VwGH Ra 2017/16/0001

VwGHRa 2017/16/000128.2.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofräte Dr. Mairinger und Dr. Thoma als Richter unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Baumann über die Revision des Zollamtes Klagenfurt Villach, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom 3. November 2016, Zl. RV/4200103/2016, betreffend Zurücknahme einer zollrechtlich begünstigenden Entscheidung nach Art. 8 ZK (mitbeteiligte Partei: F GmbH in T, vertreten durch die Schrömbges + Partner Partnerschaftsgesellschaft Rechtsanwälte Steuerberater mbB, Ballindamm 13, D-20095 Hamburg), den Beschluss gefasst:

Normen

31992R2913 ZK 1992 Art8 Abs1;
B-VG Art133 Abs4;
VwGG §34 Abs1;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2017:RA2017160001.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Unbestritten ist, dass das Finanzamt Spittal Villach in der Zeit vom 21. Februar 2013 bis 10. September 2014 aufgrund von mehreren in Zollanmeldungen der Mitbeteiligten als Anmelderin und Warenempfängerin enthaltenen Erklärungen, anlässlich der Überführung von Waren verschiedener chinesischer Lieferanten in den zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr von der Regelung des § 26 Abs. 3 Z. 2 UStG Gebrauch machen zu wollen, entsprechend diesen Anträgen (begünstigende) Mitteilungen des Abgabenbetrages nach Art. 221 ZK erließ, die mit der kodierten Abgabenart "A00" auf die Einhebung (Verbuchung) des Zolles auf einem Zollamtskonto der Mitbeteiligten und mit der kodierten Abgabenart "5EV" auf die Einhebung (Verbuchung) von Einfuhrumsatzsteuer in der Gesamthöhe von EUR 3.665.742,04 auf einem Finanzamtskonto der Mitbeteiligten hinwiesen.

2 Mit Bescheid vom 21. Dezember 2015 nahm das Zollamt Klagenfurt Villach die in den in der Anlage zu diesem Bescheid genannten, in den Abgaben-mitteilungen enthaltenen begünstigenden Entscheidungen über die Einhebung der Einfuhrumsatzsteuer gemäß § 26 Abs. 3 Z. 2 UStG durch das für die Mitbeteiligte zuständige Finanzamt gemäß Art. 8 ZK iVm § 26 Abs. 1 UStG und § 2 Abs. 1 ZollR-DG zurück und forderte die Mitbeteiligte auf, die gemäß Art. 221 ZK bereits mitgeteilten Beträge an Einfuhrumsatzsteuer in der eingangs genannten Höhe gemäß Art. 222 ZK iVm § 26 Abs. 1 und Abs. 3 Z. 1 UStG innerhalb einer Frist von zehn Tagen an das Zollamt Klagenfurt Villach zu entrichten. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Zollamt Klagenfurt Villach mit Beschwerdevorentscheidung vom 11. Februar 2016 als unbegründet ab, worauf die Mitbeteiligte den Antrag auf Entscheidung über die Beschwerde durch das Bundesfinanzgericht erhob.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Gericht der Beschwerde Folge und hob den angefochtenen Bescheid vom 21. Dezember 2015 (ersatzlos) auf. Weiters sprach das Gericht aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

In rechtlicher Hinsicht vertrat das Gericht die Ansicht, bei Bewilligung des Antrages, die Einhebung und zwangsweise Einbringung der Einfuhrumsatzsteuer durch das Finanzamt durchführen zu lassen, handle es sich um eine begünstigende Entscheidung. Die Rücknahme einer begünstigenden Entscheidung nach dem im Revisionsfall noch maßgeblichen Art. 8 ZK sei nur zulässig, wenn diese aufgrund unrichtiger oder unvollständiger Tatsachen ergangen sei. Das Zollamt Klagenfurt Villach begründe die Rücknahme damit, die Waren seien nicht für das Unternehmen der Mitbeteiligten eingeführt worden, weshalb diese weder zum Vorsteuerabzug nach § 12 Abs. 1 Z. 2 UStG noch zur Inanspruchnahme der Bestimmung des § 26 Abs. 3 Z. 2 UStG berechtigt sei. Die Rücknahme der begünstigenden Entscheidung sei nur dann möglich, wenn die Unvollständigkeit oder Unrichtigkeit der Tatsachen, von denen die entscheidende Behörde ausgegangen sei, dem Antragsteller (der Mitbeteiligten) bekannt gewesen sei oder vernünftigerweise hätte bekannt sein müssen. Grundsätzlich könne daher eine begünstigende Entscheidung nicht rückwirkend (ex tunc) zurückgenommen werden. Derjenige, an den die Entscheidung gerichtet gewesen sei, genieße Vertrauensschutz. Der Grundsatz des Vertrauensschutzes des Einzelnen habe Vorrang vor dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit und Gleichmäßigkeit des Verwaltungshandelns. Dieses Prinzip werde aber dann durchbrochen, wenn der Antragsteller die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Tatsachen hätte kennen müssen oder gar gekannt habe. Der Gesetzgeber halte einen Vertrauensschutz nicht für gerechtfertigt, wenn den Antragstellern nach objektiven Kriterien ein fahrlässiges Verhalten im Zeitpunkt der Antragstellung vorzuwerfen sei. Art. 8 ZK umschreibe die Fahrlässigkeit mit "vernünftigerweise hätte bekannt sein müssen" und meine damit einen erhöhten Grad von Fahrlässigkeit.

