VwGH Ra 2018/18/0269

VwGHRa 2018/18/026927.6.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des H S, vertreten durch Mag. Clemens Lahner, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. März 2018, Zl. W248 2149344- 1/16E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §11;
AsylG 2005 §8 Abs1;
MRK Art3;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018180269.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, stellte am 8. Juli 2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte der aus der Provinz Baghlan stammende Revisionswerber im Wesentlichen vor, sein Vater, der als Polizist gearbeitet habe, sei vor etwa sechs Jahren von den Taliban ermordet worden. Zudem hätten die Taliban den Wunsch geäußert, er solle sich ihnen gemeinsam mit anderen Jugendlichen anschließen und die Polizisten im Herkunftsort des Revisionswerbers töten.

2 Mit Bescheid vom 13. Februar 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag zur Gänze ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass dessen Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für eine freiwillige Ausreise setzte die Behörde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3 Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ab. Die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.

4 Das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers erachtete das Bundesverwaltungsgericht aus näher dargestellten Gründen als nicht glaubhaft. Insbesondere drohe ihm bei Rückkehr keine Zwangsrekrutierung durch die Taliban und keine (Gruppen-) Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara. Soweit er eine Verfolgung aufgrund seiner "westlichen Orientierung" behaupte, könne aufgrund des in der Beschwerdeverhandlung gewonnenen Eindrucks vom Revisionswerber und seines "gänzlich unsubstantiierten Vorbringens" nicht davon ausgegangen werden, dass er eine "westliche Lebenseinstellung" in einer solchen Weise übernommen habe, dass er deshalb bei einer Rückkehr nach Afghanistan einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt wäre. Unter Hinweis auf das Vorliegen einer für den jungen, gesunden und arbeitsfähigen Revisionswerber zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative in Kabul beziehungsweise in Mazar-e Sharif hielt das Gericht weiters fest, dass dem Revisionswerber auch nicht der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen sei. Dieser verfüge über eine achtjährige Schulbildung, habe bereits Berufserfahrung in der Landwirtschaft gesammelt, beherrsche die Sprache Dari und sei mit den kulturellen Gepflogenheiten in Afghanistan vertraut. Zudem lebe eine Tante des Revisionswerbers in Mazar-e Sharif, die ihn finanziell oder - im Fall seiner Ansiedlung in Mazar-e Sharif - dort durch die Zurverfügungstellung einer zumindest vorübergehenden Wohngelegenheit unterstützen könne. Die Sicherheitslage in den zuletzt genannten afghanischen Städten, die über den Flughafen gut erreichbar seien, sei als ausreichend sicher zu bewerten.

5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der unter dem Gesichtspunkt einer Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - zusammengefasst - vorgebracht wird, es liege insofern ein Verstoß gegen die Ermittlungs- und Begründungspflicht vor, als sich das Gericht nicht ausreichend mit dem Fluchtvorbringen des Revisionswerbers, insbesondere mit der diesem drohenden Zwangsrekrutierung durch die Taliban, der drohenden Verfolgung aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Gruppe der Hazara, mit dem "westlichen" Erscheinungsbild des Revisionswerbers, das sich in seinem Kleidungsstil äußere, und seiner liberalen Einstellung auseinandergesetzt habe. Letztere zeige sich auch daran, dass der Revisionswerber im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan (in Zukunft) an Demonstrationen gegen die Diskriminierung der Hazara teilnehmen wolle, er wiederholt auf seinen Wunsch nach Bildung verwiesen habe und er plane, "in der Zukunft eine Österreicherin - vermutlich nicht muslimischen Glaubens - heiraten zu wollen". Weiters habe es das Gericht, das seine Entscheidung auf nicht ausreichend aktuelle Länderfeststellungen stütze, unterlassen, im Rahmen amtswegiger Ermittlungen den in Österreich lebenden Bruder des Revisionswerbers als Zeugen zu vernehmen und die im Zeitraum von fünf Monaten zwischen der durchgeführten Verhandlung und der Erlassung der Entscheidung eingetretene Änderung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes (in Österreich erlangter Pflichtschulabschluss, Intensivierung der Beziehung zu dem in Österreich lebenden Bruder, "Liebesbeziehung zu einer jungen Frau") zu berücksichtigen. Schließlich liege im Zusammenhang mit einem dem Revisionswerber im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht zur Kenntnis gebrachten, im angefochtenen Erkenntnis angeführten Bericht betreffend die Rekrutierungsmethoden der Taliban eine Verletzung des Parteiengehörs vor und beruhe das angefochtene Erkenntnis auf insofern teils aktenwidrigen Feststellungen, als das Verwaltungsgericht davon ausgegangen sei, dass der Revisionswerber in Österreich neben den Kontakten zu seinem Bruder über keine "engen" sozialen Bindungen verfüge und ihn seine in Mazar-e Sharif lebende Tante finanziell unterstützen könne.

Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.

6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9 Soweit sich die Revision gegen die Einschätzung des Verwaltungsgerichts wendet, dem Revisionswerber drohe bei Rückkehr nach Afghanistan weder aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit noch aufgrund der behaupteten, aber nicht glaubhaft gemachten "westlichen Lebenseinstellung", Verfolgung, zeigt sie nicht auf, dass die diesbezüglichen beweiswürdigenden Erwägungen des Gerichtes unvertretbar wären.

10 Den im Zusammenhang mit dem weiteren Fluchtvorbringen des Revisionswerbers im Zulässigkeitsvorbringen ins Treffen geführten Verfahrensmängeln fehlt es (schon) aus folgenden Überlegungen an der zur Darlegung einer Rechtsfrage im Sinne von Art. 133 Abs. 4 B-VG erforderlichen Relevanz:

11 Das Bundesverwaltungsgericht stützte seine Entscheidung in tragender Weise auch auf die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in den Städten Kabul und Mazar-e Sharif.

12 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass die Prüfung der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Flucht- und Schutzalternative eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers erfordert. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (vgl. VwGH 20.4.2018, Ra 2018/18/0194; VwGH 23.1.2018, Ra 2018/18/0001).

13 Entgegen den Ausführungen in der Revision berücksichtigte das Verwaltungsgericht sowohl die persönliche Situation des Revisionswerbers bei seiner Rückkehr nach Afghanistan als auch die allgemeinen Gegebenheiten und die zu erwartende Lage in dem als innerstaatliche Flucht- und Schutzalternative angenommenen Gebiet. Insbesondere ist die Einschätzung des Bundesverwaltungsgerichts, dass der die Landessprache Dari sprechende Revisionswerber als junger, gesunder und arbeitsfähiger Mann mit achtjähriger Schulbildung und Berufserfahrung in der Landwirtschaft aufgrund der aufgezeigten Umstände des Einzelfalls u. a. in Kabul eine zumutbare innerstaatliche Flucht- und Schutzalternative vorfinde, im Hinblick auf die insoweit einheitliche Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes nicht zu beanstanden (vgl. grundsätzlich VwGH 23.1.2018, Ra 2018/18/0001, und VfGH 12.12.2017, E 2068/2017;

betreffend einen Angehörigen der Hazara auch bei Fehlen familiärer Anknüpfungspunkte in Afghanistan siehe VwGH 22.2.2018, Ra 2017/18/0351; vgl. im Übrigen VwGH 20.4.2018, Ra 2018/18/0194;

21.3.2018, Ra 2017/18/0271). Wenn der Revisionswerber geltend macht, dass ihn seine Tante, von der er - wie seine Angaben in der mündlichen Verhandlung nahe legten - aktuell nicht wissen könne, ob sie noch in Mazar-e Sharif lebe, nicht finanziell unterstützen würde, vermag er mit diesem Vorbringen der Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht substantiiert entgegen zu treten.

14 Soweit sich der Revisionswerber im Übrigen gegen die vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommene Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK wendet, ist festzuhalten, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist (vgl. etwa VwGH 20.4.2018, Ra 2018/18/0194).

15 Das Bundesverwaltungsgericht trug im Rahmen seiner Interessenabwägung den sozialen Kontakten des Revisionswerbers im Bundesgebiet, u.a. im Hinblick auf seinen Freundeskreis, sowie dem in Österreich erlangten Pflichtschulabschluss Rechnung (vgl. Seite 78 des angefochtenen Erkenntnisses). Selbst unter der Annahme, dass sich die persönlichen Kontakte des Revisionswerbers zu seinem in Österreich lebenden Bruder seit dem Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung intensiviert hätten, die Brüder einander mittlerweile - wie in der Revision behauptet - einmal wöchentlich träfen und der Revisionswerber seit einigen Monaten eine "Liebesbeziehung" in Österreich eingegangen wäre, ist auf dem Boden der Revision nicht ersichtlich, dass die verwaltungsgerichtliche Interessenabwägung in unvertretbarer Weise vorgenommen worden wäre.

16 Vor diesem Hintergrund vermag die Revision nicht aufzuzeigen, dass das Bundesverwaltungsgericht bezüglich der die angefochtene Entscheidung tragenden Erwägungen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wäre.

17 In der Revision werden daher keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war somit gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.

Wien, am 27. Juni 2018

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