Normen
AVG §59 Abs1;
BFA-VG 2014 §22a Abs1 Z3;
BFA-VG 2014 §22a Abs1;
BFA-VG 2014 §22a Abs1a;
BFA-VG 2014 §22a Abs3 impl;
BFA-VG 2014 §22a Abs3;
BFA-VG 2014 §34;
B-VG Art130 Abs1 Z2;
B-VG Art133 Abs1 Z2;
FrPolG 2005 §39;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z2;
VwGG §28 Abs3;
VwGG §33 Abs1;
VwGG §38 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs3;
VwGG §52 Abs1;
VwGG §53 Abs1;
VwGVG 2014 §17;
VwGVG 2014 §35 Abs6;
VwGVG 2014 §35;
VwRallg;
Spruch:
Die angefochtenen Erkenntnisse werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat den Revisionswerberinnen Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Die Revisionswerberinnen, irakische Staatsangehörige, sind Geschwister. Nachdem sie bereits in Bulgarien die Gewährung von internationalem Schutz beantragt hatten, kamen sie letztlich am 26. Jänner 2016 im Zuge der damaligen Flüchtlingsbewegungen über Slowenien nach Österreich. In der Folge wurde den Revisionswerberinnen von den deutschen Grenzbehörden die geplante Weiterreise zu ihren in Deutschland aufhältigen Familienangehörigen verweigert, sodass sie nach Österreich zurückgebracht wurden. Hierauf wurden sie am 27. Jänner 2016 aufgrund eines Festnahmeauftrags gemäß § 34 Abs. 1 Z 2 BFA-VG festgenommen.
2 Ohne vorhergehende Vernehmung verhängte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) sodann mit den sofort in Vollzug gesetzten Mandatsbescheiden vom 27. Jänner 2016 über die Revisionswerberinnen gemäß Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin III-VO iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Anordnung zur Außerlandesbringung (nach Bulgarien) und zur Sicherung ihrer Abschiebung.
3 Dagegen sowie gegen die vorangegangenen Festnahmen erhoben die Revisionswerberinnen mit Schriftsatz vom 18. Februar 2016 gemeinsam Beschwerden.
4 Diese Beschwerden wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnissen vom 22. Februar 2016 hinsichtlich der am 27. Jänner 2016 vorgenommenen Festnahmen gemäß § 22a Abs. 1 Z 1 BFA-VG als unbegründet ab (jeweils Spruchpunkt A.I.). Hingegen gab es den Beschwerden hinsichtlich der Schubhaftbescheide gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG und Art. 28 Dublin III-VO statt und erklärte diese für rechtswidrig (jeweils Spruchpunkt A.II.). Demzufolge gab es den Beschwerden auch hinsichtlich der Anhaltungen in Schubhaft gemäß den genannten Bestimmungen statt und erklärte sie im Zeitraum vom 27. Jänner 2016 bis 22. Februar 2016 für rechtswidrig (jeweils Spruchpunkt A.III.). Allerdings stellte das BVwG gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG und Art. 28 Dublin III-VO fest, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen (jeweils Spruchpunkt A.IV.). Zudem wies das BVwG gemäß § 35 VwGVG die Anträge der Revisionswerberinnen und des BFA auf Aufwandersatz ab (jeweils Spruchpunkte A.V. und A.VI.) und sprach abschließend aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei (jeweils Spruchpunkt B.).
5 Aufgrund der von den Revisionswerberinnen jeweils gegen die Spruchpunkte A.IV. dieser Erkenntnisse und gegen die damit im Zusammenhang stehenden Kostenentscheidungen in den Spruchpunkten A.V. eingebrachten (außerordentlichen) Revisionen hob der Verwaltungsgerichtshof diese Entscheidungen des BVwG im bekämpften Umfang mit Erkenntnis vom 11. Mai 2017, Ra 2016/21/0073, 0074, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften - in erster Linie wegen Unterlassung der gebotenen Durchführung einer mündlichen Verhandlung - auf.
