VwGH Ra 2018/10/0090

VwGHRa 2018/10/009021.11.2019

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler sowie die Hofräte Dr. Lukasser und Dr. Hofbauer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Bleiweiss, über die Revision der Steiermärkischen Landesregierung gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark vom 21. März 2018, Zl. LVwG 70.31-3073/2017-5, betreffend Kostenbeitrag nach dem Steiermärkischen Behindertengesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht:

Bezirkshauptmannschaft Leoben; mitbeteiligte Partei: N S in Eisenerz, vertreten durch Mag. Elke Weidinger, Rechtsanwältin in 8020 Graz, Brückenkopfgasse 1/VIII), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §58 Abs2
AVG §60
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §28 Abs2 Z2
VwGVG 2014 §28 Abs3
VwGVG 2014 §29 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018100090.L00

 

Spruch:

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Leoben vom 27. September 2017 wurde ausgesprochen, dass die mitbeteiligte Partei für die Inanspruchnahme der Leistung "Vollzeitbetreutes Wohnen für Menschen mit Behinderung" für den Zeitraum vom 1. Juli 2015 bis 30. April 2017 einen Kostenbeitrag "aus dem Einkommen" in Höhe von EUR 11.325,49 zu leisten habe. 2 Mit dem angefochtenen Beschluss des Landesverwaltungsgerichte s Steiermark vom 21. März 2018 wurde über Beschwerde der mitbeteiligten Partei dieser Bescheid - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides zurückverwiesen (Spruchpunkt I.). Weiters wurde ausgesprochen, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei (Spruchpunkt II.). 3 Begründend ging das Verwaltungsgericht nach Darstellung des Verfahrensganges und Wiedergabe von Rechtsvorschriften zusammengefasst davon aus, dass mit dem bekämpften Bescheid der Kostenbeitrag für die stationäre Unterbringung der mitbeteiligten Partei neu berechnet und rückwirkend ein Kostenrückersatz in der Höhe von EUR 11.325,49 für den Zeitraum vom 1. Juli 2015 bis 30. April 2017 festgelegt worden sei. Diese rückwirkende Neuberechnung des Kostenbeitrages aufgrund der nicht gemeldeten Waisenpension sei entgegen der Ansicht der mitbeteiligten Partei zulässig und finde in § 37 Abs. 2 Steiermärkisches Behindertengesetz und § 3 Abs. 2 Beitragsverordnung-StBHG seine Grundlage. Im gegenständlichen Fall könne nicht davon ausgegangen werden, dass durch die vollstationäre Unterbringung der mitbeteiligten Partei deren Lebensunterhalt vollends gesichert sei, sodass eine Einbeziehung der Familienbeihilfe in das der Berechnung des Kostenbeitrages zugrundeliegende Gesamteinkommen nicht zulässig sei. Weiters sei bei der Ermittlung des Einkommens das Taschengeld nach den pflegerechtlichen Bestimmungen außer Betracht zu lassen.

4 Sodann wird im angefochtenen Beschluss Folgendes ausgeführt:

"Die Berechnung des Kostenbeitrages hat daher im nachfolgenden Verfahren durch die belangte Behörde folgendermaßen zu erfolgen:

Es ist das für den jeweils maßgeblichen Zeitraum anfallende Einkommen zu erheben, wobei sich dies zusammensetzt aus der Waisenpension des Vaters laut VAEB plus dem Anweisungsbetrag laut PVA. Das Taschengeld vom Pflegegeld und die Familienbeihilfe haben bei der Ermittlung des Gesamteinkommens - wie oben ausgeführt - außer Betracht zu bleiben.

Gemäß § 4 der Beitragsverordnung-StBHG ist von diesem Gesamteinkommen 80 % zu ermitteln. Von den 80 % des monatlichen Gesamteinkommens ist dann ein Freibetrag von EUR 200,00 (bis 31.05.2016) bzw. EUR 270 (ab 01.06.2016) abzuziehen. Diese Berechnung hat für die einzelnen Leistungszeiträume zu erfolgen."

5 Seinen Ausspruch nach § 25a Abs. 1 VwGG begründete das Verwaltungsgericht damit, dass keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen gewesen sei. Weder weiche die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehle es an einer Rechtsprechung. Die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei auch nicht uneinheitlich. Ebenso wenig liege ein sonstiger Hinweis auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfragen vor.

6 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende

Amtsrevision der Steiermärkischen Landesregierung.

7 Das Verwaltungsgericht legte die Akten vor.

8 Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Revisionsbeantwortung.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

9 Die Revision macht in ihrer Zulässigkeitsbegründung unter anderem geltend, der angefochtene Beschluss weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Zulässigkeit einer kassatorischen Entscheidung durch das Verwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG ab (Verweis auf VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063, VwSlg. 18886 A; 10.9.2014, Ra 2014/08/0005; 24.3.2015, Ra 2014/09/0043, 0044; 26.3.2015, Ra 2014/07/0077, VwSlg. 19092 A; 28.2.2018, Ra 2016/04/0061).

10 Die Revision erweist sich als zulässig und begründet:

11 Nach der mittlerweile ständigen, vom hg. Erkenntnis vom 26. Juni 2014, Ro 2014/03/0063, ausgehenden hg. Rechtsprechung zur Zulässigkeit bzw. Unzulässigkeit einer Aufhebung und Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG stellt die Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Der Verwaltungsgerichtshof hat auch bereits wiederholt hervorgehoben, dass selbst Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, keine Zurückverweisung der Sache rechtfertigen, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden Verhandlung (§ 24 VwGVG) zu vervollständigen sind (vgl. zum Ganzen VwGH 26.6.2019, Ra 2018/11/0092, mwN). 12 Darüber hinaus ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach das Verwaltungsgericht seiner Verpflichtung zur nachvollziehbaren Begründung des Nichtvorliegens seiner meritorischen Entscheidungszuständigkeit nicht entsprochen hat, wenn sich dem Beschluss iSd § 28 Abs. 3 VwGVG keine Begründung dazu entnehmen lässt, warum das Verwaltungsgericht davon ausgegangen ist, dass die Ergänzung des Ermittlungsverfahrens bzw. die Nachholung der fehlenden Feststellungen durch das Verwaltungsgericht selbst nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre (vgl. VwGH 27.9.2018, Ra 2017/10/0101, mwN).

13 Der angefochtene Beschluss enthält weder eine Begründung, welche krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken vorgelegen haben bzw. welche weiteren notwendigen Ermittlungen die Verwaltungsbehörde vorzunehmen hätte, noch wird dargelegt, warum das Verwaltungsgericht davon ausgegangen ist, dass die Ergänzung des Ermittlungsverfahrens bzw. die Nachholung der fehlenden Feststellungen durch das Verwaltungsgericht selbst nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre. Das Verwaltungsgericht hat im angefochtenen Beschluss auch ausdrücklich Feststellungen zur ziffernmäßigen Höhe der "Waisenpension des Vaters laut VAEB" sowie des "Anweisungsbetrags laut PVA", auf die bei der Berechnung des Kostenbeitrages (von der Behörde) abzustellen sei, getroffen, sodass auch unter diesem Aspekt nicht ersichtlich ist, welche Ermittlungen die Verwaltungsbehörde insofern vorzunehmen hätte. 14 Der angefochtene Beschluss erweist sich daher schon aus diesem Grund mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war, ohne dass auf das weitere Revisionsvorbringen zur vom Verwaltungsgericht überbundenen Rechtsansicht einzugehen war.

Wien, am 21. November 2019

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