VwGH Ra 2017/21/0153

VwGHRa 2017/21/015314.11.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und den Hofrat Dr. Pelant sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Samonig, über die Revision des A M G alias A M in I, vertreten durch Dr. Gerhard Mory, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Juni 2017, Zl. W111 1430969-3/33E, betreffend Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen und Rückkehrentscheidung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3;
AsylG 2005 §55;
AsylG 2005 §57;
BFA-VG 2014 §9 Abs2 Z5;
B-VG Art133 Abs4;
FrPolG 2005 §52 Abs2 Z2;
VwGG §34 Abs1;

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis bestätigte das Bundesverwaltungsgericht - im zweiten Rechtsgang - den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10. März 2015, mit welchem dem Revisionswerber - einem äthiopischen Staatsangehörigen - ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG gegen ihn erlassen wurde. Unter einem wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Äthiopien gemäß § 46 FPG zulässig sei, und die Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.

2 Das im ersten Rechtsgang ergangene Erkenntnis vom 22. Februar 2016 hatte der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 30. Juni 2016, Ra 2016/21/0121, aufgehoben, weil das Bundesverwaltungsgericht die Verhandlungspflicht verletzt hatte. In der nunmehr im fortgesetzten Verfahren durchgeführten mündlichen Verhandlung wurde ausführlich die strittige Frage der Mitgliedschaft des Revisionswerbers in der ONLF (Ogaden National Liberation Front) erörtert; sie wurde vom Bundesverwaltungsgericht schließlich nicht als glaubhaft erachtet.

3 Nach Durchführung einer Interessenabwägung gemäß § 9 BFA-VG kam das Bundesverwaltungsgericht in rechtlicher Hinsicht - angesichts des erst rund fünfjährigen Inlandsaufenthalts des Revisionswerbers und des Umstandes, dass er in Äthiopien zumindest über weitschichtige Verwandte und Bekannte verfüge, die ihn unterstützen könnten - zum Ergebnis, dass weder ein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 noch ein solcher nach § 55 AsylG 2005 zu erteilen, sondern eine Rückkehrentscheidung nach § 52 FPG zu erlassen und die Abschiebung nach Äthiopien zulässig sei.

4 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich (u.a.) wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG "nicht zur Behandlung eignen", ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

6 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen dieser in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

7 Unter diesem Gesichtspunkt bringt der Revisionswerber im Wesentlichen vor, das Bundesverwaltungsgericht hätte von Amts wegen weitere Ermittlungen und Feststellungen zur aktuellen Versorgungslage in Äthiopien vornehmen müssen; dies vor dem Hintergrund, dass auch das Bundesverwaltungsgericht selbst von äußerst schwierigen wirtschaftlichen und sozio-ökonomischen Lebensumständen ausgegangen sei, der Revisionswerber ausdrücklich vorgebracht habe, im Rückkehrfall nicht die Möglichkeit zu haben, sich eine neue Existenz aufzubauen, und es eine landeskundliche Feststellung dahingehend gebe, dass mehrere Millionen Äthiopier aktuell von Nahrungsmittelengpässen bedroht seien. Die Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts für die "sozioökonomisch-existentielle individuelle Rückkehrprognose" beruhten auf "geradezu exzessiv veralteten" Quellen und Herkunftslandinformationen; es sei die aktuelle Dürre- und Hungerkatastrophe in Äthiopien und auch im Herkunftsgebiet des Revisionswerbers nicht berücksichtigt worden. Der Revisionswerber rügt in diesem Zusammenhang auch, dass das Bundesverwaltungsgericht zwar eine mündliche Verhandlung durchgeführt habe, die landeskundlichen Informationen jedoch nicht in der Verhandlung erörtert, sondern lediglich an den Rechtsvertreter übergeben habe. Zudem hätten sich die "sozioökonomischen Rückkehrverhältnisse" seit der mündlichen Verhandlung am 6. Oktober 2016 erneut verschlechtert. Die nach § 9 BFA-VG vorgenommene Interessenabwägung sei unvertretbar, weil das Bundesverwaltungsgericht die Thematik, dass dem Revisionswerber im Fall seiner Rückkehr nach Äthiopien ein "Abgleiten in eine Situation von absoluter Armut bei gleichzeitiger Gefahr von Nahrungsmittelunsicherheit" drohe, gänzlich ausgeblendet habe.

8 Richtig ist, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch der Frage, ob sich der Fremde bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat eine Existenzgrundlage schaffen kann, im Rahmen der Interessenabwägung unter dem Gesichtspunkt der Bindungen zum Heimatstaat (§ 9 Abs. 2 Z 5 BFA-VG) Bedeutung zukommen kann (vgl. VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101, Punkte 4.1. und 4.2. der Entscheidungsgründe, mwN; siehe darauf Bezug nehmend etwa auch VwGH 16.12. 2015, Ra 2015/21/0119).

Im Hinblick darauf hat das Bundesverwaltungsgericht in seine Entscheidung Länderfeststellungen zur wirtschaftlichen Lage in Äthiopien einbezogen, wonach mehrere Millionen Äthiopier von Nahrungsmittelengpässen bedroht sind und diese Zahl in extremen Dürreperioden (wie der gerade aktuellen) noch ansteigen kann. Es hat aber auch - vom Revisionswerber unbestritten - festgestellt, dass es sich bei ihm um einen jungen, gesunden Mann handle, der in der Lage sei, am Erwerbsleben teilzunehmen, und in Äthiopien zumindest über weitschichtige Verwandte verfüge (die Angaben zu Eltern und Geschwistern waren im Lauf des Verfahrens widersprüchlich, der Revisionswerber hatte in der Verhandlung letztlich erklärt, in Äthiopien keine "sehr nahen" Verwandten zu haben). Angesichts der sonstigen für die Interessenabwägung maßgebenden Faktoren durfte das Bundesverwaltungsgericht in der Situation des erst seit rund fünf Jahren in Österreich aufhältigen Revisionswerbers davon ausgehen, dass die von ihm zu erwartenden Schwierigkeiten in seinem Heimatstaat nicht zu einem Überwiegen der privaten Interessen an einem Verbleib in Österreich führen konnten. Sie sind vielmehr als Folge der illegalen Einreise zur Stellung eines unberechtigten Antrags auf internationalen Schutz im öffentlichen Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung vom Revisionswerber hinzunehmen (vgl. in diesem Sinn auch VwGH 30.6.2016, Ra 2016/21/0192, mwN).

Besondere Umstände, die die Annahme gerechtfertigt hätten, dass der Revisionswerber von den prekären wirtschaftlichen Verhältnissen in Äthiopien auch individuell außergewöhnlich hart getroffen würde - was allenfalls zu einem anderen Ausgang der Interessenabwägung hätte führen können (vgl. VwGH 31.8.2017, Ra 2016/21/0296) -, wären von ihm vorzubringen gewesen, wozu er insbesondere in der mündlichen Verhandlung Gelegenheit hatte. Dort hat er zwar - auch unter dem Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Existenzgefährdung - eine Verfolgung und Diskriminierung wegen seiner Mitgliedschaft bei der ONLF behauptet; diese Mitgliedschaft wurde vom Bundesverwaltungsgericht aber in einer schlüssigen - und von der Revision nicht bekämpften - Beweiswürdigung als nicht glaubhaft erachtet.

9 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 14. November 2017

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