6 Im fortgesetzten Verfahren ergingen die nunmehr angefochtenen Erkenntnisse vom 6. Juli 2017, mit denen jeweils (nur) die Anträge der Revisionswerberinnen auf Ersatz der Aufwendungen abgewiesen wurden, wobei ausgesprochen wurde, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
7 In den (im Wesentlichen inhaltsgleichen) Begründungen hielt das BVwG einleitend fest, das Verfahren sei im Umfang der aufgehobenen Spruchpunkte "neuerlich in den Stand der Beschwerde vor dem BVwG getreten und in diesem Umfang zu erledigen." Ein (neuerlicher) Abspruch gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG, ob zum Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen, habe allerdings zu unterbleiben, weil sich die Revisionswerberinnen nicht mehr in Schubhaft befänden. Auch eine nachträgliche Feststellung, dass die maßgeblichen Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft ab dem Zeitpunkt der Erlassung des Erkenntnisses vom 22. Februar 2016 bis zur Beendigung der Anhaltung "allenfalls" nicht vorgelegen wären, sei "nicht Gegenstand in diesem fortgesetzten Beschwerdeverfahren (§ 27 iVm § 9 VwGVG)." Die Abweisung der Anträge auf Aufwandersatz begründete das BVwG damit, dass der "gegenständlichen Beschwerde" mit Erkenntnis vom 22. Februar 2016 dahingehend stattgegeben worden sei, dass der Schubhaftbescheid und die darauf gestützte Anhaltung in Schubhaft für rechtswidrig erklärt worden seien; allerdings sei die Beschwerde gegen die Festnahme als unbegründet abgewiesen worden. Die Revisionswerberinnen hätten somit bloß teilweise obsiegt. Die der Erlassung des Schubhaftbescheides und der weiteren Anhaltung vorangegangene Festnahme stehe nämlich unzweifelhaft nicht nur in einem sachlichen, sondern auch in einem zeitlich untrennbaren Zusammenhang mit der Schubhaft, wobei der jeweils verfolgte Zweck dieser Amtshandlungen in der Sicherung des fremdenrechtlichen Verfahrens zur Erlassung und Durchführung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gelegen sei und die in Frage kommenden Rechtsverletzungen allesamt das Recht auf persönliche Freiheit berührten. Gemäß § 22a Abs. 1a BFA-VG sei auf Beschwerden gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG (u.a.) § 35 VwGVG betreffend den Ersatz von Aufwendungen im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt anzuwenden. In einem solchen Verfahren finde aber nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf den Beschluss vom 4. Mai 2015, Ra 2015/02/0070) "bei einem bloß teilweisen Obsiegen hinsichtlich von mehreren als Einheit zu wertenden Amtshandlungen" ein Kostenersatz nicht statt.
8 Gegen diese Erkenntnisse richten sich die vorliegenden außerordentlichen Revisionen, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten und Durchführung von Vorverfahren - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - wegen des persönlichen und sachlichen Zusammenhangs gemeinsam erwogen hat:
9 Mit den vorliegend angefochtenen Erkenntnissen wurden jeweils nur die Anträge der Revisionswerberinnen auf Ersatz ihrer im Beschwerdeverfahren vor dem BVwG entstandenen Aufwendungen abgewiesen. Eine spruchmäßige Erledigung betreffend die Schubhaft im Zeitraum vom 22. Februar 2016 bis zu ihrer Beendigung (laut Revisionsvorbringen) am 11. März 2016 erfolgte ausdrücklich nicht. Die diesbezüglichen Revisionsausführungen, mit denen die Unterlassung eines diesbezüglichen Abspruchs gerügt wird, gehen aber ins Leere, weil insoweit eine Säumnis des BVwG vorliegt, die mit Fristsetzungsantrag geltend zu machen wäre (vgl. zur damaligen Rechtslage das hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 2012, Zl. 2009/21/0108, am Ende von Punkt 1. der Entscheidungsgründe, die sinngemäß weiter Geltung haben).
10 Zur Klarstellung ist in diesem Zusammenhang aber noch Folgendes anzumerken:
Ein die Zulässigkeit der Fortsetzung der Schubhaft feststellender Ausspruch nach § 22a Abs. 3 BFA-VG wirkt als neuer (Titel‑)Bescheid und kann die weitere Anhaltung in Schubhaft ab dem Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG selbst dann legitimieren, wenn die vorangehende Anhaltung als rechtswidrig erkannt wurde (vgl. schon zur geltenden Rechtslage den hg. Beschluss vom 11. Mai 2017, Ro 2017/21/0001, Rz 13, unter anderem mit dem Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 19. März 2014, Zl. 2013/21/0138, Punkt 2. der Entscheidungsgründe, mit weiteren Nachweisen). In den vorliegenden Fällen sind die in diesem Sinn als Grundlage der weiteren Anhaltung der Revisionswerberinnen im angeführten Zeitraum fungierenden (positiven) Fortsetzungsaussprüche durch die Aufhebung mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 11. Mai 2017, Ra 2016/21/0073, 0074, wieder weggefallen, und zwar gemäß § 42 Abs. 3 VwGG mit Wirkung "ex tunc". Das bedeutet, dass der Rechtszustand zwischen der Erlassung der Erkenntnisse vom 22. Februar 2016 und ihrer Aufhebung durch den Verwaltungsgerichtshof im Nachhinein so zu betrachten ist, als ob die aufgehobenen Erkenntnisse (die Hafttitel) von Anfang an nicht erlassen worden wären. Die mit rückwirkender Kraft ausgestattete Gestaltungswirkung des aufhebenden Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes bedeutet auch, dass allen Rechtsakten und Vollzugsakten, die während der Geltung der vom Verwaltungsgerichtshof danach aufgehobenen Erkenntnisse auf deren Grundlage gesetzt worden sind, im Nachhinein die Rechtsgrundlage entzogen worden ist. Im Ergebnis entbehrt damit ex post betrachtet die weitere Anhaltung der Revisionswerberinnen in Schubhaft im Zeitraum nach Erlassung der Erkenntnisse des BVwG vom 22. Februar 2016 einer Grundlage. Demzufolge war die Anhaltung der Revisionswerberinnen in Schubhaft im Zeitraum vom 22. Februar 2016 bis 11. März 2016 schon deshalb rechtswidrig, weil sich die hierfür jeweils allein als Titel fungierenden Fortsetzungsaussprüche in den Spruchpunkten A.IV. der Erkenntnisse des BVwG vom 22. Februar 2016 als rechtswidrig erwiesen haben und demzufolge vom Verwaltungsgerichtshof mit dessen Erkenntnis vom 11. Mai 2017 (rückwirkend) aufgehoben wurden. Eine nachträgliche Sanierung kommt diesfalls nicht in Betracht (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom 20. Februar 2014, Zl. 2013/21/0184).
