VwGH Ra 2018/21/0185

VwGHRa 2018/21/018513.11.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und den Hofrat Dr. Pelant sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Galesic, über die Revision der J A (alias J A) in G, vertreten durch Mag. Martin Sauseng, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Jakominiplatz 16, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. August 2018, Zl. I415 1422964-2/26E, betreffend Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen und Rückkehrentscheidung sowie Feststellung nach § 52 Abs. 9 FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3;
AsylG 2005 §75 Abs20;
B-VG Art133 Abs4;
FrPolG 2005 §52 Abs2 Z2;
FrPolG 2005 §52 Abs9;
VwGG §34 Abs1;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018210185.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Die Revisionswerberin, eine nigerianische Staatsangehörige, stellte am 10. Juni 2011 nach ihrer illegalen Einreise in das Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 23. November 2011 vollumfänglich abgewiesen. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 15. April 2015 im Hinblick auf die Nichtgewährung von Asyl und subsidiärem Schutz als unbegründet abgewiesen. Gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 wurde das Verfahren hinsichtlich der Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das BFA zurückverwiesen. Dieses sprach mit Bescheid vom 21. Oktober 2015 aus, dass der Revisionswerberin ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt werde, und erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 52 Abs. 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung; gemäß § 52 Abs. 9 FPG stellte es fest, dass die Abschiebung nach Nigeria zulässig sei, und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise festgelegt.

2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde als unbegründet ab. Es stellte fest, dass die Revisionswerberin eine fast 46 Jahre alte Frau sei, die Nigeria im Alter von 38 Jahren verlassen habe. Sie habe zwei Töchter, die in Nigeria lebten. Es sei daher davon auszugehen, dass sie zumindest über geringfügige familiäre bzw. private Beziehungen in ihrem Herkunftsland verfüge. Sie leide an "Exazerbation, persist. Asthma bronchiale vom Mischtyp, polyvalente Inhalationsallergie, allergische Rhinitis, Hypertonie und Migräne". Diese Erkrankungen seien nicht lebensbedrohend und erreichten keine Gravität, welche eine Rückkehr nach Nigeria unzumutbar machen würden. Auf Grund der allgemeinen Lage im Land werde festgestellt, dass die Revisionswerberin im Fall ihrer Rückkehr nach Nigeria mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein werde, zumal sie arbeitsfähig sei. Sie habe in Nigeria mit ihrem Vater und ihrer Mutter in der Landwirtschaft auf einer Farm gearbeitet. Sie spreche "nicht qualifiziert" Deutsch, beziehe monatlich EUR 200,-- von der Caritas und sei als Verkäuferin einer Straßenzeitung tätig. Sie sei im Rahmen dieser Tätigkeit und in der Kirchengemeinde bemüht, Kontakte zu knüpfen und zu pflegen. Sie habe keine familiären Anknüpfungspunkte in Österreich und sei strafgerichtlich unbescholten.

3 In der Beweiswürdigung wurde u.a. ausgeführt, dass nicht feststellbar gewesen sei, wie intensiv sich der familiäre Kontakt der Revisionswerberin zu ihren Töchtern tatsächlich gestalte, weil ihr diesbezügliches Vorbringen nicht stringent gewesen sei, sondern ein immer schlechteres Bild dieser Kontakte dargestellt worden sei. Es könne aus ihren Angaben aber geschlossen werden, dass sie zumindest über gewisse familiäre Beziehungen in ihrem Herkunftsstaat verfüge. Es sei auch davon auszugehen, dass die Revisionswerberin, die bis zu ihrem 38. Lebensjahr mehr oder weniger am gleichen Ort gelebt habe, in ihrem Herkunftsstaat noch über soziale Anknüpfungspunkte verfüge. Die wirtschaftliche Lage in Nigeria sei zwar nicht mit jener in Europa zu vergleichen, die Revisionswerberin habe aber nicht glaubhaft darzulegen vermocht, dass sie im Fall ihrer Rückkehr keine Lebensgrundlage mehr hätte. Es könne ihr als arbeitsfähiger Frau zugemutet werden, wie bereits vor ihrer Ausreise einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Zudem lebten ihre Töchter in Nigeria, auch wenn sich der Kontakt zu ihnen als schwierig zu erweisen scheine.

4 In rechtlicher Hinsicht führte das Bundesverwaltungsgericht zur Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG aus, dass der Aufenthalt der Revisionswerberin im Bundesgebiet rund sieben Jahre gedauert habe. Von einer (maßgeblichen) Aufenthaltsverfestigung allein auf Grund des bisherigen Aufenthalts könne schon deswegen keine Rede sein, weil sie sich spätestens seit der erstinstanzlichen Abweisung ihres Antrages auf internationalen Schutz mit Bescheid des BFA vom 23. November 2011 - bereits fünf Monate nach ihrer Einreise - ihres unsicheren Aufenthaltes bewusst gewesen sei. Außerdem habe ihr gesamter bisheriger Aufenthalt auf einem nach illegaler Einreise gestellten Antrag auf internationalen Schutz gefußt. Ein im Sinn des Art. 8 EMRK geschütztes Familienleben in Österreich habe die Revisionswerberin nicht einmal behauptet. Sie habe durchaus Integrationsbemühungen gezeigt, spreche allerdings "nicht qualifiziert" Deutsch (in der Verhandlung sei eine Konversation ohne Dolmetsch nur sehr eingeschränkt möglich gewesen). Ihre Integration begründe positive Aspekte des Privatlebens, welche zu Gunsten der Revisionswerberin zu berücksichtigen gewesen seien, könne aber für sich genommen die Unzulässigkeit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nicht bewirken. Auch die Einstellungszusage für 30 Wochenstunden als Reinigungskraft verleihe ihrem persönlichen Interesse kein entscheidendes Gewicht. Demgegenüber könne nach wie vor von Bindungen der Revisionswerberin zu ihrem Heimatstaat ausgegangen werden. Vor diesem Hintergrund und nach einer individuellen Abwägung der berührten Interessen könne ein Eingriff in das Privatleben der Revisionswerberin als verhältnismäßig angesehen werden.

5 Zur Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung nach Nigeria sei auszuführen, dass es keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass der Revisionswerberin im Fall ihrer Rückkehr die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten würde. Was ihren Gesundheitszustand betreffe, seien keine körperlichen Gebrechen oder Krankheiten vorgebracht worden, die in Nigeria nicht behandelbar wären. Sie unterliege auch keiner akuten Behandlungsbedürftigkeit in Österreich. Allgemein bestehe in Nigeria keine solche extreme Gefährdungslage, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehre, einer Gefährdung im Sinn des Art. 2 und 3 EMRK ausgesetzt sei.

6 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

7 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich (u.a.) wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG "nicht zur Behandlung eignen", ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

8 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen dieser in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

