Normen
AsylG 2005 §10 Abs1 Z4;
BFA-VG 2014 §9;
FrPolG 2005 §52 Abs2 Z3;
FrPolG 2005 §52 Abs9;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §53 Abs3 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018210213.L00
Spruch:
1. den Beschluss gefasst:
Die Revision wird, soweit sie sich gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 richtet, zurückgewiesen.
2. zu Recht erkannt:
Im Übrigen wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein aus Tschetschenien stammender russischer Staatsangehöriger, reiste im Jahr 2003 im Alter von zehn Jahren mit seiner Mutter und seinen beiden Schwestern in Österreich ein. Mit Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 4. November 2003 wurde ihm Asyl gewährt. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 22. September 2010 erfolgten die Aberkennung des Status des Asylberechtigten und die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, verbunden mit einer Ausweisung in die Russische Föderation, weil der Revisionswerber straffällig geworden war. Dieser vom Revisionswerber mit Beschwerde bekämpfte Bescheid wurde vom Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 23. Dezember 2011 behoben, und die Angelegenheit wurde an das Bundesasylamt zurückverwiesen. Mit Bescheid vom 18. September 2012 erkannte dieses dem Revisionswerber neuerlich den Status des Asylberechtigten ab und den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zu und wies ihn in die Russische Föderation aus. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Juni 2014 wurde die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde, soweit sie sich gegen die Aberkennung des Status des Asylberechtigten und Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten richtete, als unbegründet abgewiesen; im Übrigen wurde das Verfahren gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 hinsichtlich der Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen. Dieses erließ mit Bescheid vom 15. Juli 2014 eine Rückkehrentscheidung und ein achtjähriges Einreiseverbot samt damit zusammenhängenden Aussprüchen.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis sprach das mit Beschwerde angerufene Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung in teilweiser Abänderung dieses Bescheides aus, dass dem Revisionswerber ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 iVm § 52 Abs. 2 Z 3 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen werde; gemäß § 52 Abs. 9 FPG stellte es fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers in die Russische Föderation zulässig sei, und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG legte es die Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen fest. Schließlich erließ es gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein Einreiseverbot, dessen Dauer es in Korrektur des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl auf fünf Jahre herabsetzte.
3 Begründend stellte das Bundesverwaltungsgericht sechs in den Jahren 2008 bis 2013 erfolgte Verurteilungen des Revisionswerbers fest, am schwerwiegendsten jene vom 16. Dezember 2009 wegen schweren Raubs zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren. Zum Privat- und Familienleben des Revisionswerbers stellte das Bundesverwaltungsgericht fest, dass er im April 2018 eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet habe, mit der er ein Kind erwarte. Er lebe mit seiner Mutter, seinen beiden volljährigen Schwestern und seiner Ehefrau in einem gemeinsamen Haushalt. Er gehe aktuell keiner Erwerbstätigkeit nach und lebe von der Unterstützung seiner Angehörigen. Er habe in Österreich die Hauptschule absolviert, spreche Deutsch und habe im Strafvollzug eine Lehre begonnen. Er verfüge über Kranführer- und Hubstaplerausweise und habe eine Einstellungszusage für eine Beschäftigung als Hausarbeiter vorgelegt. Er sei in keinem Verein Mitglied und engagiere sich nicht ehrenamtlich. Er spreche Tschetschenisch und zumindest grundlegend Russisch; in seinem Herkunftsstaat, in dem er seine ersten zehn Lebensjahre verbracht habe, lebten noch seine Großmutter und entfernte Verwandte.
4 Ein weiterer Aufenthalt des Revisionswerbers würde eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit bedeuten. Angesichts der Schwere der von ihm begangenen Straftaten könne auch unter Berücksichtigung der seit der letzten Tatbegehung verstrichenen Zeit und seiner geänderten familiären Situation von keinem kompletten Wegfall der Gefährdung ausgegangen werden. Er sei wiederholt wegen Raubes und Körperverletzungsdelikten verurteilt worden, des Weiteren wegen Nötigung, falscher Beweisaussage und eines Deliktes nach dem Suchtmittelgesetz. Exemplarisch werde auf die dem Urteil vom 16. Dezember 2009 zugrunde liegende (vom Bundesverwaltungsgericht in der Folge näher dargestellte) Straftat verwiesen. Diese habe der damals minderjährige Revisionswerber trotz zweier einschlägiger Vorstrafen während eines offenen Strafverfahrens begangen. Weiters sei auf das Urteil vom 6. Juli 2009 zu verweisen, mit welchem der Revisionswerber wegen § 83 Abs. 1 und § 105 Abs. 1 StGB verurteilt worden sei, weil er das Opfer durch das Versetzen mehrerer Faustschläge ins Gesicht und Fußtritte in die Rippen vorsätzlich am Körper verletzt und mit der Aussage "Wenn du Anzeige machst, bring ich dich um" zur Abstandnahme von einer Anzeige genötigt habe.
5 Angesichts der kontinuierlichen Tatbegehungen und der Vielzahl der angelasteten schwerwiegenden Straftaten, welche eine hohe Gewaltbereitschaft deutlich machten, in Verbindung mit der unverändert nicht gegebenen beruflichen Eingliederung könne von einem Wegfall der Gefährdung nicht ausgegangen werden. Der Revisionswerber habe in der Beschwerdeverhandlung wiederholt auf seinen zwischenzeitigen Lebenswandel hingewiesen, durch den gewonnenen persönlichen Eindruck werde aber ein nachhaltiger Sinneswandel nicht bestätigt. So habe der Revisionswerber insbesondere keine während der letzten Jahre unternommenen besonderen Bemühungen hinsichtlich einer Eingliederung am Arbeitsmarkt oder einer sonstigen gesellschaftlichen Integration darzulegen vermocht.
