Normen
B-VG Art133 Abs4
EURallg
KFG 1967 §134 Abs1
VStG §19
VStG §20
VStG §45 Abs1 Z4
VwGG §34 Abs1
VwGG §42 Abs2 Z1
32006L0022 HarmonisierungDV-RL Strassenverkehr AnhIII
32006R0561 Harmonisierung best Sozialvorschriften Strassenverkehr Art8 Abs1
32006R0561 Harmonisierung best Sozialvorschriften Strassenverkehr Art8 Abs2
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018020096.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Amstetten vom 12. September 2017 wurde der Mitbeteiligte schuldig erkannt, er habe an zwei näher genannten Tagen als Fahrer eines zur Güterbeförderung im innerstaatlichen Straßenverkehr eingesetzten Kraftfahrzeuges mit zulässiger Weise 3,5 t übersteigender Höchstmasse zumindest fahrlässig nicht innerhalb von 24 Stunden nach dem Ende der vorangegangenen täglichen Ruhezeit eine tägliche Ruhezeit von mindestens neun zusammenhängenden Stunden eingehalten, wobei die zulässige dreimalige Verkürzung der Ruhezeit pro Woche auf jeweils neun zusammenhängende Stunden berücksichtigt worden sei. Dies stelle anhand des Anhanges III der Richtlinie 2006/22/EG jeweils einen schwerwiegenden Verstoß dar und sei auf Grund der Gleichartigkeit und des zeitlichen Konnexes zu einer tatbestandlichen Handlungseinheit zusammenzufassen. Der Mitbeteiligte habe dadurch § 134 Abs. 1 KFG iVm Art. 8 Abs. 1 und 2 der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 verletzt und über ihn wurde gemäß § 134 Abs. 1b KFG eine Geldstrafe von EUR 200 (Ersatzfreiheitsstrafe 48 Stunden) verhängt.
2 Der nur gegen die Strafhöhe erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten gab das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich insofern Folge, als es die Geldstrafe auf EUR 100 und die Ersatzfreiheitstrafe auf 24 Stunden herabsetzte. Begründend führte es aus, die Voraussetzungen für das außerordentliche Strafmilderungsrecht gemäß § 20 VStG seien erfüllt, weil ein einziger Milderungsgrund, nämlich die verwaltungsstrafrechtliche Unbescholtenheit des Mitbeteiligten die Erschwerungsgründe beträchtlich überwiegen könne, wenn - wie hier - eine Strafmilderungskomponente gegeben sei und es an Erschwerungsgründen vollständig fehle.
3 Dagegen richtet sich die Amtsrevision wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes, zu der eine Revisionsbeantwortung nicht erstattet wurde.
Der Verwaltungsgerichthof hat erwogen:
4 In der Zulässigkeitsbegründung der Revision wird vorgebracht, das Verwaltungsgericht sei von näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, wonach dem alleinigen Milderungsgrund der verwaltungsstrafrechtlichen Unbescholtenheit kein solches Gewicht beigemessen werden könne, dass deshalb auch bei Fehlen von Erschwerungsgründen § 20 VStG anzuwenden wäre.
5 Die Anwendung des § 20 VStG (außerordentliche Milderung der Strafe) setzt voraus, dass die vorliegenden Milderungsgründe - und zwar nicht der Zahl nach, sondern - dem Gewicht nach die Erschwerungsgründe beträchtlich überwiegen (vgl. VwGH 27.3.2015, Ra 2015/02/0009).
6 Bei der Strafbemessung handelt es sich um eine Ermessensentscheidung, die nach den vom Gesetzgeber in § 19 VStG festgelegten Kriterien vorzunehmen ist. Vom Verwaltungsgerichtshof ist daher (bloß) zu prüfen, ob das Verwaltungsgericht von dem ihm eingeräumten Ermessen im Sinn des Gesetzes Gebrauch gemacht hat, das heißt, ob die verhängte Strafe unter Bedachtnahme auf die Strafbemessungsgründe vertretbar erscheint (VwGH 30.7.2018, Ra 2017/02/0140, mwN).