Fallbezogen führte das Gericht weiter aus:

"Offenbar hatte die (Mitbeteiligte) Zweifel, ob das von Ihr gewählte Geschäftsmodell zum Vorsteuerabzug berechtigt, weshalb bereits am 4. März 2013 das örtlich und sachlich zuständige Finanzamt Spittal Villach um Beurteilung des Sachverhaltes ersuchte. Das zuständige Finanzamt erhob gegen das geschilderte Geschäftsmodell im Rahmen einer unverbindlich erteilten Auskunft keine Einwände. Um Rechtssicherheit zu erlangen ersuchte der steuerliche Vertreter der (Mitbeteiligten) mit E-Mail vom 14. Mai 2013 um Durchführung einer Umsatzsteuerprüfung. Diese Prüfung wurde erst im April 2014 durchgeführt und führte unmittelbar nicht zur Klärung der Frage, ob das von der (Mitbeteiligten) gewählte Geschäftsmodell einen Vorsteuerabzug zulässt. Da das Zollamt Klagenfurt Villach die Form der Einhebung der Einfuhrumsatzsteuer gemäß § 26 Abs. 3 Z.2 UStG im Rahmen einer zeitgleich durchgeführten Außenprüfung beanstandete, richtete das Finanzamt Spittal Villach eine Anfrage an die Steuer- und Zollkoordination des Bundesministeriums für Finanzen zum Zwecke der Klärung der umsatzsteuerlichen Verfügungsmacht.

Der Begriff ‚vernünftigerweise kennen müssen' stellt einen objektiven Maßstab dar. Bei den dabei als gegeben zu unterstellenden Kenntnissen eines Beteiligten kommt es nur auf dasjenige an, was der Beteiligte nach Ausschluss fernliegender Umstände bei einem vernünftigen und damit objektivierten Verhalten wissen könnte. Diese Auslegung entspricht nicht nur dem deutschen Wortlaut der Vorschrift, sondern auch dem englischen und französischen Wortlaut. Darin wird das ‚Wissen müssen' mit den Adverbien ‚reasonably' und ‚raisonablement' versehen, die das unterstellte mögliche Wissen nicht nur als vernünftig, sondern auch als angemessen und zumutbar bezeichnen (Witte, Zollkodex6, Art. 8 Rz. 10).

Bei der Frage, ob der Zollschuldner gutgläubig gehandelt hat und alle Vorschriften über die Zollanmeldung eingehalten hat, stellt der EuGH trotz unrichtiger Erklärung - nur auf das ab, was der Zollschuldner vernünftigerweise kennen und sich beschaffen konnte (EuGH 27.6.1991, C-348/89 , Rz. 29; 14.5.1996, C-153, und 204/94, Rz. 109). Bei der Frage der Sorgfalt des Zollschuldners ist zu prüfen, ob er sich, sobald er Zweifel an der Richtigkeit hat, informiert und sich weitest möglich Aufschluss darüber verschafft hat, ob seine Zweifel berechtigt sind (EuGH 26. 6. 1990, Rs. 64/89, Rz. 22). Ein gewerbsmäßig handelnder Zollschuldner verfügt nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH über eine gewisse Erfahrung. Zu berücksichtigen ist aber auch die Komplexität der Vorschrift und die Länge des Zeitraums, den die zuständige Behörde zur Klärung der Rechtsfrage, über die überdies bislang noch nicht rechtskräftig entschieden wurde, benötigte (EuGH 3. 3. 2005, C-499/03 , Rz. 48; 18. 10.2007, C-173/06 ; Rz. 32).

