VwGH Ra 2018/18/0032

VwGHRa 2018/18/003221.3.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober, den Hofrat Dr. Sutter sowie die Hofrätin MMag. Ginthör als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Wech, über die Revision des N S, in V, vertreten durch Mag. Georg Bürstmayr, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hahngasse 25/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. November 2017, Zl. W134 2162821- 1/13E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

B-VG Art133 Abs4;
VwGG §28 Abs3;
VwGG §34 Abs1;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018180032.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 30. März 2016 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.

2 Mit Bescheid vom 9. Juni 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für eine freiwillige Ausreise setzte das BFA mit vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

4 Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, der Revisionswerber stamme aus der Provinz Logar und gehöre der Volksgruppe der Tadschiken an. Die Muttersprache des Revisionswerbers sei Dari. Er habe zwölf Jahre lang die Schule besucht und anschließend als Englischlehrer gearbeitet. Der Revisionswerber habe Englisch- und Computerkurse angeboten. Das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers, wonach er aufgrund seiner Tätigkeit als Kursleiter und Nachhilfelehrer von den Taliban entführt, gefoltert und mit dem Tod bedroht worden sei, wertete das Bundesverwaltungsgericht nur insofern als glaubhaft, als davon auszugehen sei, dass der Revisionswerber als Lehrer tätig gewesen sei und Schüler unterrichtet habe. Weiters hielt das Gericht fest, dass es, selbst wenn - wie vom Revisionswerber vorgebracht - Verfolgungshandlungen durch die Taliban tatsächlich stattgefunden hätten, nicht nachvollziehbar sei, aus welchem Grund der Revisionswerber aktuell, wo er die den Taliban missfallenden Kurse nicht mehr abhalte, weiterhin einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt sein sollte. Zudem bestehe für den jungen und arbeitsfähigen Revisionswerber eine innerstaatliche Fluchtalternative in den ausreichend sicheren afghanischen Städten Mazar-e-Sharif, Herat sowie Kabul, wobei er in der afghanischen Hauptstadt auch drei Jahre lang die Schule besucht habe und daher dort über entsprechende Ortskenntnisse verfüge. Im Hinblick auf die vom Revisionswerber ins Treffen geführte posttraumatische Belastungsstörung stünden (u.a.) in Kabul entsprechende Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Es sei nicht davon auszugehen, dass die Taliban den Revisionswerber weiträumig verfolgen würden, weil der Revisionswerber durch das Schließen der Kurse bereits den Wünschen der Taliban nachgekommen sei. Er habe auch das Gebäude, das die Taliban als Stützpunkt nützen wollten, nicht mehr inne. Gegenteiliges ergebe sich auch nicht aus dem vom Revisionswerber vorgelegten "allgemeinen Report zu den Taliban". Aufgrund seines relativ hohen Bildungsniveaus sei es dem Revisionswerber den Länderberichten zufolge möglich, zumindest durch Hilfstätigkeiten seine Existenzgrundlage zu sichern. Zudem könne er durch seine in Afghanistan lebenden Familienangehörigen unterstützt werden.

5 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 13. Dezember 2017, E 4207/2017-5, die Behandlung der Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 2 B-VG ablehnte und diese gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

6 Die vorliegende außerordentliche Revision macht zur Begründung ihrer Zulässigkeit zusammengefasst geltend, das Bundesverwaltungsgericht habe das Vorbringen des Revisionswerbers, wonach ihm in seinem Herkunftsstaat aufgrund der ihm unterstellten politischen und religiösen Gesinnung aktuelle Verfolgung drohe, nicht ganzheitlich gewürdigt und teilweise außer Acht gelassen. Das Gericht habe die vom Revisionswerber vorgelegten Beweismittel, welche die ihm durch die Taliban zugefügten Verletzungen belegten, ignoriert. Darüber hinaus habe sich das Bundesverwaltungsgericht über das Vorbringen des Revisionswerbers, wonach ihm in Afghanistan eine landesweite Verfolgung drohe, schlicht hinweggesetzt. In diesem Zusammenhang habe es das Gericht auch verabsäumt, weitere Ermittlungsschritte zu setzen. Überdies erweise sich die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichts insofern als mangelhaft, als sich das angefochtene Erkenntnis auf ein Gutachten des Sachverständigen Mag. M. stütze, dem der Revisionswerber unter Vorlage umfangreicher Berichte zur Lage in Afghanistan entgegengetreten sei. Das Bundesverwaltungsgericht habe in krasser Verkennung des Prinzips der freien Beweiswürdigung den vom Revisionswerber beigebrachten Berichten einen "geringeren Beweiswert" beigemessen als dem unschlüssigen Gutachten des Sachverständigen Mag. M.

Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan:

7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Hat das Verwaltungsgericht - wie im vorliegenden Fall - im Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision nicht zulässig ist, muss die Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Der Verwaltungsgerichtshof ist bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nicht gebunden. Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß § 34 Abs. 1a VwGG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe zu überprüfen. Liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG danach nicht vor, ist die Revision gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

8 Im vorliegenden Fall ging das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass dem Revisionswerber bei Rückkehr in seine Herkunftsregion aktuell keine asylrelevante Verfolgung drohe. Wenn die Revision ins Treffen führt, das Verwaltungsgericht habe bei dieser Beurteilung tragende Verfahrensgrundsätze außer Acht gelassen, ist ihr zu erwidern, dass das angefochtene Erkenntnis insoweit, als es sich auch auf das Vorliegen einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative in der afghanischen Hauptstadt Kabul beziehungsweise in den afghanischen Städten Mazar-e-Sharif und Herat beruft, auf einer tragfähigen Alternativbegründung beruht.