6 Das Bundesverwaltungsgericht bejahte die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in das Privat- und Familienleben des Revisionswerbers, zumal er seine Ehe zu einem Zeitpunkt eingegangen sei, in dem ihm sein unsicherer Aufenthaltsstatus bewusst gewesen sei. Das Einreiseverbot sei angesichts der vom Revisionswerber ausgehenden schwerwiegenden Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gerechtfertigt, seine Dauer sei aber angesichts dessen, dass die letzte Verurteilung des Revisionswerbers mittlerweile fünf Jahre zurückliege und er geheiratet habe sowie ein Kind erwarte, auf fünf Jahre herabzusetzen gewesen.
7 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - erwogen hat:
Hat das Verwaltungsgericht in seinem Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig ist, hat die Revision zufolge § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird (außerordentliche Revision). Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof dann im Rahmen dieser vorgebrachten Gründe zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
In Bezug auf die Entscheidung nach § 57 AsylG 2005 fehlt es gänzlich an einem entsprechenden Vorbringen in der vorliegenden Revision. Insoweit war sie daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG - in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat - als unzulässig zurückzuweisen.
8 Im Übrigen bringt der Revisionswerber zur Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG vor, dass das Bundesverwaltungsgericht zu Unrecht eine aktuell von ihm ausgehende Gefährdung bejaht habe. Seine Verurteilungen seien zu einer Zeit erfolgt, in der er noch Jugendlicher oder (bei der letzten Verurteilung) junger Erwachsener gewesen sei. Als Erwachsener habe er über einen langen Zeitraum hindurch keine strafbaren Handlungen mehr begangen. Nunmehr sei er mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet, die ein gemeinsames Kind erwarte. All diese Umstände, verbunden mit der Tatsache, dass der Revisionswerber schon als Kind nach Österreich gekommen sei, müssten eine besondere Berücksichtigung erfahren. Es sei im angefochtenen Erkenntnis auch unbeachtet geblieben, dass das Bundesverwaltungsgericht mehr als vier Jahre gebraucht habe, um die Entscheidung zu erlassen, sodass die Dauer des Aufenthalts des Revisionswerbers in der Behörde zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet sei. Gerade in diesem Zeitraum sei der Revisionswerber nicht straffällig geworden, sondern habe deutlich Schritte gesetzt, die auf den Verlust krimineller Energie schließen ließen.
9 Die Revision ist insoweit zulässig und - wie im Folgenden zu zeigen sein wird - berechtigt, weil das Bundesverwaltungsgericht die genannten Umstände nicht ausreichend berücksichtige.
10 Die vom Revisionswerber begangenen Straftaten waren schwerwiegend, sodass sie zur letztlich auch vom Bundesverwaltungsgericht bestätigten Aberkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 7 AsylG 2005 und Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 AsylG 2005 wegen der von ihm ausgehenden Gefahr geführt haben. Von der - erstmaligen - erstinstanzlichen Aberkennung des Status des Asylberechtigten und Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten bis zur - hier gegenständlichen - Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme durch das Bundesverwaltungsgericht sind allerdings acht Jahre vergangen. In dieser Zeit ist der Revisionswerber zwar nochmals straffällig geworden, was zu einer Verurteilung am 3. Juni 2013 gemäß § 27 Abs. 1 Z 1 2. Fall und Abs. 2 SMG zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten geführt hat. Es handelte sich jedoch - im Unterschied zu den in den Jahren 2008 bis 2009 begangenen Straftaten, die für die Aberkennung des Status des Asylberechtigten und Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten entscheidend waren - um kein Gewaltdelikt. Nähere Feststellungen zu den Umständen dieser Straftat hat das Bundesverwaltungsgericht nicht getroffen.
11 Dies wäre aber erforderlich gewesen, um beurteilen zu können, ob vom Revisionswerber - trotz des seither gegebenen strafrechtlichen Wohlverhaltens und trotz der Begehung der ihm angelasteten schweren Straftaten im jugendlichen Alter von 15 bis 16 Jahren - noch eine solche Gefährdung ausgeht, dass das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung seine privaten Interessen überwiegt. Bei dieser Abwägung wären zu seinen Gunsten neben der außerordentlich langen Verfahrensdauer (vgl. § 9 Abs. 2 Z 9 BFA-VG) vor allem die Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin und das (mittlerweile geborene) gemeinsame Kind sowie seine Einreise nach Österreich im Kindesalter und die daraus resultierende geringe Verankerung im Herkunftsland zu berücksichtigen gewesen. Die mangelnde Integration am Arbeitsmarkt kann dem Revisionswerber hingegen nicht zum Vorwurf gemacht werden, weil ihm auf Grund der Aberkennung des Status des Asylberechtigten zuletzt die Aufnahme einer legalen Beschäftigung versagt war (für den Fall der Erteilung eines Aufenthaltstitels hat der Revisionswerber im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht ohnedies eine Einstellungszusage vorgelegt).
12 Auf Grund der aufgezeigten Begründungsmängel war das angefochtene Erkenntnis - mit Ausnahme des die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 betreffenden Teils - gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
13 Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil es in den Pauschalbeträgen nach der genannten Verordnung keine Deckung findet.
Wien, am 20. Dezember 2018
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