Normen
12010P/TXT Grundrechte Charta Art47;
LKUFG OÖ 1983 §25 Abs1;
LKUFG OÖ 1983 §25 Abs3;
MRK Art6;
VwGG §42 Abs2 Z3;
VwGVG 2014 §24 Abs4;
VwGVG 2014 §24;
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Die Oberösterreichische Lehrer-, Kranken- und Unfallfürsorge hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der im Jahr 1948 geborene Revisionswerber steht als früherer Hauptschuloberlehrer in einem öffentlich-rechtlichen Ruhestandsverhältnis zum Land Oberösterreich. Nach Dienstunfällen in den Jahren 1990 und 2002 wurde ihm mit Bescheid vom 12. November 2003 des Verwaltungsrates der Oberösterreichischen Lehrer-Kranken- und Unfallfürsorge (in der Folge: Verwaltungsrat) - ausgehend von einer aufgrund einer Knieverletzung beim letztgenannten Unfall auf Dauer eingetretenen Minderung der Erwerbsfähigkeit um 25 Prozent - eine Versehrtenrente im Ausmaß von 25 Prozent der Vollrente gewährt.
2 Mit Bescheid des Verwaltungsrates vom 4. Mai 2017 wurde aufgrund der wesentlichen Änderung der Verhältnisse das Erlöschen des Anspruchs auf Versehrtenrente gemäß § 25 Abs. 1 und 3 des Oö. Lehrer-Kranken- und Unfallfürsorgegesetzes (Oö LKUFG) nach Einholung zweier Sachverständigen-Gutachten und Einräumung von Parteiengehör ausgesprochen. Begründend stützte sich die belangte Behörde im Wesentlichen auf die beiden eingeholten Gutachten, die übereinstimmend zum Ergebnis gekommen sind, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit nunmehr unter 10 Prozent liege.
3 Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Beschwerde, in der er zusammengefasst ausführte, dass sich seine Beschwerden und der Zustand seines linken Knies seit seinem Unfall im Jahr 2002 keineswegs verbessert, sondern vielmehr verschlechtert hätten. Zum Beweis dafür beantragte der Revisionswerber unter anderem seine Einvernahme und die Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Bereich der Unfallchirurgie und Orthopädie.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Oberösterreichische Landesverwaltungsgericht die Beschwerde als unbegründet ab und erklärte die ordentliche Revision für unzulässig. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung sah das Verwaltungsgericht gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG ab.
5 Begründend führte das Verwaltungsgericht unter Verweis auf die maßgeblichen Rechtsvorschriften im Wesentlichen aus, dass ein Anspruch auf Versehrtenrente dann bestehe, wenn die Erwerbsfähigkeit des Lehrers durch die Folgen eines Dienstunfalles länger als drei Monate ab dem Unfallereignis um mindestens 20 Prozent vermindert sei. Für die Entziehung dieser Rente sei eine wesentliche entscheidende Änderung in der Höhe von zumindest 10 Prozent erforderlich, es müsse sohin eine wesentliche Verbesserung des medizinischen Zustandes gegenüber dem Zeitpunkt der letzten Entscheidung über den Rentenanspruch eingetreten sein. Eine allfällige abweichende ärztliche Beurteilung bei gleichbleibenden tatsächlichen Verhältnissen stelle keine wesentliche Änderung der Verhältnisse in diesem Sinne dar.
6 Aus dem Vergleich der in sich schlüssigen Gutachten ergebe sich das Bild einer wesentlichen Verbesserung, so das Verwaltungsgericht weiter. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit liege nunmehr unter 10 Prozent und fiele sohin um mindestens 15 Prozent geringer aus als bei der ursprünglichen Bemessung. Deshalb sei die Versehrtenrente zu entziehen. Daran könnten auch die subjektiv geschilderten - als glaubwürdig und bestehend anerkannten - Beschwerden des Revisionswerbers nichts ändern.
7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision. Die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht erstattete eine Revisionsbeantwortung und beantragte, die außerordentliche Revision zurückzuweisen, in eventu ihr keine Folge zu geben.
8 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
9 Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichts nach § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
11 Soweit der Revisionswerber in seinem Vorbringen zur Zulässigkeit der Revision im Zusammenhang mit der von ihm begehrten Einvernahme und behaupteten Ergänzungsbedürftigkeit bzw. Mangelhaftigkeit des Sachverständigengutachtens das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung rügt, erweist sich die Revision als zulässig, die auch begründet ist.
12 Das Verwaltungsgericht kann gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG von der Durchführung einer Verhandlung absehen, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) entgegenstehen.
13 Eine Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ist daher durchzuführen, wenn es um "civil rights" oder "strafrechtliche Anklagen" im Sinne des Art. 6 EMRK oder um die Möglichkeit der Verletzung einer Person eingeräumter Unionsrechte (Art. 47 GRC) geht und eine inhaltliche Entscheidung in der Sache selbst getroffen wird. Bei einem rechtswidrigen Unterlassen der nach Art. 6 EMRK erforderlichen mündlichen Verhandlung ist keine Relevanzprüfung hinsichtlich des Verfahrensmangels vorzunehmen (vgl. VwGH 29.6.2017, Ra 2017/04/0036; 20.10.2015, Ra 2015/09/0051).
14 Bei dem im Revisionsfall strittigen Anspruch auf Versehrtenrente handelt es sich um ein "civil right" im Verständnis der zitierten Konventionsbestimmung (vgl. zur Hilfeleistung nach dem Verbrechensopfergesetz VwGH 27.4.2015, Ra 2015/11/0004; zu einem Entfall von Bezügen nach § 31 Abs. 4 DPL 1972 und zur Bemessung einer Gesamtpension VwGH 13.9.2017, Ra 2017/12/0025; 27.5.2015, Ra 2014/12/0021; sowie zur Zuerkennung einer Beschädigtenrente nach dem Heeresversorgungsgesetz VfSlg. 18.827/2009).
15 Das Verwaltungsgericht hätte sohin nicht von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung absehen dürfen. Da das Verwaltungsgericht dies verkannt hat, hat es das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet; schon deshalb war dieses gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG aufzuheben, ohne dass auf das weitere Vorbringen in der Revision einzugehen war.
16 Im fortzusetzenden Verfahren wird das Verwaltungsgericht auf Grundlage der weiteren Verfahrensergebnisse nachvollziehbar und schlüssig zu begründen haben, ob die Voraussetzungen des Anspruches auf eine Rente iSd § 25 Abs. 1 Oö LKUFG "nicht mehr vorhanden" waren (vgl. VwGH 25.2.1998, 97/12/0380; 24.6.1998, 98/12/0068; 24.6.1998, 97/12/0395; 22.7.1999, 98/12/0446).
17 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 14. November 2017
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