Normen
32013R0604 Dublin-III Art12 Abs2;
AsylG 2005 §5 Abs1;
AsylG 2005 §5 Abs3;
B-VG Art133 Abs4;
MRK Art3;
MRK Art8;
VwGG §34 Abs1;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018140250.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein türkischer Staatsangehöriger, stellte am 30. Jänner 2018 einen (neuerlichen) Antrag auf internationalen Schutz. Im Rahmen der Erstbefragung gab er an, am 13. Dezember 2017 seinen Herkunftsstaat verlassen zu haben und über die Niederlande und Deutschland in Österreich eingereist zu sein. Er habe ein niederländisches Visum mit einer Gültigkeitsdauer von 40 Tagen besessen.
2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) stellte am 2. Februar 2018 ein Aufnahmegesuch an die Niederlande, welchem mit Schreiben einer niederländischen Behörde vom 14. März 2018 ausdrücklich stattgegeben wurde.
3 Mit Bescheid des BFA vom 18. April 2018 wurde der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen, die Zuständigkeit der Niederlande festgestellt, die Außerlandesbringung angeordnet und ausgesprochen, dass die Abschiebung des Revisionswerbers in die Niederlande zulässig sei.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei. Der Revisionswerber sei auf Grund eines niederländischen Visums in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten eingereist; gemäß Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO sei eine Zuständigkeit der Niederlande gegeben. Es hätten sich keine Hinweise für eine Abhängigkeit des Revisionswerbers von seinen in Österreich lebenden Bezugspersonen iSd Art. 16 Dublin III-VO ergeben. Das BFA habe zu Recht keinen Gebrauch vom Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO gemacht. Im Rahmen der Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK führte das BVwG aus, der Revisionswerber sei zwar in Österreich geboren, hier aufgewachsen und habe sich lange Jahre hier aufgehalten. Allerdings sei er zwei Mal wegen schwerer Straftaten, u.a. wegen Mordes, verurteilt worden und habe einen erheblichen Teil seines Aufenthaltes in Österreich in Maßnahmenvollzug verbracht. Auf Grund dieser Verurteilungen sei ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt, er aus Österreich abgeschoben und gegen ihn ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden. Angesichts der schwerwiegenden begangenen Straftaten müsse jegliches privates Interesse auf Grund eines langjährigen Voraufenthaltes in den Hintergrund treten. Bei einer Abschiebung in die Niederlande könne der Revisionswerber mit seinen in Österreich lebenden Familienangehörigen weiter Kontakt auf elektronischem Weg halten und sei eine finanzielle Unterstützung durch diese weiterhin möglich.
5 Mit Beschluss vom 24. September 2018, E 2727/2018-7, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis erhobenen Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 1 B-VG ab und trat die Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichthof zur Entscheidung ab.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 Die vorliegende Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, das BVwG sei von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Selbsteintrittsrecht, zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung und zur Interessenabwägung bei langjährigem Aufenthalt in Österreich - der im Entscheidungszeitpunkt 37-jährige Revisionswerber habe bis zu seinem 29. Lebensjahr in Österreich gelebt - abgewichen. Es stellten sich auch mehrere, näher formulierte Fragen in Bezug auf das Assoziationsabkommen EWG-Türkei, mit dem sich das angefochtene Erkenntnis gar nicht auseinandersetze. Es fehle Rechtsprechung zur Anwendung dieses Abkommens auf Asylverfahren bzw. sei die Rechtsprechung nicht einheitlich.
10 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner (mittlerweile ständigen) Rechtsprechung wiederholt darauf verwiesen, dass die Sicherheitsvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 nur durch eine schwerwiegende, etwa die hohe Schwelle des Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRC übersteigende allgemeine Änderung der Rechts- und Sachlage im zuständigen Mitgliedstaat widerlegt werden kann (vgl. etwa VwGH 4.9.2018, Ra 2017/01/0252, mit Hinweis auf VwGH 20.6.2017, Ra 2016/01/0153).
11 Die Revision legt nicht dar, inwiefern die Annahme des BVwG, dem Revisionswerber drohe in den Niederlanden weder eine systemische, noch eine individuell konkrete Gefahr einer Verletzung seiner Rechte nach Art. 3 EMRK, unzutreffend sein sollte.
12 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (vgl. etwa VwGH 5.11.2018, Ra 2018/14/0166, mwN).
13 Fallbezogen hat das BVwG in einer Gesamtbetrachtung sowohl den langjährigen Aufenthalt in der Vergangenheit als auch die bestehenden familiären Kontakte des Revisionswerbers, aber auch seine zweimalige Verurteilung (u.a. wegen Mordes), die Aberkennung des Asylstatus, die Ausweisung in den Herkunftsstaat und die Verhängung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes in seine Interessenabwägung einbezogen. Die Revision vermag nicht aufzuzeigen, dass diese Interessenabwägung in unvertretbarer Weise erfolgt wäre.
14 Mit dem bloß allgemeinen Vorbringen, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung abgewichen, zeigt die Revision keine Verletzung der in der Rechtsprechung aufgestellten Leitlinien zur Verhandlungspflicht in Zulassungsverfahren (vgl. insb. VwGH 30.6.2016, Ra 2016/19/0072) auf.
15 Insoweit sich die Revision auf das Assoziationsabkommen EWG-Türkei bezieht, legt sie nicht konkret dar, welche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung der Verwaltungsgerichtshof in einer Entscheidung über die vorliegende - ein Verfahren über die Zuständigkeit eines anderen Staates zur Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz betreffende - Revision zu lösen hätte.
16 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.
Wien, am 17. Dezember 2018
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