7 Der Frage, ob die besonderen Umstände des Einzelfalles eine außerordentliche Milderung der Strafe nach § 20 VStG gerechtfertigt hätten, kommt in der Regel keine grundsätzliche Bedeutung zu (vgl. VwGH 13.12.2018, Ra 2018/07/0461). 8 Indem die Revision aufzeigt, dass das Verwaltungsgericht von der zur Anwendung dieser Bestimmungen ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 6.11.2002, 2002/02/0125, und 27.3.2015, Ra 2015/02/0009) abgewichen ist, erweist sich die Revision als zulässig und berechtigt.
9 Gemäß § 134 Abs. 1 KFG begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe bis zu EUR 5.000, im Falle ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Wochen zu bestrafen, wer diesem Bundesgesetz, den auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen, Bescheiden oder sonstigen Anordnungen, den Artikeln 5 bis 9 und 10 Abs. 4 und 5 der Verordnung (EG) Nr. 561/2006, der Verordnung (EU) Nr. 165/2014 oder den Artikeln 5 bis 8 und 10 des Europäischen Übereinkommens über die Arbeit des im internationalen Straßenverkehr beschäftigten Fahrpersonals (AETR), BGBl. Nr. 518/1975 in der Fassung BGBl. Nr. 203/1993, zuwiderhandelt.
10 Nach § 134 Abs. 1b KFG hat die Höhe der Geldstrafe im Falle eines schweren Verstoßes im Sinne des Anhanges III der Richtlinie 2006/22/EG , in der Fassung der Verordnung (EU) 2016/403 nicht weniger als EUR 200 zu betragen.
11 Da auf Grund einer vom Beschuldigten erhobenen Beschwerde gemäß § 42 VwGVG in einem Erkenntnis keine höhere Strafe verhängt werden darf als im angefochtenen Bescheid, ist auf die Frage, ob die hier dem Mitbeteiligten angelasteten Übertretungen des § 134 Abs. 1 KFG iVm Art. 8 Abs. 1 und 2 der Verordnung (EG) Nr. 561/2006
im Wege der deliktspezifischen Tatbestandsauslegung eine tatbestandliche Handlungseinheit (vgl. VwGH 19.12.2018, Ra 2018/02/0107 bis 0108) darstellen, nicht näher einzugehen. Dem Verwaltungsgericht war es daher verwehrt, bei der Strafbemessung von zwei getrennten Übertretungen mit jeweils einer Mindeststrafe von EUR 200 auszugehen, weil es damit gegen das dargestellte Verbot der reformatio in peius verstoßen würde.
12 Überwiegen die Milderungsgründe die Erschwerungsgründe beträchtlich, so kann nach § 20 VStG die Mindeststrafe bis zur Hälfte unterschritten werden.
13 Bei einer Übertretung wie der gegenständlichen, die nach dem Anhang III der Richtlinie 2006/22/EG einen schwerwiegenden Verstoß darstellt, kann dem alleinigen Milderungsgrund der verwaltungsstrafrechtlichen Unbescholtenheit kein solches Gewicht beigemessen werden, dass deshalb - auch bei Fehlen von Erschwerungsgründen - § 20 VStG anzuwenden wäre, weil keine Rede davon sein kann, dass die Milderungsgründe die Erschwerungsgründe beträchtlich überwiegen würden (vgl. zum ähnlich gravierenden Verstoß gegen § 5 Abs. 1 StVO: VwGH 6.11.2002, 2002/02/0125, und 27.3.2015, Ra 2015/02/0009).
14 Somit kann von einem beträchtlichen Überwiegen der Milderungsgründe jedenfalls nicht ausgegangen werden, sodass die Anwendung von § 20 VStG durch das Verwaltungsgericht zu Unrecht erfolgte, weshalb das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
Wien, am 27. Juni 2019
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