VwGH Ra 2017/15/0071

VwGHRa 2017/15/007130.4.2019



Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofrätin Dr. Büsser sowie die Hofräte MMag. Maislinger, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision der H GmbH in D, vertreten durch die Deloitte Tax Wirtschaftsprüfungs GmbH in 1010 Wien, Renngasse 1, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 13. Juli 2017, Zl. RV/1100723/2016, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens (hinsichtlich Umsatzsteuer 2008 bis 2010, Feststellung Gruppenmitglied 2008 bis 2010), Umsatzsteuer 2008 bis 2010, sowie Feststellungsbescheid Gruppenmitglied 2008 bis 2010, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §24 Abs1 litd
UStG 1994 §2 Abs2 Z2
UStG 1994 §3 Abs1
UStG 1994 §3 Abs7
32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art14 Abs2 litb
62016CJ0164 Mercedes-Benz Financial Services UK VORAB

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2017150071.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von 1.346,40 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Zur Vorgeschichte wird auf das Erkenntnis vom 23. November 2016, Ra 2014/15/0006, verwiesen, mit dem der Verwaltungsgerichtshof das damals angefochtene Erkenntnis mit der Begründung aufgehoben hat, dass das Bundesfinanzgericht (BFG) hinsichtlich der Wiederaufnahme der Verfahren verkannt habe, dass ein behördliches Verschulden an der Nichtfeststellung der maßgeblichen Tatsachen bzw. Beweismittel im Erstverfahren die Wiederaufnahme von Amts wegen nicht ausschließt. Ausgehend von ihrer unzutreffenden Rechtsansicht hat es das BFG seinerzeit unterlassen, die für und die gegen das Vorliegen eines wirtschaftlichen Eigentums der Leasingnehmerin sprechenden Umstände festzustellen und einer zusammenfassenden Bewertung zu unterziehen.

2 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis wies das BFG die Beschwerden der Revisionswerberin sowohl hinsichtlich Wiederaufnahme der Verfahren (Umsatzsteuer, Feststellung Gruppenmitglied) der Jahre 2008 bis 2010 als auch hinsichtlich der diesbezüglich ergangenen neuen Sach- und Feststellungsbescheide ab.

3 Hinsichtlich der Wiederaufnahme der genannten Verfahren wird begründend ausgeführt, der Verwaltungsgerichtshof habe im Vorerkenntnis das Vorliegen eines Wiederaufnahmegrundes dem Grunde nach bejaht. Zur Frage der Ermessensübung habe sich der Verwaltungsgerichtshof nicht explizit geäußert. Zumal der Verwaltungsgerichtshof die ausführlichen Erläuterungen des Bundesfinanzgerichts zur Ermessensübung nach jeder Richtung unkommentiert gelassen habe, sei davon auszugehen, dass der Verwaltungsgerichtshof den Ermessensakt als in Übereinstimmung mit dem Gesetz stehend beurteilt habe. Das BFG erachte sich daher - anders als von der Revisionswerberin im fortgesetzten Verfahren gefordert - nicht dazu aufgerufen, nochmals die Ermessenskriterien zu erläutern.

4 Zur Frage der Zurechnung des Leasinggebäudes stellte das BFG fest, die Revisionswerberin habe eine Kaution von rund 42 % des Investitionsvolumens geleistet, was für sich allein eine Zurechnung des Gebäudes an die Leasingnehmerin (eine Bank) nicht indiziert hätte. Laut einer der Betriebsprüfung vorgelegten Planrechnung, die ausgehend von einem Gesamtinvestitionsvolumen von 18 Mio. EUR und einer AfA von 2,5 % nach 15 Jahren Grundvertragsdauer 11,250.000 EUR Restbuchwert sowie nach Abzug der Kaution von 7,5 Mio. EUR ein Restkapital von 3,750.000 EUR ausweise, sei die geleistete Kaution Teil der Finanzierung. Die "geleisteten Kautionen" seien laut Leasingvertrag auf die Verpflichtungen der Leasingnehmerin anzurechnen. Lediglich ein verbleibendes Kautionsguthaben sei der Leasingnehmerin zurückzuzahlen. Zähle man zur Kaution als weitere Vorleistung die Finanzierung durch die (eine Bank betreibende) Leasingnehmerin, die anfangs über ein Kontokorrentkonto, später über einen auf die Laufzeit des Leasingvertrages abgestimmten Kredit erfolgt sei, hinzu, so bilde sich ein 100%-iges finanzielles Engagement der Leasingnehmerin ab. Der Einwand, dass die gewerbliche Kreditvergabe zum regulären Bankgeschäft der Leasingnehmerin gehöre und in dieser Form unabhängig davon erfolgt sei, an wen das Gebäude vermietet werde, könne auf die Einstufung als Vorleistung keinen Einfluss haben, weil andernfalls das Kriterium "Vorleistung" bei derartigen Leasingnehmern ins Leere ginge. Gesamthaft sei nicht an der wechselseitigen Bedingtheit der vorliegenden zwischen der Revisionswerberin als Leasinggeberin und der H Bank als Leasingnehmerin geknüpften Geschäftsbeziehungen, nämlich dem Baurechtsvertrag, dem Leasingvertrag und der Kreditvereinbarung zu zweifeln.

