VwGH Ra 2018/11/0107

VwGHRa 2018/11/010720.9.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler und den Hofrat Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Soyer, über die Revisionen 1. der R K und

2. des B K, beide in L, beide vertreten durch Dr. Roland Grilc, Mag. Rudolf Vouk, Dr. Maria Skof, MMag. Maja Ranc und Mag. Sara Julia Grilc, Rechtsanwälte in 9020 Klagenfurt, Karfreitstraße 14/III, gegen die Erkenntnisse des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 27. Oktober 2017, Zlen. LVwG- 2016/28/1936-5 und LVwG-2016/27/1935-6, jeweils betreffend Übertretung des AVRAG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeisterin der Stadt Innsbruck), den Beschluss gefasst:

Normen

12010E056 AEUV Art56;
62014CJ0061 Orizzonte Salute VORAB;
62015CJ0205 Toma VORAB;
AVRAG 1993 §7d Abs1;
AVRAG 1993 §7i Abs4 Z1;
B-VG Art133 Abs4;
VStG §64 Abs2;
VStG §9 Abs1;
VStG §9 Abs2;
VwGG §28 Abs3;
VwGVG 2014 §52 Abs1;
VwGVG 2014 §52 Abs2;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018110107.L00

 

Spruch:

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit dem erstangefochtenen Erkenntnis wurde die Erstrevisionswerberin in Bestätigung eines Straferkenntnisses der belangten Behörde vom 4. August 2016 als nach außen zur Vertretung Berufene der Gesellschaft A.d.o.o. mit Sitz in Slowenien der Übertretung des § 7d Abs. 1 Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz - AVRAG (in der hier maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 152/2015) schuldig erkannt, weil diese Gesellschaft sechs namentlich genannte Arbeitnehmer (jeweils mit der Staatsangehörigkeit Bosnien-Herzegowinas) nach Österreich zur Durchführung von Eisenverlegearbeiten entsendet und am 21. April 2016 auf einer näher bezeichneten Baustelle in Innsbruck beschäftigt habe, ohne dort die diese Arbeitnehmer betreffenden Lohnunterlagen (Arbeitszeitaufzeichnungen, Lohnzettel, Lohnzahlungsnachweise und Unterlagen betreffend die Lohneinstufung) bereitzuhalten. Über die Erstrevisionswerberin wurden wegen Übertretung des § 7d Abs. 1 AVRAG iVm § 9 Abs. 1 VStG Geldtrafen gemäß § 7i Abs. 4 Z 1 AVRAG in Höhe von jeweils EUR 2.000,-- (Mindeststrafe) pro Arbeitnehmer (insgesamt somit EUR 12.000,--) sowie Ersatzfreiheitsstrafen verhängt. Außerdem wurde der Kostenbeitrag gemäß § 64 Abs. 2 VStG zum von der belangten Behörde durchgeführten Verwaltungsstrafverfahren mit 10 % der Geldstrafen, und der Kostenbeitrag zum Beschwerdeverfahren gemäß § 52 Abs 1 und 2 VwGVG mit 20 % der Geldstrafen festgesetzt. Schließlich wurde gemäß § 25a VwGG ausgesprochen, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.

2 Mit dem zweitangefochtenen Erkenntnis wurde auch der Zweitrrevisionswerber als ebenfalls nach außen zur Vertretung Berufener der genannten Gesellschaft A.d.o.o. mit Sitz in Slowenien der genannten Verwaltungsübertretungen schuldig erkannt und mit Verwaltungsstrafen und Kostenbeiträgen der genannten Höhe belegt. Auch hier wurde gemäß § 25a VwGG ausgesprochen, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.

3 Gegen diese Erkenntnisse erhoben die Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der die Behandlung dieser Beschwerden mit Beschluss vom 26. Februar 2018, E 4140-4141/2017-5, abgelehnt und die Beschwerden über nachträglichen Antrag der Revisionswerber mit Beschluss vom 11. April 2018, E 4140-4141/2017-7, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten hat.

4 Mit Schreiben des Verwaltungsgerichts vom 22. Mai 2018 wurde dem Verwaltungsgerichtshof die von den Revisionswerbern gegen die genannten Erkenntnisse mit gemeinsamem Schriftsatz erhobenen (außerordentlichen) Revisionen zur Entscheidung vorgelegt.

