VwGH Ra 2018/18/0149

VwGHRa 2018/18/01494.10.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision der G H, vertreten durch Dr. Günther Steiner, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Linke Wienzeile 4, dieser vertreten durch Dr. Amhof & Dr. Damian Rechtsanwälte GmbH in 1060 Wien, Linke Wienzeile 4/2/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. Februar 2018, Zl. W105 2179720- 1/2E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Österreichische Botschaft Islamabad), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §35 Abs1;
AsylG 2005 §35 Abs5;
IPRG §6;
VwRallg;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018180149.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Die Revisionswerberin, eine afghanische Staatsangehörige, stellte am 31. März 2016 bei der Österreichischen Botschaft (ÖB) Islamabad einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels gemäß § 35 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Als Bezugsperson in Österreich führte sie ihren afghanischen Ehemann an, dem mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 16. Mai 2015 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt worden sei.

2 Mit Bescheid vom 4. August 2017, bestätigt durch Beschwerdevorentscheidung vom 31. Oktober 2017, wies die ÖB Islamabad den Antrag der Revisionswerberin ab.

3 Über Vorlageantrag der Revisionswerberin wies auch das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die Beschwerde mit dem angefochtenen Erkenntnis ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.

4 Das BVwG stellte fest, ihm liege eine Heiratsurkunde, ausgestellt durch die Islamische Republik Afghanistan am 23. August 2015, vor, die eine Registrierung der Eheschließung der Revisionswerberin mit einem näher genannten afghanischen Staatsangehörigen mit 2. Oktober 2012 ausweise. Letzterer habe am 18. Juli 2013 die Gewährung internationalen Schutzes in Österreich beantragt; mit Bescheid des BFA vom 16. Mai 2015 sei ihm der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden.

5 Im Folgenden führte das BVwG - zusammengefasst - aus, nach afghanischem Zivilrecht sei für die Gültigkeit der Eheschließung deren Registrierung vorgeschrieben. Ohne Nachweis durch eine öffentliche Urkunde sei die Ehe nach staatlichem Recht ungültig. Als notorisch sei anzunehmen, dass dem afghanischen Recht die staatliche Registrierung einer rituell geschlossenen Ehe nicht fremd sei. Auch möge es durchaus dem afghanischen Recht entsprechen, eine bereits zu einem früheren Zeitpunkt geschlossene Ehe nach islamischen Gesetzen anzuerkennen. Im gegenständlichen Verfahren sei aber davon auszugehen, dass - unabhängig davon, ob die vorgelegten Urkunden unwahre Inhalte aufwiesen - die sich aus den Dokumenten ergebende, in Abwesenheit der Bezugsperson "in Syrien" (gemeint offenbar: in Afghanistan) registrierte Ehe allein darauf aufbauend in Österreich keinen Rechtsbestand habe. Vor der Ausreise der Bezugsperson bzw. vor Registrierung der Heirat habe diese Ehe auch nicht bereits im Herkunftsstaat bestanden und liege damit alleine aufgrund dieser (zudem nicht durch unbedenkliche Beweismittel nachgewiesenen) nachträglichen Registrierung auch keine rechtlich relevante Ehe vor der Ausreise der Bezugsperson im Heimatstaat vor. Festzuhalten sei sohin, dass jedweder Verweis auf eine nach Sharia-Recht geschlossene Ehe ins Leere gehen müsse, da das gesamte Eherecht der Sharia, inkludierend die Vorschriften zur Zulässigkeit der Vielehe und die Bestimmungen zur Scheidung durch seitens des Mannes ausgesprochene "Verstoßung", in toto dem ordre public widersprechend zu betrachten sei.

6 Dagegen wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zur Zulässigkeit und in der Sache unter anderem geltend macht, das BVwG sei von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung zur Anwendung der Vorbehaltsklausel (ordre public-Klausel) gemäß § 6 IPRG abgewichen. Im vorliegenden Fall sei die Ehe zwischen der Revisionswerberin und der Bezugsperson aus freiem Willen geschlossen worden. Die Revisionswerberin sei zum Zeitpunkt der Eheschließung kurz vor Vollendung ihres 17. Lebensjahres gestanden und habe über die notwendige Reife verfügt, eine Ehegemeinschaft einzugehen. Bei der Eheschließung seien beide Partner sowie mehrere Trauzeugen und ein Geistlicher anwesend gewesen. Die traditionell geschlossene Ehe sei durch ein afghanisches Gericht rückwirkend für gültig erklärt worden. Wenn das BVwG die Abweisung der Beschwerde damit begründe, dass die rückwirkende Gültigkeit von traditionell geschlossenen Ehen den Grundwerten der österreichischen Rechtsordnung widerspreche, so weiche sie damit von der - näher bezeichneten - Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes und des Obersten Gerichtshofes ab.

7 Die ÖB Islamabad hat im Vorverfahren von der Erstattung einer Revisionsbeantwortung ausdrücklich Abstand genommen.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

8 Die Revision ist zulässig und begründet.

9 Gemäß § 35 Abs. 1 AsylG 2005 ist dem Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde und der sich im Ausland befindet, ein Einreisetitel zwecks Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz in Österreich zu erteilen. Als Familienangehöriger im Sinne dieser Norm gilt nach § 35 Abs. 5 AsylG 2005 (unter anderem), wer Ehegatte eines Fremden ist, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bereits vor der Einreise des Asylberechtigten bestanden hat.

10 Im vorliegenden Fall scheint das BVwG in seiner nur mangelhaft begründeten Entscheidung Bedenken hinsichtlich der Richtigkeit der vorgelegten Unterlagen zu haben, die eine Eheschließung der Revisionswerberin und ihres Ehemannes (der asylberechtigten Bezugsperson) vor dessen Einreise nach Österreich dokumentieren sollen. Diese Frage wird vom BVwG jedoch nicht abschließend behandelt, weil das Verwaltungsgericht die Rechtsansicht vertritt, eine derartige traditionelle Eheschließung, die nachträglich entsprechend dem afghanischen Zivilgesetzbuch registriert und - offenbar - rückwirkend anerkannt worden ist, widerspreche den Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung (ordre public) und sei daher jedenfalls nicht gültig.

11 Diese Rechtsauffassung steht, wie die Revision im Ergebnis zutreffend geltend macht, im Widerspruch zur Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. So wurde in einem ähnlich gelagerten (das syrische Eherecht betreffenden) Fall erst jüngst erkannt, dass eine die Formvorschriften des Ortes der Eheschließung erfüllende Ehe grundsätzlich gültig ist. Der bloße Umstand der rückwirkenden Anerkennung einer traditionellen Eheschließung mit ihrer nachfolgenden staatlichen Registrierung im ausländischen Recht verstößt - entgegen den Annahmen des BVwG - nicht gegen die Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung. Inhaltliche Vorbehalte gegen die Eheschließung, die eine Verletzung des ordre public begründen könnten (wie etwa eine Verletzung des Verbotes der Kinderehe oder des Ehezwangs) wurden vom BVwG nicht festgestellt (vgl. zum Ganzen VwGH 6.9.2018, Ra 2018/18/0094, mwN).

12 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat aufzuheben.

13 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Wien, am 4. Oktober 2018

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