Soweit in der Revision demgegenüber die Meinung vertreten wird, für die weiter fortgesetzte Anhaltung sei der - allerdings für rechtswidrig erklärte - Schubhaftbescheid "einzig als Hafttitel" in Betracht gekommen, kann ihr somit nicht gefolgt werden. Ein die Zulässigkeit der Fortsetzung der Schubhaft feststellender Ausspruch des BVwG gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG tritt nämlich mit seiner Erlassung als neuer Schubhafttitel an die Stelle des seinerzeitigen Schubhaftbescheides des BFA und bewirkt, dass dieser Bescheid damit endgültig seine Wirkung verliert und - ungeachtet einer allfälligen späteren Aufhebung des Fortsetzungsausspruchs durch den Verwaltungsgerichtshof - nicht wieder aufleben kann. Demzufolge wären im vorliegenden Fall die Schubhaftbescheide vom 27. Jänner 2016 (selbst im Falle ihrer Rechtmäßigkeit) als Grundlage für die Anhaltung der Revisionswerberinnen in Schubhaft ab dem 22. Februar 2016 nicht mehr in Betracht gekommen.
11 Beizupflichten ist den Revisionswerberinnen nach dem Gesagten aber im Ergebnis dahin, dass das BVwG auch hinsichtlich des Zeitraums vom 22. Februar 2016 bis 11. März 2016 die Rechtswidrigkeit der gegenständlichen Schubhaften festzustellen gehabt hätte. Die gegenteilige, auf den Gegenstand des Beschwerdeverfahrens und den diesbezüglichen Prüfungsumfang verweisende Ansicht des BVwG ist nicht nachvollziehbar, richteten sich doch die Beschwerden nicht nur gegen die Festnahmen und die Schubhaftbescheide, sondern auch gegen die Anhaltungen in Schubhaft, und zwar uneingeschränkt und somit in ihrer gesamten Dauer (vgl. auch dazu das schon erwähnte Erkenntnis vom 26. Jänner 2012, Zl. 2009/21/0108).
12 Die vom BVwG vorgenommenen Kostenentscheidungen waren aber schon deshalb aufzuheben, weil sie von der (mittlerweile ergangenen) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweichen. Der Gerichtshof ist nämlich im Erkenntnis vom 31. August 2017, Ro 2016/21/0014, der auch dort vom BVwG vertretenen und ähnlich wie im vorliegenden Fall begründeten Auffassung, Festnahme sowie Anordnung und Vollzug der Schubhaft seien als Einheit zu wertende Amtshandlungen anzusehen, nicht gefolgt. Demgegenüber vertrat der Verwaltungsgerichtshof in dem genannten Erkenntnis mit näherer Begründung (siehe Rz 23 bis 28, insbesondere Rz 26 ff), auf die gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen werden kann, die Meinung, dass nicht von einer Einheit der Festnahme nach § 34 BFA-VG einerseits und Schubhaft andererseits auszugehen sei. Insoweit liegen daher zwei Verwaltungsakte vor, die im vorliegenden Fall von den Revisionswerberinnen in ihren Beschwerden jeweils angefochten wurden. Diesfalls besteht aber ein Anspruch auf Kostenersatz im Verfahren vor dem BVwG, wenn sich eine Beschwerde gegen mehrere Verwaltungsakte richtet und mit der Bekämpfung eines davon erfolgreich ist. Das wird auch in den Revisionen zutreffend geltend gemacht, die sich daher insoweit nicht nur im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG als zulässig, sondern auch als berechtigt erweisen.
13 Die ausgehend von einer gegenteiligen Rechtsansicht vorgenommenen Kostenentscheidungen sind somit inhaltlich rechtswidrig und waren daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG schon deshalb aufzuheben.
14 Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Wien, am 5. Oktober 2017
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