5 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).

6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. Diesem Erfordernis wird insbesondere nicht schon durch nähere Ausführungen zur behaupteten Rechtswidrigkeit der bekämpften Entscheidung (§ 28 Abs. 1 Z 5 VwGG) oder zu den Rechten, in denen sich der Revisionswerber verletzt erachtet (§ 28 Abs. 1 Z 4 VwGG), Genüge getan (vgl. VwGH 25.3.2014, Ra 2014/04/0001 und 18.2.2015, Ra 2015/08/0008).

8 Auch Fragen der Einhaltung des Unionsrechts können Gegenstand einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG sein (vgl. etwa VwGH 19.1.2017, Ro 2014/08/0084).

9 In den gemäß § 28 Abs. 3 VwGG gesondert vorzubringenden Gründen ist konkret auf die vorliegende Rechtssache bezogen aufzuzeigen, welche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung der Verwaltungsgerichtshof in einer Entscheidung über die Revision zu lösen hätte und in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht bzw. konkret welche Rechtsfrage dieser uneinheitlich oder noch nicht beantwortet hat. Dabei hat der Revisionswerber konkret darzulegen, dass der der gegenständlich angefochtenen Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt einer der von ihm ins Treffen geführten hg. Entscheidungen gleicht, das Verwaltungsgericht im gegenständlichen Fall dennoch anders entschieden hat und es damit von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen ist, wobei die bloße Wiedergabe von Rechtssätzen zu verschiedenen hg. Entscheidungen nicht ausreicht. Ebenso reicht auch die bloße Nennung von hg. Entscheidungen nach Datum und Geschäftszahl, ohne auf konkrete Unterschiede in dieser Rechtsprechung hinzuweisen, nicht aus (vgl. zum Ganzen etwa den Beschluss VwGH 23.4.2018, Ra 2018/11/0066, mwN).

10 Sowohl die den Revisionswerbern in den angefochtenen Erkenntnissen zur Last gelegten Verwaltungsübertretungen als auch das Vorbringen der Revisionen zu ihrer Zulässigkeit gleicht - über weite Strecken - jenem Revisionsfall, der dem Beschluss vom heutigen Tag, Ra 2018/11/0118, zugrunde liegt und auf dessen Begründung daher gemäß § 43 Abs. 2 und 9 VwGG verwiesen werden kann. Insoweit werden daher auch im Zulässigkeitsvorbringen der beiden vorliegenden Revisionen keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.

11 Letztgesagtes gilt auch für das über die zu Ra 2018/11/0118 erhobene Revision hinausgehende Zulässigkeitsvorbringen, es fehle Judikatur zur Frage, ob datenschutzrechtliche Bestimmungen der Pflicht, "sensible Daten" wie die gegenständlichen Lohnzettel und Lohnzahlungsnachweise auf der Baustelle bereitzuhalten, entgegen stünden. Abgesehen davon, dass mit diesem allgemeinen Vorbringen (datenschutzrechtliche Bestimmungen werden in den Revisionen nicht näher genannt) eine konkrete Rechtsfrage nicht aufgezeigt wird, beruht dieses Vorbringen auf der - unzutreffenden (siehe dazu den bereits erwähnten Beschluss VwGH Ra 2018/11/0118) - Annahme, die Bereithaltung der Lohnunterlagen in elektronischer (und damit verschlüsselbarer) Form entspreche nicht den Vorgaben des § 7d Abs. 1 AVRAG.

12 Soweit die Revisionswerber in der Vorschreibung eines Kostenbeitrages zum Verwaltungsstrafverfahren eine Unionsrechtswidrigkeit und damit eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu erkennen vermeinen, sind sie auf die ständige Rechtsprechung des EuGH (vgl. EuGH 6.10.2015, Orizzonte Salute, C-61/14 , Rn 46ff.; ebenso EuGH 30.6.2016, Toma, C-205/15 , Rn 33f.) zu verweisen, nach welcher es mangels einer einschlägigen Unionsregelung gemäß dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten Sache der einzelnen Mitgliedstaaten ist, die Modalitäten für das Verwaltungsverfahren und das Gerichtsverfahren zu regeln, die den Schutz der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen. Diese Verfahrensmodalitäten dürfen jedoch nicht weniger günstig ausgestaltet sein als die für entsprechende innerstaatliche Rechtsbehelfe (Grundsatz der Äquivalenz) und die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Grundsatz der Effektivität).