5 Das Baurecht sei der Leasinggeberin seitens der späteren Leasingnehmerin an dem in ihrem Eigentum stehenden Grundstück, das schon seit langem Standort der Bankzentrale gewesen sei, eingeräumt worden, um dort ein Neugebäude für die Zwecke der H Bank zu errichten. Die Einreichung des Bauplanes unter dem Titel "Umbau (H Bank)" erlaube zudem den Schluss, dass kein beliebiges Allgemeingebäude habe errichtet werden sollen, sondern ganz speziell der (H) Bankneubau. Insofern sei der Gedanke eines Spezialleasings nicht von der Hand zu weisen.

6 Die Art der Krediteinräumung wie auch die über weite Strecken nicht in Form schriftlicher bzw. im Geschäftsleben üblicher Vertragsgestaltungen erfolgte Gesamtkonstruktion mit Baurecht, Leasing, Kredit und diversen damit verbundenen Zahlungsströmen zeigten den fehlenden Interessensgegensatz zwischen Großmutter- (Leasingnehmerin) und Enkelgesellschaft (Leasinggeberin). Zudem sei vertraglich festgelegt worden, dass die Leasingnehmerin für die Zeit zwischen der ersten Rechnungsbezahlung durch die Leasinggeberin und der ersten Mietvorschreibung Zwischenfinanzierungskosten in Form von Vormieten zu entrichten habe. Das Gesamtbild zeige ein beherrschendes finanzielles Engagement der Leasingnehmerin. 7 Gegenständlich liege ein Teilamortisationsvertrag vor, wobei aber der Leasinggeberin nicht die Funktion einer Kreditgeberin zukomme. Die Zurechnung des Leasinggutes habe daher nach den allgemeinen Regeln des wirtschaftlichen Eigentums zu erfolgen. Ziehe man gesamthaft ins Kalkül, dass die Bankzentrale bereits vor der Neuaufführung/Sanierung langjährig an diesem Standort gelegen war, und nach der Sanierung ein Gebäude in modernisierter Form vorliege, welches den Anforderungen einer Bank Rechnung trage (etwa Tresorräume, bankspezifische Alarmanlage), so spräche es gegen jede wirtschaftliche Vernunft, wenn eine nur 15 Jahre (Grundmietzeit) währende Nutzung durch die Leasingnehmerin je ernsthaft in Betracht gezogen worden wäre. Vielmehr müsse davon ausgegangen werden, dass schon bei Vertragsabschluss die weiterwährende Nutzung durch die Leasingnehmerin beabsichtigt gewesen sei, ein Umstand, dem auch die unbestimmte Dauer des Vertragsabschlusses nicht entgegenstehe. Dass eine förmliche Vertragsklausel, etwa eine ausdrückliche Kaufoption im Leasingvertrag fehle, schade nicht, weil aufgrund der gesellschaftsrechtlichen Verbundenheit zwischen den Vertragspartnern kein Interessensgegensatz bestehe. 8 Auch die Gefahrtragung liege nahezu ausschließlich bei der Leasingnehmerin. Die Leasinggeberin übernehme die Gefahr für das Leasingobjekt lediglich im versicherten Umfang.

9 Im Falle einer vorzeitigen Vertragsauflösung aus wichtigem Grund oder wegen Konkurs oder Ausgleich habe die Leasingnehmerin sofort jenen Teil der Gesamtinvestitionskosten, der noch nicht amortisiert sei, zuzüglich eines Pauschalentgelts von 70.000 EUR und allfälliger Rückstände und Betriebskosten zu entrichten. Ein allfälliger Verwertungsmehrerlös werde im Verhältnis 75 (Leasingnehmerin) zu 25 (Leasinggeberin) aufgeteilt. Die Erlösverteilung von 75 % zu 25 % für die Leasingnehmerin spreche dafür, dass Wertsteigerungen und -minderungen in die Sphäre der Leasingnehmerin gehörten.