9 Dabei hat sich das Verwaltungsgericht nicht über das Vorbringen des Revisionswerbers hinweggesetzt. Vielmehr wurde der Revisionswerber in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht konkret befragt, weshalb er von einer aktuellen Verfolgung in Afghanistan ausgehe, obgleich er den Bildungskurs nicht mehr führe, der nach seinen Angaben Anlass für die Verfolgung durch die Taliban gewesen sei. Diese Frage beantwortete der Revisionswerber dahingehend, dass er sich auf der Liste der Taliban befinde und diese, wenn sie sich vornähmen, jemanden zu töten, dies auch umsetzten. Diese vom Revisionswerber abgegebene Einschätzung betreffend die fortbestehende Gefahr seiner weiteren Verfolgung durch die Taliban hat das Bundesverwaltungsgericht beweiswürdigend erkennbar nicht geteilt. Dabei hat das Gericht im Rahmen einer am Prüfmaßstab des Verwaltungsgerichtshofes nicht zu beanstandenden Beweiswürdigung argumentiert, dass ein weiteres Interesse der Taliban an einer Verfolgung des Revisionswerbers nach Schließen der Kurse nicht mehr bestehe.

10 Im Übrigen trifft es zwar zu, dass der UNHCR in seinen Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19. April 2016 darauf hinweist, dass (etwa) die Taliban über die operativen Kapazitäten verfügen, Angriffe in allen Teilen des Landes auszuführen (S. 95). Davon zu trennen ist aber die Frage, ob es - prognostisch - wahrscheinlich ist, dass sie gerade den Revisionswerber in der afghanischen Hauptstadt Kabul beziehungsweise in den Städten Mazar-e-Sharif und Herat suchen und verfolgen würden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Taliban nach dem Vorbringen des Revisionswerbers, diesen freiließen, weil er versprach, die Kurse zu schließen, und dass der Revisionswerber dieser Aufforderung nachkam. Darüber hinaus lebt die Familie des Revisionswerbers - darunter nach den Angaben des Revisionswerbers anlässlich der Einvernahme durch das BFA auch ein Bruder, der ebenfalls als Lehrer an derselben Institution wie der Revisionswerber tätig war - weiterhin im Herkunftsort des Revisionswerbers. Zudem hat der Revisionswerber unter Zugrundelegung seiner Angaben regelmäßigen Kontakt zu seiner Familie, die lediglich in allgemeiner Weise über die schlechte Sicherheitslage in Afghanistan berichtete.

11 Dass der Revisionswerber aufgrund seiner ehemaligen Tätigkeit als Kursleiter und Lehrer selbst nach Schließung der Kurse und nach Beenden seiner Tätigkeit als Nachhilfelehrer im Fall seiner Ansiedlung z.B. in Kabul tatsächlich ein erhöhtes Risikoprofil aufwiese, sodass es - prognostisch - wahrscheinlich wäre, dass der Revisionswerber beispielsweise in Kabul einer Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt wäre, legt die Revision auch unter Hinweis auf die oben genannten Richtlinien des UNHCR nicht nachvollziehbar dar. Ebenso wenig ist es in Anbetracht dieser Ausgangslage ersichtlich, dass im vorliegenden Fall weitere Ermittlungsschritte und Erkundigungen im Herkunftsstaat "erforderlich" im Sinne des § 18 Abs. 1 letzter Satz AsylG 2005 gewesen wären (siehe dazu auch VwGH 22.2.2017, Ra 2016/19/0238; vgl. im Übrigen zur beschränkten Möglichkeit einer Beweisaufnahme im Ausland VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0100, 0101). Bei dieser Sachlage kann somit die Einschätzung des Bundesverwaltungsgerichts, die Taliban würden den Revisionswerber bei Ansiedlung in der afghanischen Hauptstadt Kabul beziehungsweise in Mazar-e-Sharif oder Herat nicht suchen und verfolgen, nicht als fehlerhaft erkannt werden (vgl. dazu auch VwGH 22.2.2018, Ra 2017/18/0366).

12 Insgesamt begegnet folglich die Einschätzung des Bundesverwaltungsgerichts, der Revisionswerber finde - aus näher dargestellten einzelfallbezogenen Gründen - u.a. in Kabul, wo der Revisionswerber einer Verfolgung durch die Taliban nicht ausgesetzt sei, eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative vor, keinen Bedenken (vgl. dazu allgemein auch VwGH 23.1.2018, Ra 2018/18/0001, mwN).

13 Soweit die Revision rügt, die Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts zur Lage in Kabul stützten sich auf ein unschlüssiges Gutachten des Sachverständigen Mag. M., ist ihr entgegen zu halten, dass das Verwaltungsgericht seiner Beurteilung zu den allgemeinen Gegebenheiten u.a. in der afghanischen Hauptstadt nicht nur dieses Gutachten, sondern auch Länderberichte zugrunde legte, denen die Revision nicht überzeugend entgegen zu treten vermag (vgl. dazu ebenfalls VwGH 23.1.2018, Ra 2018/18/0001).

14 Die Revision war daher in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat zurückzuweisen.

Wien, am 21. März 2018

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