Nach der Rechtsprechung des EuGH und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist das Recht auf Zugang zu den Gerichten allerdings kein absolutes Recht und kann daher verhältnismäßigen, einem legitimen Zweck dienenden und dieses Recht nicht in seinem Wesensgehalt antastenden Beschränkungen unterworfen sein, einschließlich solcher, die mit der Zahlung von Gerichtsgebühren zusammenhängen. In diesem Zusammenhang wurde darauf hingewiesen, dass die Gerichtsgebühren grundsätzlich zum ordnungsgemäßen Funktionieren des Gerichtssystems beitragen, da sie eine Finanzierungsquelle für die gerichtliche Tätigkeit der Mitgliedstaaten darstellen (EuGH 30.6.2016, Toma, C-205/15 , Rn 44 und 49).

Die gegenständlichen Kostenbeiträge (zum Verfahren vor der Behörde in Höhe von 10 % der Strafe und - allerdings nur dann, wenn das Straferkenntnis bestätigt wird; § 52 Abs. 1 VwGVG - zum Verfahren vor dem Verwaltungsgericht in Höhe von 20 % der Strafe) lassen - insbesondere vor dem Hintergrund der sich daraus gegenständlich ergebenden absoluten Beträge - nicht erkennen, dass die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert würde.

13 Soweit die Revisionen eine Unionsrechtswidrigkeit (diese wird, abgesehen von einem nur ganz allgemein gehaltenen Verweis auf die Richtlinien 2014/67/EU und 2006/123/EG , auf - ebenfalls ganz allgemein - Art 56 AEUV bezogen) darin zu erkennen vermeinen, dass beide Revisionswerber für die gegenständlichen Übertretungen bestraft wurden, weil sie beide Geschäftsführer der A.d.o.o. seien, ist darauf hinzuweisen, dass es gemäß § 9 Abs. 2 VStG an den Revisionswerbern gelegen wäre, die Verantwortlichkeit auf einen der beiden Geschäftsführer (oder überhaupt auf eine dritte Person) zu übertragen und insoweit zu begrenzen.

14 Schließlich führen die Revisionen zu ihrer Zulässigkeit ins Treffen, dass abgesehen von der in Rede stehenden Bestrafung der Revisionswerber dem Auftraggeber der gegenständlichen Dienstleistungen (nach dem Sachverhaltsvorbringen der Revision: eine GmbH mit Sitz in Österreich) gemäß § 7m (Abs. 3) AVRAG mit Bescheid aufgetragen worden sei, einen Teil des (der A.d.o.o. zustehenden) Werklohnes als Sicherheitsleistung an die Behörde zu bezahlen, sodass die Gefahr der doppelten Bestrafung (Geldstrafe und infolge Sicherheitsleistung nicht ausgezahlter Werklohn) bestehe. Zur Frage der Vereinbarkeit einer solchen Sicherheitsleistung mit dem Unionsrecht sei beim EuGH ein Vorabentscheidungsverfahren (Hinweis auf C-33/17 ) anhängig.

Damit wird eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung deshalb nicht aufgezeigt, weil die Sicherheitsleistung nicht "Sache" der angefochtenen Erkenntnisse ist und daher das Schicksal der Revision nicht von der Frage der Rechtmäßigkeit bzw. Unionsrechtskonformität der Sicherheitsleistung abhängt iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG.

Im Übrigen entbehrt die Behauptung der "Doppelbestrafung" schon deshalb einer rechtlichen Grundlage, weil die Sicherheitsleistung gemäß § 7m Abs. 8 AVRAG für frei zu erklären ist, wenn (u.a.) die verhängte Strafe vollzogen ist.

15 Die Revisionen waren daher zurückzuweisen.

Wien, am 20. September 2018

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