Von der (Mitbeteiligten) war zu erwarten, dass sie sich bei bestehenden Zweifeln zeitnah bei der sachlich und örtlich zuständigen Behörde um die Anwendung des geltenden Rechts bemüht. Dementsprechend hat die (Mitbeteiligte) das Geschäftsmodell dem Finanzamt Spittal Villach gegenüber offengelegt und im Vertrauen auf die Richtigkeit der erhaltenen Auskunft Dispositionen getroffen. Da die (Mitbeteiligte) Rechtssicherheit erlangen wollte, bat sie die zuständige Behörde um Durchführung einer Außenprüfung. Dass diese Außenprüfung erst ein Jahr später durchgeführt wurde, kann der (Mitbeteiligten) nicht zum Nachteil gereichen. Da es sich um komplexe rechtliche Vorschriften und Sachverhalte handelt, wurde die Rechtsfrage schlussendlich erst durch eine Expertise der Steuer- und Zollkoordination des Bundesministeriums für Finanzen entschieden.

Bei Würdigung der vorliegenden Umstände ist festzustellen, dass die (Mitbeteiligte) sich nach ihren Kräften bemüht hat zu klären, ob die bestehenden Zweifel berechtigt sind. Die (Mitbeteiligte) konnte auf Grund der erteilten Rechtsauskunft darauf vertrauen, dem geltenden Recht gemäß zu handeln. Als die Geschäfte ein größeres Volumen erreichten, bat der Bf. zudem um Durchführung einer Außenprüfung. Der (Mitbeteiligten) ist somit kein fahrlässiges Verhalten zur Last zu legen, die Voraussetzungen für die Rücknahme der Entscheidungen über die Einhebung der Einfuhrumsatzsteuer gemäß § 26 Abs.3 Z.2 UStG liegen nicht vor."

4 Seinen Ausspruch über die Unzulässigkeit einer Revision begründete das Gericht damit, die mit dem vorliegenden Erkenntnis zu lösenden Rechtsfragen ergäben sich aus dem Wortlaut der angewendeten einschlägigen Bestimmungen und stünden nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des EuGH oder des Verwaltungsgerichtshofes. Zudem handle es sich bei der Frage, ob im Einzelfall ein fahrlässiges Verhalten der Mitbeteiligten vorliege, nicht um eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung.

5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Amtsrevision des Zollamtes Klagenfurt Villach mit dem Antrag, das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben oder gemäß § 42 Abs. 4 VwGG in der Sache selbst zu entscheiden. Sie erblickt ihre Zulässigkeit in den Rechtsfragen von besonderer Bedeutung (vgl. Pkt. 3.5. ff der Amtsrevision) darin, es liege bisher keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vor, ob das Finanzamt oder das Zollamt für die Beantwortung der Frage, ob die Voraussetzungen des § 26 Abs. 3 Z. 2 UStG 1994 gegeben seien, zuständig sei. Das Gericht habe das Verfahrensrecht durch eine Aktenwidrigkeit verletzt, weil es die Einvernahme der Ansprechperson beim Finanzamt, wie von der Mitbeteiligten beantragt, unterlassen habe. Das angefochtene Erkenntnis stehe im Widerspruch zum Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. Juni 2014, 2013/17/0643. Das Gericht habe "die Rechtslage verkannt", weil es den Vertrauensschutz der Mitbeteiligten auf eine Auskunft des Finanzamtes gegründet habe, das zur Beurteilung der Frage (offenbar gemeint: ob die Voraussetzungen des § 26 Abs. 3 Z. 2 UStG 1994 gegeben seien) gar nicht zuständig sei.

6 Gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes ist die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Hat das Verwaltungsgericht im Erkenntnis ausgesprochen, dass eine Revision nicht gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist, hat die Revision nach § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird (außerordentliche Revision).

7 Die Amtsrevision zieht nicht in Zweifel, dass es sich bei den eingangs genannten Mitteilungen der Abgabenbeträge nach Art. 221 ZK durch das Finanzamt Spittal Villach um Abgabenbescheide handelte, die die Mitbeteiligte begünstigten.

8 Nach Art. 8 Abs. 1 ZK wird eine begünstigende Entscheidung zurückgenommen, wenn sie aufgrund unrichtiger oder unvollständiger Tatsachen ergangen ist und

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