VwGH Ra 2018/22/0041

VwGHRa 2018/22/00418.11.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl, die Hofrätin Mag.a Merl und den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Strasser, über die Revision des Landeshauptmannes von Wien gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Wien vom 28. November 2017, VGW-151/018/15540/2017-1, betreffend Aufenthaltstitel (mitbeteiligte Partei: C B zu Handen ZEIGE Zentrum für Europäische Integration und Globalen Erfahrungsaustausch in 1170 Wien, Ottakringer Straße 54/4/2), zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §117;
NAG 2005 §30 Abs1;
NAG 2005 §47;
StPO 1975 §199;
StPO 1975 §200 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §28 Abs2;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018220041.L00

 

Spruch:

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts Wien (VwG) wurde der Bescheid des Landeshauptmannes von Wien (belangte Behörde vor dem VwG, Revisionswerber), mit dem der Antrag des Mitbeteiligten auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck "Familienangehöriger" wegen Vorliegen einer Aufenthaltsehe gemäß § 11 Abs. 1 Z 4 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) abgewiesen worden war, gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an den Revisionswerber zurückverwiesen. Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde für unzulässig erklärt.

Begründend führte das VwG aus, der Revisionswerber habe sich nicht damit auseinandergesetzt, ob die Staatsanwaltschaft Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Bezirksgerichtes Baden (womit das Strafverfahren gemäß § 117 Fremdenpolizeigesetz wegen des Vorliegens einer Aufenthaltsehe nach Zahlung eines Geldbetrages gemäß § 200 Abs. 4 iVm § 199 StPO eingestellt wurde) eingelegt habe; nach dem Beschwerdevorbringen hätten die Ehepartner die Familiengemeinschaft nach erfolgter Übersiedlung von Niederösterreich nach Wien im Jänner 2017 fortgesetzt. Aus Sicht des VwG liege ein geänderter Sachverhalt vor, der vom Revisionswerber einer neuerlichen Prüfung unterzogen werden müsse.

2 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende Amtsrevision.

3 Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

4 Der Revisionswerber rügt in der Zulässigkeitsbegründung mit näheren Ausführungen ein Abweichen des angefochtenen Beschlusses von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Zulässigkeit der Zurückverweisung gemäß § 28 VwGVG.

5 Die Revision erweist sich im Hinblick auf dieses Vorbringen als zulässig und auch begründet.

6 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 VwGVG normiert diese Bestimmung einen prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen, zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Liegen die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG für eine Sachentscheidung vor, hat das Verwaltungsgericht jedenfalls eine solche zu treffen. Zudem hat das Verwaltungsgericht nachvollziehbar zu begründen, wenn es eine meritorische Entscheidungszuständigkeit nicht als gegeben annimmt (vgl. VwGH 18.4.2018, Ra 2018/22/0015).

7 Im vorliegenden Fall legte der Revisionswerber seiner Entscheidung die vor der Landespolizeidirektion getätigte Aussage der Ehefrau des Mitbeteiligten vom 6. Dezember 2016 zugrunde, in welcher diese angab, dass sie "nur am Papier verheiratet" und der Mitbeteiligte "nicht wirklich mein Ehemann" sei; sie hätten nie eine Beziehung gehabt und die Ehe sei "nicht echt". Weiters berücksichtigte die Behörde die den Verwaltungsakten beiliegende Sachverhaltsdarstellung der Polizeiinspektion P vom 17. Oktober 2016, dass der Mitbeteiligte nie an der Wohnadresse in P, an der er und seine Ehefrau gemeldet waren, angetroffen worden sei und bei einer freiwilligen Nachschau keine Gegenstände wahrgenommen worden seien, die darauf schließen ließen, dass der Mitbeteiligte an dieser Wohnadresse wohnhaft sei. Angesichts dessen kann nicht gesagt werden, der Revisionswerber habe jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen oder lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt.

8 Darüber hinaus legt das VwG auch nicht dar, inwiefern eine fehlende Auseinandersetzung mit der Entscheidung des Bezirksgerichtes Baden entscheidungsrelevant sein könnte. In Zusammenhang mit Strafverfahren wegen des Vergehens einer Aufenthaltsehe sprach der Verwaltungsgerichtshof bereits aus, dass weder die Erstattung einer Anzeige gemäß § 117 FPG noch eine Bestrafung des Ehepartners Voraussetzung für die Annahme des Vorliegens einer Aufenthaltsehe gemäß § 30 Abs. 1 NAG sei; es stehe einer derartigen Annahme auch nicht entgegen, dass ein solches Strafverfahren nicht mit einer Verurteilung geendet habe (vgl. VwGH 9.8.2018, Ra 2018/22/0033). Wenn nun selbst ein strafgerichtlicher Freispruch der Feststellung einer Aufenthaltsehe nicht von vornherein entgegensteht, gilt dies umso mehr für eine strafgerichtliche Diversion.

9 Der Bescheid des Revisionswerbers lässt zwar eine Auseinandersetzung mit der Verlegung des Hauptwohnsitzes der Ehepartner von Niederösterreich nach Wien im Jänner 2017 und mit dem Vorbringen des Mitbeteiligten vom 9. August 2017 vermissen, wonach er und seine Ehefrau nach wie vor eine aufrechte Ehe führten. Allerdings rechtfertigen auch Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs für sich allein keine Aufhebung und Zurückverweisung, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhang mit einer allenfalls durchzuführenden Verhandlung zu vervollständigen sind (vgl. neuerlich VwGH 18.4.2018, Ra 2018/22/0015, mwN). Dem angefochtenen Beschluss lässt sich auch keine Begründung entnehmen, aus welchem Grund das VwG davon ausging, dass die Ergänzung des Ermittlungsverfahrens durch das VwG selbst nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre.

10 Der angefochtene Beschluss war daher in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 8. November 2018

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte