sich um eine für die revisionswerbende Partei unabhängig davon erbrachte selbständige Tätigkeit gehandelt.

13 Mit diesem Vorbringen hat sich das Bundesverwaltungsgericht nicht auseinandergesetzt. Überhaupt fehlen weitgehend Feststellungen zu dem Sachverhalt, von dem das Bundesverwaltungsgericht ausgegangen ist.

14 Insoweit ist in Erinnerung zu rufen, dass die Begründung einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalts, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche es im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben, erfordert. Die drei logisch aufeinander aufbauenden und formal zu trennenden Elemente einer ordnungsgemäß begründeten verwaltungsgerichtlichen Entscheidung bestehen sohin erstens in einer im Indikativ gehaltenen Tatsachenfeststellung, zweitens in der Beweiswürdigung und drittens in der rechtlichen Beurteilung. Die bloße Zitierung von Beweisergebnissen - wie etwa der Aussagen von Zeugen und Parteien -

ist dagegen weder erforderlich noch für die Begründung der Entscheidung hinreichend (vgl. etwa VwGH 5.6.2019, Ra 2019/08/0036, mwN).

15 Dieser Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht im vorliegenden Fall aber unterlaufen, indem es, statt eindeutige Feststellungen zu treffen, vor allem Aussagen der revisionswerbenden Partei bzw. von PL sowie Verfahrensergebnisse wiedergegeben hat; erst in der rechtlichen Beurteilung finden sich vereinzelte dislozierte Feststellungen zu den strittigen Sachverhaltsfragen. Feststellungen zum Umfang der von PL als Geschäftsführer geschuldeten Tätigkeit fehlen, wie die Revision zu Recht rügt, zur Gänze; dabei wäre es freilich nicht nur auf den schriftlich festgelegten Vertragsinhalt, sondern vor allem auf die gelebte Praxis und den dahinter stehenden wahren wirtschaftlichen Gehalt (vgl. § 539a ASVG) angekommen. Auch wäre - worauf die Revision hinweist - zu begründen gewesen, warum es offenbar schon für den Zeitraum Juni 2006 zu Beitragsvorschreibungen gekommen ist, obwohl die Firmenbucheintragung der revisionswerbenden Gesellschaft mit PL als Geschäftsführer erst im September 2006 erfolgt ist.

16 Angesichts der strittigen Tatsachenfragen kann auch keine Rede davon sein, dass im Sinn des § 24 Abs. 4 VwGVG ein geklärter Sachverhalt vorlag, sodass von der (nicht schon im Einspruch an den Landeshauptmann, aber sodann - angesichts des Vorliegens eines Übergangsfalls rechtzeitig (vgl. sinngemäß VwGH 17.12.2014, Ra 2014/03/0038) - im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht) ausdrücklich beantragten mündlichen Verhandlung hätte abgesehen werden dürfen.

17 Da nach dem Gesagten ausreichende Feststellungen zu der für die gegenständliche Beitragsvorschreibung entscheidenden Frage fehlen, auf welches Entgelt PL auf Grund seiner Geschäftsführertätigkeit für die revisionswerbende Partei Anspruch hatte, und überdies die Verhandlungspflicht verletzt wurde, war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

18 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 20

14. Das auf Ersatz der Eingabengebühr gerichtete Mehrbegehren war im Hinblick auf die sachliche Abgabenfreiheit nach § 110 ASVG abzuweisen.

Wien, am 18. Dezember 2019

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