10 Zusammenfassend sehe das BFG Gestaltungen als gegeben an, die die wirtschaftliche Position der Leasingnehmerin in einem qualifizierten Ausmaß stärken und daher die Zurechnung des Leasinggutes Bankzentrale an die Leasingnehmerin als wirtschaftliche Eigentümerin rechtfertigen:

zu der Bestimmung des Art. 14 Abs. 2 lit. b der RL 2006/112/EG das Vorliegen einer umsatzsteuerlichen Lieferung bei Leasingverträgen mit Kaufoption nur unter der weiteren Voraussetzung bejaht, dass die Optionsausübung die einzig wirtschaftlich rationale Möglichkeit für den Leasingnehmer darstellt. Der Vertrag darf dem Leasingnehmer keine echte wirtschaftliche Alternative in dem Sinn bieten, dass er zu dem Zeitpunkt, zu dem er eine Wahl zu treffen hat, je nach Interessenslage den Gegenstand entweder erwerben, dem Leasinggeber zurückgeben oder weiter mieten kann. Dies ist auch dann der Fall, wenn die Ausübung der Kaufoption angesichts der finanziellen Vertragsbedingungen in Wirklichkeit als die einzig wirtschaftlich rationale Möglichkeit für den Leasingnehmer erscheint, weil z. B. die Summe der vertraglichen Raten dem Verkehrswert des Gegenstandes einschließlich der Finanzierungskosten entspricht und der Leasingnehmer wegen der Ausübung der Option nicht zusätzlich eine erhebliche Summe entrichten muss (vgl. Rn. 37, 38 und 43). 29 Auch nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann davon ausgegangen werden, dass eine Anschaffung durch den Leasingnehmer vorliegt, wenn die Nichtausübung einer eingeräumten Kaufoption geradezu gegen jede Vernunft wäre. Das ist etwa der Fall, wenn eine anderweitige Verwendung des Mietobjektes nach Ablauf der Vertragsdauer für die Vertragspartner nicht sinnvoll wäre (vgl. nochmals VwGH 25.1.2006, 2006/14/0002).

30 Im angefochtenen Erkenntnis wird nicht aufgezeigt, dass (auf Grund der finanziellen Vertragsbedingungen) am Ende der Grundmietzeit davon ausgegangen werden müsse, dass die Leasingnehmerin - bei Unterstellung einer wirtschaftlich rationalen fremdüblichen Vorgangsweise - von der im Leasingvertrag angesprochenen Möglichkeit, das Leasingobjekt zu erwerben, Gebrauch machen werde. In diesem Zusammenhang könnte auch von Bedeutung sein, ob das der Leasinggeberin gewährte Darlehen nach Ablauf der Grundmietzeit nach den getroffenen Vereinbarungen noch und gegebenenfalls mit welchem Betrag aushaften wird. Insbesondere fehlt dem angefochtenen Erkenntnis aber auch eine Auseinandersetzung mit dem Beschwerdevorbringen, wonach am Ende der Grundmietzeit alternativ auch eine Fortsetzung des Mietvertrages in Betracht käme. Dass eine derartige weitere Nutzung des Leasingobjektes gegen jede wirtschaftliche Vernunft wäre, wird im angefochtenen Erkenntnis nicht deutlich gemacht. 31 Das Vorliegen einer Lieferung des Leasingobjektes an die Leasingnehmerin (Großmuttergesellschaft) wäre im Übrigen aber auch dann zu verneinen, wenn die Leasinggeberin (die Revisionswerberin) dem Willen der Leasingnehmerin derart untergeordnet ist, dass sie keinen eigenen Willen hat. Dies wird dann angenommen, wenn sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in sein Unternehmen eingegliedert ist (vgl. § 2 Abs. 2 Z 2 UStG 1994).

32 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die wirtschaftliche Eingliederung gegeben, wenn zwischen den Gesellschaften ein betriebswirtschaftlich sinnvoller Zusammenhang besteht und ihre Tätigkeiten aufeinander abgestellt sind und sich gegenseitig ergänzen (vgl. mit weiteren Nachweisen VwGH 23.11.2016, Ro 2014/15/0031, und die darin wiedergegebene Rechtsprechung des EuGH).

33 Eine derartiger betriebswirtschaftlicher Zusammenhang könnte im Revisionsfall etwa dann gegeben sein, wenn die Tätigkeit der Revisionswerberin (ausschließlich) darin besteht, den H-Banken die für den Betrieb ihrer Bankgeschäfte erforderlichen Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen.

34 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen prävalierender Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben. Auf die Frage der Ermessensübung bei Wiederaufnahme der Verfahren war bei diesem Verfahrensergebnis nicht einzugehen. 35 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 30. April 2019

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