VwGH Ra 2018/21/0007

VwGHRa 2018/21/000715.3.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Samonig, über die Revision des S V I in W, vertreten durch Dr. Rudolf Mayer, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Universitätsstraße 8/2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 9. November 2017, G313 2151669- 1/10E, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Normen

BFA-VG 2014 §21 Abs7;
FrPolG 2005 §67 Abs1;
FrPolG 2005 §67 Abs2;
MRK Art8;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGVG 2014 §24;
VwRallg;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018210007.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Bescheid vom 8. März 2017 erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen den Revisionswerber, einen seit 9. Dezember 2014 über eine Anmeldebescheinigung verfügenden bulgarischen Staatsangehörigen, gemäß § 67 Abs. 1 und 2  FPG ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.

2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 9. November 2017 gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde insofern Folge, als die Dauer des Aufenthaltsverbots auf drei Jahre herabgesetzt wurde. Im Übrigen wies das BVwG die Beschwerde als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

3 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung des Vorverfahrens - Revisionsbeantwortungen wurde nicht erstattet - erwogen hat:

4 Die Revision erweist sich - wie in ihrer Zulässigkeitsbegründung im Ergebnis zutreffend aufgezeigt wird - deshalb als zulässig und berechtigt, weil das BVwG von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen ist, indem es keine näheren Feststellungen zu den dem Revisionswerber angelasteten Straftaten getroffen und von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen hat.

5 Gegen den Revisionswerber als Unionsbürger wäre die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 67 Abs. 1 erster bis vierter Satz FPG nur dann zulässig, wenn auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahme begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.

6 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafrechtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (vgl. etwa VwGH 22.1.2015, Ra 2014/21/0052, Punkt 2. der Entscheidungsgründe, mwN).

7 Diesbezüglich stellte das BVwG fest, der Revisionswerber sei mit Urteil eines inländischen Strafgerichts vom 9. Juni 2016 wegen der Begehung des Verbrechens des gewerbsmäßig schweren Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von fünfzehn Monaten, davon fünf Monate unbedingt und zehn Monate bedingt, verurteilt worden. Dem liege zugrunde, dass der Revisionswerber "am 18.02.2016 und 19.02.2016 im Zeitraum von Jänner 2015 und Ende April 2015 mit einem seiner Brüder als Mittäter und im Zeitraum von April 2015 bis Februar 2016 allein mehrmals Verfügungsberechtigten gewerbsmäßig fremde bewegliche Sachen, nämlich Bargeld in jeweils nicht mehr feststellbarer Höhe, mit dem Vorsatz, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, weggenommen hat".

8 Diesen Feststellungen hält die Revision zunächst zutreffend entgegen, dass der Revisionswerber nicht zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe, sondern (nur) zu einer - zur Gänze bedingt nachgesehenen - Freiheitsstrafe von 20 Monaten verurteilt worden sei. Davon scheint das BVwG dann an anderen Stellen seiner Entscheidung auch ausgegangen zu sein, ohne allerdings auf den Widerspruch zu den erwähnten Feststellungen einzugehen. Im Übrigen erfolgte wegen der vom BVwG unterstellten Tathandlungen am 18. Februar 2016 und am 19. Februar 2016 keine Verurteilung des Revisionswerbers. Auch insofern ist dem BVwG daher eine Aktenwidrigkeit unterlaufen. Vor allem lassen sich aber den Feststellungen die näheren Umstände der dem Revisionswerber zur Last gelegten Diebstahlsfakten nicht entnehmen. Dazu kommt, dass das BVwG auf das Vorbringen in der Beschwerde, in der bereits die unzureichenden Feststellungen des BFA zum Fehlverhalten des Revisionswerbers bemängelt worden waren, der Revisionswerber sei durch seine (mittlerweile abgeschobenen) Brüder in "diese kriminelle Sache hineingezogen" worden und es habe sich um seine erste strafgerichtliche Verurteilung, die er "zutiefst" bereue, gehandelt, nicht konkret eingegangen ist (vgl. insoweit ähnlich die Konstellation zu VwGH 16.10.2014, Ra 2014/21/0039, Punkt 2. der Entscheidungsgründe). Damit hat das BVwG den in Rn. 5 und 6 dargelegten Anforderungen für die Erstellung einer nachvollziehbaren Gefährdungsprognose nicht entsprochen. Das gilt im Übrigen auch, soweit das BVwG gegen den Revisionswerber überdies noch (eingestellte) Strafverfahren wegen eines Suchtgiftdeliktes, Entwendung und Raufhandels ins Treffen führte.