9 Unter diesem Gesichtspunkt macht die Revisionswerberin geltend, dass das Bundesverwaltungsgericht in relevanter Art und Weise von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Anforderungen an die Begründung einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung abgewichen sei. Die Revisionswerberin habe in der Beschwerdeverhandlung wiederholt darauf verwiesen, dass sie im Fall einer Rückkehr auf sich allein gestellt wäre, zu ihren Töchtern keinen Kontakt habe, in Nigeria nie die Schule besucht habe und ausschließlich unterstützend in der gepachteten Landwirtschaft ihrer Eltern gearbeitet habe. Das Bundesverwaltungsgericht sei jedoch zu "genau uneinheitlichen widersprechenden Feststellungen" gelangt. Widersprüchlich seien bereits die Feststellungen zu den familiären Bindungen im Herkunftsstaat: Das Bundesverwaltungsgericht habe einerseits festgestellt, dass die Revisionswerberin dort "zumindest über geringfügige familiäre bzw. private Beziehungen" verfüge, andererseits, dass "nicht konkret festgestellt werden konnte, wie intensiv sich der familiäre Kontakt der (Revisionswerberin) zu ihren Töchtern im Herkunftsland tatsächlich gestaltet". Bereits diese Feststellungen seien "derart von widersprüchlicher Aussage", dass es dem Verwaltungsgerichtshof unmöglich sei, seiner nachprüfenden Kontrolle nachzukommen. Widersprüchlich sei auch die Feststellung, dass der Revisionswerberin zugemutet werden könne, selbst für ihren Lebensunterhalt zu sorgen, während sich aus dem im angefochtenen Erkenntnis wiedergegebenen Länderbericht ergebe, dass es keine speziellen Unterstützungsprogramme für allein zurückkehrende Frauen und Mütter gebe. Aus diesem Länderbericht gehe auch hervor, dass es zu beachtlicher "ökonomischer Diskrepanz" von Frauen komme und diese in der patriarchalischen und teilweise polygamen Gesellschaft Nigerias in vielen Rechts- und Lebensbereichen benachteiligt würden, obwohl die Verfassung Gleichberechtigung vorsehe; weiters, dass Diskriminierung im Arbeitsleben für viele Frauen Alltag sei sowie, dass mehr als 80% der arbeitsfähigen Bevölkerung Nigerias arbeitslos und 60% der Arbeitslosen Abgänger der Haupt- oder Mittelschule ohne Berufsausbildung seien. Bei einer derart unklaren Beweislage wäre es Aufgabe des Bundesverwaltungsgerichts gewesen, schlüssig zu begründen, welchen Quellen es auf Grund welcher Umstände die höhere Beweiskraft zumesse, oder aber weitere Quellen heranzuziehen, die verlässliche Feststellungen ermöglichten. Es sei nicht nachvollziehbar, wie das Bundesverwaltungsgericht zu der maßgeblichen Feststellung komme, dass der Revisionswerberin zugemutet werden könne, im Herkunftsstaat selbst für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Hätte das Bundesverwaltungsgericht ein ordentliches Ermittlungsverfahren durchgeführt, wäre es zum Ergebnis gelangt, dass unter Berücksichtigung der Lage im Herkunftsstaat und der persönlichen Verhältnisse der Revisionswerberin eine Sicherung des Lebensunterhalts nicht möglich sei und somit von einer "dauerhaften Unzulässigkeit der Rückkehr" auszugehen sei.

10 Die behaupteten Widersprüche in der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses liegen indes nicht vor. Die Feststellung, dass die Revisionswerberin im Hinblick auf ihre in Nigeria lebenden Töchter dort "zumindest über geringfügige familiäre bzw. private Beziehungen" verfügt, lässt sich ohne weiteres damit in Einklang bringen, dass nicht konkret festgestellt werden konnte, wie intensiv sich der Kontakt tatsächlich gestaltete; das Bundesverwaltungsgericht ist nämlich auf Grund einer schlüssigen Beweiswürdigung davon ausgegangen, dass es jedenfalls zu keinem völligen Abbruch des Kontakts gekommen sei. Hinsichtlich der ökonomischen Rückkehrsituation der Revisionswerberin hat das Bundesverwaltungsgericht mögliche Schwierigkeiten - wie sie auch aus dem Länderbericht zu Nigeria hervorgehen - eingeräumt. Auch in der Revision wird aber nicht konkret behauptet, dass sich daraus - entgegen der Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichts - eine Verletzung des Art. 3 EMRK ergeben würde. Dass die Revisionswerberin bei ihrer Rückkehr jedoch unter dieser Schwelle liegenden Schwierigkeiten beim Wiederaufbau einer Existenz im Heimatland begegnen wird, vermag in einem Fall wie dem hier vorliegenden das Interesse an einem Verbleib in Österreich nicht in maßgeblicher Weise zu verstärken, sondern ist vielmehr - letztlich auch als Folge des seinerzeitigen, ohne ausreichenden (die Gewährung von Asyl oder subsidiärem Schutz rechtfertigenden) Grund für die Flucht nach Österreich vorgenommenen Verlassens des Heimatlandes - im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen hinzunehmen (vgl. zuletzt VwGH 25.9.2018, Ra 2018/21/0178, mwN).

11 In der Revision werden somit insgesamt keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 13. November 2018

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