9 Nähere Feststellungen zum Fehlverhalten des Revisionswerbers wären im vorliegenden Fall aber auch deshalb erforderlich gewesen, weil das BVwG im Rahmen der rechtlichen Beurteilung dann zum Ergebnis kam, die vom Strafgericht herangezogenen Milderungsgründe, dass der Revisionswerber einen wesentlichen Beitrag zur "Wahrheitsfindung" - er sei "monatelang anonymer Hinweisgeber der Polizei" gewesen, wodurch erst die Ausforschung anderer Täter möglich geworden sei - geleistet und ein reumütiges Geständnis abgelegt habe, sowie seine familiären Anknüpfungspunkte und seine "durchgehende Wohnsitzmeldung seit 2012" hätten eine "positivere Zukunftsprognose zur Folge", die jedoch nicht zur "gänzlichen Aufhebung des Aufenthaltsverbotes", sondern nur zur Reduzierung seiner Dauer führen könne. Diese Schlussfolgerungen sind aber auf Basis der im angefochtenen Erkenntnis getroffenen unzureichenden Feststellungen zum Fehlverhalten des Revisionswerbers, die eine Beurteilung des Gewichts des öffentlichen Interesses an der Beendigung seines Aufenthalts nicht zulassen, in dieser Form nicht nachvollziehbar. Das BVwG ist nämlich in der weiteren Begründung überdies noch zugunsten des Revisionswerbers davon ausgegangen, er habe sich nach der Verurteilung nachweislich bemüht, "auf rechtmäßige Weise regelmäßige Einnahmen zu verschaffen", indem er ab Juli 2016 ein Jahr lang einer Arbeit nachgegangen sei und nach weiteren (geringfügigen) Arbeitsverhältnissen am 10. Juli 2017 seine nunmehrige (Voll‑)Beschäftigung begonnen habe.

10 Die Unterlassung einer mündlichen Verhandlung begründete das BVwG damit, dass ein im Sinne des § 21 Abs. 7 BFA-VG geklärter Sachverhalt vorgelegen sei. Der Verwaltungsgerichtshof hat jedoch schon wiederholt darauf hingewiesen, dass der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks bei der Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen, insbesondere auch in Bezug auf die Gefährdungsprognose, besondere Bedeutung zukommt. Demzufolge kann (u.a.) bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes im Allgemeinen nur in eindeutigen Fällen vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 Abs. 7 BFA-VG ausgegangen werden, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht von ihm einen persönlichen Eindruck verschafft (vgl. etwa VwGH 29.6.2017, Ra 2017/21/0068, Rn. 12, mwN). Ein derart eindeutiger Fall lag aber hier - wie sich schon aus den Ausführungen in den Rn. 8 und 9 ergibt - nicht vor.

11 Das BVwG bezog sich in diesem Zusammenhang zwar auch noch darauf, dass der Revisionswerber in der (von einem rechtskundigen Vertreter verfassten) Beschwerde keinen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gestellt habe. Dabei wurde jedoch außer Acht gelassen, dass der Revisionswerber in der Beschwerde Anträge auf Vernehmung von zu seinen Gunsten (hinsichtlich positiver Zukunftsprognose und Intensität des Privat- und Familienlebens) namhaft gemachten Zeugen gestellt hatte. Angesichts dessen durfte aber - entgegen der offenbar vom BVwG vertretenen Meinung - nicht davon ausgegangen werden, der Revisionswerber habe auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet (vgl. dazu VwGH 22.1.2014, 2013/21/0135, und daran anschließend VwGH 22.5.2014, Ra 2014/21/0047).

12 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

13 Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 15. März 2018

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte